Protokoll der Sitzung vom 27.01.2000

Unterbrechung: 13.35 Uhr.

Wiederbeginn: 15.01 Uhr.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die für die Mittagspause unterbrochene Sitzung wieder.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 19: Vereidigung des Mitglieds des Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Manfred-Carl Schinkel

In der 39. Sitzung am 16. Dezember 1999 wurde Herr Professor Dr. Manfred-Carl Schinkel erneut zum Mitglied und zum Präsidenten des Staatsgerichtshofs gewählt. Herr Professor Dr. Schinkel hat soeben vom Herrn Ministerpräsidenten seine Ernennungsurkunde erhalten. - Herr Professor Schinkel, ich bitte Sie, dass Sie den Plenarsaal betreten und zu uns zum Präsidium kommen.

(Professor Dr. Schinkel betritt den Plenarsaal - Die Abgeordneten erhe- ben sich von ihren Plätzen)

Herr Professor Dr. Schinkel, der Eid, den Sie vor dem Landtag ablegen, entspricht der besonderen Stellung des Staatsgerichtshofs als Verfassungsgericht. Ich bitte Sie, den in § 4 Abs. 3 des Staatsgerichtshofgesetzes vorgeschriebenen Eid im vollen Wortlaut zu leisten. Der Eid lautet:

„Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Landes Niedersachsen und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen.“

Der Eid kann mit der Beteuerung „So wahr mir Gott helfe“ oder ohne sie geleistet werden. Ich bitte Sie, ihn zu sprechen.

Professor Dr. Manfred-Carl Schinkel:

Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, getreu der Verfassung des Landes Niedersachsen und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen. So wahr mir Gott helfe.

Ich danke Ihnen. Zu Ihrer Wahl in dieses hohe Richteramt des Landes Niedersachsen gratuliere ich Ihnen und spreche Ihnen die Glückwünsche des Landtages aus. Mögen Sie durch Ihre Mitwirkung an notwendigen Entscheidungen des Staatsgerichtshofes der Wahrung des Rechts zum Nutzen unseres Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger dienen.

(Starker Beifall im ganzen Hause - Professor Dr. Schinkel nimmt die Glückwünsche des Ministerpräsiden- ten und einiger Abgeordneter entge- gen)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kommen damit zu Punkt 18, den wir aus der Zeit vor der Mittagspause hierher verlegt haben.

Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Staatsmodernisierung im Parlament“ gemäß § 18 a GOLT - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/1302

Für diesen Tagesordnungspunkt haben wir die folgenden Redezeiten vereinbart: SPD zehn Minuten, CDU zehn Minuten, Grüne und Landesregierung jeweils fünf Minuten.

Wer möchte einbringen?

(Hagenah [GRÜNE] meldet sich zu Wort)

- Bitte sehr, Herr Hagenah!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Enquete-Kommission zur Staatsmodernisierung im Parlament muss bei der Umstellung auf Budgetierung die Parlamentsrechte wahren. Es geht um unsere Kompetenzen und Rechte. Wir alle wünschen uns doch, dass die bis zum Jahre 2003 vorgesehene komplette Umstellung der Haushaltsplanung des Landes auf Kosten- und Leistungsrechnung und Budgetierung ein großer Schritt zu mehr Effizienz und Transparenz unserer Landesverwaltung wird.

Angesichts der Erfahrungen aus den ersten Pilotprojekten müssen wir aber auch die Gefahr erkennen, dass es genauso gut gegenteilige Auswirkungen geben kann und zukünftig die pauschalen Budgetbeschlüsse in ihrer Konsequenz für das Parlament unkontrollierbar bleiben. Der als Modellversuch betriebene budgetierte Haushalt der Häfen- und Schifffahrtsverwaltung zum Beispiel verausgabt am Parlament vorbei erhebliche Millionenbeträge, weil bei der Budgetfestsetzung die Einnahmen schlicht unterschätzt worden waren. Damit wird das Haushaltsrecht unterhöhlt.

(Möhrmann [SPD]: Woher wissen Sie das?)

- Im Nachhinein ist es dem Parlament zur Kenntnis gegeben worden und ist um entsprechende Verausgabung gebeten worden. Das ist aber nicht das, was mit dem Haushaltsrecht gemeint ist, nämlich dass die Budgets im Voraus festgelegt werden und die Ausgaben im Voraus akzentuiert werden.

(Adam [SPD]: Sprechen Sie auch für Ihre Hafenpolitiker?)

Hier sind Mittel im zweistelligen Millionenbereich im laufenden Haushaltsjahr zusätzlich verausgabt worden.

(Adam [SPD]: Das Geld ist sinnvoll verwendet worden!)

- Es geht nicht darum, ob das Geld sinnvoll verausgabt wurde oder nicht.

(Beckmann [SPD]: Das ist sinnvoll!)

- Das kann ja gut sein. Aber es ist das Recht des Parlamentes, hierüber vorher zu entscheiden.

(Lachen bei und anhaltende Zurufe von der SPD - Frau Harms [GRÜNE]: Enno, hör da nicht so genau hin!)

- Ich versuche ja nur, es den Herren zu erklären. Es könnte ja auch einmal sein, dass sie nicht in der Regierung sind. Dann würden sie das Problem wahrscheinlich sehen.

(Adam [SPD]: Das dauert aber noch lange!)

Das niedersächsische Parlament hat im Zuge des Kompetenzzuwachses der Bundes- und Europaebenen in den vergangenen Jahrzehnten bereits eine inhaltliche Auszehrung erfahren. Diese Entwicklung darf sich angesichts der bevorstehenden Umstellung der Haushalts- und Steuerungsinstrumente hin zur betriebswirtschaftlichen Haushaltsführung und Budgetierung nicht fortsetzen. Sonst ist es bald unvermeidlich, den Landtag durch ein ehrenamtliches Freizeitparlament zu ersetzen. Das gilt auch für die Regierungsparlamentarier.

(Vizepräsidentin Goede übernimmt den Vorsitz)

Ein allein von der Landesregierung und der Mehrheitsfraktion entwickeltes neues Haushaltsrecht und daran angepasste Beratungsformen können sich nicht von dem grundsätzlichen Verdacht der Parteilichkeit freisprechen, meine Damen und Herren. Hieran muss das gesamte Parlament beteiligt sein. Die Demokratie braucht ein starkes Parlament, in dem zwischen Regierungsfraktion und Opposition substantiell um die Schwerpunkte der Politik im Großen, aber auch - heruntergebrochen auf die konkrete Ebene - um einzelne Aufgaben, Projekte und Einrichtungen gestritten wird. Erst auf dieser Grundlage sind mehrheitlich qualifiziert und demokratisch legitimiert Entscheidungen zu treffen.

(Zustimmung von Frau Pruin [CDU])

Anforderung aus dem Bereich der Verwaltungsreform ist natürlich eine verstärkte Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter, aber auch der jeweiligen Aufgabenbereiche. Immer mehr Landesbetriebe wurden daher zur Wahrnehmung staatlicher und halbstaatlicher Aufgaben gebildet. Diese im Einzelfall für die Aufgabe durchaus sinnvolle Entwicklung führt derzeit aber noch zu oft in die Unübersichtlichkeit und Unkontrollierbarkeit für die Politik.

Zumindest für den Haushaltsausschuss sollte bei groben Abweichungen von den gesetzten Budgets ein begrenztes Sanktionsrecht auch im laufenden Haushaltsjahr möglich werden. Das Budgetprinzip darf auf Dauer nicht zu einem immer mehr verengten Blick auf die dann noch verbleibenden wenigen allgemeinen Staatsaufgaben bei den Haushaltsberatungen führen, sondern es muss - auch im Sinne einer lebendigen Verwaltungsreform - der gesamte Bereich des staatlichen Handelns im Blickfeld und Kontrollbereich des Parlamentes verbleiben. Sinnvoll können hier auch neue Kooperationen z. B. zwischen Parlament und Landesrechnungshof sein, um unter veränderten Rahmenbedingungen die Transparenz zu wahren und der jeweiligen Aufgabe besser gerecht zu werden.

Der Landesrechnungshof könnte sich neben seiner bisherigen Aufgabe als unabhängiger Prüfer so auch z. B. als Dienstleister für wirtschaftliches Handeln dem Parlament anbieten und zur Verfügung stellen.

Bei dem Aufgabenzuschnitt für die EnqueteKommission geht es nicht nur um eine auf die neuen Rahmenbedingungen abgestimmte Neufassung der Kompetenzen des Parlamentes, sondern Ziel muss es sein, so viel Eigenständigkeit und Entscheidungsspielraum für wirtschaftliches Handeln wie möglich und so viel Transparenz und politische Kontrolle wie nötig zu erreichen. Hier fehlt es bisher an der Diskussion darüber. Hier fehlt es an Beispielen von außerhalb. In dieser Wahlperiode gehen wir wie die Lämmer zum Opferaltar, und am Ende wird die Budgetierung kommen. Die nächste Generation der Abgeordneten - viele von Ihnen werden ja wahrscheinlich diese Generation bilden - wird unter völlig neuen Verhältnissen Haushaltsberatungen führen und Abstimmungen treffen müssen. Wir sollten jetzt in dieser Wahlperiode auch in Verantwortung für die nächste Generation von Abgeordneten die entsprechenden Verfahren entwickeln.

Auf der Grundlage der Erfahrungen anderer Parlamente und des aktuellen Wissenstands aus Forschung und Wissenschaft müssen für die Parlamentarier und die Fraktionen sinnvolle technische Ausstattungen und für das Parlament effiziente Instrumente geschaffen werden, um diesen widerstreitenden Ansprüchen gerecht zu werden. Die grüne Landtagsfraktion greift mit diesem Thema ein derzeit offensichtlich in weiten Teilen des Parlaments noch nicht so ernst genommenes The

ma auf, das aber direkt vor der Tür und vor der Umsetzung steht und letztendlich das gesamte Parlament mit einbezieht. Spätestens bis zur vollständigen Einführung der Budgetierung am Ende der laufenden Legislaturperiode müssen hier einvernehmliche Lösungen für eine neue Beratungskultur erzielt und neue Beratungsverfahren umgesetzt werden. Es besteht somit ein hoher Entscheidungsdruck im gemeinsamen Interesse aller hier. Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Herr Kollege Althusmann!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wird Sie nicht überraschen, dass wir der Forderung nach Einsetzung einer EnqueteKommission „Staatsmodernisierung im Parlament“ nicht nur zustimmen, sondern es ausdrücklich begrüßen, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unsere altbekannte Forderung aus dem Jahr 1994 nun erneut aufgegriffen hat. Damals war dies - übrigens gleich zu Beginn einer neuen Legislaturperiode - eine gemeinsame Forderung von CDU und Grünen, die heute, nach nunmehr sechs Jahren - sicherlich aktualisiert und spezialisiert - erneut erhoben wird, ganz offenbar oder hoffentlich nicht mit dem Anspruch, dass das, was Sie hier jetzt einfordern, für Niedersachsen etwas ganz Neues ist. Abgesehen davon, dass bereits vor 35 Jahren die Weber-Kommission Handlungsdefizite und Handlungsfelder - Beispiele: Kooperationen zwischen den Ressorts und den Zentralbehörden verbessern oder die Überwindung von starren Ressortprinzipien - festgestellt hat, so bleibt all dies mit Blick auf die Negativbilanz der Landesregierung in Sachen Verwaltungsreform natürlich eine Forderung zur Einsetzung einer solchen Enquete-Kommission. Diese Forderung bleibt also höchst aktuell.

Besetzt mit externem Sachverstand komplexe Sachverhalte für Entscheidungen des Landtages vorzubereiten, wird die Aufgabe dieser EnqueteKommission sein. Ich glaube, gerade vor dem Hintergrund der Einführung neuer betriebswirtschaftlicher Steuerungsinstrumente wie KostenLeistungs-Rechnung, Personalkostenbudgetierung, Controlling und damit ganz entscheidender Veränderungen für die parlamentarische Steuerung und

Kontrolle des Haushaltsrechts - Herr Hagenah hat dies völlig zu Recht gesagt - erscheint es durchaus vernünftig, sich einer solchen Beratungskommission zu bedienen, zumal kontrovers über die Frage diskutiert wird, wo, wie und in welcher Tiefe solche Prinzipien auf Verwaltung überhaupt übertragen werden können. Wir reden in Niedersachsen über die Einführung einer Vollkostenrechnung - übrigens nicht bis 2003, sondern bis 2005 -, während andere Verwaltungen schon darüber nachdenken, ob sie auf kommunaler Ebene sogar schon so weit gehen können, von einer Prozesskostenrechnung zu sprechen.

Dennoch will ich nicht verschweigen, dass wir eine alleinige Fokussierung - besser: Einschränkung dieser Kommission auf Fragen der Einführung neuer Steuerungsinstrumente flächendeckend bis 2005 für im Auftrag zu eng ansehen. Vielmehr sollte die Kommission insgesamt den Prozess der Staatsmodernisierung begleiten, kontinuierlich und ständig Ergebnisse von Reformmaßnahmen bewerten, dem Parlament berichten, der Landesregierung berichten und auch notwendige Unterstützung anbieten.

Im Jahr 1994 haben Sie dies alles noch als überflüssig oder hinderlich beim Reform- und Tatendrang Ihrer Landesregierung vom Tisch gewischt. Der damalige Innenminister Glogowski lehnte eine Enquete-Kommission am 13. Juli 1994 mit der Begründung ab, sie bewirke nichts, es werde viel Papier beschrieben, aber nicht gehandelt. Die damalige Landesregierung aber wolle handeln, und zwar ohne Zeitverzögerung oder ohne Behinderung durch die Grundlagenarbeit einer solchen Kommission. Diesen recht kühnen Behauptungen ist dann auch der heutige Innenminister Bartling ebenfalls am 13. Juli - für die SPD-Fraktion zur Seite gesprungen. Ich darf ihn einmal zitieren: