Protokoll der Sitzung vom 12.05.2000

herzlich dafür, dass er dafür Sorge getragen hat, dass alle Menschen die Debatte hier verfolgen konnten.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung: Betreuung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung auch bei Kürzungen im Zivildienst sicherstellen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1593

Zur Einbringung hat der Kollege Jansen das Wort. Bitte schön, Herr Jansen!

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass wir heute noch einmal sachlich und in einer ruhigeren Form über den Zivildienst sprechen können, nachdem es gestern ein wenig aus dem Ruder gelaufen ist. Man konnte gestern den Eindruck gewinnen, dass dies kein Problem sei.

Ich weiß nicht, woran es liegt, dass ich in den letzten drei Tagen sehr früh in mein Hotel gegangen bin. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich jetzt ins sechste Jahrzehnt gekommen bin. Aber so hatte ich die Gelegenheit, gestern Abend das „heutejournal“ zu sehen. Dort wurde dieses Thema von den verschiedensten Seiten behandelt. Als Ergebnis wurde festgehalten, dass es dringend notwendig ist, über dieses Thema zu diskutieren und die Auswirkungen des Zivildienstes im Zusammenhang mit der Bundeswehrreform eingehend zu erörtern. Dabei ist klar festgestellt worden, dass es enorme Probleme gibt.

Es ist also keine Spekulation, verehrte Frau Ministerin, dass man jetzt über dieses Thema diskutiert. Diskussionen und Gespräche sind notwendig, weil viele Fragen geklärt, Ängste abgebaut und Kosten besprochen werden müssen. Mehr will unser heutiger Antrag auch gar nicht, als diese Gespräche mit den entsprechenden Institutionen, Wohlfahrtsverbänden und den Betroffenen anzuregen, um das zu erreichen, was ich vorhin gesagt habe. Ob es gestern Abend das ZDF war, ob Sie die „Zeit“, die „Welt“, überregionale oder regionale Zeitungen lesen, überall gibt es zahlreiche

Berichte von den Betroffenen, die große Ängste haben, weil sie nicht wissen, wie es weiter geht. Ich sage es nicht, um hier polemisch etwas vorzutragen, sondern um diese Ängste aufzugreifen. Die betroffenen Menschen sind oftmals auf die Zivildienstleistenden angewiesen, also auf junge Menschen, die sich anstelle der Ableistung des Wehrdienstes dazu bereit erklärt haben, Dienst am Nächsten zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Sie alle wissen, dass der Zivildienst früher ein schlechtes Image hatte. Das ist lange vorbei. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ist er zu einer der tragenden Säulen unseres Sozialsystems geworden. Jetzt aber haben Zivildienstträger angekündigt, ihre Arbeit einstellen zu müssen. Sie können im Rahmen der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung keine Zivildienstleistenden mehr halten. Sie müssen auf andere Kräfte zurückgreifen, die jedoch auf dem Markt nicht vorhanden sind. Sie müssen Fachkräfte nehmen, die natürlich enorm teuerer sind. Die zu betreuenden Personen haben natürlich Angst davor, dass man sie, wenn es so teuer ist, in Einrichtungen unterbringt, die entsprechend kostengünstiger sind.

Frau Ministerin, in diesem Zusammenhang möchte ich einmal die Selbsthilfegruppe der Körperbehinderten in Göttingen nennen. Es ist richtig, dass sie positive Anzeichen von der Stadt Göttingen erhalten haben. Sie haben aber noch nichts Schriftliches erhalten. Das habe ich vor einer Stunde erfahren. Sie haben Angst, dass sie am 1. Juni mindestens zehn Zivildienstkräfte nicht mehr haben. Es werden also Ersatzkräfte, Fachkräfte, benötigt, weil es keine Zivildienstleistenden mehr gibt. Bisher haben sie jedoch von der Stadt noch keine schriftliche Mitteilung erhalten. Wenn sie Fachkräfte bekommen, dann entstehen höhere Kosten, die von der Stadt übernommen werden müssen.

Hiervon sind jedoch nicht nur die Kommunen betroffen. In diesem Falle zwar ja, aber, verehrte Frau Ministerin, Sie wissen ja selbst, dass ein Zivildienstleistender 400 bis 700 DM pro Monat kostet. Eine Fachkraft, wenn man sie bekommt, kostet jedoch 4.000 DM. Das sind natürlich enorme Kosten, die den Sozialhilfeträgern dadurch entstehen. Wenn die Behinderten in Göttingen keine Zivildienstleistende, keine Fachkräfte, als Betreuer bekommen, dann müssen sie, weil sie ja versorgt werden müssen, in eine stationäre Einrichtung. Diese Kosten muss das Land tragen.

(Beifall bei der CDU)

Im Augenblick sind zwar die Kommunen dafür zuständig. Sie wissen aber alle, dass wir derzeit die Einheitlichkeit in der Sozialhilfe diskutieren und wir wohl im nächsten Jahr eine Einheitlichkeit bekommen, sodass dann das Land, auch wenn bis jetzt die Kommunen dafür zuständig sind, für die Kosten aufkommen muss. Es ist also nicht richtig, das ohne Weiteres mit dem Hinweis von der Hand zu weisen, dass wir dafür nicht zuständig seien. Ich meine, dass hier entsprechende Gespräche notwendig sind.

Des Weiteren möchte ich Folgendes sagen: In vielen stationären Einrichtungen der Altenpflege und der Eingliederungshilfe sorgen Zivis dafür, dass die Bewohner am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Das gilt auch für viele ambulante Hilfen. Was sich hier anbahnt, das kann man auch als eine stille menschliche Katastrophe bezeichnen.

(Beifall bei der CDU)

Das habe nicht ich, sondern das hat eine Verantwortliche des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, eine Sozialdemokratin, gesagt, die sogar vom Sozialabbau gesprochen hat. Es ist ja so, Frau Merk: Natürlich sind das oftmals billige Hilfskräfte. Aber gerade in stationären Einrichtungen, in Altenpflegeeinrichtungen, ist der Personalschlüssel, den das Land und die Kommunen beschlossen haben, so eng, dass man es gerade schafft, die Menschen dort ordentlich zu betreuen und zu versorgen. Das haben mir die Praktiker gesagt. Das darüber Hinausgehende, nämlich die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, z. B. ins Kino gehen, Freizeit gestalten, in die Kirche gehen, machen heutzutage Zivis. Das ist überall so. Wenn die wegfallen, dann wird das nicht mehr geschehen, es sei denn, der Personalschlüssel wird geändert. Dann kämen allerdings enorme Kosten auf das Land zu.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Groth [SPD])

- Glauben Sie mir doch, dass Verantwortliche aus dem DPWV, die Ihrer Partei angehören, sagen, dass es einen Sozialabbau gibt, der nicht schlimmer sein kann. Die sagen das aus ihrer Erfahrung heraus. Ich gebe das nur wieder. Wenn man mir schon nicht glaubt, dann glaube doch endlich einmal deinen Genossinnen und Genossen, die in den entsprechenden Einrichtungen sind!

(Beifall bei der CDU)

Das kann ich nicht haben. Ich versuche hier, sachlich zu argumentieren. Wir wissen alle: Wenn Sie vor Ort in die Einrichtungen gehen, dann hören Sie das Gleiche, nämlich dass die Menschen Angst haben. Es geht mir nur darum, diese Ängste abzubauen. Ich bitte die Landesregierung, in Gespräche mit den Betroffenen einzutreten, um damit die Ängste der Menschen abzubauen und um Maßnahmen einzuleiten, die dafür geeignet sind, die zu erwartenden schweren Versorgungslücken zu vermeiden, damit die Menschen wissen, wie es weiter geht. Mehr fordern wir nicht. Deshalb bitte ich darum, im Rahmen der Beratungen im Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen das Thema sachlich, fair und offen zu diskutieren, denn es wird ein Problem werden, wenn wir nichts tun. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU - Frau Pawelski [CDU]: So ist es!)

Danke schön, Herr Jansen. - Frau Kollegin Groneberg, Sie sind die nächste Rednerin.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Jansen, Sie begannen mit der Bitte, eine ruhige Diskussion zu führen. Die können Sie von unserer Seite aus bekommen. Sie dürfen sich eigentlich nicht wundern, dass es gestern etwas hoch herging, wenn Sie Worte verwenden, die unangebracht sind. Ich erinnere an die Formulierung „stille menschliche Katastrophen“.

(Jansen [CDU]: Das habe nicht ich formuliert!)

Damit schüren Sie Ängste bei den Betroffenen in einer Art und Weise, die in der Form nicht angebracht ist. Ich werde in meinem Vortrag darauf eingehen.

(Frau Pawelski [CDU]: Die sind vor- handen!)

- Frau Pawelski, das machen wir später.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDUFraktion, Ihr Antrag hat sich eigentlich mit der gestrigen Diskussion erübrigt. Sie haben eine Menge Fragen gestellt, und diese Fragen sind

Ihnen auch beantwortet worden. Nichtsdestotrotz werde ich jetzt für die SPD-Fraktion in der gebotenen Kürze zu Ihrem Antrag Stellung nehmen.

Mit der Angleichung der Dauer des Zivildienstes an die Dauer des Grundwehrdienstes entspricht die Bundesregierung einer langjährigen politischen Forderung, die sowohl den tatsächlichen Verhältnissen hinsichtlich der Einberufung von Reservisten zu Wehrübungen als auch dem gewandelten Erscheinungsbild des Zivildienstes im gesellschaftlichen Gefüge Rechnung trägt. Wir stimmen Ihnen zu, meine Damen und Herren von der CDUFraktion, dass Zivildienstleistende einen wertvollen Beitrag zum Wohle unseres Gemeinwesen leisten. Das ist keine Frage.

(Zustimmung von Groth [SPD])

Es ist auch unbestritten, dass Zivildienstleistende insbesondere bei der Betreuung von und bei der Hilfe für Menschen mit Behinderungen sowie Pflegebedürftigen eine höchst anerkennenswerte Leistung erbringen. Es ist richtig: Dafür haben wir ihnen ausdrücklich zu danken. Dies hat gestern Frau Ministerin Merk sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Frau Merk hat ebenso deutlich zum Ausdruck gebracht, dass im Rahmen der Umstrukturierungen des Zivildienstes der hohe Leistungsstandard für Bürgerinnen und Bürger mit Behinderung oder Pflegebedürftigkeit erhalten bleiben muss.

Damit die Herausforderung, die die Verkürzung der Zivildienstzeit mit sich bringt, bewältigt werden kann, haben sich das Bundesministerium und die Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege auf eine Steuerung der Einberufung der Zivildienstleistenden in den ersten neun Monaten des Jahres 2000 verständigt. Die Besetzung des Zivildienstplatzes erfolgt also mit Zeitpunkt und Ort in Abstimmung mit der Verwaltungsstelle des Wohlfahrtsverbandes. Das ist sehr wohl eine Verbesserung zu der bisherigen Praxis, Herr Jansen.

Auch die höhere Kostenbeteiligung der Beschäftigungsstellen mit 2 DM pro Tag bzw. 740 DM pro Jahr pro Zivildienstleistenden stellt kein gravierendes Hindernis dar. Zumindest haben wir - im Gegensatz zu Ihren Informationen - von den Wohlfahrtsverbänden bisher keinen Hinweis darauf erhalten.

Tatsächlich aber wird sich die Jahresdurchschnittszahl der Zivildienstleistenden durch die Verringerung der Dienstzeit von derzeit 138.000 auf

124.000 im Jahr 2000 verringern, das ist richtig. Für Niedersachsen wird ein Rückgang um rund 1.000 Zivildienstleistende geschätzt. Diese Stellen sollen im Bereich von Bürodiensten, handwerklichen Bereichen und im Grünpflegebereich eingespart werden, um damit den sozialen Bereich verschonen zu können.

Frau Ministerin Merk - ich will das nicht ausführlich wiederholen - hat gestern zur Genüge Zahlen genannt, um Ihnen deutlich zu machen, dass nur rund zwei Drittel der Zivildienststellen auf den sozialen Bereich entfallen. Der Rest entfällt auf die Bereiche Verwaltung, Grünpflege und auf den handwerklicher Bereich usw. Insofern sind durchaus Möglichkeiten vorhanden, den sozialen Bereich zu verschonen.

Unter der Führung der Bundesregierung ist es gemeinsam mit den Wohlfahrtsverbänden, den Kostenträgern und anderen Institutionen zur Bildung einer Kommission zur Zukunft des Zivildienstes gekommen. Hier wird eventueller Handlungsbedarf für den sozialen Bereich ermittelt. Auf Landesebene steht das Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales in engem Kontakt zu den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege. Falls erforderlich, wird ein Runder Tisch mit den betroffenen Einrichtungen und Institutionen eingerichtet.

Frau Ministerin Merk hat - das habe ich vorhin schon erwähnt - die von Ihnen gestellten Fragen gestern ausführlich beantwortet. Insofern haben sich die in Ihrem Antrag genannten Forderungen eigentlich erübrigt.

Zu bedauern ist aber Ihre Wortwahl. Auch Ihr Auftreten vorhin ist bestimmt nicht dazu angetan, darüber sachlich zu diskutieren, Ängste bei den Betroffenen abzubauen und die Probleme zur Zufriedenheit aller zu lösen.

Wir nehmen die Sorgen der Wohlfahrtsverbände und der anderen zivildienstbeschäftigenden Institutionen ernst - das ist es nicht, Herr Jansen -, gehen aber aufgrund der zurückhaltenden Äußerungen der Fachleute davon aus, dass die Versorgung der behinderten und pflegebedürftigen Menschen nicht in größerem Umfang beeinträchtigt wird.

Ich wundere mich, dass ausgerechnet Sie als Anwalt der Zivildienstleistenden auftreten. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie in den Jahren, als Sie in der Bundesregierung die Verantwortung hatten, ebensolche Kürzungen des Zivildienstes

vorgenommen. Auch damals haben sich die befürchteten gravierenden Auswirkungen auf den sozialen Bereich nicht bestätigt, Herr Jansen, und wir gehen davon aus, dass es diesmal auch nicht so sein wird. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Zu diesem Antrag hat sich auch Frau Kollegin Pothmer zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will vorweg sagen, dass ich die Verkürzung des Zivildienstes richtig finde. Sie ist ein richtiger und dringend notwendiger Beitrag zu mehr Wehrgerechtigkeit und Gerechtigkeit insgesamt in diesem Bereich.

Trotzdem lässt sich nicht leugnen - das wissen Sie doch auch, Frau Groneberg -, dass der Zivildienst in den letzten 40 Jahren zu einem wichtigen Bestandteil des Sozialsystems geworden ist

(Frau Groneberg [SPD]: Gar keine Frage!)

und dass von der gesetzlich geforderten arbeitsmarktpolitischen Neutralität seit vielen Jahren keine Rede mehr sein kann.