Auch hierzulande ist die Frage, wie man zu einer Steigerung der Tarifbindung kommt, ja oft diskutiert worden. Eine wirksame Antwort darauf hat man bislang jedoch nicht gefunden. Die Zahlen belegen dies eindrucksvoll. Nur 24 Prozent der Betriebe im Land waren 2017 tarifgebunden. Das sind zwei Prozent mehr als im Jahr 2014. Die Zahl der Betriebe, die sich am Tarif orientieren, sank dagegen im gleichen Zeitraum von 39 auf 30 Prozent.
Dabei ist allerdings anzumerken, dass bei Tariforientierungen ja oft nur einzelne Bestandteile eines Tarifwerkes übernommen werden. Wenn man jetzt die Zahl der Beschäftigten betrachtet, die unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrages fallen, so ist diese seit 2015 wieder gesunken. 306.000 Menschen waren es 2017. Ihr Anteil an den Gesamtbeschäftigten lag somit bei 46 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten in Betrieben mit Tariforientierung ist dagegen seit 2016 auf zuletzt 173.000 Beschäftigte gestiegen. Ihr Anteil betrug 26 Prozent.
Dass es Beschäftigten, die unter den Geltungsbereich von Tarifverträgen fallen, häufig besser geht, weil sie höhere Löhne, mehr Urlaub und geregeltere Arbeitszeiten haben, ist, denke ich, bekannt. Dennoch, muss man sagen, geht die Erosion der Tarifbindung weiter. Sie ist ein bundesweites Problem, allerdings liegt MecklenburgVorpommern noch hinter dem bundesweiten Durchschnitt zurück. Tolle Werte gibt es im Bund auch nicht, aber der Handlungsdruck ist in unserem Land in Zeiten vielfach beklagten Fachkräftemangels besonders groß. So zeigt der Gehaltsatlas 2019, dass wir nach wie vor im Lohnkeller festhängen. Bei uns beträgt das durchschnittliche Jahresbruttogehalt 34.155 Euro, im Bund sind es 45.000 Euro.
Und insofern reicht es eben auch nicht, immer wieder auf die Novelle des Landesvergabegesetzes und die angepasste Richtlinie zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu verweisen. Wir wissen nämlich, dass auch die
9,80 Euro und die Bonusregelungen bei geförderten Investitionen für Unternehmen, die ihre Beschäftigten mindestens tarifgleich bezahlen, allein nicht reichen werden, allem Willen – also allem guten Willen – zum Trotz, den ich hier ja gar niemandem absprechen möchte. Deshalb wollen wir heute, anknüpfend an diese Fachkonferenz bei der IHK, mit dem vorliegenden Antrag ein neues Diskussionsangebot unterbreiten.
Wenn wir mal zunächst hier im Land bleiben, dann glaube ich, dass wir gemeinsam darauf hinwirken müssen, dass ein neues Format gefunden wird, in dem Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Innungen und die Politik gemeinsam eine Strategie für mehr Tarifbindung entwickeln. Das Zukunftsbündnis ist aus Sicht der Beteiligten nämlich offenbar nicht die richtige Bühne für derartige Diskussionen. Meine persönliche Meinung ist, deshalb gar nicht mehr über dieses wichtige Thema zu reden, wäre ein völlig falsches Signal.
Wenn man das große Rad wieder ein Stück in die richtige Richtung drehen will, dann muss man allerdings auch noch mal das Thema Allgemeinverbindlichkeitserklärungen ins Visier nehmen. Diese Regelungen sind ein Mittel, tarifliche Regelungen auch auf nicht tarifgebundene Unternehmen und ihre Beschäftigten auszudehnen. Und da gab es ja eine Reform im Jahr 2014, die hat bislang jedoch keine Wirkungen entfaltet, obwohl es eigentlich leichter werden sollte, Tarifverträge für die gesamte Branche verbindlich zu machen. Von der Option wird jedoch kaum Gebrauch gemacht. Ich will das auch in Zahlen belegen: Wurden im Jahr 2000 noch 163 Anträge auf Allgemeinverbindlichkeit gestellt, waren es 2018 nur noch 26. Und bei über 5.000 neu abgeschlossenen Tarifverträgen im letzten Jahr ist der Anteil also verschwindend gering.
Nun kann man fragen: Woran liegt das? Nach Einschätzung von Experten zum Beispiel daran, dass für die Ministerialbeamten im BMAS die überwiegende Bedeutung eines Tarifvertrages durch die quantitative Tarifbindung der Beschäftigten bestimmt wird. Das bedeutet, das 2014 abgeschaffte 50-Prozent-Quorum ist faktisch weiterhin handlungsleitend.
Darüber hinaus wird immer wieder das Vetorecht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände im Tarifausschuss genannt. Bislang gilt, auch wenn sich Gewerkschaft und Arbeitgeber einer Branche, also die eigentlichen Tarifvertragsparteien, einig sind und den Erlass einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung beantragen, kann diese durch das Veto der BDA gestoppt werden. Deshalb steht die Forderung im Raum, dass von den Tarifvertragsparteien gemeinsam eingebrachte Anträge im Tarifausschuss nur mehrheitlich abgelehnt werden dürfen oder, anders ausgedrückt, das Vetorecht abgeschafft wird.
Und der letzte Anstrich unseres Antrages ist neu, aber wahrscheinlich auch der umstrittenste. Er weist aus meiner Sicht aber sehr deutlich darauf hin, dass sich beide Seiten, nämlich Arbeitgeber und Gewerkschaften, mit neuen Möglichkeiten befassen, wie die Tarifbindung wieder gestärkt werden kann. Im „Handelsblatt“ wurde im Herbst des vergangenen Jahres auf folgendes Problem hingewiesen: 100 Jahre nach dem Abschluss des sogenannten Stinnes-Legien-Abkommens, das gemeinhin ja als Grundstein der deutschen Sozialpartnerschaft gilt, sei weder Arbeitgebern noch Gewerkschaften so richtig nach
Feiern zumute, denn das Erfolgsmodell, das Deutschland gut durch die letzte Wirtschaftskrise gebracht habe, schwächele, weil der Organisationsgrad auf beiden Seiten sinkt. Dem kann man nur zustimmen, denn schätzungsweise sind nur noch 15 Prozent der Beschäftigten Mitglied einer Gewerkschaft. Und auch für die Arbeitgeber ist es längst nicht mehr selbstverständlich, sich einem Verband anzuschließen und Flächentarifverträge anzuwenden.
Dieser Aspekt im Änderungsantrag der Koalition ist also richtig, aber man muss die Frage stellen: Was will man dagegen tun? Würden Tariferhöhungen oder zusätzliche Urlaubstage tatsächlich nur Gewerkschaftsmitgliedern zugutekommen, dann hätte sich das Problem sehr schnell erledigt, nur werden die Arbeitgeber ein solches Konjunkturprogramm für Gewerkschaften natürlich nicht unterstützen. Und zudem gibt es für die sogenannten Differenzierungsklauseln, die also Gewerkschaftsmitglieder im Rahmen von Tarifabschlüssen besserstellen können, enge rechtliche Grenzen.
Der Tarifvertrag als Hauptmotiv für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft fällt also mehr und mehr aus. Das ist jedenfalls die Feststellung des Münchner Rechtswissenschaftlers Martin Franzen und deswegen hat er einen völlig neuen Ansatz skizziert. Er schlägt vor, exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder in tarifgebundenen Unternehmen einen Teil des Lohns steuerfrei zu stellen.
Das Echo ist geteilt. Auch in meiner Fraktion gibt es dazu noch viele Fragen, denn natürlich kann man auch diskutieren, ob es nicht erstrebenswerter ist, dass Kolleginnen und Kollegen sich frei nach dem Ernst Thälmann zugeschriebenen Spruch „Einen Finger kann man brechen, aber nicht eine ganze Faust“ aus Überzeugung in einer Gewerkschaft engagieren. Ich selbst war allerdings viele Jahre Betriebsratsvorsitzender und auch Tarifkommissionsmitglied und ich könnte jetzt viel erzählen darüber, wie kreativ Antworten ausfallen, wenn man Beschäftigte für eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft gewinnen möchte.
Der Freibetrag soll sich nach dem Vorschlag von Professor Franzen am Drei- bis Vierfachen des üblichen Gewerkschaftsbeitrages bei durchschnittlichen Einkommen orientieren, also etwa 1.300 bis 1.700 Euro pro Jahr betragen, heißt es in dem Gutachten. Und während der stellvertretende Leiter des Hugo Sinzheimer Institutes, Johannes Heuschmid, im „Handelsblatt“ sinngemäß mit den Worten, „der Gutachter habe konstruktive Vorschläge gemacht, wie sich der Beitritt zu einer Gewerkschaft attraktiver gestalten ließe“, die der Gesetzgeber auch „sofort umsetzen“ könne, zitiert wird, verweist der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, Herr Thüsing, in der gleichen Zeitschrift auf diverse Probleme. Er sagt, wenn der Gesetzgeber künftig beim Steueranspruch nicht nur nach Einkunftsart, sondern nach Rechtsgrund differenzieren soll, also Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag, dann sei das „ein tiefer Bruch“ mit der bisherigen Systematik.
Man kann sich dem Thema auch von einer anderen Seite nähern. Das hat der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil getan. Er hat nämlich eine steuerliche Privilegierung von tarifgebundenen Unternehmen angeregt. Diejenigen, die also mit gutem Beispiel vorangehen, sollen belohnt werden. Daraufhin hat die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft sofort reagiert und dazu ein erstes Rechtsgutach
ten beauftragt. Dieses Werk von Professor Dr. Clemens Höpfner geht aktuell davon aus, dass hier eine grundrechtliche Verletzung des Gleichheitsgebots vorliegen könnte, weil die steuerliche Privilegierung des tarifgebundenen Arbeitgebers einen Arbeitgeber, der den Tarifvertrag lediglich anwendet, aber weder einem Tarifverband angehört noch einen Haustarif geschlossen hat, benachteiligt.
Kurzum, die Diskussion ist in vollem Gange und wir möchten das Thema gern dem zuständigen Ministerium zur Prüfung an die Hand geben, denn der gewerkschaftsnahe Gutachter findet gute Gründe dafür, die Gewerkschaftsmitgliedschaft steuerlich zu privilegieren, der arbeitgebernahe Gutachter findet, die Idee der steuerlichen Privilegierung von tarifgebundenen Unternehmen ist Teufelszeug. Aufgabe von Politik ist es aber, beide neueren Denkanstöße zu reflektieren und gegebenenfalls auf Veränderungen im Gesamtgefüge hinzuwirken. Wir haben leider keinen wissenschaftlichen Dienst, aber hoffentlich jede Menge fähige Juristen im zuständigen Arbeitsministerium. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag, „Tarifbindung in Mecklenburg-Vorpommern stärken“, ist vom Grunde her ja richtig. Auch die Landesregierung unterstützt natürlich jede Maßnahme, die zur Tarifbindung führt, aber wir müssen auch feststellen, dass es in erster Linie den Tarifparteien zusteht, darüber zu reden.
(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU, Dr. Ralph Weber, AfD, und Bernhard Wildt, Freie Wähler/BMV)
Das wird seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gepflegt. Da geht es ja um die Fragen der Vereinbarung von Arbeitsentgelten, Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen et cetera. Und es waren harte Verhandlungen, bei denen oftmals Gewerkschafter eher eingeschlafen sind oder vielleicht auch Arbeitgeber. Also am Ende kam in der Regel immer was raus für beide Seiten, manchmal auch nicht. Und wenn man sich nicht einigen konnte, dann ist es eben so, wenn man paritätisch besetzt ist, dann hat man kein Ergebnis, dann holt man auch mal einen Vermittler. Das könnte zum Beispiel auch ein Politiker sein und das war in der Vergangenheit ja auch oftmals der Fall.
Also, vermitteln gerne, aber in Tarifverhandlungen würden wir uns als Landesregierung ungern einschalten. Das ist nicht die Tradition in Deutschland und...
Ja, die Tarifbindung ist Tradition und hat auch über Jahre Erfolg gehabt. Letztlich hat es auch dazu geführt, dass
diese Arbeitskämpfe durchaus Vorteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebracht haben. Die entscheidende Prämisse, auch heute noch, ist die ökonomische Frage, wie gestaltet sich einerseits die Gewinnseite, wie entwickeln sich Unternehmen und wie kann ich dann auch Löhne erhöhen. Unter dem Eindruck von guten Bilanzen ist das einfacher als unter dem Eindruck, gerade mal übers Jahr zu kommen und darüber nachzudenken, ob man überhaupt Gehaltserhöhungen gewähren kann oder nicht.
Meine Damen und Herren, die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist ja auch eine Geschichte, die auf der Bundesebene gelebt wird. Und da, wo man sich bundesweit einigt, können wir auch hier im Land dafür sorgen, dass man Allgemeinverbindlichkeitserklärungen dann genehmigt. Das haben wir auch bei uns im Wirtschaftsministerium des Öfteren getan.
Zu der Frage, ob ich jetzt noch Steuervergünstigungen für Gewerkschaftsmitglieder gewähre, die die Beiträge zahlen, und die ich dann steuerlich absetzen kann, das ist ja ein Konjunkturprogramm für Mitgliedschaften von Gewerkschaften, da kann ich schon verstehen, dass der eine oder andere Arbeitgeber hier seine Probleme hat. Und ich würde mich jetzt in die Debatte, jedenfalls heute, ungern einschalten, denn wenn jetzt erst mal Gutachter beauftragt werden, wissen wir, Herr Foerster, das kann lange dauern.
Sie haben ja recht, Gutachten sind ja dazu da, darüber nachzudenken, sind die Empfehlungen der Wissenschaftler richtig, kann man sie abwägen oder kann man auch wieder Gegengutachten in Auftrag geben, was ja in der Regel der Fall ist. Und Sie haben ja vorhin erklärt, dass eben schon allein durch die Ankündigung eines Bundesarbeitsministers in Bayern sozusagen die Unternehmerverbände schon dabei sind, Gegengutachten zu stellen.
Also ich will nur sagen, die Diskussion wird uns noch etwas länger tragen als heute, morgen, und wahrscheinlich wird es auch dieses Jahr keine Entscheidung geben. Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass Sie, auch, weil Sie für die Gewerkschaften mit tätig sind, durchaus Interesse haben, diese Themen im Landtag hier vorzubringen. Das ist auch völlig richtig. „Gute Arbeit und gute Löhne“ ist ja auch eine Überschrift, für die diese Koalition, die Landesregierung steht. Nichtsdestotrotz müssen wir dabei immer darauf achten, dass wir Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen weiterhin hochhalten. Und das Vetorecht auf beiden Seiten, bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern, ist ein hohes Gut, das eben auch gelebt werden soll und weitergelebt werden muss, denn Tarifautonomie gehört zu den Tugenden, die in Deutschland wichtig sind.
Was will ich also sagen? Dieser Antrag kommt aus meiner Sicht etwas zu früh, weil die Debatte gerade erst läuft. Ich habe ja festgestellt, dass Sie den Antrag, den Sie heute hier vorstellen, auch im Deutschen Bundestag im April gestellt haben.
Da gehört er auch hin. In erster Linie gehört dieser Antrag auf die Bundesebene und im Deutschen Bundestag muss die Entscheidung reifen. Rufen Sie mich an, wenn die Entscheidung dort gereift ist! Dann werden wir uns natürlich auf Landesebene diesen Problemen noch intensiver widmen.
Grundsätzlich kann ich Ihnen zusagen, dass wir weiterhin an der Tarifautonomie großes Interesse haben und dass wir natürlich dann auch wollen, dass wir insgesamt bei diesem Thema der Tarifverträge eng zusammenstehen, um einerseits die Einkommenssituation, die in Mecklenburg-Vorpommern besser geworden ist als vor Jahren, dass wir die weiter steigern können, und andererseits müssen wir aber auch sehen, dass die Leistungsfähigkeit der Unternehmen auch wachsen muss, das heißt, das Bruttoinlandsprodukt insgesamt im Land muss steigen. Und die Gewinnsituation in den Unternehmen ist natürlich eine Voraussetzung, um diesem Ziel weiter näherzukommen.
er hat wahrscheinlich nicht die Chance, Mehrheiten zu finden, aber es war richtig, die Diskussion zu diesem Thema anzustoßen. – Vielen Dank.
Liebe Bürger von Mecklenburg und Vorpommern! Frau Präsident! Werte Kollegen und liebe Gäste! Ich fange mal mit dem Schlusswort des Wirtschaftsministers an: Dieser Antrag hat wahrscheinlich wenig Chancen, eine Mehrheit zu bekommen.
Ich glaube, das hat er sehr richtig beurteilt. In der Tat, er hat wohl keine Chancen, eine Mehrheit zu bekommen, obwohl damit natürlich ein wichtiges Thema angesprochen wird. Tarifbindung stärken ist richtig, aber Tarifbindung stärken, das müssen die Tarifvertragsparteien.
Und wenn Sie selber gesagt haben, der Grad der organisierten Arbeitnehmerschaft, also Gewerkschaftsmitglieder, ist auf 15 Prozent gesunken – von Zeiten, wo wir weit über 50 Prozent waren –, dann sollten sich die Tarifpartner, das sind ja auch die Arbeitgeber, die immer mehr aus den Arbeitgeberverbänden ausscheren, oder über eine OT-Mitgliedschaft,