Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Anschlag von Halle zeigten sich weite Teile der Bevölkerung schockiert. Nach Halle wurde wieder der Ruf laut, etwas zu tun, damit so etwas nie wieder passiert. Nach Halle! Nach Lichtenhagen! Nach Mölln und Solingen! Nach den Verbrechen des NSU! Nach Prepper, Nordkreuz und Hannibal! Nach Todeslisten und bestellten Leichensäcken! Nach dem Mord an Lübcke!
Wie wäre es, liebe Kolleginnen und Kollegen, einmal mit „bevor“? Werden wir aktiv, bevor etwas passiert! Und damit meine ich nicht, den Appell des Innenministers aufgreifend, Vorratsdatenspeicherung und Ausbau des Verfassungsschutzes, denn spätestens seit dem NSU wissen wir doch, dass der Verfassungsschutz nicht die Lösung des Problems, sondern ein Teil des Problems ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwei offen rechtsterroristische Anschläge in der jüngsten Vergangenheit, drei Tote, die kaltblütig von Nazis ermordet wurden. Dr. Walter Lübcke, Jana L. und Kevin S. sind am 2. Juni beziehungsweise am 9. Oktober dieses Jahres der fanatischen Ideologie der Menschenfeinde am rechten Rand der Gesellschaft zum Opfer gefallen. Den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke traf es gezielt, weil ihn seine politische Agenda, sein Humanismus zum Feindbild der extremen Rechten machten. Die begeisterte Schlagerliebhaberin Jana L. und den Anhänger des Halleschen Fußballclubs Kevin S. traf es, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Doch sie als „Zufallsopfer“ zu bezeichnen, das wäre nicht ganz richtig. Nachdem der mörderisch-antisemitische Plan des Halle-Attentäters, ein Blutbad in der Jüdischen Gemeinde von Halle anzurichten, scheiterte, suchte er aus rassistischen Motiven gezielt einen Dönerimbiss auf, um weitere Menschen zu ermorden. Auch der NSU suchte am 25. Februar 2004 gezielt einen Dönerimbiss in Rostock auf, um dort Mehmet Turgut zu ermorden. Insgesamt erschoss das rechtsextremistische Netzwerk
NSU neun Personen aus purem rassistischem Hass. Diese traurigen Beispiele zeigen, dass die potenziell Betroffenen rechten Terrors so vielfältig sind, wie eben die Feindbilder der Nazis vielfältig sind. Das müssen wir klar benennen, wenn wir nach Ursachen und Schlussfolgerungen der jüngsten Terrorattacken suchen. Das Problem heißt Rassismus, das Problem heißt Antisemitismus, das Problem heißt Hass auf die universellen Menschenrechte und unser friedliches Zusammenleben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach jedem Vorfall sind wir erneut schockiert und fassungslos. Für den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier sei die Tat in Halle unvorstellbar gewesen. Können wir denn ernsthaft darüber schockiert sein, dass die Menschenfeinde am rechten Rand mordend durch das Land ziehen, so, als hätte es die knapp 200 Toten durch rechte Gewalt seit 1990 nicht gegeben? Können wir rechte Terrorakte ernsthaft für unvorstellbar halten, so, als hätte es weder das Oktoberfestattentat noch die Morde am jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke gegeben? Ich denke, beide Fragen müssen wir mit Nein beantworten. Es gehört zur bitteren Wahrheit, dass der Rechtsterrorismus in Deutschland eine jahrzehntelange Geschichte und Tradition hat.
Diesen Fakt nicht anzuerkennen, bedeutet, die Realität zu verleugnen und sich gleichzeitig einer Lösung dieses dringenden Problems zu verweigern.
Auch der NSU war nicht neu. Er führte im Kern nur das fort, was die Europäische Befreiungsfront, die Wehrsportgruppe Hoffmann und die Deutschen Aktionsgruppen bereits Jahrzehnte vorher durchführten. Die Bildung rechtsterroristischer Gruppen reicht bis heute und auch bis nach Mecklenburg-Vorpommern, wie wir an der vermeintlich harmlosen Preppergruppe Nordkreuz sehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Nordkreuz ist leider auch ein geeignetes Beispiel dafür, dass sich seither wenig, sehr wenig in der Wahrnehmung des rechten Terrors geändert hat. Es wurde Geld gesammelt, Feindeslisten wurden angelegt, Privatadressen mutmaßlich von einem Dienstrechner der Polizei gezogen, Munition wurde gestohlen, Munitions- und Waffendepots wurden angelegt, Bestelllisten für Leichensäcke und Ätzkalk geschrieben und es wurde sich in Chats über Mordpläne ausgetauscht, aber ein Netzwerk will man absolut nicht erkennen.
Dagegen setzt mit jedem rechten Terrorakt ein reflexartiger Abwehrmechanismus ein und der Ruf nach dem Einzeltäter wird laut. Der Oktoberfestattentäter Gundolf Köhler oder Uwe Behrendt, der durch seinen Suizid nie für die Morde an Shlomo Lewin und Frida Poeschke verurteilt wurde – beide angeblich Einzeltäter, jedoch aktiv in der rechtsterroristischen Wehrsportgruppe Hoffmann organisiert, oder das NSU-Kerntrio, welches angeblich völlig abgeschottet und losgelöst von der Naziszene seine Terrorserie durchführte, was durch die zahlreichen Untersuchungsausschüsse bisher deutlich widerlegt wurde, oder Stephan E., der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten, der schnell als Schläfer und einsamer Wolf bezeichnet wurde. Mittlerweile sitzen zwei weitere Personen in U-Haft, und die Spur der Tatwaffe könnte in norddeutsche Combat-18-Kreise führen,
also jener Gruppierung, welche auf wundersame Weise vom Blood-and-Honour-Verbot im Jahr 2000 verschont wurde, obwohl sie selbst behauptet, der bewaffnete Arm der Bewegung zu sein. Hier beginnt spätestens unsere Verantwortung.
Und nun haben wir den nächsten vermeintlichen Einzeltäter in Halle. Doch Stephan B. war alles andere als allein. Er war offenbar sehr gut digital vernetzt, tauschte sich in offenen Gamechats mit anderen Rassisten und Antisemiten aus – in offenen Chats! – und ließ sie via Livechat an seiner mörderischen Tour teilhaben. Aber auch in der realen Welt hatte der Attentäter entsprechende Kontakte. So soll er bereits 2014 auf einem Neonazikonzert in Leipzig gewesen sein und sich dort vom zur Schau gestellten Antisemitismus angesprochen gefühlt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir rechten Terror verhindern wollen, müssen wir dessen Netzwerke konsequent aufklären und offenlegen, statt reflexartig von den verwirrten Einzeltätern zu reden. Und wenn der Bundesinnenminister jetzt ankündigt, die Gamerszene ins Visier nehmen zu wollen, dann geht das völlig am eigentlichen Problem vorbei. Denn der Rechtsterrorist von Halle war nicht extrem online, sondern es war extrem antisemitisch, extrem menschenverachtend und extrem rechts. Und das ist genau das Problem.
Und genau dagegen, und genau dagegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen sich alle unsere Anstrengungen und Maßnahmen richten. Wir dürfen den geistigen Brandstiftern keinen Raum lassen, ihre Hetze darf niemals und an keinem Ort, auch nicht hier im Landtag, ohne Widerspruch stehenbleiben, und wir müssen uns endlich davon verabschieden, dass diese Ideologie zu mäßigen wäre.
Die Wölfe, die Wölfe können sich vielleicht wie der Kollege Förster heute einen Schafspelz überwerfen und Kreide fressen, aber sie werden immer Raubtiere bleiben, die sie sein wollen. Ich zitiere Björn Höcke, den Sie ja so mögen, mal mit einem anderen Zitat, er sagte: „Heute … lautet die Frage … Schaf oder Wolf. Und ich, liebe Freunde, meine hier, wir entscheiden uns in dieser Frage: Wolf.“ Zitatende. Mit solchen Leuten können und werden wir keine gemeinsame Sache machen.
Auf der anderen Seite müssen wir die zivilgesellschaftlichen Kräfte stärken, die sich Tag für Tag gegen Faschisten, Rassisten und Antisemiten engagieren und sich denen in den Weg stellen.
Ich und meine Fraktion, wir halten es daher für höchst fahrlässig, wenn in einer Umstrukturierung des Bundes
programms „Demokratie leben!“ bewährte Projekte gegen rechts ihre Arbeit einstellen müssen. Das dürfen wir gemeinsam nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Und wenn Halle ein Angriff auf uns alle war, hoffe ich, dass sich ein solches Problembewusstsein auch hier im Landtag stärker durchsetzt. Es ist daran erinnert worden. Auf der jüngsten Landtagssitzung haben die Koalitionsfraktionen noch einen Antrag unter dem Titel „Demokratie stärken – engagierte Menschen schützen“ eingebracht, in dem – und das habe ich in der Debatte damals schon kritisiert –, in dem der Begriff „Rechtsextremismus“ nicht einmal vorgekommen ist. Entsprechende Ergänzungsvorschläge meiner Fraktion wurden abgelehnt. Auch muss die Fortschreibung des Landesprogramms „Demokratie und Toleranz … stärken!“, die den Landtag heute nun zur Beschlussfassung erreicht, dahin gehend kritisch hinterfragt werden, ob die Handlungsleitlinien wirklich den gegenwärtigen Herausforderungen entsprechen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das nicht leisten, werden wir bei dem Danach stehenbleiben und ein Bevor nie erreichen. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mitnichten ein Koreferat zu den Ausführungen meiner Kollegen der SPD und der LINKEN und auch der CDU halten. Ich möchte hier eine Sache mal richtigstellen, die der Abgeordnete Förster von der AfD hier am Rednerpult uns eben hat erleben lassen.
Mein Parlamentarischer Geschäftsführer Herr Schulte hat in einer Kurzintervention den Abgeordneten Förster damit konfrontiert, dass er stets und ständig – und das als Sinnbild für das Verhalten der AfD – versuche, die eigenen Aussagen der Mitglieder der AfD zu relativieren, für Zufälligkeiten zu erklären und deren eigentlich menschenverachtenden Gehalt damit in Abrede zu stellen. Und daraufhin, Herr Förster, musste ich erleben, dass Sie sehr deutlich ins Schwimmen gekommen sind,
als Ihre eigenen Parteikollegen – inklusive übrigens Professor Weber, ich weiß gar nicht, ob dem das so geschmeckt hat – der partiellen geistigen Umnachtung zu bezichtigen.
wenn er über das Holocaustmahnmal in Berlin spricht und es ein „Denkmal der Schande“ nennt, wie von Herrn Förster insinuiert, von einem, ich sage mal, technischen Denkmal der Schande spricht, weil es ja nun mal ein Denkmal ist, das an eine Schande erinnert – das, Herr Förster, ist in Ihren Augen möglicherweise gerissen, das so zu tun,