Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Pothmer, wir sind wohl in der Frage, was man einführen muss, nicht weit auseinander, weil dies einfach geboten ist.
Dies gilt vielleicht eher für die Fragen, wie man vorgeht und was wir von dem lernen können, was in Dänemark - das ist auch unser Eindruck gewe
Bevor ich auf einiges eingehe, worauf Sie hingewiesen haben - ich meine, dass das Modernisierungskonzept schon in diese Richtung weist -, möchte ich Ihnen zur Verdeutlichung noch einmal sagen, welche Rahmenbedingungen in Niedersachsen eigentlich vorgegeben sind, wie wir innerhalb dieser Rahmenbedingungen handeln müssen und welche Auswirkungen das im Einzelnen hat.
Wir haben, was den Bund angeht, das Berufsbildungsgesetz zu beachten. Es gibt die Ausbildungsordnungen, die von den Tarifvertragsparteien beschlossen werden. Schließlich bestehen auf der Länderebene Schulgesetze. Außerdem gibt es KMK-Vereinbarungen, die nicht immer gleich bleiben müssen.
Schließlich haben wir eine Ausgestaltung auf der örtlichen Ebene. Hinzuweisen ist ferner auf das Kultusministerium, die Bezirksregierungen und alles das, was sich an gesetzlichem Überbau im Sinne von Verordnungen, Erlassen und Gesetzen darstellt. All das soll - neben Prüfungsanforderungen, die im Übrigen viel stärker externen Charakter haben, was z. B. die Evaluation angeht -, sozusagen in Bildung umgesetzt, vor Ort in den Berufsschulen praktiziert werden. Diese gesetzgeberische Masse darum herum gilt es aus meiner Sicht zu durchbrechen. Ich meine, dass wir mit dem Modernisierungskonzept der Landesregierung in der Tat einen deutlichen Anfang gesetzt haben, gebe Ihnen aber auch Recht: Das wird nicht ausreichen. Regionale Kompetenzzentren - an diesem Begriff will ich das gerne einmal festmachen - lassen sich nur dann entwickeln, wenn die Schulen mehr Freiräume bekommen, als sie zum jetzigen Zeitpunkt haben. Die Frage ist allerdings: Inwieweit werden an dieser Stelle schon wieder Gesetze tangiert, und inwiefern sind hierfür Ausnahmeoder Modelltatbestände zu schaffen?
Wir sollten in diesem Jahr beide Dinge zur Beratung stellen, d. h. zum einen das, was Sie nach dänischem Vorbild vorgeschlagen haben, zum anderen und im Wesentlichen aber auch das, was die Landesregierung vorträgt. Ich glaube, dass es Sinn machen kann, zur Erprobung beider Denkansätze Modellregionen zu schaffen. Ich möchte
Ihnen allerdings auch sagen, dass das dänische Vorbild allein per se nicht ausreichen wird, um unsere Probleme zu lösen, zumal die Dänen das abgeguckt haben, was die Deutschen vorher gemacht haben.
Unsere Probleme sind: Wir haben viel zu viele Vollzeitklassen in unseren Berufsschulen. Darunter leidet das, was die klassische duale Ausbildung leistet. Außerdem haben wir innerhalb der Schulen immer mehr Spezialberufe in Kleinstgruppen, die in hohem Maße beamtete Lehrer binden, die aus dänischer Sicht übrigens überhaupt nicht rentabel sind. Ich nehme an, dass die Dänen erst einmal einige Lehrer entlassen würden und ein paar wesentliche Ausbildungsgänge, die hier auf Bundesebene festgelegt worden sind, streichen würden. Bei uns hätte das die Folge, dass alles Mögliche zusammenbrechen würde. Mit anderen Worten: Das Vorbild Dänemark hilft uns nicht bei der Lösung unserer eigenen Probleme.
Auf der anderen Seite wissen Sie, dass auf Bundesebene sehr stark darüber nachgedacht wird, wie man zukünftig was vermitteln soll. Soll der Stoff nach einem so genannten Satellitenmodell vermittelt werden, soll es didaktische Bausteine geben, auf denen die Grundlagen der beruflichen Bildung aufbauen sollen? - Alles das ist nach wie vor in der Diskussion und durchaus nicht stimmig und nicht abschließend geklärt.
Ich begrüße Ihren Antrag. Er bedeutet meines Erachtens, dass wir in der Veränderung der Strukturen im Bundesland Niedersachsen künftig zielgerichteter und entschlossener vorgehen werden. Ich gehe außerdem davon aus, dass das eine Bereicherung für die Schulen sein wird. - Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN - Klare [CDU] - zu Voigtländer [SPD] -: Du hast zwar nicht viel gesagt, hast aber Ap- plaus von allen Fraktionen bekom- men!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Albert Einstein stammt der Satz, dass wir die Probleme, die existieren, nicht mit den Denk
strukturen beseitigen können, die sie geschaffen haben. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns, wenn wir die berufsbildenden Schulen tatsächlich reformieren wollen, die Frage stellen, mit welchen Denkstrukturen wir ansetzen wollen. Ich glaube, dass wir in der Vergangenheit vielfach versucht haben, mit den Spielregeln von gestern die Welt von morgen zu gestalten. Das war, wie ich rückwirkend auch selbstkritisch meine, zum Teil nicht richtig.
Lassen Sie mich versuchen, diese Ansicht an drei Beispielen deutlich zu machen. Nehmen Sie als erstes Beispiel die Organisation des Berufsschulunterrichts, die schon angesprochen worden ist. Wir haben uns in der Vergangenheit über die Parteigrenzen hinweg damit auseinander gesetzt, ob wir einen Berufsschultag oder zwei Berufsschultage wollen. Ich frage mich, ob das überhaupt die entscheidende Frage ist und ob wir uns nicht vielmehr darüber Gedanken machen müssen, wie wir die Berufsschule flexibel mit passgenauen Programmen für die Zukunft gestalten.
Lassen Sie mich das zweite Beispiel anführen. Herr Kollege Voigtländer, Sie haben eben kurz die Ausstattung der Berufsschulen angesprochen. Vorhin hat Herr Finanzminister Aller in der finanzpolitischen Diskussion darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns zurzeit bei allen Schulen, auch bei den Berufsschulen, mit dem Thema Multimedia, PC, Technik, Internet usw. auseinander setzen. Ist das die entscheidende Frage? Müssen wir jetzt nicht endlich einmal kapieren, dass wir unsere Berufsschulen in Niedersachsen und darüber hinaus dahin gehend ausstatten müssen, dass sie tatsächlich gleichberechtigte Partner im dualen System der Betriebe sind?
Ich finde das Beispiel in Melle sehr gut. Wir haben uns in Melle umgesehen und festgestellt, dass sich dort die Akteure vor Ort, die ausbildende Wirtschaft, sehr gut in die Fachschule mit einbinden und fast für den gesamten Maschinenpark Sorge tragen. Aber das ist hier in Niedersachsen nicht allen Berufsschulen möglich. Deshalb meine ich, dass insoweit die Landesregierung, dass auch Sie, Frau Ministerin, gefordert sind.
Das dritte Beispiel ist die Unterrichtsversorgung an unseren Berufsschulen. Dieses Thema ist hier, wenn ich richtig aufgepasst habe, noch überhaupt nicht angesprochen worden, gehört meines Erach
tens aber auch mit dazu. Frau Ministerin, vor gut sechs Wochen hat das turnusmäßige Treffen der Länderkultusminister in Bonn stattgefunden. Auf diesem Treffen hat die schleswig-holsteinische Kultusministerin sehr deutlich darauf hingewiesen, dass den Berufsschulen aller Länder in den nächsten Jahren ein dramatischer Lehrermangel bevorsteht. Wo, meine Damen und Herren, haben wir in Niedersachsen in irgendeiner Form darauf eine Antwort bekommen bzw. wo sind Gegenmaßnahmen auf den Weg gebracht worden? - Es ist schon erschreckend - auch das gehört zu einer Bestandsaufnahme -, dass wir feststellen müssen, dass das Institut der Deutschen Wirtschaft aus Köln uns bescheinigt, dass Niedersachsen im Vergleich zu allen anderen Ländern beim wöchentlich erteilten Unterricht je Berufsschulklasse im dualen System wieder einmal wie in vielen anderen Bereichen auch leider das Schlusslicht ist. Was macht denn unsere Kultusministerin? - Bei einer Unterrichtsversorgung im berufsbildenden Bereich von glatten 87 %, die zumindest auf dem Papier stehen - in der Praxis liegt die Quote zumeist noch darunter -, reagiert sie, reagiert Ihre Kultusministerin, Herr Voigtländer, der Sie das Modernisierungskonzept angesprochen haben, letztlich mit Stundenkürzungen und großen Klassen. Ob eine derartige Bilanzkosmetik, ein solches „Modernisierungskonzept“, die Antwort sein kann, in dem Sie Modernisieren mit Sparen gleichsetzen, bezweifle ich. Wir halten das nicht für die passende Antwort.
Ich glaube auch, dass durch Ihre kurzsichtigen Kürzungsvorgaben, die in dem Modernisierungskonzept deutlich werden, sinnvolle Berufsschulangebote insbesondere in der ländlichen Region gefährdet werden. Insoweit kommt es wiederum zu einer Chancenungleichheit. Auch das lassen wir nicht zu.
Meine Damen und Herren, die Berufsschulen in Niedersachsen sind das Stiefkind niedersächsischer Bildungspolitik. Die Hitliste der Defizite ließe sich hier beliebig fortführen. Sie reicht von mangelnder Unterrichtsversorgung, mangelnder Eigenverantwortung bis hin zum fehlenden Qualitätsmanagement usw.
Ich halte es für beschämend, dass sich der Jahresbericht der Kultusministerkonferenz, der insgesamt 126 Seiten umfasst, lediglich auf fünf Seiten - das
sind noch nicht einmal 4 % - mit der beruflichen Bildung auseinander setzt. Deshalb meine ich, dass der Denkansatz, sich mit dem dänischen Modell auseinander zu setzen, ausgesprochen positiv zu bewerten ist. Wir begrüßen diesen Denkansatz.
Ich meine, dass wir in Niedersachsen den Mut haben müssen, tatsächlich zu neuen Strukturen und Denkstrukturen zu kommen. Auch wir müssen uns letztlich wie das dänische Bildungsministerium auf die Steuerung durch Ziele und Rahmenvorgaben beschränken und dürfen nicht alles der Kontrollfunktion des Staates überlassen. Es gibt ja eine enge Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie eine weitreichende Eigenverantwortung der einzelnen Berufsschulen. Frau Pothmer, Sie haben das angesprochen.
Ich meine, dass wir auch kapieren müssen, dass der Globalisierungsprozess, von dem wir hier im Hause immer so viel hören, eindeutig eine Regionalisierung erfordert. Die Kooperation in anderen Ländern ist eben auch deshalb besser, Frau Ministerin, weil sie in den Regionen stattfindet. Deshalb ist es dringend notwendig, die regionalen Bedürfnisse aufzugreifen. Insoweit muss das Zusammenspiel der Akteure verbessert werden.
Frau Pothmer, Sie hatten die Zusammenarbeit zwischen den berufsbildenden Schulen und der Wirtschaft angesprochen. Ich gehe noch darüber hinaus. Wir müssen uns auch die Frage stellen, warum bei uns keine Zusammenarbeit zwischen den allgemein bildenden Schulen stattfindet. Dort sind nämlich die Schülerinnen und Schüler, die anschließend zur Berufsschule kommen. Warum besteht eine solche Zusammenarbeit noch nicht oder dann, wenn sie besteht, nur minimal, regional, dort, wo wir noch Lehrkräfte haben, die trotz der unheimlichen Überlastungen, mit denen sie sich auseinander zu setzen haben, einigermaßen motiviert sind.
Wo gibt es im Moment Betriebsleiter, die in die Schulen gehen? Auch diese Frage muss man einmal beantworten. Oder wo gibt es Lehrkräfte, die die Zeit haben, tatsächlich einmal in die Betriebe zu gehen, außer wenn sie ihre Schülerinnen und Schüler bei deren Praktika aufsuchen?
- Herr Fasold, das ist kein Gebrabbel. Sie sollten einmal in die Berufsschulen gehen und zur Kenntnis nehmen, dass angesichts einer 87-prozentigen
Unterrichtsversorgung die Landesregierung gefordert ist, wenn wir es ernst damit meinen, auch in diesem Bereich die Stellschrauben richtig zu setzen.
Über einen Punkt, Frau Pothmer, müssen wir nachdenken. Sie wollen einen Modellversuch mit vier Schulen durchführen. Ich halte das für ein wenig gefährlich, weil damit alle anderen Berufsschulen wieder einmal auf der Warteliste stehen und nicht berücksichtigt werden. Es darf nicht sein, dass wir diesen Antrag der Landesregierung als eine Art Gewissensberuhigung an die Hand geben. Auch die anderen berufsbildenden Schulen haben einen Anspruch darauf, von staatlichen Vorgaben entlastet zu werden, ein Qualitätsmanagement aufbauen zu können und über Regionalisierungen ihre tatsächlichen Bedürfnisse verwirklichen zu können.
Also: Wir stimmen dem Antrag vom Grundsatz her zu, sehen aber noch weiteren Beratungsbedarf im Ausschuss. Ich gehe davon aus, dass sich das im Interesse der Berufsschulen dann aber positiv entwickeln wird.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als Erstes dem Kultusausschuss empfehlen, einmal einige berufsbildenden Schulen zu besuchen und sich anzusehen, wie diese ständig mit Betrieben zusammenarbeiten, wobei ich meine Fraktion eigentlich davon ausnehmen müsste, weil ich weiß, dass diese das ab und zu tut. Aber vielleicht können Sie es ja einmal gemeinsam machen.
Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass Sie die Ausstattung der berufsbildenden Schulen kennen. Insbesondere die Multimediaausstattung ist schon in den letzten Jahren eingerichtet worden. Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht wissen, was Lernort-Kooperation ist, dass Sie nicht wissen, was Ausbildungsverbünde sind, und dass Sie beide offensichtlich auch nicht wissen - da wird es jetzt gefährlich -, wie das duale System aufgebaut ist.
Wir sollten das duale System an dieser Stelle weder schlechtreden noch infrage stellen. Sie haben das gerade beide getan, ohne dass Sie es vielleicht gemerkt haben.
Auf Bundesebene gibt es einen Konsens darüber - der übrigens unter Beteiligung aller Sozialpartner beschlossen wurde -, dass die Ausbildungsordnungen von den Sozialpartnern entworfen und erstellt werden. Es ist auch richtig, dass die Berufsbilder von der Wirtschaft erstellt werden, weil sie nämlich ganz dicht am Markt sein müssen.