Protokoll der Sitzung vom 28.08.2002

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Sie hätten ja gleich reden kön- nen!)

Man kann in der Tat sagen, dass an den Bauarbeitern in Deutschland ein Betrug vorgenommen wird. Es gibt keine Branche, die so notleidend ist wie diese. Es gibt keine Branche, in der es - speziell in Niedersachsen - so viele Insolvenzen gibt wie in dieser. In den letzten zwei Jahren haben 20 % aller Beschäftigten in dieser Branche ihren Arbeitsplatz verloren. Das Zurückgehen öffentlicher Investitionen, das Zurückgehen privater Investitionen im Baubereich - - -

(Zuruf von der SPD: Zum Thema!)

- Die Menschen sind das Thema, nicht das, was Sie als Thema bestimmen wollen, wenn Sie von Bürokratie sprechen. Die Menschen draußen im Lande sind unser Thema hier.

(Beifall bei der CDU)

Tag für Tag verlieren immer mehr Menschen ihren Arbeitsplatz. Dafür sind ganz wesentlich Sie verantwortlich, weil die öffentlichen Investitionen Jahr für Jahr zurückgegangen sind und die privaten Investitionen aufgrund falscher politischer Rahmenbedingungen ebenfalls zurückgegangen sind.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Das ist ja schlimmer als eine ti- betanische Gebetsmühle!)

Der zweite wesentliche Punkt sind die Probleme der Menschen draußen. Mit diesen Problemen müssen Sie sich auseinandersetzen. Dafür sind Sie gewählt worden. Sie werden abgewählt werden, weil Sie sich um diese Probleme nicht geschert haben. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind für ein Vergabegesetz, wie es das in Bayern gibt. Sie hätten es mit Ihrer absoluten Mehrheit hier längst beschließen können. Wir haben dazu immer unsere Hand gereicht, und wir reichen sie auch heute dazu, dies hier gemeinsam zu verabschieden. Die Zustände am Bau sind skandalös. Es gibt dort Fehlgriffe, es gibt dort Dumping, es gibt dort Rechtsmissbräuchlichkeiten. Diese müssen beendet werden, lieber heute als morgen. Es gibt aber eine Verantwortung, die Sie jemandem, der seinem Gewissen gegenüber verantwortlich ist, nicht abnehmen können. Sie haben das Land inzwischen Milliarden Euro gekostet, und zwar durch verlorene Prozesse in allen möglichen Bereichen. Wenn die Juristen aus dem Gesetzgebungsund Beratungsdienst sagen, dieser Landtag und die Exekutive machten sich schadenersatzpflichtig, wenn sie dieses Vergabegesetz mit seinen Formulierungen auf den Bereich des ÖPNV und des Schienenpersonennahverkehrs ausdehnten, ist das für uns allerdings ein Grund zu sagen: Lasst uns eine Trennung vornehmen. Lasst uns das Vergabegesetz mit Bezug auf den Baubereich heute einstimmig verabschieden, und lasst uns über den Bahnbereich noch einmal diskutieren. Wir wollen uns angesichts der Finanzlage des Landes jedenfalls keinen weiteren Schadenersatzansprüchen aussetzen.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind wesentlich Mitbegründer der Tarifautonomie. Wir halten als große Volkspartei an der Tarifautonomie fest.

(Lachen bei der SPD)

Wir stehen vor allem - die Frage ist, ob Sie ebenfalls dazu stehen - zu Artikel 9 des Grundgesetzes. Dieser Artikel ist verfassungsrechtlich beschwert. Er ist unabänderlich. Artikel 9 des Grundgesetzes sieht nicht nur die positive Koalitionsfreiheit, sich für ein Bündnis entscheiden zu können, vor. Artikel 9 des Grundgesetzes sieht eben auch - man mag das bedauern - die negative Koalitionsfreiheit vor, sich aus bestimmten Dingen herauszuhalten. Lieber Wolfgang Schultze - möglicherweise sind

nicht alle Stellungnahmen angekommen -, das Problem bei der Ausdehnung auf den ÖPNV und SPNV ist, dass dort die öffentliche Hand nahezu monopolartig alleiniger Auftraggeber ist und dadurch gesetzliche Regelungen einen marktbeherrschenden bzw. marktverdrängenden Einfluss haben und diese Regelungen damit anderen Kriterien unterliegen als die Regelungen für den Baubereich, wo die öffentliche Hand nur noch einen Anteil von 10 % hat.

(Beifall bei der CDU)

Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst sagt - ebenso wird es auf Bundesebene gesagt -, dieses Gesetz werde an diesem Punkte vor den Gerichten scheitern. Wenn man trotzdem daran festhält, tut man nur so, als täte man etwas. Letztlich tut man aber niemandem einen Gefallen, sondern man vermehrt den Schaden, der in den Bereichen rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme ohnehin entstanden ist. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu dem gesamten den Bau betreffenden Teil - dies besagt auch unser Änderungsantrag - und um Herausnahme von ÖPNV und SPNV. Wir sollten versuchen, zu einer verfassungsrechtlich unproblematischen Lösung zu kommen. Ich denke, es ist völlig klar, wie wir dazu stehen. Es wäre schön, wenn hier Einigkeit möglich wäre.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Jetzt hat Herr Kollege Plaue das Wort. Ich gebe ihm die gleiche Redezeit. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es tut mir Leid, Herr Kollege Wulff: Was Sie hier abgeliefert haben, ist völlig unglaubwürdig.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben sich hierher gestellt und gesagt - Herr Dinkla hat das Gleiche gesagt -, das Gesetz insgesamt, um das es jetzt geht, wäre Bürokratie und verfassungswidrig. Gleichzeitig bieten Sie uns an, dieses Gesetz zu unterstützen. Sie widersprechen sich in Ihren eigenen Aussagen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Damit wird deutlich, was das für Sie ist. Das hier ist für Sie ein taktisches Spielchen, um sich herauszulügen und diesem Gesetz nicht zustimmen zu müssen, weil Ihre Fraktion es nicht will, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Widerspruch bei der CDU)

Herr Kollege Dinkla, ich wäre Ihnen dankbar gewesen, wenn Sie ehrlich und offen das gesagt hätten, was Sie von Anfang an gesagt haben. Sie haben sich damals hierher gestellt und gesagt, dass wir ein solches Gesetz nicht bräuchten, und jetzt versuchen Sie Ausflüchte. Das ist die Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich will an dieser Stelle ganz deutlich sagen, worin der Unterschied zwischen den Ländern, in denen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bestimmen können, und den Ländern, in denen konservative Regierungen wie z. B. CDU- und FDP-geführte Regierungen organisieren und arbeiten können, liegt. Meine Damen und Herren, Sachsen-Anhalt hatte ein Vergabegesetz, das zwar nicht so weit ging wie das niedersächsische, aber immerhin ein Vergabegesetz war. Eine der ersten Maßnahmen, die die CDU/FDP-Landesregierung dort umgesetzt hat, bestand darin, dieses Vergabegesetz zu kippen. Das ist die Wahrheit von CDUPolitik, nicht aber das, was uns hier vorgemacht werden soll, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Wulff, ich habe in der Zeitung gelesen, dass Sie Verständnis dafür hätten, dass Sachsen-Anhalt im Bundesrat das Bundesgesetz abgelehnt hat. Sie haben gesagt, dass Sie, wenn Sie Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt wären, wohl das Gleiche getan hätten. Ich will Ihnen, Herr Kollege Wulff, einmal sagen, was in SachsenAnhalt passiert. In Sachsen-Anhalt treten reihenweise Arbeitgeber aus dem Arbeitgeberverband aus und verlassen die Tarife. In Sachsen-Anhalt wird reihenweise und massiv Tarifflucht organisiert. Wenn Sie, meine Damen und Herren, dafür Verständnis haben, dann sagen Sie deutlich, wie aus Ihrer Sicht die sozialpolitische Landschaft aussehen soll! So etwas wird es bei uns und mit uns in Niedersachsen nicht geben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Hagenah, jetzt haben auch Sie um das Wort gebeten. Ich erteile auch Ihnen zusätzliche Redezeit, und zwar von vier Minuten.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, trotz Ihres sehr engagierten und wortreichen Beitrages ist es Ihnen nicht gelungen, zu erklären, wozu die SPD diesen gedrechselten komplizierten Ansatz braucht, um Repräsentativität zu definieren, und was ihn im Ergebnis von dem einfachen, im Bundesgesetz definierten Ansatz unterscheidet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich frage Sie, Herr Ministerpräsident: Welches Ergebnis erwarten Sie denn, wenn, wie es hier im Antrag der SPD steht, die Landesregierung ermächtigt wird, durch Verordnung zu bestimmen, in welchen Verfahren festgestellt wird, welche Tarifverträge als repräsentativ im Sinne von Satz 1 anzusehen sind? Sie haben darauf hingewiesen, dass im ÖPNV mehrere Gewerkschaften aktiv sind. Was ist denn Ihres Erachtens das Kriterium für Repräsentativität? - Das einzige Kriterium kann doch nur darin bestehen, dass von den Tarifverträgen, die als repräsentativ gelten - wir sind uns darin einig, dass das verschiedene sein können -, an dem Ort, an dem ausgeschrieben wird, der Tarifvertrag repräsentativ ist, der auf die meisten Arbeitnehmer Anwendung findet. Welches andere Kriterium können Sie mir denn nennen, das von der von Ihnen umständlich erfundenen neuen Kommission gesucht werden soll, das gegen dieses eine Argument, das im Falle der Ausschreibung an einem bestimmten Ort eigentlich das schlagende Argument ist, spricht?

(Plaue [SPD]: Das heißt, Sie wollen einen einzigen Tarifvertrag!)

- Nein, wir wollen nicht einen Tarifvertrag, sondern wir wollen den Tarifvertrag, der repräsentativ ist, der am Ort der Ausschreibung auf die meisten Arbeitnehmer Anwendung findet.

(Plaue [SPD]: Also einen!)

- Genau, einen, der repräsentativ ist. - Es kann doch gar nicht sein, dass man verschiedene Tarifverträge mixt und dann sagt, dass die Unterneh

mer, die einen höherwertigen Tarifvertrag und dementsprechend höhere Personalkosten haben, Pech gehabt haben und von diesen Personalkosten herunter müssen. Dann nämlich würden wir in die Tarifautonomie eingreifen. Dann würde eine Spirale nach unten einsetzen, was Sie gerade vermeiden wollen. Umgekehrt wird aus der Logik, die Sie aufbauen, ein Schuh. Es kann doch für jede Ausschreibung nur einen Tarifvertrag geben, auf den man sich in der Kommission einigt, und nicht verschiedene Tarifverträge. Es kann sehr wohl sein, dass es in Cuxhaven ein anderer Tarifvertrag als in Stade und in Hannover ein anderer Tarifvertrag als in Braunschweig ist. Das war mit dem Änderungsantrag der Grünen und auch mit der bundesgesetzlichen Regelung so gemeint. Das ist genau definiert. Das, was Sie beschreiben, macht uns misstrauisch, macht die Arbeitnehmer misstrauisch, weil unklar ist, welche weiteren Repräsentativitätskriterien die SPD und die Landesregierung neben dem Kriterium vorsehen wollen, dass an dem Ort, an dem ausgeschrieben wird, die meisten Arbeitnehmer in dem Tarifvertrag der Branche, in der ausgeschrieben wird, gebündelt sind.

Das, Herr Ministerpräsident, haben Sie im Juli im Bundesrat vehement verteidigt. Sie haben in Ihrem Redebeitrag, der ebenso fulminant war wie Ihr heutiger, ausgeführt, dass die CDU-geführten Länder der Regelung nicht zustimmen könnten, wenn der repräsentative Tarifvertrag genutzt werden solle. Weiter haben Sie ausgeführt: Ich frage den Kollegen Bocklet - das ist der dafür zuständige bayerische Minister -, welchen Tarifvertrag er bei seinem Gesetz in Bayern als Maßstab anlegt. Sie stellten fest, dass er den repräsentativen Tarifvertrag anlege.

Also, Sie haben als Sprecher der SPD-Länder die bundesgesetzliche Regelung vehement verteidigt und widersprechen dem hier im Niedersächsischen Landtag, können aber nicht vermitteln, welche neuen Erkenntnisse Sie in der Zwischenzeit gewonnen haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Adam [SPD]: Rebecca, das musst du ihm noch einmal erklären!)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident Gabriel hat noch einmal um das Wort gebeten. Bitte schön, Herr Ministerpräsident!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Weil es wirklich wichtig ist und ich Ihnen, Herr Hagenah, abnehme, dass Sie in der Sache den betroffenen Menschen helfen wollen, versuche ich es noch einmal. Erstens. Der Unterschied zwischen Landes- und Bundesrecht ist, dass der Bundesgesetzgeber die Möglichkeit hat, in das Tarifvertragsgesetz einzugreifen, wir dieses Recht aber nicht haben.

(Widerspruch von Hagenah [GRÜ- NE])

- Nun hören Sie doch einmal zu! - Zweitens. In der Tat hat der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst im Niedersächsischen Landtag gesagt, dass er wegen der Monopolstellung im öffentlichen Dienst Sorge hat, dass die im Bundesgesetz vorgesehene Regelung hier verfassungsrechtliche Probleme bereite. Dieses Problem haben wir gelöst. Jeder muss klären, was ein repräsentativer Tarifvertrag ist. Das müssten Sie übrigens auch nach dem Bundesrecht. Die Frage ist nur, ob Sie sagen können, dass das der Vertrag ist, der am Ort der Ausschreibung die meisten Mitglieder hat. Hierzu sage ich: Aus meiner Sicht können Sie das nicht, weil Sie wegen der Monopolstellung des öffentlichen Dienstes damit de facto die Tarifautonomie aufgeben würden. Sie hätten dann keine Chance mehr, andere Tarifverträge anzubieten. Deswegen sagen wir: Repräsentativ sind per se erst einmal alle DGB-Tarifverträge. Ich weiß, dass das an der einen oder anderen Stelle dazu führen wird, dass man sich darüber unterhalten muss, wie sie sich angleichen werden und welcher Vertrag dort genutzt wird. Das ist aber nicht die Aufgabe des Gesetzgebers. Das ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien.

Sie können hier doch offen sagen, dass Sie insoweit ein Problem haben. Sie haben doch das Problem, dass Sie über unseren Gesetzestext Ihre örtlichen Probleme diskutieren und regeln wollen. Ich verstehe das. Wenn Sie in Hannover sagen, dass Sie hier irgendwann - 2007 - Verkehrsleistungen ausschreiben wollen, Mitglied im Kommunalen Arbeitgeberverband sind und als Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes zugestimmt haben, dass ein Spartentarifvertrag von ver.di für Sie Anwendung findet, dann stellt sich für mich gar nicht die Frage, welcher Tarifvertrag repräsentativ ist, weil Sie selbst dafür gesorgt haben, indem Sie da eingetreten sind und dem zugestimmt

haben. Aber ein anderer Arbeitgeber kann natürlich sagen: Moment mal, es gibt repräsentative Tarifverträge, hinter denen Gewerkschaften stehen, die eine hinreichende Anzahl von Mitgliedern haben, die durch den Tarifvertrag vertreten werden, und die in der Lage sind, den Tarifvertrag durchzusetzen. Das alles sind Bedingungen dafür, dass sie als Gewerkschaften gelten und Tarifverträge abschließen können. - Dann steht dazu z. B. TransNet oder der zweite Tarifvertrag, den ver.di auch im Bereich des ÖPNV geschlossen hat. Da können Sie nicht als Gesetzgeber kommen und das so definieren, dass nur einer gilt. Damit würden Sie aus dem Thema „negative Koalitionsfreiheit“ aussteigen. Das ist aber auch zugleich die Antwort an Herrn Wulff. Die Antwort an Herrn Wulff lautet: Wir haben eine Regelung geschaffen, mit der wir die negative Koalitionsfreiheit zulassen. Herr Wulff, übrigens sind auch im Baugewerbe nicht sämtliche Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt. Das gleiche Problem, das Sie prinzipieller Natur im ÖPNV sehen, hätten Sie dann auch dort, mit der Ausnahme, dass keine Monopolstellung derjenigen besteht, die zur Auswahl stehen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Was für ein kompliziertes Gebilde!)