Protokoll der Sitzung vom 12.06.2002

(Lebhafter Beifall bei der CDU - La- chen bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen zu diesem Punkt liegen nicht vor. Wir kommen zu

b) Nitrofen-Skandal Altlast der Agrarindustrie - Bartels‘ Behörden und Strukturen blockieren neue Landwirtschaftspolitik Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 14/3480

Dazu redet Frau Kollegin Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in der letzten Zeit verschiedene neue Begriffe gelernt, und Namen von Firmen sind derzeit in aller Munde, die zumindest mir bis vor kurzem nicht so geläufig waren. Aber die beiden Firmen, die so viele Schlagzeilen gemacht haben, nämlich die Firma GS agri eG und die Firma Norddeutsche Saat- und Pflanzgut AG, sind nicht nur durch diesen und in diesem Nitrofen-Skandal verbunden, sondern sie sind auch ganz anders verbunden. Es gibt eine ungeheuer dichte Kapitalverflechtung zwischen diesen Firmen. Die GS agri hat beste

Kapitalverflechtungen in den industriellen Ökoagrarsektor hinein. Dazu gehören von der konventionellen Seite aber eben auch große Kapitalanteile, z. B. von der Firma Heidemark, dem größten deutschen Putenmäster. In diese Verflechtungen gehören auch die Pohlmann-Nachfolger, also die Firmen, die zusammen mehr als zwei Drittel der deutschen konventionellen Eier produzieren. Über GS agri sind diese Firmen Mitglieder im Raiffeisenverband, und über diese Verflechtungen sind diese Firmen über die R+V Versicherung abgesichert.

Warum erkläre ich das alles? - Meine Damen und Herren, am 23. Mai, an dem Tag, als dank einer Meldung von Bioland in Niedersachsen der Nitrofen-Skandal tatsächlich bekannt wurde, gab es eine interessante Sitzung, und zwar eine Sitzung zwischen Vertretern der R+V Versicherung und der Firma Grüne Wiese Biohöfe. Diese Firmen wussten mindestens seit Januar von der NitrofenBelastung ihrer Produkte. Worum ging es in dieser Sitzung, von der übrigens die GS agri schriftlich informiert war? - Es ging um Schadensminimierung, aber, meine Damen und Herren, nicht, wie jeder normale Bürger denkt, um Schadensminimierung für Verbraucher oder für Biolandwirte, sondern es ging um Schadensminimierung für die Firmen, die den Skandal verursacht und verschleppt haben. Ich empfinde es als empörend, dass sich am 23. Mai Vertreter der genannten Firmen getroffen haben, um zu beschließen, wo denn noch Exportmärkte für das kontaminierte Fleisch zu finden sind. Sie haben ausdrücklich einen Auftrag erteilt, damit ein Experte die Vermarktung dieses kontaminierten Fleisches vorbereitet.

Meine Damen und Herren, um noch einen draufzusetzen - ich finde, das ist wirklich eine peinliche Leistung niedersächsischer Politik -, hat an diesem Tag unser Landwirtschaftsminister diesen Skandal auf eine Formel gebracht, die wohl niemand so schnell vergessen wird. Er hat zusammengefasst: Die Ökolandwirtschaft hat ihre Unschuld verloren. - Wie Sie, Herr Bartels, auf diese Zusammenfassung kommen konnten, das müssen Sie mir erklären. Entweder wussten Sie gar nichts, oder Sie wollten ganz bewusst den Ball in die falsche Richtung spielen, Sie wollten diejenigen, die eigentlich nur passiv in den Skandal hineingeraten sind, nämlich die Biolandwirte, öffentlich an den Pranger stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass Sie diese gewissenlosen Geschäftemacher aus Vechta und Cloppenburg in diesen Tagen ungeschoren lassen wollen, Herr Bartels, dafür habe ich bis heute keine Erklärung von Ihnen bekommen.

(Glocke des Präsidenten)

Nein, im Gegenteil: Sie haben seit dem 23. Mai immer wieder Anläufe unternommen, die nicht aufklärerisch waren, sondern das Gegenteil davon. Sie haben z. B. dafür gesorgt oder zumindest nachgeordnete Behörden von Ihnen müssen dafür gesorgt haben, dass bei angeschuldigten Biobauern im Landkreis Lüchow-Dannenberg nicht nur die Kontrolleure auf den Hof gekommen sind, sondern gleichzeitig auch eine ganze Gruppe von Journalisten. Wie Sie in dieser Situation, in der Experten schon öffentlich erklärt haben, dass eine Verwendung als Herbizid überhaupt nicht die Ursache für diese hohe Kontamination sein konnte, die Biobauern öffentlich an den Pranger stellen konnten, verstehe ich nicht. Wie es zu einer Sperre für Milchbetriebe kommen konnte, obwohl durch Experten eine Belastung von Milchprodukten ausgeschlossen wird, verstehe ich auch nicht.

Sie haben Kulmbach angegriffen, und zwar zu Recht, Herr Minister. Ich habe kein Verständnis dafür, wenn Beamte Informationen nicht weitergeben. Aber dass Sie gleichzeitig niedersächsische Beamte decken, die seit Monaten Informationen über Nitrofen-Belastungen haben, das ist ein so durchsichtiges Doppelspiel, dass es, um im aktuellen Jargon zu bleiben, die rote Karte geben muss.

(Beifall bei den GRÜNEN - Glocke des Präsidenten)

- Einen Satz noch zum falschen Anheizen. - Als Malchin als Quelle entdeckt und als einzige Quelle beurteilt worden war, ist von Niedersachsen aus die Spekulation darüber angeheizt worden, es müsse andere Quellen geben. Das hat zu der Reaktion in Brüssel geführt und hat der Branche möglicherweise einen neuen großen Schaden zugefügt.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Bartels, Sie haben keine konsequente Aufklärung betrieben, sondern Sie haben konsequent falsche Leute an den Pranger gestellt.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Minister Bartels.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die gute Nachricht ist gestern Abend aus Brüssel gekommen: Die EU ist zufrieden mit den in Deutschland getroffenen Maßnahmen. Sie hat gestern festgestellt, dass alles ordnungsgemäß und schnell angepackt worden ist. Die EU hat keinen Anlass zur Beanstandung gesehen. Belgien hat die Sperre, die es nach unserer Auffassung rechtswidrig eingesetzt hat, ausgesetzt. Meine Damen und Herren, das ist ein eindeutiger Beleg für gutes Krisenmanagement auf Landes- und Bundesebene.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir haben den ökologischen Landbau gefördert und werden ihn auch weiterhin fördern. Unsere Zielzahl ist 10 %. Wir haben dazu entsprechende Fördergrundsätze und Förderprogramme auf den Weg gebracht. Wir haben Mittel in ausreichender Größenordnung für diesen Bereich zur Verfügung gestellt. Wir haben ein Kompetenzzentrum für den Ökolandbau eingerichtet, das bald seine Arbeit aufnehmen wird. Es gibt keinen Anlass zur Änderung dieser Politik. Wer anderes behauptet und unterstellt, Frau Harms, der sagt schlicht und ergreifend die Unwahrheit.

(Beifall bei der SPD - Frau Harms [GRÜNE]: Wer hat denn das Wort vom Scheitern von Frau Künast in den Mund genommen?)

Meine Aussage, meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem Nitrofen-Skandal will ich Ihnen gerne noch einmal vor Augen führen. Ich habe gesagt, es macht keinen Sinn, den ökologischen und den konventionellen Bereich gegeneinander in Stellung zu bringen. Es macht keinen Sinn, eine Schwarz-Weiß-Malerei vorzunehmen. Beide Bereiche sind verletzbar durch kriminelle Machenschaften, durch Vorsatz und durch Schluderigkeit.

(Zuruf von Frau Pothmer [GRÜNE])

In beiden Bereichen, meine Damen und Herren - das habe ich bei jeder Gelegenheit gesagt -, haben diejenigen Landwirte, die gewissenhaft und ordnungsgemäß arbeiten, die Last zu tragen. Diese sind Opfer eines solchen Prozesses. Deshalb, Frau Harms, haben wir deutlich gemacht, dass wir die in Existenznot geratenen ökologischen Betriebe durch

ein Sonderprogramm unterstützen werden. Wir prüfen zurzeit, ob wir die Maßnahme C im Rahmen der ökologischen Förderung durchführen können,

(Golibrzuch [GRÜNE]: Sagen Sie et- was zu den Vorwürfen!)

ob wir die Mittel schon vorzeitig auszahlen können, damit die Landwirte Liquidität haben. Wir brauchen - das habe ich deutlich gemacht - ein Qualitätssicherungssystem, das die Verstöße, die in der Zukunft auftreten, zwar nicht absolut ausschließen kann, das aber dazu beiträgt, dass bei Verstößen die Verantwortlichen sofort dingfest gemacht werden können und der Schaden begrenzt werden kann. Ich sage noch einmal: Wir brauchen auch ein Verbraucherinformationsgesetz mit den Inhalten, die wir in Niedersachsen formuliert haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Dieser Skandal hätte auch im konventionellen Bereich auftreten können. Es ist ein Zufall gewesen, dass er im ökologischen Bereich aufgetreten ist, meine Damen und Herren. Mich hat aber geärgert – das habe ich bereits zum Ausdruck gebracht; das wissen Sie auch ganz genau, Frau Harms -, dass mehr als sechs Monate lang von unterschiedlichen Zeitpunkten an unterschiedliche Beteiligte über diesen Skandal informiert waren. Mich ärgert, dass die Ökoszene das nicht anders gemanagt hat. Das ist der Punkt, über den wir reden müssen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Welche Öko- szene?)

Frau Harms, es sind nicht nur die beteiligt, betroffen und sozusagen mit Wissen ausgestattet, die Sie genannt haben. Der Beurteilung, die Sie hier vorgetragen haben, will ich nicht widersprechen. Diese Zusammenhänge gibt es. Deshalb haben wir so scharf und konsequent gehandelt. Meine Damen und Herren, Zahlen und Fakten werde ich heute Nachmittag dazu benennen.

Die Ursache der Belastung ist in Niedersachsen, in Deutschland innerhalb von acht Tagen ermittelt worden. Wenn wir uns um Ursachen kümmern müssen, dann müssen wir uns in der Situation auch um Erzeugerbetriebe von Getreide kümmern. Das waren Zulieferbetriebe von GS agri. Sie hätten mir doch einen Vorwurf gemacht, wenn wir uns um diese Betriebe in Niedersachsen, in MecklenburgVorpommern und in Brandenburg nicht geküm

mert hätten, wenn wir sozusagen nicht alle Quellen untersucht hätten. Wir mussten doch ausschließen, dass diese Betriebe mitverantwortlich waren. Deshalb gab es eine Untersuchung in diesen Betrieben.

Meine Damen und Herren, wir haben das Futtermittelwerk zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Ökoproduktionsbereich geschlossen. Es wird grundgereinigt. Die belasteten Vorräte und Futtermittel werden unschädlich entsorgt. Denkbaren Belastungen an beiden Standorten geht das Landesamt für Verbraucherschutz unter Einschaltung auch außenstehender Fachleute nach. Wir haben 59 Betriebe gesperrt. Ich nenne Ihnen die Zahlen für Weser-Ems: Wir haben 18 Betriebe in der Region Weser-Ems gesperrt. 16 Betriebe davon sind beprobt worden, sechs positiv, acht negativ und zwei ohne Ergebnis. Wir haben Lebensmittel zurückgeholt, Rückholaktionen haben stattgefunden. Die Öffentlichkeit ist kontinuierlich durch uns informiert worden, meine Damen und Herren. Ich kann für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Landesebene feststellen, dass in den fast drei zurückliegenden Wochen rund um die Uhr gearbeitet worden ist und dass der Vorwurf, hier hätten Schlampereien stattgefunden, absolut ungerechtfertigt ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, dass bei der Bezirksregierung in Lüneburg nach der Selbstanzeige eines Unternehmens am 2. Mai ein telefonischer Hinweis von einer meldepflichtigen Kontrollstelle zwar in nicht eindeutig nachvollziehbarer Weise ausgesprochen wurde und nicht so weiter verfolgt worden ist, wie ich mir das gewünscht hätte, ist nicht nur ärgerlich, meine Damen und Herren. Das darf nicht passieren. Wir werden in Zukunft sicherstellen, dass dieses nicht wieder passiert.

Für den Landkreis Ammerland gilt: Er ist seiner Meldepflicht nicht nachgekommen, weder gegenüber der Bezirksregierung noch gegenüber dem LAVES.

(Zurufe von der CDU)

Ein Hinweis auf die Nitrofenbelastung hat es beim LAVES nicht gegeben.

(Biestmann [CDU]: Hat der selber widerlegt!)

- Nein, das ist nicht widerlegt. - Wir haben sehr schnell die Lücken erkannt und schnell gehandelt.

Aufgrund dieses Handelns hat Deutschland dieses Zertifikat von der EU bekommen. Besser konnte es nicht laufen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat nun der Kollege Ehlen.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir wundern uns eigentlich sehr, dass die Grünen dieses heute thematisiert haben, zumal doch eigentlich der Spruch gilt: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

(Beifall bei der CDU - Frau Harms [GRÜNE]: Und in welchem Glashaus sitzen Sie?)

Liebe Kollegin Harms, es ist schon so, wie Sie sagen, dass die niedersächsische Agrarverwaltung große Mängel hat. Aber wir müssen vorweg feststellen, dass Ihre Bundesverbraucherschutzministerin Ideologie gepredigt und vergessen hat, ordentlichen, griffigen Verbraucherschutz zu machen.

(Beifall bei der CDU - Busemann [CDU]: So ist es!)