Protokoll der Sitzung vom 22.06.2000

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Vielleicht haben wir im Ausschuss Gelegenheit, darüber zu sprechen und gemeinsam etwas zu ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Vielen Dank! - Herr Kollege Wulf, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich wissen wir alle, dass wir uns in der Phase des Übergangs von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft befinden und dass es in dieser Zeit selbstverständlich ist, dass enorme Anforderungen an alle Sektoren unseres Bildungswesens gestellt werden, insbesondere, wie Sie es auch in Ihrem Antrag schreiben, im Hinblick auf die Fachkenntnisse und Schlüsselqualifikationen. Wir brauchen entsprechend qualifizierte Schülerinnen und Schüler, die den veränderten Anforderungen in Zeiten der Globalisierung gewachsen sind. Neben solider Allgemeinbildung und der Herausbildung von umfassenden Fremdsprachenkenntnissen - das ist ja genauso wichtig

gehört natürlich auch die Entwicklung grundlegender Kenntnisse in Mathematik, in den Naturwissenschaften und in den Informationstechnologien dazu. Das ist selbstverständlich und das Ziel der Schulpolitik in allen Bundesländern. Zur Erreichung dieses Ziels hilft es aber sehr wenig, wenn man gebetsmühlenartig, wie die CDU in diesem Landtag, Anträge stellt, die nur leicht variiert sind und in denen im Grunde genommen immer das Gleiche steht. Das Schema ist immer ähnlich: Es wird ein vorhandenes Problem genommen, es folgen die bekannten Allgemeinplätze, und dann werden Dinge gefordert, die die Landesregierung schon längst in Arbeit gebracht hat.

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

- Das glauben wir nicht nur, das wissen wir sogar. Schauen wir uns doch z. B. den Abschnitt „Lernen in der Informationsgesellschaft“ in Ihrem Antrag an. Dieser Abschnitt ist völlig überflüssig, denn wir haben das, was dort niedergelegt ist, schon vor zwei Jahren gemeinsam mit Ihnen und den Grünen im Landtag beschlossen.

(Klare [CDU]: Die Zahlen, die ich genannt habe, kommen aus der offi- ziellen Statistik der Ministerin!)

Im Übrigen war der damalige Beschluss wesentlich inhaltsreicher als das, was Sie jetzt hier vorgelegt haben. Das Handeln der Landesregierung, sehr geehrter Herr Klare, zeigt ganz klar auf, dass wir viel schneller sind, als Sie es aufgeschrieben haben. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass Niedersachsen im Bereich „Medien in der Informationsgesellschaft“ in der Bundesrepublik vorne liegt.

(Lachen bei der CDU)

- Sie wollen das verdrängen.

(Klare [CDU]: Clement hat im Wahl- kampf gesagt, er wäre vorn!)

Im Rahmen unserer umfassenden Multimediainitiative sind seit Mitte der 90er-Jahre rund 90 Millionen DM in diesem Sektor eingesetzt worden.

Mit dem Verein „N 21, Schulen in Niedersachsen Online“ - das hat die Ministerin gerade deutlich gemacht - haben wir ein Instrumentarium geschaffen, mit dem wir für die niedersächsischen Schulen den Weg ins 21. Jahrhundert bereiten. Das Land stellt dafür 75 Millionen DM zur Verfügung, und

die Wirtschaft will einen vergleichbaren Beitrag leisten. Die Ministerin hat dargestellt, dass wir damit Internetarbeitsplätze für Lehrkräfte an allen Schulen schaffen wollen und - das ist das eigentlich Entscheidende - dass auf dieser Grundlage schuleigene Medienkonzepte und entsprechende didaktische Zielsetzungen mit Hard- und Software entwickelt werden sollen.

(Frau Vockert [CDU]: Wann denn?)

- Das geschieht umgehend. - Selbstverständlich ist damit eine umfassende Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte verbunden. Didaktisch-methodische Konzepte für den Unterrichtseinsatz, wie Sie es fordern, werden entwickelt werden.

(Frau Vockert [CDU]: Wann?)

- Das geschieht sofort. - Was die berufsbildenden Schulen angeht, Frau Litfin, möchte ich nur daran erinnern, dass wir z. B. mit dem Programm „LOVE-IT“ Kompetenzzentren entwickeln und Modellprojekte zur Entwicklung von mehr als 2.000 neuen Ausbildungsplätzen realisieren. Wenn man also das, was die CDU in ihrem Antrag aufgeschrieben hat, mit dem vergleicht, was die SPDgeführte Landesregierung bereits getan hat, was sie tut und was sie noch leisten wird, dann bleibt nur eines festzustellen - das wissen Sie, Herr Klare, eigentlich seit Padua -: Die SPD-Regierung in Niedersachsen ist einmal wieder weiter und schneller, als die CDU denken kann.

(Beifall bei der SPD)

Nun zum Kern Ihres Antrages, denn den gibt es tatsächlich. Tatsache ist, dass unsere Gesellschaft im naturwissenschaftlichen und im informationstechnologischen Bereich in der Gegenwart und Zukunft natürlich qualifizierte Arbeitskräfte braucht. Selbstverständlich muss die Schule die entsprechenden Qualifikationen vermitteln. Wenn aber z. B. in der gymnasialen Oberstufe, wie Sie es dargestellt haben, die Nachfrage von Schülerinnen und Schüler nach diesen Fächern geringer ist, dann ist natürlich zu fragen, warum das denn so ist. Es gibt ja beispielsweise die Ergebnisse der TIMSSStudie. Frau Litfin hat völlig Recht. Wir müssen daraus Schlussfolgerungen ziehen. Das Hauptproblem ist die unzureichende und offensichtlich nicht schüleradäquate Vermittlung des Lernstoffs an deutschen Schulen. Wir befinden uns in der Phase der Umsetzung der Erkenntnisse, die wir gewonnen haben. Dazu gehört vor allen Dingen eine didaktische Erneuerung in dem mathematisch

naturwissenschaftlichen Bereich. Das ist völlig klar. Mehr praktische Orientierung und mehr Lebenswirklichkeit gehören in den Unterricht hinein. In Mathematik, Physik, Chemie gelingt es unseren Lehrkräften offensichtlich nicht hinreichend, bei den Schülerinnen und Schülern eine starke Lernmotivation für diese Fächer zu wecken. Das liegt nicht an den Lehrkräften und nicht an deren Bemühen, sondern an den Kontext, in dem sich der Unterricht in diesen Fächern befindet, und an dem Verständnis, wie es an den Hochschulen gelehrt wird. Hier sind Veränderungen notwendig. Diese haben wir im Hinblick auf Rahmenrichtlinien und auf die didaktische Orientierung der Lehrbücher eingeleitet.

Es gibt aber neben diesen Veränderungen und neuen didaktischen Konzepten natürlich auch Ansätze in der Praxis unserer Schulen, die bemerkenswert sind. Beispielsweise ist im südhannoverschen Raum etwas entwickelt worden, was in den vergangenen Tagen bekannt geworden ist. Die Metallindustrie in Niedersachsen und die Bezirksregierung Hannover wollen gemeinsam Lust auf Technik machen. Die Lehrwerkstatt soll zum Klassenzimmer werden, der Physikunterricht soll in Entwicklungslaboren von Betrieben nebenan stattfinden, und der Kunstunterricht soll sich auch mit technischen Zeichnungen beschäftigen.

(Klare [CDU]: Das habe ich vor drei Jahren gefordert!)

- Es ist doch schön, das wir es erfüllen; das ist doch hervorragend.

(Klare [CDU]: Aber zu spät!)

So macht man Lust auf Technik und nicht durch wiederholtes Jammern über mangelnde Nachfrage.

Ein anderes Beispiel: Typisch ist z. B. das OttoHahn-Gymnasium in Gifhorn. Dort wird nicht nur der bilinguale Zweig ausgeweitet, sondern zum Schuljahresbeginn wird in den Jahrgängen neun und zehn eine mathematisch-naturwissenschaftliche Schwerpunktklasse eingerichtet. Mithilfe praxisorientierten und fächerübergreifenden Unterrichts in Physik, Biologie, Chemie, Erdkunde und Kunst soll bei den Schülerinnen und Schülern das Interesse an naturwissenschaftlicher Grundbildung geweckt werden. Das ist nur eine Schule von mehreren, die auf diesen Sektoren schon tätig ist.

Das sind Beispiele, die überall entwickelt werden müssen. Bis sich das aber niederschlägt - das ist

natürlich klar -, werden wir mit dem Problem fertig werden müssen, dass in absehbarer Zeit in den Schulen in einigen Fächern, besonders in den Naturwissenschaften, ein Lehrkräftemangel eintreten könnte. In allen Bundesländern gibt es nämlich die Tendenz, die in etwa der in BadenWürttemberg gleicht. Zwischen 1994 und 1998 sank dort die Zahl der Studienanfänger und -anfängerinnen in den naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Fächern um 20 %.

Nach Einschätzung des Präsidenten der MaxPlanck-Gesellschaft, Herrn Markl, wird es in Deutschland in absehbarer Zeit einen dramatischen Mangel an Naturwissenschaftlern geben. Also auch die Wirtschaft sucht händeringend Fachkräfte, und wir brauchen genauso Fachkräfte an den Schulen. Die Schule steht damit in direkter Konkurrenz zur Wirtschaft, die, wie gesagt, genau den gleichen Bedarf hat. Darauf müssen wir uns einstellen.

Mit den Bordmitteln werden wir den allgemeinen Bedarf in den nächsten Jahren sicherlich befriedigen können. Dafür werden die Maßnahmen sorgen, die wir eingeleitet haben. Beispielsweise sind durch die Steigerung der Zahl der Stellen in den Ausbildungsseminaren die Wartezeiten für den Vorbereitungsdienst bzw. das Referendariat weitgehend auf null geschrumpft. Hier gibt es keine Engpässe mehr.

Es ist aber eines nicht zu bestreiten: Nach den mir vorliegenden Zahlen werden in den Jahren von 2001 bis 2005 jährlich ca. 3.000 Lehrkräfte in Niedersachsen aus dem Dienst ausscheiden. Bis zum Jahre 2010 wird sich das auf bis zu 3.500 Lehrkräfte steigern, und es kann durchaus sein, dass es in der Zeit von 2011 bis 2015 bis zu 4.400 Lehrkräfte jährlich sein werden. Den zukünftigen Ersatzbedarf für diese Lehrkräfte muss man im Blick auf die von Schulform zu Schulform unterschiedliche Zahl der Schülerinnen und Schüler aber sehr differenziert sehen. Einerseits sind Steigerungen zu erwarten, und zwar insbesondere im gymnasial- und im berufsbildenden Bereich, andererseits werden die Schülerzahlen auch wieder sinken, und zwar vor allem im Bereich der Grundschulen.

Es ist eine Tatsache, dass wir darauf reagieren. Auch wenn es Sie ärgert, sage ich Ihnen: Mit den 3.000 Einstellungen in diesem Jahr haben wir die höchste Rate bei der Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern seit 20 Jahren erreicht, und wir machen da weiter. Wir reagieren auf die steigenden

Anforderungen. Ich finde, die Leistungen dieser Landesregierung können sich sehen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Durch die Maßnahmen der Landesregierung stehen auch in den nächsten Jahren jährlich mehr als 4.200 Stellen im Vorbereitungsdienst zur Verfügung. Durch gezielte Maßnahmen bei der Zulassung zum Vorbereitungsdienst kann man die so genannten Mangelfächer im Übrigen bevorzugen und so flexibel auf den Bedarf an Lehrkräften reagieren.

Natürlich haben wir das Problem, dass wir in Niedersachsen 3.600 Studienplätze vorhalten, dass diese aber nur von knapp 3.000 Studienanfängern in Anspruch genommen werden.

(Glocke des Präsidenten)

Tatsächlich ist es so, dass bei den Naturwissenschaften ein Mangel auftreten kann. Allerdings sollte man hier mit wahren Zahlen arbeiten, Herr Klare, und nicht mit den Zahlen, die Sie hier herausgegriffen haben.

(Klare [CDU]: Die kommen aus Ihrer Statistik!)

Es ist z. B. so, dass bei den Grund-, Haupt- und Realschulen zwar wenige Studenten in Physik eingeschrieben sind, aber Sie vergessen dabei beispielsweise, dass Physik integraler Bestandteil von Sachunterricht in Grundschulen ist, und hier haben wir wesentlich mehr Bewerber, als Studienplätze vorgehalten werden.

(Klare [CDU]: Aber keine Professo- ren!)

- Die Professoren haben wir auch.

(Klare [CDU]: Nein!)

Man sollte hier also mit ehrlichen Zahlen arbeiten.

Egal aber nun, welche Zahlen stimmen, sind in diesem Bereich - das will ich gar nicht leugnen Bedarfe festzustellen, und es ist notwendig, hier Veränderungen vorzunehmen. Darauf reagieren wir. An den Studiengängen für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen werden die Kapazitäten von 1.500 auf 2.300 erhöht.

(Glocke des Präsidenten)

Dafür werden wir 4 Millionen DM zur Verfügung stellen. Die Zahl der Stellen für Professoren wird ebenfalls ausgeweitet.

Ich meine, dass wir vielleicht auch noch mit einer anderen Maßnahme arbeiten müssten. Darüber sollten wir im Rahmen der Mitberatung im Wissenschaftsausschuss diskutieren. Bei der Mittelzuweisung für die Hochschulen müssen wir, so meine ich, was die formelgebundene Mittelzuweisung angeht, den Bereich der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrer für die Hochschulen attraktiver gestalten. Hier ist meiner Meinung nach eine Vorgabe seitens des Landes notwendig, damit die Hochschulen nicht das tun, was sie anderenfalls notwendigerweise tun. Bei finanziell unattraktiven Zuweisungen wird nämlich nicht in dem betreffenden Bereich, sondern in anderen Bereichen investiert. Wenn man das umsteuern will, dann muss man die Zuweisungsformel ändern. Ich persönlich plädiere dafür, dass wir dies tun.