Protokoll der Sitzung vom 12.03.2020

(Peter Ritter, DIE LINKE: Der große Klarsteller.)

Im Grunde, auch die Bundesregierung scheint mir eher die Definition der Kinderrechtskonvention zu vertreten. Sie meint nicht nur Kinder, sie meint auch Jugendliche.

92 Prozent sind – und das ist nicht atypisch – männlich. Nach Angaben der stellvertretenden griechischen Sozialministerin befanden sich Ende Januar 2020 5.463, also ähnliche Größenordnung, unbegleitete Minderjährige in Griechenland, davon 92,5 Prozent männlich und 7,5 Prozent weiblich, und Kinder unter 14 Jahren machten wiederum rund 9 Prozent aus. In ganz Griechenland sind nach den offiziellen Angaben – und die sind also völlig unverdächtig, sie beruhen nämlich auch auf der, werden bestätigt von dem Direktor einer Organisation, die sich Zeuxis nennt und sich um die Minderjährigen kümmert –, in ganz Griechenland sprechen wir von rund 500 Kindern, die wirklich nach unserer Definition Kinder sind. Die männlichen Jugendlichen sind überwiegend zwischen 15 und 17 Jahren alt. Mit Abstand die höchste Herkunftsgruppe sind Afghanen, danach Minderjährige aus Pakistan.

Die männlichen Jugendlichen werden – so auch in dem Bericht dieser Organisation, die sich um die Jugendlichen kümmert –, die männlichen Jugendlichen werden meist von ihren Familien oder Dorfgemeinschaften mit Geld ausgestattet und auf die Reise geschickt, um dann die Familie nachzuholen. Dies erschwert die Integration in Griechenland, denn selbst, wenn ihnen eine Wohnung oder ein Schulplatz gestellt wird, stehen die Jugendlichen unter enormem Druck, um das, was ihre Aufgabe war, zu erfüllen und was die Familie zu Hause erwartet, weil nämlich das eigentliche Ziel natürlich nicht Griechenland ist, das aber Erdoğan ja auch in die Welt posaunt. Natürlich wollen die nicht endgültig in Griechenland bleiben. Das eigentliche Ziel ist Deutschland. Und da können Sie mal fragen, warum! Weil wir natürlich hier die meisten Anziehungspunkte setzen. Das wissen, wie gesagt, auch die Erdoğan- und die Bundesregierung offensichtlich nicht.

Und jetzt muss man noch eines ganz brutal sagen, was Realität ist, auch wenn es Ihnen nicht passt: Diese Schleusung mit Kindern ist ein Modell der illegalen Schleusungen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Holger Arppe, fraktionslos)

Warum? Kinder wirken natürlich anders. Die Jugendlichen – Kinder nach der Konvention, also die Jugendli

chen –, die Jugendlichen, die vorausgeschickt werden, dürfen natürlich nicht zurückgeschickt werden. Das muss man wissen. Nach der, nach der Kinderrechtskonvention Artikel 3, Kinderwohl geht vor, wenn die einmal hier sind, darf man sie nicht mehr abschieben, nicht zurückschicken. Das heißt nach unseren Erfahrungen auch, denn diese Gruppe ist nun mal auch eine Risikogruppe, auch das wissen wir aus Berlin oder anderen Ecken, selbst, wenn die sich hier und da – und das sind nicht alle, das will ich gleich sagen, natürlich sollen das keine Verunglimpfungen gegenüber allen sein –, aber einige entwickeln sich auch zu Intensivstraftätern. Die halten wir hier, die dürfen wir nicht zurückschieben.

Es ist also ein Erfolgsmodell, weil, wenn ich den Jugendlichen vorausgeschickt habe und er dann irgendwann da bleibt – es bleiben ja fast alle da –, dann ist nämlich der Familiennachzug so gut wie sicher. Es ist ein Modell für eine erfolgreiche Schleusung mit Familiennachzug. Erst recht gilt das jetzt für die Kinder. Wenn die Familie, wenn es dazu kommt, dass kleine, also echte Kinder unter 14 Jahren vorgeschickt werden, dann muss man dieses Modell dadurch beenden, dass man die zu ihren Eltern zurückgeschickt, wo sie hergekommen sind, denn dort gehören sie hin.

(Rainer Albrecht, SPD: Und wenn sie keine Eltern mehr haben?!)

Und wenn Eltern, wenn Eltern mit Kindern jetzt nach Griechenland gehen, jetzt eine Sonder-, eine Sonder- – und das liegt ja in dem Antrag irgendwie drin –, jetzt eine Sonderbehandlung erfahren, dann heißt das wiederum,

(Karen Larisch, DIE LINKE: „Sonderbehandlung“ ist ein besetztes Wort.)

dass Eltern nur mit ihren Kindern sich schleusen lassen müssen nach Griechenland, dann kommen sie hierher.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Das ist also schlicht und einfach auch unter Gerechtigkeitserwägungen überhaupt nicht zu vertreten, denn nochmals: Es werden dann die bevorzugt, die das Geld für die Schleusungen haben.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Jens-Holger Schneider, AfD: Ja, genau.)

Und ganz am Rande: Dass das Ganze unendlich viel Geld kostet, dass der Aufwand für die Minderjährigen hier enorm ist, vor allem für die unbegleiteten, weiß auch jeder.

Was ist die Alternative? Die ist eigentlich ganz einfach: Sollte es dort jetzt Kinder geben, die aktuell krank sind, dann ist ja nun Griechenland nicht ein völlig unterentwickeltes Land am Ende der Welt, dort gibt es auch Ärzte und denen wird auch geholfen. Und wenn das nicht so sein sollte, dann schicke ich da vielleicht, wenn ich es wirklich für notwendig halte,

(Jens-Holger Schneider, AfD: „Ärzte ohne Grenzen“.)

die Bundeswehr und ein Lazarettzelt hin, dann haben die auch Ärzte wieder im Notfall und dann können die aktuell ärztliche Hilfe für die leisten, die es nötig haben. Aber

das Vorhandensein von Kindern kann doch nicht dazu führen, dass ich alle Regeln für Migration außer Kraft setze.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Und dann ist noch eins zu bedenken: Wenn man alles andere weglässt, es kostet Aufwand, aber eins ist auch klar, mit dem Geld und mit dem Aufwand, das die Minderjährigen, vor allem die unbegleiteten Minderjährigen uns hier kosten, mit dem Geld kann ich vor Ort ein Vielfaches an Gutem, ein Vielfaches an Hilfe für Kinder und Familien leisten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Das alles blenden Sie aus.

(Jens-Holger Schneider, AfD: Ja, richtig.)

Und das ist diese Unredlichkeit bei dem Ganzen. Auch hier bei dieser Debatte tun Sie so, als ob es um arme Waisenkinder ginge und wie um Himmels willen kann sich jemand hier hinstellen, speziell von der AfD und dann gegen Kinder polemisieren und hetzen in Ihren Augen. Nein, ich halte Ihnen die Realität ganz nüchtern vor Augen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Holger Arppe, fraktionslos)

Und wenn Sie immer noch meinen – und das ist ja Ihre Position –, dass Sie ohne Obergrenze alles Elend der Welt hier aufnehmen können, dann sagen Sie es auch und machen Sie dem Bürger hier, der sich abschuftet und Steuern zahlt, klar, dass er das alles bezahlen muss! – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Für die Fraktion der SPD hat jetzt das Wort die Abgeordnete Kaselitz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge – dieser Aufgabe stellt sich MecklenburgVorpommern bis heute seit Jahren täglich. Die Zuständigkeit liegt bei Jugendämtern. Den Verantwortlichen dort ist bewusst, welche hohen Anforderungen damit verbunden sind. Es geht um Erstversorgung, einschließlich der medizinischen, es geht um Unterbringung, es geht um das Clearingverfahren, es geht um die Inobhutnahme, es geht um Hilfeleistungen. Zahlreiche Fachkräfte in unserem Land leisten auf diesem Gebiet eine unwahrscheinlich gute Arbeit unter Rahmenbedingungen, die nicht immer einfach waren und sind.

Seit 2015 liegt eine Zeit hinter uns, in der gerade auf diesem Gebiet fachliche Kompetenz wachsen konnte. Ich erinnere mich an die Situation der Jugendämter, vor allem im Landkreis Ludwigslust-Parchim, die aufgrund der Nähe zur Erstaufnahmeeinrichtung als erstes Jugendamt zuständig waren für unbegleitete Minderjährige. Von damals im August 2015 zum Beispiel 178 Kindern und Jugendlichen hat allein Parchim 106 in ihren Einrichtungen unterbringen können. Es kam dann auf bundeseinheitlicher Ebene zur Verteilung nach dem Königsteiner Schlüssel, und auch wir in Mecklenburg-Vorpommern haben dann – gleichmäßig und gerecht auf alle Ebenen

verteilt – auch bei uns im Land dann noch einmal die Verteilung auf Grundlage dieses Schlüssels auch in die einzelnen Landkreise vorgenommen.

Wir können verzeichnen, dass wir zum Beispiel im Februar 2017 964 unbegleitete Minderjährige im Land hatten und – wir haben die Zahl heute schon einmal gehört – im Februar dieses Jahres waren es 358. Wir haben also von einem stetigen Rückgang Kenntnis nehmen müssen. Bis heute bin ich dankbar den Menschen, die sich damals so aktiv und intensiv für diese Arbeit, die sehr schwer war, eingesetzt haben. Beginnend 2015 haben sich vielfältige Initiativen den Herausforderungen dazu gestellt. Es gab im Land neben den von uns bekannten Kommunalgipfeln und einer Arbeitsgruppe zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Treffen der Sozialministerin mit Landräten und Oberbürgermeistern. Mecklenburg-Vorpommern hat zu keiner Zeit eine zentrale Aufnahmeeinrichtung für diese Jugendlichen und Kinder eingerichtet. Es war fachlich geboten von Anfang an, sie dezentral sozialräumlich unterzubringen, mit sozialpädagogischer Betreuung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe.

Kinder-, Jugend- und Familienhilfe hatten sich damals mit einer Ausweitung ihrer Aufgabenbereiche auseinanderzusetzen. Unsere Ministerpräsidentin war zu der Zeit Bundesministerin und sie sagte: „Viele Kinder und Jugendliche sind allein unterwegs und ohne Begleitung ihrer Eltern aus der Heimat vor Krieg, Verfolgung oder Armut geflohen. … Wir wollen dafür sorgen, dass die nächsten Wege leichter werden …“ Und unter ihrem geführten Bundesfamilienministerium wurde damals das Bündnis für junge Flüchtlinge ins Leben gerufen „Willkommen bei Freunden“. Von 2015 bis 2018 hat uns dieses Programm umfangreich begleitet bei der Bewältigung der Aufgabe.

Es gab Qualifikationsveranstaltungen für Fachkräfte, nicht nur von diesem Bündnis, sondern auch von anderen Weiterbildungsträgern. Die Fachkräfte damals haben sich mit klinischer Pädagogik, mit migrationssensibler Kompetenz, mit Krisenkompetenztraining, mit dem Modul Asyl-, Aufenthalts-, Kinder- und Jugendhilferecht beschäftigt. In unserem Land gab es zahlreiche Maßnahmen, nicht nur die Qualifizierung der Fachkräfte, sondern auch Expertenanhörungen, Fachveranstaltungen waren an der Tagesordnung, und es gab eine intensive Prozessbegleitung bei der Schaffung von Rahmenbedingungen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Zahlreiche Wohngruppen sind in dieser Zeit mit engagierten Mitarbeitenden ins Leben gerufen worden. Wir haben einen Campus zum Beispiel in Neubrandenburg entwickelt, bei dem Leben und Lernen der geflüchteten Jugendlichen an einem Ort stattfinden konnten. Wir haben das Engagement in der Schulsozialarbeit auch auf die Berufsvorbereitungsklassen für jugendliche Ausländer ausgeweitet.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, warum erzählt die das alles.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

So viel Fachkompetenz und Erfahrung – das ist die Basis für die Arbeit mit minderjährigen Flüchtlingen. Und wir haben also in Mecklenburg-Vorpommern diese Basis. Und ich möchte Ihnen hier an dieser Stelle damit die

Sorge nehmen, dieser Aufgabe künftig nicht gewachsen zu sein. Wenn wir dann noch landesweit überall die strukturellen Rahmenbedingungen stärken, gibt es gute Bedingungen zur Aufnahme weiterer minderjähriger Flüchtlinge, und letztlich verpflichten uns heute schon angemahnte, international geltende Konventionen, hinzuschauen und Entscheidungen für die zu treffen, deren Menschenrechte gefährdet sind.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Präsidentin Birgit Hesse übernimmt den Vorsitz.)

Kein Mensch kann sich den Bildern und den Entwicklungen an der Grenze von der Türkei nach Griechenland und auf den griechischen Inseln entziehen. Die Situation in den überfüllten Flüchtlingslagern ist dramatisch und schwer erträglich. Das gilt besonders mit Blick auf Kinder und Jugendliche, die schnell aus dieser Situation herausgeholt werden müssen. Und es muss parallel die Situation vor Ort sofort verbessert werden. Laut Medienangaben sind auf den griechischen Inseln, die eine Kapazität in ihren Flüchtlingslagern von etwa 8.000 Menschen haben, aktuell 42.000 Personen dort vorhanden, und damit sind sie völlig überlastet. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2019 wurden in Mecklenburg-Vorpommern 2.404 neue Anträge auf Asyl in unseren Erstaufnahmeeinrichtungen registriert. Es ist also richtig, dass in diesen Tagen unter Hochdruck auf europäischer Ebene über eine humanitäre Lösung verhandelt wird.

Für mich ist es nur schwer zu ertragen, dass sich dieser Prozess so in die Länge zieht und es so schwer ist, eine Koalition der Willigen zu bilden, der sich Deutschland anschließt und dort bereit ist, einen angemessenen Beitrag zur Lösung beizusteuern. Ich bin dankbar, dass zuletzt im Koalitionsausschuss auf Bundesebene Anfang März 2020 entschieden wurde, Griechenland bei der Grenzsicherung und bei der Unterbringung und Versorgung der dort ankommenden Flüchtlinge zu unterstützen. Es soll der Einstieg in eine schnelle Hilfe für die besonders Schutzbedürftigen sein. Noch in dieser Woche, so war zu lesen, wird Herr Seehofer mit seinen Amtskollegen dazu auf europäischer Ebene verhandeln.

Jede Initiative, Kinder aus dramatischen Umständen, wie sie uns von den griechischen Inseln bekannt sind, zu retten, erkennen wir an und unterstützen sie auf allen Ebenen. Dabei gibt es durchaus auch Rückhalt und Unterstützung im Land. Erinnert sei an Städte, die sich dem Bündnis „Städte sicherer Häfen“ angeschlossen haben, in dem bisher 140 Städte zusammengeschlossen sind, und aus Mecklenburg-Vorpommern auch die Hansestadt Rostock und die Hansestadt Greifswald mit dabei sind.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Aber noch warten wir in Mecklenburg-Vorpommern auf die Ergebnisse der Verhandlungen und die Entscheidungen auf europäischer Ebene, die dann für Deutschland und letztlich für unser Land daraus erwachsen. Ich sage aber auch, wenn diese europäische Lösung nicht schnell herzustellen ist, dann muss Deutschland auf Grundlage des Koalitionsbeschlusses handeln, wenn es dann tatsächlich um 1.000 bis 1.500 Kinder geht. Es geht um humanitäre Nothilfe. Mittlerweile ist es wichtig, um jede Stunde dort zu ringen, diese Lösung herbeizuführen. Und selbst wenn Deutschland zunächst alle Kinder aufneh

men würde, wäre das für Mecklenburg-Vorpommern ein durchaus erträgliches Maß an zusätzlicher Verantwortung. Das muss möglich sein.

(Dr. Ralph Weber, AfD: So ein Scheiß!)