Protokoll der Sitzung vom 23.09.2020

Das eigentliche Problem, die Gruppe der wahlunfähigen Bürger rechtlich sauber, das heißt hier, verfassungskonform zu erfassen und von der Wahl auszuschließen, ist mit dem Gesetz nicht gelöst. Der Gesetzentwurf weicht dem aus, indem er die Wahlfähigkeit unterstellt und Assistenzregelungen ganz allgemein für Menschen mit Behinderungen einfügt. Eine Assistenzregelung kommt aber nur in Betracht, wenn die Wahlfähigkeit vorliegt.

Der Gesetzentwurf enthält wichtige Klarstellungen. Das Wahlrecht ist ein höchstpersönliches Recht, da gibt es keine Vertretung. Die Hilfeleistung ist auf technische Hilfe beschränkt. Die selbstbestimmte Willensbildung oder Entscheidung der wahlberechtigten Personen darf also nicht ersetzt oder verändert werden. Das ist so vollkommen zutreffend im Gesetz festgeschrieben. So gesehen lässt sich gegen den Entwurf inhaltlich nichts einwenden. Zudem werden mit dem Entwurf entsprechende Neuregelungen des Bundeswahlrechts übernommen. Einzusehen ist auch, dass bei den Assistenzregelungen keine von der Bundesregelung abweichenden Bestimmungen getroffen werden sollten. Gleichwohl wird meine Partei dem Entwurf nicht zustimmen, denn die Neuregelung ist theoretisch in Ordnung, allerdings nicht praxistauglich, jedenfalls dann nicht, wenn man im Ausschluss wahlunfähiger Menschen keine Diskriminierung, sondern eine notwendige Korrektur für eine demokratische Wahl sieht.

Eine Wahlentscheidung durch entscheidungsunfähige Wähler verkehrt das allgemeine freie Wahlrecht in sein Gegenteil und widerspricht dem allgemeinen Verständnis von Demokratie. Wie soll in den Fällen anzunehmender Wahlunfähigkeit die selbstbestimmte Willensbildung und Entscheidung konkret festgestellt werden? Wie soll auch nur annähernd gewährleistet sein, dass der Rahmen zulässiger Assistenz nicht überschritten wird? Und was ist darüber hinaus mit der Briefwahl? Das alles bleibt nach dem Entwurf vollkommen offen. Hier bleibt das Tor zum Missbrauch weit geöffnet.

Zugegebenermaßen gibt es darauf keine einfachen Antworten. Es muss sie aber geben, denn der Anteil der Alten und Pflegebedürftigen sowie der Vollbetreuten beziehungsweise derer, die wegen ihrer geistigen Gebrechen die für eine freie Wahl notwendige Einsicht nicht mehr haben, wird immer größer. Machen wir uns nichts vor, hier werden die Wahlentscheidungen in den Familien und in den Heimen von anderen als den eigentlich Wahlberechtigten getroffen. Deren Zahl dürfte nicht so groß sein, dass sie wirklich ins Gewicht fällt, dennoch kann sie bei knappen Ergebnissen wahlentscheidend sein. Wollen wir das? Ist das dann noch demokratisch? Wie gesagt, der Entwurf weicht dem eigentlichen Problem aus.

Das Verfassungsgericht hat es sich einfach gemacht, indem es den Fehler bei der Typisierung markiert und den Wahlausschluss der Vollbetreuten in Gänze aufgehoben hat. Deren Wahlunfähigkeit hat es damit nicht aufgehoben, denn darüber hatte es nicht zu entscheiden. Das Gericht hat auch keine Vorgaben dazu gemacht, wie die Wahlunfähigkeit verfassungskonform festgestellt werden könnte. Das war auch nicht seine Aufgabe. Naheliegend wäre sicherlich eine Verknüpfung mit dem Betreuungsverfahren. Das ginge alles, wenn man das Problem lösen wollte. Dazu fehlt aber ganz offensichtlich der politische Wille, denn dann müsste man die Diskriminierungshürde überwinden. Und hier bin ich mir sicher, dass die Linksparteien sich daran festbeißen würden, bevor Sie anerkennen, dass eine noch so gut gemeinte Assistenz eine fehlende Einsichtsfähigkeit nicht zu ersetzen vermag. In der Sache werden wir uns deshalb der Stimme enthalten, der Überweisung werden wir natürlich zustimmen. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Tegtmeier.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Gesetzentwurf vollziehen wir das, was wir im letzten Jahr angekündigt haben. Als das Bundesverfassungsgericht seinen Urteilsspruch verkündete und wir aus Paragraf 5 die entsprechende Passage hinausgestrichen oder herausgestrichen haben, haben wir bereits darauf hingewiesen, dass wir die Regelungen von Bundes-, Landes- und Kommunalwahlgesetzen an dieser Stelle gern harmonisieren möchten, auch, weil die Wahlen oftmals in unmittelbarem Zusammenhang durchgeführt werden.

Wir haben seinerzeit eine Missbrauch abwehrende Regelung mit aufgenommen, weil seinerzeit auch schon die Befürchtung im Raum stand, dass dieses pure Streichen Missbrauch Tür und Tor öffnet. Herr Förster hatte darauf im letzten Jahr schon mehrfach hingewiesen, gerade auf die Situation auch in den Pflegeheimen.

Insgesamt muss ich sagen, dass ich es gut finde, dass Sie sich heute doch ein bisschen auf die tatsächlichen Fakten und die Auslegung und Aussagen des Bundesverfassungsgerichtes konzentriert haben, weil wir in diesem Zusammenhang leider auch immer wieder feststellen, und Herr Kramer hat das heute Morgen ja in seiner Rede auch schon getan, dass das Thema Inklusion für die AfD kein Thema ist

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Genau.)

und das eben nicht daran liegt, dass Menschen, die eben nicht das Glück hatten, ohne jedwede Beeinträchtigung das Leben selbstständig meistern zu können, einbezogen werden in allen Lagen.

Deswegen wird dieser Gesetzentwurf heute auch überwiesen in den Innen- und Europaausschuss. Wir werden ihn dort noch einmal vertiefend in den Ausführungen beraten. Gleichwohl setzen wir damit lediglich das um, was wir bereits angekündigt hatten, folgerichtig, und sprechen über die Passage, die der Bundestag im Bundesgesetz aufgenommen hat. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Einen Moment, Frau Tegtmeier! Zu Ihrem Wortbeitrag wurde seitens der Fraktion der AfD eine Kurzintervention seitens der Fraktion der AfD, Herrn Jesus de Fernandes, angemeldet.

Bitte schön, Herr de Jesus Fernandes!

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Frau Tegtmeier, ich muss hier einiges klarstellen. Und zwar hatten Sie jetzt eben zur Sache der Inklusion gesagt, die AfD wäre gegen die Teilhabe solcher Menschen. Das ist eine glatte Lüge, die Sie hier quasi durchs Mikrofon gegeben haben an die Öffentlichkeit. Wir haben einen ganz anderen Ansatz, und zwar den richtigen aus der UN-Behindertenrechtskonvention. Da steht eben drin haargenau, dass jeder nach seinen Möglichkeiten mit den besten Mitteln zu unterstützen ist. Das ist in unseren Augen immer noch die Förderschule, weil man dort konkret auf die Leute eingehen kann und sie am besten fördern kann. Das ist unser Ansatz. Das ist kein Ausklammern, sondern das ist ein besseres Fördern als das, was Sie hier vorhaben. Und das wollte ich hier noch mal klarstellen.

Möchten Sie antworten, Frau Abgeordnete?

Na selbstverständlich möchte ich antworten.

Das ist eine sehr gewagte Auslegung. „Inklusion“ heißt Einbeziehen,

(Der Abgeordnete Thomas de Jesus Fernandes spricht bei abgeschaltetem Mikrofon.)

nicht Separieren, und alle Menschen insgesamt auf einem Weg zu begleiten, zu fördern. Das ist der einzig richtige nach dem Inklusionsgedanken und nicht das Separieren, Aussortieren, wie Sie das gerade wieder dokumentiert haben, dass es für Sie das einzig Wahre ist. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Rösler.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE trägt das Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfes selbstverständlich mit. Ein Änderungsprozess findet hiermit seinen vorläufigen Abschluss, der mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 29. Januar 2019 seinen juristischen Auftrieb bekam. Wenn Menschen, für die ein Gericht einen Betreuer in allen Lebensbereichen bestellt hat, generell von der Wahl ausgeschlossen sind, ist das verfassungswidrig, und das ist entscheidend.

Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird bei der Einführung des inklusiven Wahlrechts in unser Landes- und Kommunalwahlgesetz ein Schlussstein gesetzt. Die Höchstpersönlichkeit der Wahl wird klargestellt, die „Möglichkeit der Assistenz“ bei der Stimmabgabe wird um die Bezeichnung der „Grenzen zulässiger Assistenz“ ergänzt und der Begriff der „körperlichen Beeinträchtigung“ wird durch den Begriff der „Behinderung“ ersetzt.

Meine Damen und Herren, wenn ich an die UNBehindertenrechtskonvention denke, die Deutschland unterschrieben hat, dann hat es nicht sehr lange, sondern zu lange gedauert mit dem inklusiven Wahlrecht in der Bundesrepublik. Und wenn der vorliegende Gesetzentwurf mit Blick auf die für Herbst 2021 vorgesehenen Wahlen zeitlichen Druck aufbaut, dann ist das zwar richtig mit Blick auf die im Anschluss zu ändernde Wahlordnung, der Innenminister darf dann aber daran erinnert werden, dass die bundesrechtlichen Regelungen, die jetzt in Landesrecht übernommen werden sollen, bereits Mitte 2019 geschaffen wurden. Zu terminlichen Problemen hätte es hier also nicht kommen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete!

Vereinbarungsgemäß weise ich darauf hin, dass ich jetzt den letzten Redner zu diesem Tagesordnungspunkt aufrufen werde. Das heißt, alle Abgeordneten, die an der Abstimmung teilnehmen möchten und sich jetzt noch nicht im Plenarsaal befinden, sollten sich auf den Weg machen.

Und jetzt rufe ich auf für die Fraktion der CDU den Abgeordneten Egbert Liskow.

Ja, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wurde ja von den Vorrednern schon fast alles ausführlich gesagt. Deswegen fasse ich noch mal für die CDU-Fraktion zusammen: Wir beraten heute über die Vierte Änderung des Landes- und Kommunalwahlgesetzes. Nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Januar 2019 wurde der Ausschluss von Bundes- und Kommunalwahlen zur betreuten Person aufgehoben. Im Bundeswahlrecht wurde dann die Assistenzregelung für Menschen mit Behinderung aufgenommen. Geregelt wurden da die Zulässigkeit und die Grenzen der Assistenz bei der Ausübung des Wahlrechtes.

Wegen der häufigen Verbindung von Bundes- und Kommunalwahlen müssen die Assistenzregelungen auch in das Landes- und Kommunalwahlrecht übernommen

werden. Die entsprechenden Änderungen beraten wir heute. Klargestellt wird in Paragraf 23, dass jeder Wahlberechtigte sein Wahlrecht nur einmal und nur persönlich ausüben darf. Die Ausübung des Wahlrechtes durch Vertreter ist unzulässig. In Paragraf 29 werden die Möglichkeiten der Assistenz festgeschrieben und es wird klargestellt, dass jede missbräuchliche Hilfeleistung unzulässig ist, die nicht dem Willen oder der Entscheidung des Wahlberechtigten entspricht. Außerdem wird die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes mit der Änderung des Gesetzes berücksichtigt. So wird die festgestellte Ungleichbehandlung von betreuungsbedürftigen Personen im Wahlrecht beseitigt.

Ich bitte also um Ihre Zustimmung für die Überweisung des Gesetzes in die Fachausschüsse. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Landesregierung auf Drucksache 7/5347 zur federführenden Beratung an den Innen- und Europaausschuss sowie zur Mitberatung an den Rechtsausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist auch nicht der Fall. Damit ist der Überweisungsvorschlag einstimmig angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4: Erste Lesung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes über den Verdienstorden des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 7/5348.

Gesetzentwurf der Landesregierung Entwurf eines Gesetzes über den Verdienst- orden des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Landesordensgesetz – LOrdensG M-V) (Erste Lesung) – Drucksache 7/5348 –

Das Wort zur Einbringung hat die Ministerpräsidentin.

(Ann Christin von Allwörden, CDU: Sie ist in ihrem Separee! – Torsten Renz, CDU: Zehn Minuten Auszeit am besten. Lorenz läuft schon! – Jochen Schulte, SPD: Fünf Minuten. Das ist ja direkt nebenan.)

Aus der Fraktion der SPD wurde eine Auszeit von fünf Minuten beantragt.

(Torsten Renz, CDU: Nee, ich habs gesagt. Ich habs beantragt.)

Ja, es haben ganz viele die Auszeit beantragt.

(Jochen Schulte, SPD: Der Kollege Renz hats beantragt.)

Fünf Minuten seitens der Fraktion der CDU. Die Sitzung ist für fünf Minuten unterbrochen.