Protokoll der Sitzung vom 29.08.2002

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU - Klare [CDU]: Das ist auch ei- ne Frage des Respekts vor den Leh- rerverbänden! - Busemann [CDU]: Das ist eine Frage des Respekts vor parlamentarischen Anhörungen und ihren Ergebnissen!)

Frau Ministerin!

Frau Harms, zu Ihren Vorbemerkungen: Insoweit besteht zwischen uns völlige Übereinstimmung. Ich stimme Ihnen zu, dass eine nationale Anstrengung notwendig ist. Diese Anstrengung wird nach den Erfahrungen, die uns aus anderen Ländern vorliegen, in der Tat einen Zeitraum von zehn Jahren umfassen. Alles andere ist meines Erachtens keine realistische Einschätzung. Das sagen uns auch alle Experten. Das ist auch in England in Bezug auf das nationale Curriculum und auch in Schweden so gelaufen. Das ist immer noch ein zügiger Zeitplan. Aber wir wollen möglichst natürlich schon vorher Schritte machen. Deshalb sind wir auch so schnell. Deswegen sind Sie über unser Konzept und darüber, wie schnell wir die Konsequenzen gezogen haben, so überrascht gewesen.

(Widerspruch von Klare [CDU])

Wir haben das Schulgesetz hier im Landtag verabschiedet. Ich bin dankbar dafür, dass das Gesetzgebungsverfahren nach einem zwei Jahre andauernden Diskussionsprozess, den ich als sehr lang empfinde, seinen Abschluss gefunden hat. Wir haben das Gesetz geändert, sodass die Schulen mit dem Gesetz und den Verordnungen eine gute Grundlage für ihre Schulstruktur haben.

Ihre Diskussion um die sechsjährige Grundschule ist doch ebenfalls eine Strukturdiskussion. Ist diese Diskussion besser als unsere? Ich frage mich, warum insoweit keine Verknüpfung zum Gutachten hergestellt wird, das wir alle inzwischen gar nicht so schlecht finden.

Es ist einfach mehr Schulentwicklung in der Fläche notwendig. Ich habe schon gesagt, dass der dramatische Satz, dass die sozialen Chancen und die Lebenschancen in Niedersachsen nicht für alle Kinder gewahrt seien, weil es nicht überall ein qualitativ gleich gutes Schulangebot gebe, Anlass für Überarbeitungen sein muss. Das sind strukturelle Fragen, die wir jetzt beantworten werden.

Ich habe den Eindruck, dass diese Botschaft bei den Schulträgern angekommen ist

(Klare [CDU]: Der Eindruck täuscht!)

und dass man sich Gedanken darüber macht, wie man die Gymnasialstandorte und Hauptschulstandorte stärkt, weil man weiß, dass die Schülerzahlen bald zurückgehen werden. Dann werden Hauptschulstandorte - wir haben viele kleinere Hauptschulstandorte, einzügige Hauptschulen - gefährdet sein. Viele Schulträger überlegen deshalb, den Realschulzweig anzugliedern, und viele Schulträger überlegen deshalb, den Gymnasialzweig anzugliedern. Das alles sind sehr vernünftige Überlegungen.

Hinzu kommt - ich glaube, dass Sie diese Auffassung teilen -, dass wir die Bildungsbeteiligung erhöhen müssen. Das wird zusätzlicher Anstrengungen der Schulträger bedürfen. Übrigens wird alles das über das Vehikel Strukturdiskussion angegangen werden müssen, und zwar in der Hoffnung, dass sich Bildungsbeteiligung dann verändert, wenn man die Anzahl der Gymnasialstandorte verändert.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Nach Klasse 4 teilen! Aber so viel Zeit haben wir nicht!)

Wir können doch hier die Experten ruhig einmal auf uns wirken lassen, Frau Litfin. Wir werden dann die Wirkungen auch sehen.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Die Zeit ha- ben wir nicht!)

Ich finde, wir haben es bisher hingekriegt - nehmen Sie das Beispiel Verlässliche Grundschule -, am Ende alle zu überzeugen, selbst die Opposition.

(Klare [CDU]: Wann waren Sie das letzte Mal in einer Schule? Wie kann man nur so über die Probleme hinweg reden?)

Frau Vogelsang! Danach Frau Mundlos zu ihrer zweiten Frage.

Frau Ministerin, ich bedauere es, aber ich muss noch einmal anknüpfen an meine vorherige Frage, weil ich einfach nicht glauben kann, was Sie uns da einzureden versucht haben. Wollen Sie uns wirklich einreden, dass die Tatsache, dass Hauptschüler, Realschüler und Schüler an Schulen für Lernbehinderte, die heute mehr als 17 % weniger Unterricht bekommen - es fällt also ein Sechstel an Stunden weg -, keinen Einfluss auf die Ergebnisse hat, die die Schulen abliefern und die jetzt in PISA festgestellt worden sind?

(Zustimmung bei der CDU - Klare [CDU]: Die Schlussfolgerung könnte ja sein: Wir schaffen die Schulen ganz ab, das ist das Beste! Es ist eine Ka- tastrophe, wie man hier die Probleme negiert! Die nimmt die Sorgen gar nicht mehr wahr!)

Frau Ministerin!

Frau Vogelsang, ich wäre ganz unglücklich, wenn ich Ihnen etwas einreden wollte. Ich will Ihnen nichts einreden. Unsere beiden Positionen sind sicherlich auch nicht vereinbar. Ich kann Ihnen nur sagen, wie ich darüber denke. Ich habe aus der Studie keine Erkenntnisse zu diesem Zusammenhang gewonnen. Das habe ich eben gesagt. Wir

werden uns aber bald durch die Evaluation, die wir einführen, einzelne Schulen anschauen. Ergebnisse aus einer 15-jährigen Stichprobe nützen mir doch nichts. Danach kann ich zu einer einzelnen Schule und zu deren Qualität gar nichts sagen. Ich werde aber über die jetzt einzuführenden Standards - ich hoffe, Sie teilen unsere Meinung, dass wir sie einführen wollen, vielleicht kommen wir sogar zu einer gemeinsamen Meinung - ,

(Schirmbeck [CDU]: Dann greifen wir ein!)

und die Vergleiche erstmalig dann auch genauer etwas über die verschiedenen Schulformen und die Schulen für Lernbehinderte erfahren. Sie wissen aber auch, dass diese Ankündigung durchaus auch Ängste auslöst und dass erst noch Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Ich kann Ihnen wirklich keine Auskunft über die Qualität in den einzelnen Schulen geben. Diese Auskunft kann ich Ihnen erst geben, wenn wir evaluiert haben.

Es folgt Frau Mundlos zu ihrer zweiten Frage! Danach Herr Hoppenbrock.

Frau Ministerin, bei Ihrer hier noch einmal deutlich gewordenen, in meinen Augen recht fragwürdigen Sichtweise auch von Quantität an Schule möchte ich gern wissen, ob Sie denn der Meinung sind, eine Lerngruppe von 36 Schülerinnen und Schülern im Lateinunterricht eines Braunschweiger Gymnasiums - das sind übrigens Zahlen, die wir zuletzt nach dem Krieg hatten - stelle eine optimale Lerngruppe dar.

(Frau Seeler [SPD]: Das darf nicht wahr sein!)

Frau Jürgens-Pieper!

Frau Mundlos, auch Ihnen will ich nichts einreden. Diese 36er-Gruppe an dem Gymnasium ist eine freiwillige Entscheidung der Schule, eine solch große Gruppe einzurichten. Die Schule könnte die Stunden auch anders verwenden. Sie hat sich dafür entschieden. Sie werden so etwas übrigens bei der selbständigen Schule noch ganz anders erleben. Ich

bin nämlich der Meinung, dass die selbständigen Schulen künftig, genau wie die Berufsschulen es schon tun, über die Klassenbildung selbst entscheiden sollen. Es kann durchaus sein, dass eine Lerngruppe mit 36 geht. Sie werden die Waldorfschule in Braunschweig kennen. Da ist es Prinzip, dass man über 30 geht. In Niedersachsen ist es sonst nicht Prinzip, über 30 zu gehen, sondern das wird höchstens freiwillig an den Schulen gemacht. Es gibt Vorgaben.

(Zuruf von Frau Mundlos [CDU])

- Sie müssen sich gar nicht so aufregen, da gehört es zum pädagogischen Konzept, große Gruppen zu bilden. Lesen Sie das mal nach. Die Zusammensetzung einer Gruppe ist entscheidend dafür, was eine Lerngruppe verträgt. Deshalb werden wir bei den selbständigen Schulen die Klassenbildung freigeben. Die Berufsschulen gehen bereits gut damit um.

(Klare [CDU]: Da kann man auch Verträge machen!)

Es geht doch letztlich um die Frage, wie man die Prioritäten in seinem Stundenbudget setzt. Das Beispiel dieses Braunschweiger Gymnasiums finde ich unfair. Wir haben es geprüft. Dieses Gymnasium hat sich entschieden, eine solche Gruppe zu bilden. Glauben Sie doch nicht, dass die Kinder, die einen Lateinkurs wählen, ausgerechnet die schwierigsten sind und dass man die in einer solchen Gruppe nicht unterrichten kann.

Es folgt Herr Hoppenbrock! Dann Herr Wulf.

Frau Ministerin, Sie haben eben gesagt, die Situation niedersächsischer Schulen sei nie besser gewesen als in diesem Jahr, im Wahljahr.

(Inselmann [SPD]: Hat sie nicht ge- sagt!)

- Als in diesem Jahr. - Ich frage Sie: Warum haben Sie dann die Stundenanteile der Naturwissenschaften an Haupt- und Realschulen nicht erhöht, wie es nach dem katastrophalen Abschneiden bei PISA-E doch dringend nötig gewesen wäre?

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Jürgens-Pieper!

Wir haben an den Haupt- und Realschulen einen Mangel an Fachlehrern. Wir stellen dort im Augenblick Gymnasiallehrer für den Physikunterricht ein. Aus Ressourcengründen sind wir erst einmal dem Wunsch der Gymnasien nachgekommen, durchgängig Naturwissenschaften zu unterrichten, weil das natürlich Wirkungen in die Oberstufen hat und weil wir hier als erstes - so ist das auch mit dem Wissenschaftsminister verabredet - natürlich auch für den naturwissenschaftlichen Nachwuchs an den Universitäten sorgen wollten. Das ist eine Prioritätensetzung im Rahmen dessen, was mir zur Verfügung steht.

Herr Wulf! Danach Herr Behr zu seiner zweiten Frage.

Frau Ministerin, was sagen Sie eigentlich zu der Tatsache, dass in diesem Landtag lediglich die Landesregierung, die SPD-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen konstruktive Vorschläge machen zu der Frage, welche Konsequenzen aus PISA zu ziehen sind, und sich die größte Oppositionspartei in diesem Landtag, die CDU, dadurch auszeichnet, dass sie herummäkelt und keine einzige Idee und keinen einzigen Vorschlag bringt, welche Konsequenzen aus PISA zu ziehen sind?

(Beifall bei der SPD) - Hoppenbrock [CDU]: Haben wir gerade getan! Busemann [CDU]: Das macht die Ministerin geradezu sprachlos!)

Frau Ministerin, Sie müssen die Frage nicht beantworten, weil Ihnen die Beurteilung des Parlaments nicht zusteht. - Bitte!

Herr Präsident, der Abgeordnete Wulf bringt mich in ein großes Problem. Deshalb will ich nur sagen: Es steht mir nicht zu, das Parlament zu kritisieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Behr! Danach Herr Busemann zu seiner zweiten Frage.

Dass die Schulleiter nun die Verantwortung für die schlechte Unterrichtsversorgung tragen, war schon sehr bemerkenswert, Frau Ministerin.

(Zustimmung bei der CDU - Insel- mann [SPD]: Da haben Sie etwas nicht verstanden!)