Protokoll der Sitzung vom 10.06.2020

Es gibt keinerlei zwingende Rechtsgrundlage zur Aufhebung von Förderschulen. Die kann es auch gar nicht geben, wenn man den alten und noch heute gültigen Rechtsgrundsatz anwendet: „Impossibilium nulla est obligatio.“ Es gibt keine Pflicht zum Unmöglichen. Das Unmögliche besteht hier darin, Lerninhalte auf Biegen und Brechen an Schüler vermitteln zu wollen, die gar nicht die dazu erforderlichen kognitiven Fähigkeiten oder auch nicht die nötige Disziplin und Ausdauer besitzen,

(Vizepräsidentin Dr. Mignon Schwenke übernimmt den Vorsitz.)

und die damit den Lernfortschritt der ganzen Klasse möglicherweise behindern. Ich spreche hier nicht und ausdrücklich nicht von rein körperlich-motorischen Behinderungen, bei denen eine Inklusion mittels entsprechender technischer und baulicher Ausstattung der Schulen möglich wäre und vielfach auch erfolgreich praktiziert wird. Aus reinen Kostengründen wird aber gerade diese mögliche Inklusion nicht flächendeckend verwirklicht, während pädagogisch zweifelhafte Formen der Inklusion durchgesetzt werden sollen.

Ein weiteres Argument gegen die Förderschulen besteht in der Behauptung, die Kinder dort würden durch Ausgliederung diskriminiert und in ihrer Menschenwürde verletzt. Das mag von außen so scheinen, aber empfinden es die betroffenen förderbedürftigen Kinder ebenso? Spüren sie nicht in der Regelschule ihre Behinderung durch den Vergleich mit anderen Schülern noch viel stärker als in der Gemeinschaft ähnlich Betroffener? Müssten wir nicht auch Heime und Anstalten aller Art auflösen, um deren Insassen in die Zivilgesellschaft zu inkludieren? Wie wäre es, wenn man zur Vermeidung von Diskriminierung Sportler der Paralympics zu den Olympischen Spielen antreten lassen würde? Da würden übrigens die Sportler, die mit diesen, mit diesen, ich sage jetzt mal, mit diesen ganzen,...

(Andreas Butzki, SPD: Beinprothesen.)

Prothesen, vielen Dank!

... mit denen unterwegs sind, die sind viel schneller als die regulären Läufer, nur mal so nebenbei.

(Andreas Butzki, SPD: Im Weitsprung auch.)

Im Weitsprung auch, genau.

Übrigens gibt es auch Länder, die als Vorbild für inklusive Bildung gelten, sogenannte Special Schools und Special Classes, wie zum Beispiel in den skandinavischen Ländern, Holland, Großbritannien, den USA und Japan. Befürworter der Inklusion glauben, sich auf das Rügener Inklusionsmodell berufen zu können, das von der Universität Rostock betreut wurde. Inklusive Beschulung auf der

Insel Rügen wurde mit dem herkömmlichen System an Stralsunder Schulen verglichen. Im Ergebnis konnten die Rügener Schüler mit Förderbedarf zum Teil geringe Leistungsverbesserungen nachweisen. Allerdings geschah dies mithilfe eines enormen Aufwandes an Zeit, Lehrkräften und Material.

(Burkhard Lenz, CDU: Die ist noch gar nicht ausgewertet!)

Im Grunde hat das Rügener Inklusionsmodell nicht den Erfolg der Inklusion an sich, sondern die Brauchbarkeit des angewandten Förderkonzepts RTI bestätigt. Das steht für Response to Intervention.

(Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

Dieses beinhaltet neben dem Regelunterricht einen zusätzlichen Förderunterricht, der je nach Förderbedarf auf zwei Ebenen gestattet ist.

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Einfach mal zuhören, Herr Butzki! Zuhören, dann können Sie was lernen!

(Zuruf von Karen Larisch, DIE LINKE)

Begleitet wird dies von überaus häufig standardisierten Tests und Teamsitzungen der Lehrkräfte. Dass sich angesichts dieses Aufwandes einige sehr bescheidene Erfolge einstellten, war zu erwarten. Erzielt wurden diese Ergebnisse aber gerade nicht durch Inklusion, sondern durch Exklusion auf den genannten zusätzlichen Förderebenen.

Zudem ist anzumerken, dass sich die Förderung und die Tests beim Rügener Modell nur auf die Fächer Deutsch und Mathematik bezogen, obwohl doch ein viel größeres Fächerspektrum zu fördern wäre. Auch waren nur Schüler mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und sozial-emotionale Entwicklung involviert. Andere Förderbedarfe blieben gänzlich unberücksichtigt. Und schließlich endete die Untersuchung, bevor die Schüler in die Pubertät kamen und sich die Probleme potenzierten. Auswirkungen auf nicht behinderte Schüler wurden wenig beachtet und man musste sogar zugeben, dass Nichtbehinderte ohne Inklusion in Stralsund in Mathematik besser abschnitten als Nichtbehinderte an den Inklusionsschulen.

Wir sollten das Thema „Inklusion und Förderschulen“ auf jeden Fall noch einmal im Bildungsausschuss erörtern. Dabei sollten die Erfahrungen der letzten Jahre aus der Praxis ausgewertet und auch Kritiker unter den Experten – wohlgemerkt Kritiker unter den Experten und nicht diejenigen, die das Hohelied der Inklusion singen –, diese Experten sollten ebenfalls angehört werden, die kritischen Experten. Es ist noch nicht zu spät, um Fehlentwicklungen zu korrigieren. Diesem Zweck sollen unser Gesetzentwurf und Antrag dienen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Holger Arppe, fraktionslos)

Für die Fraktion DIE LINKE hat noch einmal das Wort die Fraktionsvorsitzende Frau Oldenburg.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte nur auf einiges eingehen.

Dass im Inklusionskonzept, was die Rügener Schulen gehabt haben, natürlich Deutsch und Mathe im Vordergrund standen, ist ja ganz normal, weil es sich um Grundschulen handelte, und dort haben wir eben sechs Stunden Deutsch und sechs Stunden Mathematik in der Woche.

(Andreas Butzki, SPD: Nur ganz wenig Schulgarten.)

Und dass das genau dort um diese Fächer geht und nicht um Sachkunde, Sport, Musik und Kunst – das kann man immer gemeinsam machen, da ist auch ganz egal, welche Behinderung da ist, welche nicht da ist im Bereich von Lernen und Sprache –, es geht darum, Kindern in Mathematik und in Deutsch die Grundlagen beizubringen auf verschiedene Art und Weise, und das ist natürlich auf Rügen gemacht worden.

Ich möchte noch dazu ausführen, dass Sie gesagt haben, was wir alles wieder brauchen an Förderschulen. Wir haben wirklich ein breites Netz an Förderschulen. Das heißt, dass Sie sich damit nicht auseinandergesetzt haben. Wir haben Diagnoseförderklassen, wir haben einzelne Sprachheilklassen, wir haben Schulwerkstätten, wir haben kooperative Bildungsangebote, wir haben in den Regionalen Schulen flexible Bildungsgänge und wir haben die Produktionsschulen und, und, und. Wir haben ganz viel, dass die Eltern immer sagen können, mein Kind geht in den gemeinsamen Unterricht oder mein Kind geht an eine separate Schule, weil ich den geschützten Raum für mein Kind möchte. So ist die Inklusionsstrategie in Mecklenburg-Vorpommern aufgebaut,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

weil sie ganz einfach so aufgebaut sein muss,

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

weil sie sonst gegen das Grundgesetz verstoßen würde, und das haben wir natürlich nicht gemacht.

Und Sie sagen,

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Thomas Krüger, SPD: Sehr richtig!)

Sie sagen, Sie haben jetzt hier ein Problem mit der Gleichmacherei. Alle Menschen sind doch von der Menschenwürde her gleich. Und wenn Sie sagen, dass Sie das nicht hören können, dass Sie etwas gegen die Menschenwürde, dass Sie nichts gegen die Menschenwürde haben,

(Zuruf von Jörg Kröger, AfD)

dann will ich Ihnen mal sagen, wer Menschen einteilt in Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung, der hat sehr wohl ein Problem mit der Menschenwürde. – Herzlichen Dank!

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD – Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der AfD auf Drucksache 7/4996 zur federführenden Beratung an den Bildungsausschuss und zur Mitberatung an den Innen- und Europaausschuss sowie an den Finanzausschuss zu überweisen. Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Gegenprobe. –

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Die Ideologen mal die Hand heben! Vielen Dank!)

Stimmenthaltungen? – Damit ist der Überweisungsvorschlag, damit ist der Überweisungsvorschlag für den Gesetzentwurf der Fraktion der AfD auf Drucksache 7/4996 bei Zustimmung durch die Fraktion der AfD und die fraktionslosen Abgeordneten, Gegenstimmen aller anderen Fraktionen abgelehnt.

Der Gesetzentwurf wird gemäß Paragraf 48 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung spätestens nach drei Monaten zur Zweiten Lesung erneut auf die Tagesordnung gesetzt.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 7/5002.

(Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD)

Meine sehr geehrten Kolleginnen, Kollegen da hinten, Herr Borschke und..., wir sind in der Abstimmung. Ich bitte Sie, das zu beachten.

(Heiterkeit und Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Herr Lenz! Okay.

Also wir sind in der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 7/5002. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Danke schön. Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion der AfD auf Drucksache 7/5002 bei Zustimmung durch die Fraktion der AfD und die fraktionslosen Abgeordneten, ansonsten Ablehnung abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 8: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Fraktion DIE LINKE – Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Finanzierung und zur Transparenz in der Freien Wohlfahrtspflege in Mecklenburg-Vorpommern und zur Änderung des Insolvenzordnungsausführungsgesetzes, auf Drucksache 7/5003.

Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Finanzierung und zur Transparenz in der Freien Wohlfahrtspflege in Mecklenburg-Vorpommern und zur Änderung des Insolvenzordnungsausführungsgesetzes (Erste Lesung) – Drucksache 7/5003 –