Protokoll der Sitzung vom 24.10.2002

(Zuruf von Stratmann [CDU])

Wir haben Anfang Juni eine Anhörung zu diesem Thema durchgeführt. Ich fand sie relativ einseitig besetzt; denn die Kritiker, die es in der Wissenschaft zu diesem Thema gibt, sind nicht zu Wort gekommen. Wir hatten noch nicht einmal das Protokoll bzw. eine Auswertung dieser Anhörung im Ausschuss gemacht, da hat das Justizministerium - allen vorherigen Ankündigungen zum Trotz einen Erlass herausgeschickt, in dem der Einsatz von Apomorphin als Brechmittel wieder freigegeben wurde. Sie wissen, das ist eine Osnabrücker Spezialität. Es wird nirgendwo im Lande gebraucht, weder in Hannover noch in Braunschweig noch in Oldenburg. Es wird auch fast nirgendwo anders im Bundesgebiet gebraucht. Aber in Osnabrück meinen sie das zur Aufklärung von Drogenstraftaten zu benötigen.

Deshalb ist dieser Antrag durch Erfüllung erledigt. Bei Eingaben würde man sagen: weil dem Anliegen der Petenten entsprochen worden ist. Genau so ist das hier nämlich gewesen. Dabei ist noch nicht einmal diese Anhörung sorgfältig ausgewertet worden. Uns sind Erfahrungen aus der Praxis in Hamburg von Herrn Professor Püschel vom Institut für Rechtsmedizin und aus Hessen geschildert worden. Beide wenden Apomorphin nicht an. Herr Püschel, der - ich sage einmal salopp - nicht gerade zart besaitet schien, sagte: Wir verwenden lieber diesen Kaktussaft und legen zwangsweise eine Magensonde, als dass wir Apomorphin durch Injektion verabreichen. Ebenso geschieht es in Hessen.

Bei der Anfrage am 24. Januar erklärte Herr Bartling zu diesem Thema, nach einer Stellungnahme von Professor Dr. Steib vom Zentrum für Pharmakologie der Universitätsklinik in Frankfurt gebe es

bei der Anwendung von Apomorphin in mehr als der Hälfte der Fälle Nebenwirkungen. Zu diesen Nebenwirkungen gehörten nach mehreren medizinischen Stellungnahmen Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem und Beeinträchtigungen des Herz-Kreislauf-Systems bis zur Gefahr eines Kreislaufzusammenbruchs. - Weder die Stellungnahme von Herrn Professor Steib noch die von Herrn Bartling genannten weiteren medizinischen Stellungnahmen zur Bedenklichkeit von Apomorphin waren Gegenstand der Anhörung bzw. der Beratungen. Sie sind erkennbar nicht in die Entscheidung des Justizministers eingeflossen, Apomorphin wieder zuzulassen.

Die Sache ist leider erledigt, weil die SPD-Fraktion auch hier eingeknickt ist. Wir bedauern das, können aber nicht anders entscheiden. Die Art und Weise, wie mit diesem Thema umgegangen worden ist, lässt aus unserer Sicht Schlimmes befürchten; denn hierbei geht es nicht nur um die rationale Frage, wie man Drogendelikte vernünftig bekämpfen bzw. aufklären kann, sondern hier wird auch Stimmung gemacht. Dass in solchen Punkten nachgegeben wird, ohne dass die dahinter stehenden Fragen hinreichend geklärt sind, dass Bedenken quasi über Nacht über Bord geworfen werden, erfüllt uns doch mit großer Sorge.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin Bockmann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum Wesen des menschlichen Bewusstseins gehört es, immer einmal wieder an- und auszuschalten. Die CDU-Fraktion hat ihr Bewusstsein momentan anscheinend vollständig ausgeschaltet, weil sie einen Antrag im Plenum behandelt wissen will, der schon lange erledigt ist. Es ist sozusagen Schnee von gestern. Das ist nicht nur langweilig, sondern auch eine Vergeudung der parlamentarischen Ressourcen, die sie mit Sicherheit nicht in die Gewinnzone zurückbringen wird.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie wissen genauso gut wie ich, dass der Opferschutz für diese Landesregierung, für diesen Justizund für diesen Innenminister absolute Priorität hat. Immer wieder versuchen Sie uns zu unterstellen, wir würden den Täterschutz für wichtiger halten

als den Opferschutz. Dabei wissen Sie doch auch, dass der Opferschutz noch von keiner Regierung konsequenter umgesetzt worden ist als von dieser Landesregierung.

(Zustimmung bei der SPD)

Eines aber können Sie doch auch nicht wollen - da spreche ich insbesondere die CDU-Fraktion an -, nämlich dass bei der zwangsweisen Brechmittelvergabe billigend in Kauf genommen wird, dass der Tatverdächtige zu Tode kommt. Deshalb möchte ich mit meinem Beitrag zur Versachlichung der Debatte beitragen und werde Ihnen ein letztes Mal die Fakten nennen, die zu diesem Resultat geführt haben.

Fakt 1 ist, dass es im Dezember 2001 in Hamburg aufgrund der zwangsweisen Vergabe von Ipecacuanha per Magensonde einen Toten gegeben hat. Vor diesem Hintergrund halte ich es für geradezu selbstverständlich, dass die Brechmittelvergabe in Niedersachsen darauf hin überprüft worden ist, ob sie medizinisch verantwortbar ist.

Fakt ist ferner, dass die Auffassungen hinsichtlich der Harmlosigkeit bzw. Gefährlichkeit von Brechmitteln sowohl bei Pharmakologen als auch bei Medizinern weit auseinander gingen. Aus diesem Grund hat die niedersächsische SPD-Landtagsfraktion eine Anhörung von führenden Spezialisten vorgeschlagen, um Licht in das Dunkel der wissenschaftlichen Meinung zu bringen.

Resultat der Anhörung ist: Das Verabreichen von Brechmitteln kann nur die Ultima Ratio, also das letzte Mittel sein, und dies auch nur, wenn sichergestellt ist, dass durch begleitende Medikamente eine erhebliche Gesundheitsgefährdung abgewendet werden kann. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU-Fraktion, haben einen hemmungslosen Brechmittelverbrauch vorgeschlagen; denn Sie haben eben noch medizinisch notwendige Begleitmaßnahmen in Frage gestellt, etwa dass ein Notarzt dabei bleibt, obwohl Sie genau wissen, dass das Apomorphin zu Kreislaufzusammenbrüchen mit schwerwiegenden Folgen führen kann. Daher muss die Brechmittelverabreichung medizinisch begleitet werden. Es geht nicht, dass das gespritzt wird und sich der Arzt sofort verabschiedet. Dazu gehört schon ein bisschen mehr, Herr Kollege Stratmann. Deshalb haben wir dieser hemmungslosen Brechmittelverabreichung eine deutliche Absage erteilt.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Die in der Anhörung gewonnenen Erkenntnisse haben Justiz- und Innenministerium umgehend in einen entsprechenden Erlass umgesetzt, sodass weitere Ausführungen überflüssig sind.

Da die Brechmittelvergabe längst wieder zulässig ist, kann eine Antragsberatung im Plenum nur vertikal rückwärts auf niedrigstem Niveau erfolgen.

(Zustimmung bei der SPD)

Wenn es erledigt ist, ist es nun einmal erledigt, und es besteht kein weiterer Diskussionsbedarf.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister Pfeiffer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Stratmann, Sie haben den Eindruck zu erwecken versucht, wir hätten ohne Grund unsere Position gewechselt.

(Dr. Stratmann [CDU]: Ich habe doch gar nichts gesagt!)

- Ich spreche mit Herrn Abgeordneten Stratmann.

(Zuruf von der CDU: Sie sprechen zum Plenum!)

- Ich spreche zum Plenum und wende mich an ihn, um deutlich zu machen: Dem ist der Wechsel der medizinischen Auffassungen vorausgegangen. Ich will es noch einmal stärker verdeutlichen, als wir es gerade gehört haben.

Als sich Professor Steib 1995 gegen Apomorphin ausgesprochen hat, hat er dies in Unkenntnis des medizinischen Fortschritts getan - er konnte ihn damals auch noch nicht kennen -, der sich danach entwickelt hat. Dann ist es zur Verabreichung von Ergänzungsmedikamenten gekommen, die gezeigt haben, dass die Risiken kleiner sind als ursprünglich gedacht. Deshalb hat er, obwohl bei ihm wegen der Abgabe einer Stellungnahme bei dem Hearing angefragt worden ist, darauf verzichtet, sich erneut zu Wort zu melden. Deswegen hat sein Kollege Bratzke dann klar gemacht, er sei nicht mehr der früher von ihm vertretenen Auffassung, man dürfe Apomorphin wegen der Gesundheitsrisiken nicht verabreichen. Er hat deutlich gemacht,

dass man die Risiken durch die Vergabe von weiteren Medikamenten in den Griff bekommen kann und dass es deswegen verantwortbar ist. In Übereinstimmung mit den anderen haben wir durch die Anhörung eine neue Situation gehabt. Deswegen konnten wir es verantworten, unsere Position zu verändern.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schröder?

Einen Augenblick; ich möchte erst zu Ende sprechen.

Solange aber - so hat mein Kollege Bartling am 24. Januar 2002 gesagt - medizinische Fragen, bei denen es um die Beurteilung von Lebensgefahren geht, nicht überzeugend gelöst sind, kann die Möglichkeit einer solchen Lebensgefahr nicht von der Hand gewiesen werden. Deswegen hat die Landesregierung damals konsequent die Auffassung vertreten müssen: Wenn sich die Gutachter nicht einig sind, dann können wir es nicht riskieren. - Nachdem die Anhörung dann aber erbracht hat, dass hier medizinischer Fortschritt festzustellen ist, dass die Risiken durchaus beherrschbar sind, wenn der Arzt anschließend noch bei dem Patienten bleibt, dem er Apomorphin gegeben hat, hatten wir gute Gründe, meine ich, unsere Position zu ändern.

Der Abgeordnete Schröder hat den Eindruck zu erwecken versucht, es sei nur die Staatsanwaltschaft in Osnabrück, die hier einen merkwürdigen Kurs fährt. Das hat regionale Gründe. Schauen Sie sich die Verteilung von Drogendealen in Niedersachsen an. Wegen der holländischen Grenze, die im Gebiet des Landgerichtsbezirks Osnabrück liegt, befindet sich in Osnabrück ein Schwerpunkt. Dort haben Sie es häufiger als anderswo mit solchen Dealern zu tun. Von daher ist es sachlich nachvollziehbar, dass gerade von dort der Wunsch gekommen ist, mit Apomorphin zu arbeiten. Ich finde, wir haben darauf vernünftig reagiert.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Die haben Sie über Jahre im Stich gelassen!)

Ich fasse zusammen: Es gab einen Todesfall und ungeklärte medizinische Fragen. Die Landesregierung hat bis zur Klärung dieser Fragen den Brechmitteleinsatz ausgesetzt. Die medizinischen Fragen

sind befriedigend geklärt. Der Brechmitteleinsatz ist unter Berücksichtigung dieser neuen Erkenntnisse zugelassen worden. Einen Dissens darüber hat es zwischen dem Innenminister und mir nicht gegeben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren, nach § 71 Abs. 2 der Geschäftsordnung erhält der Kollege Stratmann eine zusätzliche Redezeit von bis zu zwei Minuten.

Liebe Frau Kollegin Bockmann, Sie haben hier eine Rede gehalten, als ob es erneut darum geht, Argumente gegen die zwangsweise Verabreichung zu finden. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Ich finde, wir sollten mit Anschuldigungen wie wir seien für die hemmungslose Verwendung, und wir würden billigend in Kauf nehmen, dass Menschen zu Tode kommen, außerordentlich vorsichtig sein.

(Beifall bei der CDU)

Jeder im Plenarsaal wird bestätigen, dass ich meine Rede bewusst etwas anders formuliert habe.

Ich möchte noch eine Bemerkung machen. Ob der schwierigsten und schlimmsten Verhältnisse, die wir aus Osnabrück mitgeteilt bekommen haben, und zwar von Polizisten, die dort tagtäglich mit diesem Problem zu kämpfen haben, haben wir uns dazu entschlossen, einen solchen Entschließungsantrag einzubringen. Die Praktiker vor Ort haben uns gesagt, dass dies ein geeignetes Mittel sei, um Schlimmstes zu verhindern und gegen Drogenmissbrauch vorzugehen. Seien wir doch einmal ehrlich, Herr Minister und liebe Kollegin Bockmann. Die Anhörung, auf die Sie sich ständig stützen, hätte niemals stattgefunden, wenn wir mit unserem Antrag nicht dafür gesorgt hätten.

(Beifall bei der CDU)

Ohne unseren Antraag gäbe es bis heute noch nicht die rechtliche Möglichkeit der zwangsweisen Verabreichung. Das muss man einmal deutlich sagen. Wenn Sie ein bisschen Format haben, dann geben Sie zu, dass letztlich wir die Ursache dafür gesetzt haben, dass die Polizisten vor Ort in der Lage sind, dagegen wirksam vorzugehen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Wulff (Osna- brück) [CDU]: Das wissen die Polizisten vor Ort auch!)

Frau Kollegin Bockmann, Sie haben noch einmal das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der Auffassung, dass es sich um eine hemmungslose Brechmittelvergabe handelt, wenn dies an keine Bedingungen geknüpft wird. Es ist für mich ein ganz entscheidendes Ergebnis der Anhörung gewesen, dass man mit dem Thema differenzierter umgehen muss.

(Frau Körtner [CDU]: Das sagen wir doch!)

Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass das Mittel Apomorphin derzeit in keinem anderen Bundesland gespritzt wird, sodass wir uns auf Neuland befinden. Wenn man so etwas einführt, muss man dies einer sorgfältigen Prüfung unterziehen. Sie haben hier den Eindruck erweckt, als ob es einen Masseneinsatz gegeben hat. In Osnabrück hat es acht Fälle gegeben, wovon vier erfolgreich waren. Das Mittel ist nur in Osnabrück und in keiner weiteren Stadt in Niedersachsen eingesetzt worden. - Danke schön.