Protokoll der Sitzung vom 28.01.2000

Viertens. Es geht im digitalen Rundfunk nicht nur um das Sehen oder Hören von Programmen, sondern auch um Zusatzdienste wie den elektronischen Programmführer oder Onlinedienste. Es muss sichergestellt sein, dass die Decoder einen Zugriff auf diese Angebote erlauben. Zum Beispiel muss ein Rückkanal von allen genutzt werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe versucht, das mit einfachen Worten überzubringen. Ein Techniker hätte sicherlich andere Begriffe benutzt, aber vom Inhalt her letztlich auch nichts anderes gemeint, nämlich dass wir den freien Zugang zur digitale Plattform sicherstellen müssen, d. h. dass die Sender verpflichtet werden und dass die Technik in den Decodern so gestaltet wird, dass es einen freien Wettbewerb geben kann.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Die Kolleginnen und Kollegen haben alle den Eindruck gemacht, dass sie das verstanden haben. Herr Kollege Behr, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Reckmann, nach Ihrem Wortbeitrag ist

mir die Absicht Ihres Antrags etwas klarer geworden. Ich werde gleich darauf eingehen.

Zunächst möchte ich aber feststellen, dass es eine völlige Übereinstimmung gibt, was die Forderung nach einem grundsätzlich diskriminierungsfreien Zugang für digitale Dienste angeht. Das muss sowohl für Anbieter als auch für Nachfrager digitalen Rundfunks gelten. Das entspricht im Übrigen den Regelungen des § 53 des Vierten Änderungsvertrages zum Rundfunkstaatsvertrag. Das tragen wir so mit, und das ist auch, denke ich, immer klar gewesen.

Ich habe mich allerdings gefragt, ob der Antrag nicht sogar überflüssig ist. § 53 Abs. 1 Sätze 2 und 3 schreiben zugangsoffene Schnittstellen für den digitalen Empfang vor, und § 53 Abs. 2 regelt, dass die Benutzeroberfläche und vor allen Dingen der Programmführer diskriminierungsfrei zu betreiben sind.

Wenn ich mir die Rundfunklandschaft und die verschiedenen Empfangsmöglichkeiten angucke, stelle ich Folgendes fest:

Ich beginne mit dem Antennenempfang, dem so genannten terrestrischen Empfang. Das System DBV-T ist in der Erprobung. Wir konnten uns auf der IFA letztes Jahr in Berlin davon überzeugen, dass es schon entsprechende Geräte gibt. Der Erfolg dieser Technik wird letztlich davon abhängen, ob es nachher eine entsprechende Nachfrage geben wird.

Der digitale Satellitenempfang ist schon jetzt über digitale Decoder völlig problemlos möglich.

Es bleibt der Kabelempfang. Hier setzt die d2-box von Betaresearch, einem Tochterunternehmen von Kirch, den Standard. Weil diese d2-box den Standard setzt, haben sich die Telekom und im Übrigen auch das ZDF darauf verständigt. Das ZDF nutzt diese d2-box zum Beispiel für ihren digitalen Theaterkanal, der am 9. Dezember letzten Jahres auf Sendung gegangen ist.

In diesem Zusammenhang - da gebe ich Ihnen Recht, Kollege Reckmann - ist es für mich natürlich schon ein Stück weit diskriminierend, dass ich eine d2-box nur dann erwerben kann, wenn ich gleichzeitig den Fernsehkanal Premiere mit abonniere. Das scheint mir nicht in Ordnung zu sein.

(Pörtner [CDU]: Sehr richtig!)

Allerdings befindet sich jetzt in der Diskussion - darauf sind Sie, Herr Kollege Reckmann, mit keinem Wort eingegangen -, dass ein neuer europäischer Standard gesetzt werden soll, nämlich MHP, multimedia home platform.

(Reckmann [SPD]: Genau!)

Die Basis von MHP ist ebenfalls DVB. Soweit ich unterrichtet bin, hat man sich bereits auf diesen Standard verständigt. Die Gespräche laufen. Herr Professor Reimers ist z. B. gerade in Genf, um Gespräche zu führen.

Die ersten MHP-Geräte werden im Herbst auf den Markt kommen. Soweit ich unterrichtet bin, hat die Firma Betaresearch bereits zugesagt, dass es möglich sein wird, die d2-box auf den MHP-Standard upzudaten.

So gesehen, Kollege Reckmann, wäre aus unserer Sicht erst einmal alles in Butter. Von daher weiß ich nicht genau, was Ihr Antrag in diesem Zusammenhang bewirken soll.

Im Übrigen: Wenn die Lizenzrechte bei der KirchGruppe liegen, dann heißt das aus unserer Sicht noch nicht automatisch, dass damit auch eine Diskriminierung verbunden ist. Schließlich setzt die d2-box zurzeit noch den Standard. In Zukunft mag das das MHP-System sein.

Das ZDF nutzt dieses System. Nach Informationen des ZDF ist der Programmführer, der im Zusammenhang mit der d2-Box benutzt wird, in Ordnung. Das ZDF ist auch bereit, ihn auch zu nutzen.

Ich will jetzt noch einmal auf die direkt verschlüsselten Programme, insbesondere den Pay-TV-Bereich, eingehen. Zurzeit gibt es in diesem Bereich nur einen Anbieter. Es waren ja einmal zwei. Aber mittlerweile ist Premiere World übrig geblieben. Die Marktführerschaft hat insofern sicherlich die Kirch-Gruppe. Wenn nun in Ihrem Antrag gefordert wird, grundsätzlich DVB Common Interface als Schnittstelle für die Fernsehentschlüsselung vorzuschreiben, dann frage ich mich schon, ob es machbar ist, so etwas grundsätzlich vorzuschreiben. Ich habe Zweifel, ob man z. B. Premiere World dazu zwingen kann, über Common Interface zu entschlüsseln. Ich habe außerdem Zweifel, ob man Betaresearch zwingen kann, eine d2-Box mit Common Interface anzubieten. Vor dem Hintergrund habe ich des Weiteren Zweifel, ob der Rundfunkstaatsvertrag das hergibt, was Sie in Ihrem Antrag gefordert haben, Kollege Reckmann.

(Reckmann [SPD]: Sie sehen doch, wie wichtig unser Antrag ist!)

- Kollege Reckmann, das ist völlig klar. Man kann auch die Auffassung vertreten, dass Pay-TV an sich schon einen diskriminierenden Tatbestand darstellt, weil es sich um Bezahlfernsehen handelt. - Ich will es einmal so sagen: Wir sind von der Sinnhaftigkeit dieses Antrages noch nicht überzeugt, begrüßen aber, dass er im Ausschuss beraten wird. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Harms! Sie freuen sich schon. Wir auch!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eben wurde hier aus der Reihe hinter mir eine Anmerkung zu diesen sehr gelehrigen Vorträgen über neue Technologien und digitale Medien gemacht. Wir haben hier einmal heftige Kritik dafür geerntet, dass die Landesregierung und andere den Begriff „Gender Mainstreaming“ gebrauchen. Ich habe schon einmal im Medienausschuss gesagt, dass unter dieser Vorgabe auch so manche Mediendebatte geführt werden sollte.

(Behr [CDU]: War das denn so schlimm?)

- Herr Behr, der Eindruck unserer Kollegin war richtig.

Aber zurück zu den Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Vorrednern. Ich kann nur sagen, dass wir uneingeschränkt dazu stehen: Es muss diesen diskriminierungsfreien Zugang geben. Die d-Box, die von Kirch und von der Telekom gepusht wird, dient - das war sicherlich ein sehr zugänglicher Begriff - im Zweifelsfall der Quotensicherung von Kirch. Kirch versucht, für sich ein Quotensicherungsinstrument zu schaffen. Wir sind auf jeden Fall dafür, dass geprüft wird, ob die Regelungen, die jetzt für den Rundfunkstaatsvertrag vorgesehen sind, ausreichen, um das Ziel, das mit dem Antrag der SPD verfolgt wird, tatsächlich zu erreichen.

Lassen Sie mich noch auf einen Gesichtspunkt aufmerksam machen. Die Firma Bertelsmann hat sich aus diesem Projekt vor geraumer Zeit verabschiedet, und zwar mit einer weitsichtigen Begrün

dung. Die Firma Bertelsmann hat gesagt, diese Decoder, diese Boxen, über die wir hier reden, seien eine vorübergehende Erscheinung, die technische Entwicklung gehe in eine ganz andere Richtung. Die Firma Bertelsmann, die sich auch ansonsten sehr klug am Markt positioniert, ist der Auffassung, dass das digitale Fernsehen über Kabel nicht der Markt der Zukunft sein wird, sondern dass sich auch das Fernsehen demnächst im Internet abspielen wird. Wir dürfen diese Debatte also auch nicht überbewerten. Es kann durchaus sein, dass wir es tatsächlich mit einer vorübergehenden Erscheinung zu tun haben. Wenn sich die Kirch-Gruppe an der Stelle vergaloppiert hätte, wäre ich darüber nicht traurig, weil ich generell eine große Distanz zu Leo Kirch und seiner Medienpolitik habe. Ich wäre über seinen Misserfolg nicht unglücklich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht mehr vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Ältestenrat hat empfohlen, den Ausschuss für Medienfragen mit diesem Thema federführend zu befassen und den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr mitberatend zu beteiligen. - Andere Meinungen dazu sehe ich nicht.

Ich rufe dann den letzten Tagesordnungspunkt auf:

Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung: Sicherung eines gebührenfreien Erststudiums - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/1328

Zur Einbringung hat sich Frau Kollegin Harms gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute schon einmal über eine bildungspolitische Offensive des Ministerpräsidenten geredet. Wir wollen heute noch an eine andere bildungspolitische Offensive des Ministerpräsidenten erinnern, die nichts mit Schulen und Lehrern zu tun hat, sondern sich um ein bei niedersächsischen

Bildungspolitikern beliebtes Thema dreht: das Thema Studiengebühren. Sie werden sich an die Schlagzeilen von vor 14 Tagen erinnern. Vor 14 Tagen war in allen Zeitungen in Niedersachsen in großen Lettern zu lesen, dass es Zoff zwischen dem Ministerpräsidenten Gabriel und der Landesvorsitzenden der SPD in Niedersachsen und der für Hochschulen und Wissenschaft zuständigen Ministerin der Bundesregierung, Frau Bulmahn, gebe. Anlass für diesen Zoff waren Aussagen des Ministerpräsidenten auf einem Neujahrsempfang der IHK gewesen. Dort hatte er sich überraschend hinter Thomas Oppermann gestellt, der mit seiner Position mit Frau Bulmahn eigentlich immer verquer gelegen hatte, nachdem er sehr früh angefangen hatte, die Studiengebühren zu propagieren.

(Klare [CDU]: Das kam da gut an!)

Wir wollen mit diesem Antrag unsere Position nicht neu diskutieren. Wir sind gegen Studiengebühren. Wir sind der Auffassung, dass das, was dazu im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen verabredet worden ist, das Ziel bleiben sollte. Wir würden uns in diesem Bermudadreieck, das zwischen diesen benannten niedersächsischen Akteuren entstanden ist, nur ganz gerne einmal orientieren. Meines Erachtens könnte die Debatte darüber in diesem stürmischen Bermudadreieck sehr schnell verschwinden.

Die Äußerungen, die ich in diesem Zusammenhang von Frau Bulmahn der Presse entnommen habe, unterstütze ich. Ich kann nur noch einmal daran erinnern, dass sich Frau Bulmahn in der „Bild“-Zeitung wie folgt geäußert hat:

„Ich bin über die Äußerungen verwundert. Studiengebühren sind für die SPD Niedersachsen kein Thema. Dazu gibt es einen klaren Parteitagsbeschluss. Der ist zeitlich nicht befristet und für alle bindend!“

Das war an dem Tag, an dem Sigmar Gabriel sich bei der IHK geäußert hatte. Am selben Tag ist in der „Frankfurter Rundschau“ zu lesen:

„Bulmahn wies auf einen Parteitagsbeschluss der niedersächsischen SPD gegen eine Studiengebühr für das Erststudium hin. ‚Dieser Beschluss, der vom Bundesparteitag im Dezember 1999 bestätigt worden ist, ist und bleibt die Grundlage meines politischen Handelns.‘“

In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ war zu lesen:

„In einem Gespräch mit unserer Zeitung nannte Bulmahn, die auch Vorsitzende der niedersächsischen Sozialdemokraten ist, am Montagabend die Debatte ‚völlig überflüssig‘. ‚Ein Plädoyer für Studiengebühren lenkt nur von den wirklich erforderlichen Reformen ab‘, betonte die Ministerin in Bonn...“

Herr Oppermann, es ist meines Erachtens jetzt an Ihnen, zu sagen, ob diese Debatte, in deren Mittelpunkt Sie stehen, nun wirklich überflüssig ist. Ich meine, dass es in Zeiten, in denen sehr viel über Glaubwürdigkeit von Politik geredet wird, notwendig ist, dass sich die Politiker einer Partei dann, wenn ein Thema in der öffentlichen Diskussion eine solche Bedeutung erlangt, endlich einmal darüber einigen, welche Position Sie vertreten. Zumindest innerhalb eines Landesverbandes sollte das noch möglich sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Frau Kollegin Ernst hat das Wort. Bitte schön!