Protokoll der Sitzung vom 18.10.2019

Und ich würde die Herren der AfD bitten, wieder Platz zu nehmen. Bitte nehmen Sie wieder Platz!

(Peter Ritter, DIE LINKE: Habt ihr alle Rücken, oder was?!)

Es ist eine Kurzintervention von Herrn Schulte angemeldet worden. Herr Förster, ich bitte Sie, da noch kurz stehen zu bleiben.

Sehr geehrter Herr Förster! Meine Herren von der AfD! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Und ich mache die Bezeichnung „geehrte Kolleginnen und Kollegen“ extra für Sie und nicht für die Kollegen der AfD.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Geschmacklos, Herr Förster, war Ihre Rede eben. Und wenn Sie hier von Zitaten sprechen, dann möchte ich auch gerade vor dem Hintergrund des Gauland-Zitates, das Sie eben genannt haben, sagen, dann müssen Sie sich auch entgegenhalten lassen, dass das auch in Ihrer Partei eben nicht mit der Lupe gesucht werden muss, sondern offensichtlich in der Breite, in der Tiefe Ihrer Partei verwurzelt ist.

(Thomas Krüger, SPD: So ist es.)

Und ich erlaube mir einmal,

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Christiane Berg, CDU)

ich erlaube mir einmal vor dem Hintergrund des Mordes an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke ein Zitat des früheren Fraktionsmitgliedes, aber immer noch heutigen AfD-Politikers Gedeon aus Baden-Württemberg anzuführen. Und da sagt er nämlich: „Im Vergleich zum islamistischen Terror und auch im Vergleich zum linksextremistischen Terror ist politisch gesehen in Deutschland der rechtsextremistische Terror ein Vogelschiss.“ Das ist vom Juni dieses Jahres, und das ist derselbe Duktus, den Ihr Parteivorsitzender Gauland mit dem

Begriff „Vogelschiss“ aufgenommen hat, und des Geistes Kind ist Ihre Partei.

Und, sehr geehrte Kolleginnen und sehr geehrte Kollegen und meine Herren von der AfD, da kann man dann am Ende des Tages – und entschuldigen Sie bitte, wenn mich das dann auch persönlich etwas mitnimmt –, dann kann man am Ende des Tages nur noch den Worten des Vorsitzenden des Zentralrates der deutschen Juden Herrn Schuster vom November letzten Jahres recht geben, der dann gesagt hat: „Wäre die jüdische Gemeinschaft tatsächlich auf die AfD angewiesen, dann wäre es höchste Zeit, Deutschland zu verlassen.“ – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Einen Moment bitte, Herr Schulte!

Herr Förster, möchten Sie erwidern?

Ganz kurz. Ich will nicht in einen Wettstreit eintreten, wo auf welcher Seite mehr Opfer entstanden sind. Das ist so ähnlich, als ob Sie die Opfer Stalins mit denen von Hitler vergleichen. Sie wissen selbst, dass das ein unseliges Ansinnen ist und dass jedenfalls, nehmen wir noch mal den Kommunismus, der Kommunismus sich da, was die Opferzahl anbelangt, überhaupt nicht verstecken muss.

(Wolfgang Waldmüller, CDU: Mein Gott!)

Was nun Ihre Zitate hier anbelangt, so könnte ich auch,

(Thomas Krüger, SPD: Sie relativieren weiter.)

so könnte ich auch, ich habe es jetzt nicht parat, aber den Deutschjuden Wolffsohn, mich auf den beziehen, der ausdrücklich ausführt und beanstandet – er ist Jude –, dass in den höheren Etagen der Juden, insbesondere im Zentralrat, der islamistische Judenhass einfach auch dort noch ausgespart wird.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Wir wissen doch ganz genau – wir haben gestern darüber gesprochen –,

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

wir wissen doch ganz genau, wenn es um Fakten geht, sollten wir nicht Dinge ausblenden.

(Thomas Krüger, SPD: Lenken Sie ruhig ab! Lenken Sie ab!)

Ich lenke gar nicht ab.

(Thomas Krüger, SPD: Natürlich tun Sie das!)

Aber Sie nehmen es doch offensichtlich nicht zur Kenntnis, was in Berlin bei Demonstrationen läuft. Da wird gebrüllt: „Hamas, Hamas, Juden ins Gas!“. Das interessiert Sie nicht! Das wollen Sie wahrscheinlich uns auch noch in die Schuhe schieben.

Aber das wirklich Schlimme, Herr Krüger, ist, dass Sie unsere Partei, meine Parteikollegen und mich, nicht als Kollegen ansprechen wollen. Das zeigt genau, was ich Ihnen gesagt habe: Sie sind ein Spalter,

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

ein tiefer Spalter dieses Landtages.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU Frau von Allwörden.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In Halle wurden am 9. Oktober zwei Menschen ermordet. Sie waren Zufallsopfer, weil ihr Mörder sein eigentliches Ziel nicht erreicht hatte. Er wollte mit selbst gebauten Waffen eine Synagoge stürmen, um ein Blutbad unter Juden anzurichten, die den jüdischen Versöhnungsfeiertag feierten. Die Synagoge aber war fest verschlossen. Also erschoss er Unbeteiligte. Seine Taten filmte er mit einer Helmkamera und übertrug sie, unterlegt mit zynischen Kommentaren, ins Internet. Als der Mörder gefasst und verhört wurde, begründete er seine Taten damit, dass er, Zitat, „judenkritisch“ eingestellt ist. Ein Nationalsozialist, das sei er aber nicht.

Meine Damen und Herren, im Normalfall hält man eine Rede im Landtag als eine, ich nenne es mal, strukturierte Einschätzung, die in einen Appell mündet. Und das ist in diesem Fall wirklich nicht einfach. Es dreht sich einem der Magen um. Worüber sollten wir sprechen? Darüber, dass ein Mörder wahllos Menschen erschoss, weil er sein eigentliches Ziel nicht erreichte? Dass ein Mensch mit Waffen eine Synagoge stürmen wollte am höchsten jüdischen Feiertag? Dass da jemand den kaltblütigen Mord ins Internet überträgt und Tausende zuschauen? Dass jemand, der geplant hat, eine große Zahl an Juden zu ermorden, in seiner Selbstsicht lediglich „judenkritisch“ ist, aber natürlich keinesfalls ein Nazi? Dass offensichtlich Baupläne für tödliche Schusswaffen im Netz kursieren und dass es nicht so schwierig ist, diese herzustellen? Dass die Tat in weiten Teilen eine Kopie des Anschlags in Neuseeland ist? Dass der Mörder in den Vernehmungen intelligent und wortgewandt wirkte, er aber allenfalls sozial isoliert sei und einen Schuldigen suchte?

Meine Damen und Herren, ich habe in den Tagen nach dem Anschlag sehr aufmerksam die Medien verfolgt. Oft habe ich gelesen, das sei die Tat eines Wahnsinnigen. Ich glaube, damit macht man es sich viel zu leicht. Das Wort „Wahnsinn“ ist lediglich eine Chiffre, mit der man eine einfache Antwort auf die Fragen geben kann, die ich Ihnen eben gestellt habe, denn die Antworten auf die Fragen sind unbequem. Tatsache ist, dass der Antisemitismus nicht nur viele Gesichter hat und sehr wandelbar ist, er vergiftet nach wie vor die Hirne der Menschen. Er macht Menschen zu Mördern, und das mitten in Deutschland.

Tatsache ist auch, dass das Internet seine Unschuld lange verloren hat. Wer heute für grenzenlose Freiheit im Internet kämpft, muss sich die Frage gefallen lassen, wessen Freiheit er da eigentlich zu verteidigen glaubt, denn im Netz gibt es offenkundig zahlreiche Nischen, in denen Menschen sich politisch radikalisieren. Manche

beschaffen sich Pläne für Waffen und manche werden zu Tätern und nutzen das Netz dann auch noch, um sich mit den Taten zu brüsten. Tatsache ist, dass der politische Diskurs und die Sprache in unserer Gesellschaft inzwischen so verroht sind, dass ein kaltblütiger Mörder sich selbst allenfalls eine, Zitat, „kritische Haltung“ attestiert.

Das sind unbequeme Wahrheiten. Grassierender Antisemitismus, gesellschaftliche Verrohung, das Internet als Katalysator für Hass und Gewalt – es fällt schwer, auf diesen Symptomkomplex eine einfache Antwort zu finden. Es ist unsere Pflicht, unsere Pflicht als Mensch, zu widersprechen, wenn immer jemand meint, seine Religion, seine Hautfarbe oder seine Nationalität sei anderen überlegen. Wir müssen hörbar widersprechen, wenn jemand meint, dass er sich doch nur um eine klare Sprache bemüht, obwohl er eindeutig bebenden Hass verbreitet.

Ich werbe auch dafür, dass wir uns um eine realistischere Einschätzung bemühen, was die Verbreitung von Hass im Netz angeht. Es genügt nicht mehr festzustellen, dass Hass und Gewalt in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, wir müssen endlich danach handeln. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD und Christel Weißig, fraktionslos)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete.

Das Wort hat jetzt der fraktionslose Abgeordnete Herr Arppe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Die Jüdische Gemeinde in Halle hat sich vor einigen Tagen in einem offenen Brief ausdrücklich verbeten, dass die Ereignisse dort politisch instrumentalisiert werden, von wem auch immer. Sie tun es dennoch und zeigen damit, dass die Juden Ihnen eigentlich völlig egal sind. Tatsächlich geht es Ihnen darum, dieses schreckliche Ereignis politisch auszuschlachten, politisches Kapital daraus zu schlagen.

Nun denn, wenn das Diktum des alten Friedrich Engels zutrifft, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann müssen hier auch noch ganz andere Fragen diskutiert werden. Gestern war zu lesen, dass das AllensbachInstitut herausgefunden hat, dass 79 Prozent der Deutschen der Auffassung sind, dass man in diesem Land zu bestimmten Themen seine Meinung weder öffentlich noch privat frei und unbefangen äußern kann. Die ShellStudie hat herausgefunden, dass 68 Prozent der unter 25-Jährigen diese Meinung teilen. Der Vorsitzende, der Ehrenvorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes Josef Kraus hat in diesem Zusammenhang von den Deutschen als einem Volk der Flüsterer gesprochen.

Kann es daher also sein, dass ein sich stetig verengender Diskursraum auch dazu führt, dass sich immer mehr Menschen in die Parallelwelt des Internets begeben, sich dort unter Umständen radikalisieren und in einzelnen Fällen es dann zu solchen schrecklichen Auswüchsen wie jüngst in Halle kommt?

(Tilo Gundlack, SPD: Da kennt sich einer aus.)

Darüber sollten wir auch diskutieren an dieser Stelle. Was ist die Verantwortung der Gesellschaft? Wie hat die gesellschaftliche Situation, in der wir hier leben, zu diesen und anderen Ereignissen beigetragen? Das ist unbequem, weil, dass es zu diesen Zahlen, wie ich sie hier genannt habe, kommt, das ist ja letztendlich auch das Verdienst Ihrer Politik, werte Herrschaften von den sogenannten etablierten Parteien.

Also zusammenfassend lässt sich sagen, die Nazikeule greift an dieser Stelle viel zu kurz. Vielleicht sollten wir auch gemeinsam daran arbeiten, die Debattenkultur in diesem Land wieder etwas zu verbessern. Auch ich bin gerne bereit, meinen Beitrag dazu zu leisten.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Das habe ich gestern gesehen.)

Die politische Korrektheit ist eben nicht die Lösung, sondern ein Teil des Problems. – Vielen Dank.