Das ist so eine Vorstellung, die noch verhaftet ist. Und im Antrag heißt es wörtlich, ich zitiere: „Nur die traditionelle Familie kann … Werte stiften und Leitbilder setzen.“ Das bedeutet, dass die Antragsteller alle Menschen,
die anders leben, ausgrenzen, ausschließen von der Wertestiftung. Überhaupt dürfen die nichts hier melden bei der Leitbildsetzung, und das sind jede Menge Menschen. Das sind jede Menge Menschen, das sind die Menschen, die keine Kinder haben, weil sie vielleicht keine wollen oder keine bekommen können. Das Leben ist da, wie gesagt, sehr vielfältig.
Dann gibt es sehr viele Familien, in denen Kinder leben, wo eben ein Elternteil nicht der leibliche Elternteil ist. Ich kenne jetzt keine Zahlen, ich weiß nicht, ob man das die Landesregierung mal abfragen kann, aber wahrscheinlich nicht. Ich vermute fast, dass es schon die Mehrheit ist. Dass wir die sogenannten Patchworkfamilien haben, das ist vollkommene Realität und funktioniert auch, glaube ich, oft. Nun bin ich als Familienrichter etwas berufsgeschädigt. Ich kenne natürlich nur die pathologischen Fälle,
aber ich weiß aus meiner eigenen Lebenserfahrung, dass es oft sehr gut funktioniert, und die werden hier auch ausgeschlossen.
Das finde ich jetzt besonders schlimm eigentlich, dass die Pflegekinder – das kenne ich ja nun beruflich, das sind natürlich oft sehr tragische Fälle, die dahinterstehen – ausgeschlossen sind und natürlich auch die Adoptivkinder am Ende. Sie unterscheiden hier sozusagen, welche Einwohner dieses Landes wertestiftend sein dürfen und wer nicht. Da muss ich ganz ehrlich sagen, ich will gar nicht die moralischen oder religiösen Vorstellungen hier darlegen, die jeder so hat, das mag jeder für sich selbst machen, aber wenn wir unser Grundgesetz nehmen, ist jeder Mensch gleich viel wert.
Jeder Mensch hat ein freies Leben und er darf das natürlich selbst entscheiden, wie er sein Leben führt.
Dann noch ganz kurz zu dem Babywillkommensgeschenk. Das hatten wir schon mal, das ist auch wieder so, da fehlt wieder die Lebenserfahrung. Wenn ich mich an die Geburt meiner Kinder erinnere, also wenn ich mir vorstelle, ich kriege dann von Frau Hesse noch ein Paket – wo ist sie jetzt, ist sie gar nicht mehr da? – mit noch mehr Windeln und Nuckeln, das dauert dann Monate, bis man die letzte Windel irgendwie ausgepackt hat. Bitte verschonen Sie mich damit! Das ist genau das oder garantiert das, was man nicht braucht als junger Vater
(Jochen Schulte, SPD: Die sind ja auch nicht für den Vater gedacht. – Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und Freie Wähler/BMV)
Dann habe ich mich auch gefragt, was das eigentlich bedeutet, in den Lehrplan soll aufgenommen werden, Zitat, „Mutter sein“, und Zitat, „Vater sein“. Da weiß ich jetzt nicht, was das bedeutet. Ich frage mich auch, was das jetzt in der Schule soll. Ich frage mich, in welcher Klassenstufe, was soll da passieren? Ich will das jetzt hier auch nicht zusätzlich ins Lächerliche ziehen, aber ich habe mich einfach gefragt, was da eigentlich passieren soll und ob das überhaupt richtig ist in dem Alter, so etwas in der Schule zu unterrichten.
Nein, also zusammengefasst können wir dem Antrag selbstverständlich nicht zustimmen. Gute Familienpolitik bedeutet konkrete Politik als Hilfe für die Menschen. Wir haben, gerade meine Fraktion, immer wieder sehr gute Bildungsanträge hier eingebracht, und das ist somit das Wichtigste für unsere Kinder, dass sie eine gute Bildung genießen. Heute ist, glaube ich, noch der Seiteneinsteigerantrag für die Qualifikation der Lehrer. Das ist gute Familienpolitik, aber dieser Antrag ist es mit Sicherheit nicht. – Vielen Dank.
Ehe Frau Julitz mit ihrer Rede beginnt, möchte ich es nicht versäumen, Bürgerinnen und Bürger aus Steinhagen und Negast sowie Mitglieder des Kirchenchores Steinhagen auf der Tribüne zu begrüßen. Herzlich willkommen!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Danke für diesen Antrag, aber glauben Sie mir, gleich freuen Sie sich nicht mehr! Endlich kann ich alles das sagen, was ich die letzten sieben Monate mit mir rumtrage. Und herzlichen Glückwunsch, das müssen Sie sich jetzt von einer hormongeladenen Mama anhören, die heute Nacht quasi gar nicht geschlafen hat!
Kurz zur traditionellen Familie: Auf Ihre Wortwahl gehe ich gar nicht näher ein, das haben wir auch schon gehört. Ich habe nichts anderes erwartet und es würde sowieso nicht bei Ihnen ankommen. Aber zum Familienbild …
Aber zum Familienbild kurz: Die Familie war schon immer im Wandel. Vor der Industrialisierung war Familie der ganze Hof, übrigens abgeleitet von „familia“, Gesindel, samt Marktvieh und Vermögen. Viele Kinder bedeuteten viele Helfer. Im Übrigen gab es keine Geburtenkontrolle und eine hohe Kindersterblichkeit. Nach der Industrialisierung trennten sich Arbeitsplatz und Wohnort, Familie wurde immer mehr Rückzugsort zum emotionalen sicheren Hafen. Das ist auch heute noch so, aber – und ich werde jetzt nicht alle Gründe und Ursachen erläutern – die zwingende Ehe vor der Familiengründung ist eben jetzt keine Selbstverständlichkeit mehr.
Und es ist auch völlig falsch, damit eine Familie zu definieren, denn der sichere Hafen wird nicht besser oder schlechter mit Trauschein.
Die Ehe ist eine individuelle Entscheidung und mit meiner Fraktion wird es auch keine Initiativen geben, irgendjemandem eine Familienform vorzuschreiben oder einzureden. Heute haben wir ganz andere Familienformen, Patchworkfamilien zum Beispiel. Eltern trennen sich, finden neue Partner, die vielleicht auch schon Kinder haben, und nun alle gemeinsam durchs Leben gehen, oder Regenbogenfamilien, gleichgeschlechtliche Partner, die auf unterschiedlichem Wege Kinder bekommen und gemeinsam füreinander einstehen und füreinander da sind. Über Pflegekinder haben wir auch schon gesprochen, Familie eben.
Das eine oder andere besser- oder schlechterzustellen, macht keinen Sinn. Jeder hat die Möglichkeit, nach seiner Auffassung der richtigen Familienform zu leben. Ihre Lebensformen beeinträchtigen mich in keiner Weise. Ich freue mich für jeden, der eine Familie für sich gefunden hat und damit glücklich ist. Zu wissen, wo man sich fallen lassen kann, geborgen ist, geliebt wird und sicher ist, ist unglaublich wichtig. Wen meine Mitmenschen gefunden haben, geht mich einfach nichts an.
Ich komme nun zu dem Teil, in dem Sie die Landesregierung zu verschiedenen Maßnahmen auffordern, die ich mehr oder weniger zusammenfassen werde.
Junge Menschen auf das Vater- und Muttersein im Lehrplan vorbereiten, mein Lieblingsteil – jeder, der Kinder hat, wird mir zustimmen, vorbereitet gewesen zu sein auf alles, aber nicht auf das, was dann kam. Das geht nämlich nicht. In dem Moment, in dem Ihnen Ihr Neugeborenes auf die Brust gelegt wird, das kann man sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen. Da geht alles in Ihnen durch und es ist schlichtweg vorher nicht vorstellbar, dass Sie ab Sekunde eins so viel Liebe, Stolz und Verantwortungsbewusstsein für ein so kleines Wesen empfinden können.
Worauf zum Teufel wollen Sie junge Menschen, sagen wir, mit vielleicht 16 Jahren, vorbereiten?! Ich habe heute Nacht, habe ich vorhin gesagt, quasi gar nicht geschlafen. Meine Tochter zahnt, hat sowieso alle drei Stunden Hunger, fängt gerade an zu krabbeln und verarbeitet damit so viel, dass sie eben entsprechend unruhig
schläft. Und überhaupt ist man ja gerade in irgendeiner Phase. Das geht seit gut sieben Monaten so. Ich bin dauermüde. Das hätte ich mir im Leben nicht vorstellen können, dass ich trotzdem noch so viel Mensch sein kann, und das, obwohl man mir das vorher erzählt hat, dass man wenig schläft. Das erzählen wir also unseren Teenagern.
Das ist schon ziemlich frech, mich jetzt in meiner Familie anzugreifen, wovon Sie überhaupt gar keine Ahnung haben!
Also erzählen wir unseren Teenagern, was ich eben berichtet habe, man schläft quasi gar nicht mehr, man ist dauermüde und muss irgendwie alles unter einen Hut bekommen. Sie werden begeistert sein und werden sagen: Juhu, mit 18 werde ich Mutter und Vater!
Erzählen wir jungen Männern, dass ihre zukünftigen Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem Dreivierteljahr anfangen werden, sie grundlos anzubrüllen,