Protokoll der Sitzung vom 28.01.2000

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sie sind von Ihrer Fraktionsspitze ge- schurigelt worden! Sie durften mal wieder nicht selbstständig denken! Die Mitglieder des Wirtschaftsaus- schusses aus Ihrer Fraktion sind ge- schurigelt worden! Sie durften nicht so, wie sie wollten! - Beckmann [SPD]: Sie haben Order von oben be- kommen! - Unruhe)

Das Wort hat für bis zu zwei Minuten der Abgeordnete Schwarzenholz.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausbau der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Hannover ist dringend erforderlich, weil es die Region erfordert, aber das Verfahren - das wird immer deutlicher - mit den dort geplanten Grundlagen setzt auf internationale Verbindung, legt deren Maßstäbe an und geht an den Interessen der Region vorbei.

Ich teile die in vielen der Petitionen im Detail vorgebrachte Kritik nicht, soweit sich diese Kritik dagegen richtet, dass es überhaupt einen Ausbau geben soll; denn die Bahnstrecke muss ausgebaut werden. Insoweit sind die Petitionen aus meiner Sicht zurückzuweisen.

In anderen Punkten, was das Verfahren selbst angeht, was die Ausgestaltung der Trasse angeht, was vor allem die Frage betrifft, wie die Region von dieser Trasse tatsächlich profitiert, sind die Einwendungen jedoch berechtigt, und das laufende Verfahren ist nicht geeignet, diese Einwendungen

zu klären, weil der Antragsteller dazu gar nicht bereit ist.

(Schurreit [SPD]: Doch, er hat nachin- formiert!)

Von daher habe ich auch erhebliche Probleme mit dem Vorschlag, „Material“ zu beschließen, weil ein solcher Beschluss im Prinzip nur eine Beerdigung zweiter Klasse bedeutet,

(Beckmann [SPD]: Genau das ist die Situation!)

bei der die antragsstellenden Fraktionen ihr Gesicht wahren, den Leuten real aber nicht wirklich helfen.

Ich kann dem Antrag „Material“ deshalb nicht zustimmen und werde mich, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich die Haltung der SPDFraktion in diesem Punkt teile, der Stimme enthalten.

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schultze.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu den Ausschussberatungen nur noch einmal Folgendes feststellen. Wir waren uns darüber im Klaren, dass ein so großes Projekt natürlich nicht ohne Widersprüche, Einsprüche und Bedenken realisiert werden kann. Es gab an keiner Stelle der Beratung auch nur den leisesten Hauch, über Bürgerinteressen hinwegzugehen, als wir vorgeschlagen haben, dem Plenum zu empfehlen, „Sach- und Rechtslage“ zu beschließen. Im Gegenteil: Es ist gesagt worden, wenn wir „Material“ beschließen, bekommen die Bürger einen nichts sagenden Zwischenbescheid, die ganzen Eingaben liegen bis auf Weiteres fest, und es passiert überhaupt nichts damit.

(Frau Zachow [CDU]: Machen Sie doch Material und Stellungnahme!)

- Waren Sie dabei oder ich? - Na also. Lassen Sie mich bitte ausreden!

Wir haben also gesagt, die Petenten sollen über das informiert werden, was jetzt Sach- und Rechtslage ist. Daraus ergeben sich Vorschläge für das weitere Vorgehen zur Wahrung ihrer Rechte, die wir mit keinem Beschluss des Landtages auch nur an

irgendeiner Stelle einschränken könnten, selbst wenn der eine oder andere den Wunsch hätte. Wir sind nicht zuständig, darüber zu entscheiden, was ein späteres Raumordnungsverfahren im Einzelnen zu erbringen hat.

Dieses Thema wird uns sicherlich auch in Zukunft begleiten. Ich kann nur wiederholen, was mein Kollege Schurreit gesagt hat:

(Frau Harms [GRÜNE]: Der ist doch schon längst für das dritte Gleis!)

Wenn es um eine grundsätzliche Diskussion über das Für und Wider von Nah- und Fernverkehren geht, dann muss diese in einer ordentlichen parlamentarischen Debatte erfolgen. Aber wir können nicht über sehr weit gehende, ablehnende Gründe von Petenten heute die Hoffnung erwecken, als stünden wir auf deren Seite. Deshalb muss es in sauberer Form auch für das weitere Verfahren bei dieser Beschlussfassung bleiben.

Ich glaube, meine Damen und Herren von der CDU, die Sie jetzt auch noch Ihre Position geändert haben, es wäre falsch, wenn wir so täten, als wäre die Landesregierung in der Lage, die vorgetragenen Bedenken durch unsere Unterstützung einfach zu erfüllen. Sie wissen ganz genau, dass hier andere Rechtformen eine Rolle spielen. Auf die soll verwiesen werden, damit jeder weiß, wo es langgeht. Ob es dann so kommt, wie im Augenblick vorgeschlagen, ist eine ganz andere Frage, über die weiter an anderer Stelle zu entscheiden ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung.

Ich rufe die Eingaben jetzt einzeln bzw., bei gleichem Sachinhalt, im Block auf. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag und, falls dieser abgelehnt wird, dann über die Ausschussempfehlung abstimmen.

Wir kommen zunächst zu den Eingaben 631 (03) und 1779 (01), betr. Aufenthaltsgenehmigung für türkische Staatsangehörige. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 1341 vor mit dem Ziel, sie der Landesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzei

chen. - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, dass der Änderungsantrag abgelehnt worden ist.

Wir kommen dann zur Abstimmung über die Ausschussempfehlung in der Drucksache 1311, die Einsender der Eingaben über die Sach- und Rechtslage zu unterrichten. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Das Erste war die Mehrheit. Damit ist die Ausschussempfehlung angenommen worden.

Wir kommen nun zu der Eingabe 1978 (01 bis 32, 34, 36 bis 40), über die gerade debattiert worden ist, betr. Raumordnungsverfahren für die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke der Deutschen Bahn AG. Der Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 1343 sieht die Überweisung als Material vor. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer ist dagegen? Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Wir kommen dann zur Ausschussempfehlung. Wer der Ausschussempfehlung in der Drucksache 1311 zustimmen will, die Einsender der Eingaben über die Sach- und Rechtslage zu unterrichten, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? - Die Ausschussempfehlung ist bei einer Stimmenthaltung angenommen worden.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 27: Einzige (abschließende) Beratung: Entschädigung für NSZwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/1323

Diesen Antrag bringt der Kollege Schröder ein.

(Vizepräsidentin Litfin übernimmt den Vorsitz)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern haben wir gemeinsam der Befreiung des KZ Auschwitz und der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Dass es einen Schlussstrich unter die Verbrechen des NS-Regimes nicht geben kann, ihre Wirkungen vielmehr bis heute fortdauern, beweist auch die um Jahrzehnte verspätete Ausein

andersetzung mit der massenhaften Zwangsarbeit und mit einer Opfergruppe, die über 50 Jahre ausgegrenzt und ignoriert wurde.

Viele der rund 10 Millionen Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkriegs wurden aus der Heimat, insbesondere aus Osteuropa, gewaltsam verschleppt. Hunger, Krankheiten, Gewalt, Schikanen und schwerste Arbeit gehörten häufig zu ihrem Alltag. Ihre Lebenserwartung betrug oft nur wenige Monate. Besonders dramatisch war die Situation für KZ-Häftlinge und für jüdische Zwangsarbeiter. Für sie war in der Sprache des Dritten Reiches die Vernichtung durch Arbeit vorgesehen.

Diejenigen, die Krieg und Elend überleben konnten, sind heute um die 70 Jahre alt. Seit einem halben Jahrhundert wird ihnen jede Entschädigung verweigert, während der deutsche Staat stattliche Pensionen an die Täter, an Angehörige der Waffen-SS und an freiwillige KZ-Bewacher zahlt.

Deswegen, meine Damen und Herren, sind wir froh über den Durchbruch vom 17. Dezember 1999. Endlich wird jetzt über einen gemeinsamen finanziellen und rechtlichen Rahmen geredet. Zugesagt wurden, wie Sie wissen, Stiftungsmittel in Höhe von 10 Milliarden DM, die je zur Hälfte von der Wirtschaft und der öffentlichen Hand aufgebracht werden. An dem Anteil der öffentlichen Hand werden sich auch die Länder mit wahrscheinlich rund 1 Milliarde DM beteiligen müssen. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die Erklärung des Ministerpräsidenten, dass auch Niedersachsen hierzu einen angemessenen Beitrag leisten will.

Die Vereinbarung kann aber nur dann in Kraft treten, wenn die Wirtschaft ihren Anteil in Höhe von 5 Milliarden DM eingeworben hat. Es ist beschämend und schwer erträglich, dass sie mit Zusagen von rund 2 Milliarden DM von diesem Ziel noch sehr weit entfernt ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dies ist noch unverständlicher, wenn man berücksichtigt, dass die Wirtschaft ihren Beitrag bis zu 40 % steuerlich absetzen kann, im Ergebnis also der Steuerzahler rund 7 Milliarden DM, die Industrie dagegen nur rund 3 Milliarden DM netto zahlen wird.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Stiftungsinitiative richtet sich an die gesamte deutsche Wirtschaft, also auch an solche Unternehmen, deren Firmengeschichte keinerlei Bezüge zur

Zwangsarbeit aufweist, und auch nur so kann sie erfolgreich sein. Nur ein Teil der fast 3.000 Unternehmen, die während der Kriegsjahre von der Zwangsarbeit profitiert haben, existiert nämlich heute noch oder hat klar benennbare Rechtsnachfolger. Aber gerade bei diesen Firmen können und dürfen wir es nicht durchgehen lassen, wenn sie sich ihrer moralischen und historischen Verantwortung zu entziehen suchen. Anstatt ein bis zwei Promille ihres Jahresumsatzes für die Entschädigung der Zwangsarbeiter zu zahlen, leugnen viele Firmen nach wie vor ihre Mitschuld. Aus diesem Grunde müssen auch wir, die Politik, Druck machen, damit insbesondere diese Firmen sich der Stiftungsinitiative anschließen und in den Fonds einzahlen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Immerhin hat sich in den letzten vier Wochen, wohl auch aufgrund der öffentlichen Debatte, bei der auch Namen genannt wurden, eine ganze Reihe niedersächsische Unternehmen zu diesem Schritt entschlossen, etwa Bahlsen, Varta, Conti, Haendler & Natermann und, anders als es noch in der Begründung unseres Antrags steht, inzwischen auch die Preussag und Körting. Nach wie vor fehlen aber auch zahlreiche Namen auf der Mitgliederliste der Stiftungsinitiative. So Riedel-de Haën in Seelze, die Georgsmarienhütte, die zunächst ihren Beitritt angekündigt hatte, Salzgitter-Stahl, die Stadtwerke Braunschweig und viele mittelständische Unternehmen. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Einige prüfen noch, ob z. B. eine Beteiligung durch den Mutterkonzern erfolgt. Es gibt aber leider auch Unternehmen, die sich dieser Aufgabe schlicht verweigern. Diese Unternehmen müssen wissen: Wer sich von dieser Aufgabe ausschließt, wird Probleme im Ausland und im Exportgeschäft bekommen, und er muss mit heftiger Kritik im Inland rechnen.

Meine Damen und Herren, ich will noch kurz zum aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung Stellung nehmen. Über die Höhe der Entschädigungsbeträge zwischen den verschiedenen Gruppen kann man ja reden. Wir wollen aber auch deutlich sagen: Es muss eine Lösung für die in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter insbesondere aus Polen und aus der Ukraine geben. Es muss auch eine Lösung für die Sinti und Roma geben. Es darf keine bürokratisch klein karierten Beweislasten für die Opfer geben, und es darf auch keine Anrechnung von Entschädigungsleistungen

geben, die in den vergangenen Jahrzehnten ausdrücklich nicht für Zwangsarbeit gezahlt worden sind.

Meine Damen und Herren, die Debatte, die im vergangenen Jahr geführt wurde, das Schachern um einzelne Geldbeträge, hat uns vergessen lassen, dass es nicht nur um Geld und nicht nur um den Schutz deutscher Unternehmensinteressen gegenüber prozessfreudigen US-Anwälten geht. Es wird vor allem die Aufgabe der Politik sein, den Opfern ihre Würde wiederzugeben. Wir wissen, dass Wiedergutmachung der verlorenen Jahre, des Schmerzes, der seelischen und körperlichen Schäden gar nicht möglich ist. Aber zu einer würdevollen Lösung für die Opfer der Zwangsarbeit am Ende ihres Lebens muss der deutsche Staat, muss die deutsche Gesellschaft bereit sein.

Ich hoffe, dass dieses Projekt noch in diesem Jahr einen guten Abschluss findet, und bitte Sie, dazu Ihren Beitrag zu leisten. Machen Sie unseren Antrag zu einer gemeinsamen Aufforderung an die niedersächsische Wirtschaft, und nutzen Sie die Kontakte zu den Unternehmen in Ihrer Region, damit die Stiftungsinitiative recht bald viele neue Mitglieder aus Niedersachsen erhält.

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie zugehört haben. Namens meiner Fraktion beantrage ich für diesen Antrag die sofortige Abstimmung. - Schönen Dank.