Protokoll der Sitzung vom 31.03.2000

Frage 3: Pläne des Niedersächsischen Innenministers zur Einführung eines sozialen Pflichtjahres für Männer und Frauen in Deutschland

Diese Frage wird von den Abgeordneten Frau Pawelski und Frau Vogelsang gestellt. – Frau Pawelski, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Innenminister des Landes Niedersachsen, Heiner Bartling, hat sich vielfach dahin gehend geäußert, dass er ein soziales Pflichtjahr für Männer und Frauen eingeführt sehen möchte. Dieses war u. a. in der Hannover-Ausgabe der „Bild“-Zeitung vom 25. Januar 2000 nachzulesen.

(Beckmann [SPD]: In der „Bild“- Zeitung!)

- Unter anderem. Es stand auch in anderen Zeitungen.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Erkennt sie an, dass Frauen auf Grund der Tatsache, dass sie die Kinder gebären und zu mehr als 95 % im ersten Lebensjahr bzw. in den ersten Lebensjahren die Kinder betreuen und erziehen, erhebliche Abstriche in ihrer beruflichen Entwicklungsmöglichkeit und Erwerbsbiografie in Kauf nehmen und damit unserer Gesellschaft wegen der Kindererziehung einen unübersehbaren und unbezahlbaren Dienst erweisen?

2. Geben die Presseberichte die Ansicht des Innenministers richtig wieder, die vom Europäischen Gerichtshof bestätigte freiwillige Beschäftigung und damit Gleichberechtigung von Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr müsse zum Anlass genommen werden, im Sinne von „Gleichberechtigung“ den Frauen eine zusätzliche Bürde aufzulasten?

Herr Innenminister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Vogelsang, Frau Pawelski, wie Sie bereits in Ihrer Fragestellung zum Ausdruck bringen, habe ich in meiner Eigenschaft als Innenminister wiederholt die hier angesprochenen Fragen öffentlich thematisiert und damit – ausdrücklich – nicht eine Auffassung der Landesregierung wiedergegeben.

Lassen Sie mich dazu bitte Folgendes anmerken:

Im Zuge des sich wandelnden Bundeswehrauftrages werden von verschiedensten Seiten Überlegungen angestellt sowohl zur Verkleinerung der Bundeswehr als auch zur Verkürzung bzw. Ab

schaffung der Wehrpflicht. Ich darf in diesem Zusammenhang auf einen Artikel einer Wochenzeitschrift von gestern verweisen, in dem dies intensiv thematisiert wurde, um zu belegen, dass ich nicht im luftleeren Raum diskutiere. Auch von der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ werden derartige Vorschläge erwartet. Für Niedersachsen könnte dies zum Beispiel die Schließung weiterer Bundeswehrstandorte bedeuten.

Dass eine deutliche Kürzung des Wehrdienstes bzw. gar dessen Abschaffung, die ich nicht will, gravierende Auswirkungen auf den Katastrophenschutz, die Feuerwehren, die Auslandshilfsdienste sowie den zivilen Ersatzdienst und damit auch auf große Teile im sozialen und pflegerischen Bereich der Wohlfahrtsverbände und Kirchen hätte, steht außer Frage. Aus diesem Grunde ist eine breit angelegte gesellschaftliche Diskussion darüber nötig, wie in Zukunft solche Aufgaben bewältigt werden können. Dabei kann es sich beispielsweise – solche Überlegungen habe ich mir erlaubt, öffentlich anzustellen – um die Förderung des freiwilligen Engagements, den Ersatz durch öffentlich finanzierte Arbeitsplätze, aber auch um die Verankerung sozialer Pflichtzeiten handeln. Ich verkenne nicht, meine Damen und Herren, dass es gleichstellungspolitische, finanzielle, rechtliche, aber auch große emotionale Schwierigkeiten bei einer solchen Diskussion gibt. Ein Patentrezept für die Beantwortung gibt es aus meiner Sicht nicht.

Aus diesem Grunde sind auch keine irgendwie gearteten gesetzlichen Initiativen zur Einführung eines solchen sozialen Pflichtjahres geplant. Verhindern kann und darf dies allerdings nicht, dass eine solche Debatte überhaupt geführt wird. Mein Ziel ist es deshalb, dass sich möglichst viele an dieser Diskussion engagiert beteiligen, um auf den Fall vorbereitet zu sein, dass wir in eine solche Situation kommen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Einzelfragen der Kleinen Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Ja.

Zu 2. Nein.

(Lachen bei der CDU – Möllring [CDU]: Das war wenigstens ausge- wogen!)

Frau Pothmer hat sich zu der ersten Zusatzfrage zu Wort gemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, denken Sie im Zusammenhang mit Ihren Überlegungen, ein soziales Pflichtjahr auch für Frauen einzuführen, auch daran, im Gegenzug Männer zu verpflichten, die gesellschaftlich wichtige Aufgabe in Küche und Kinderzimmer mindestens ein Jahr lang wahrzunehmen?

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD – Möllring [CDU]: Das machen manche Frauen ja auch nicht!)

Herr Bartling!

Frau Pothmer, ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten, auch solche Überlegungen in meine Überlegungen mit einzubeziehen. Ich darf das aber noch einmal betonen. Mir geht es um eine breit angelegte Diskussion, in der ich eine bestimmte Auffassung habe, wobei ich aber nicht sage, dass das Ergebnis der Diskussion in einer ganz bestimmten Richtung vorgegeben sei. Ich habe in meiner Antwort gesagt: Wenn wir solche Dinge, die heute anders wahrgenommen werden, auch durch andere Leistungen erledigen können, zum Beispiel durch eine Stärkung und Unterstützung des Ehrenamtes, dann bin ich hinsichtlich des Ergebnisses offen. Vielleicht brauchen wir dann gar nichts Verpflichtendes. Ich möchte aber eine breit angelegte gesellschaftliche Diskussion darüber, ob wir, wenn denn Wehrdienst und ziviler Ersatzdienst wegfallen sollten, dann irgendetwas Verpflichtendes brauchen oder ob das dann alles freiwillig oder im Ehrenamt wahrgenommen werden kann. Das ist der Anlass, aus dem ich das diskutiere. Ich habe nicht die Absicht, mir von irgendjemandem, weil man bestimmte Erwartungen damit verfolgt oder weil bestimmte Befürchtungen damit verbunden sind, die Diskussion verbieten zu lassen. Ich gehe die Diskussion aber offen an.

(Zustimmung bei der SPD)

Frau Pawelski zunächst!

Herr Minister, da Sie eingangs gesagt haben, dass Sie diese Äußerungen als Privatmann Heiner Bartling gemacht haben, frage ich Sie: Woran kann der verehrte Leser von Zeitungen künftig erkennen, ob die Äußerung eines Mitgliedes der Landesregierung als Äußerung einer Privatperson oder eines Mitgliedes der Landesregierung gemacht wurde?

(Möhrmann [SPD]: Das ist so ähnlich wie bei der CDU!)

Meine zweite Frage: Wir alle konnten lesen, dass der Zivildienst radikal gekürzt bzw. eingeschränkt werden soll. Was sagen Sie zu dieser Maßnahme?

Jetzt antwortet der Minister, nicht der Privatmann. Bitte!

Frau Pawelski, nach der Anmerkung des Präsidenten darf ich darauf aufmerksam machen, dass das in der Funktion leider nicht zu trennen ist. Wenn ich mich dazu äußere, dann tue ich das als politisch engagierter Mensch, ich tue das allerdings auch, weil ich eine Amtsfunktion innehabe. Das lässt sich nicht voneinander trennen.

(Frau Pawelski [CDU]: Sie haben ge- sagt, Sie hätten die Äußerung als Pri- vatmann getan!)

- Nein! Ich habe versucht, Ihnen zu erklären, dass ich nicht die Auffassung der Landesregierung wiedergegeben habe, sondern dass ich dazu meine persönliche Ansicht geäußert habe. Die Landesregierung hat sich mit dieser Fragestellung nicht auseinander gesetzt. Deshalb gibt es auch keine abgestimmte Meinung der Landesregierung.

(Frau Pawelski [CDU]: Mich würde einmal die Meinung der Frauenmi- nisterin dazu interessieren!)

- Ich weiß ja, dass Sie den Versuch unternehmen wollen, irgendwelche Gegensätze herzustellen. Ich führe eine offene Diskussion. Deshalb beantworte ich gern auch den zweiten Teil Ihrer Frage, wie ich nämlich die Beeinträchtigungen der zivilen Ersatz

dienste einschätze. Gerade in diese Richtung will ich ja diskutieren. Ich frage danach, was geschieht, wenn wir aufgrund einer Verkürzung der Wehrdienstzeit dazu kommen, dass parallel dazu auch die Zeit des zivilen Ersatzdienstes gekürzt wird. Wie können wir dann die dadurch wegfallenden Leistungen ersetzen? Ich sage noch einmal: Ich bin offen in der Frage, ob wir dafür normal bezahlte Arbeitsplätze einrichten oder ob wir durch Förderung des Ehrenamtes, des freiwilligen Engagements so etwas in Gang bekommen.

Das sind für mich offene Fragen. Die will ich diskutieren. Ich äußere mich dazu in politischen Diskussionen. Das werde ich auch weiter machen.

Frau Vogelsang!

Herr Präsident! Herr Minister, Ihre Kollegin, die stellvertretende Ministerpräsidentin und Frauenministerin, hat sich am Montag beim „MädchenHearing“ in ganz anderer Weise geäußert als Sie. Ich frage Sie, welche Meinung sich die Landesregierung zu Eigen machen will.

Herr Bartling!

Ich habe es bereits gesagt, Frau Vogelsang: Die Landesregierung hat zurzeit nicht die Absicht, zu diesem Thema eine Diskussion zu führen. Das sind politische Diskussionen, die im Vorfeld - -

(Zuruf von Frau Vogelsang [CDU])

- Eine Entscheidung der Landesregierung steht doch überhaupt nicht an. Die Landesregierung hat sich zu dieser Frage nicht zu verhalten. Ich habe in meiner Antwort gesagt: Wir haben überhaupt keine Absicht, Initiativen zu ergreifen. Aber es muss doch jemandem, der Minister oder Staatspräsident ist, erlaubt sein, eine politische Auffassung zu einem Thema öffentlich zu äußern. Das werde ich auch weiterhin machen.

Frau Pothmer!

Herr Minister, nach meinem Kenntnisstand ist die Bereitschaft, ein soziales oder ein ökologisches Jahr abzuleisten, sehr viel größer als die Anzahl der Plätze, die dafür zur Verfügung stehen. Sind Sie mit mir nicht auch der Auffassung, dass es erst einmal richtig wäre, dieses Freiwilligendeputat in Anspruch zu nehmen, anstatt jetzt eine Debatte über Pflicht zu führen? Ich frage Sie weiter: Was tut die Landesregierung, um dieses Potential an Freiwilligen in Anspruch zu nehmen?

Herr Bartling!

Frau Pothmer, ich wiederhole es: Natürlich ist der Ausbau - das ist für mich ein offener Punkt - dieser Freiwilligenbereitschaft ein Aspekt, wenn man jetzt in die inhaltlichen Fragen solcher Dinge einsteigt, der dahin gehend geprüft werden muss, ob das für die Erfüllung solcher Leistungen ausreicht. Ich weiß nicht, welchen konkreten Einfluss wir auf die Ausweisung von Plätzen im freiwilligen ökologischen Jahr haben.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Das hat et- was mit Geld zu tun!)

- Das kann durchaus sein. - Ich möchte es gerne nachliefern, was wir da tun können. Aber das ist auch für mich ein offener Punkt. Wenn man das damit erreichen kann, dann kann man das durchaus machen. Ich möchte aber auf eines hinweisen.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Aber eine solche Debatte, die Sie jetzt initiiert haben, wird sich meiner Ansicht nach negativ auf die Bereitschaft, sich zu engagieren, auswirken!)

- Frau Pothmer, hier habe ich ein anderes Verständnis. Dass sich Debatten über Zukunftsfragen in unserer Gesellschaft schädlich auswirken können, das sehe ich anders.