Protokoll der Sitzung vom 11.10.2000

Ich darf einmal fragen, welche Fassung die SPDFraktion bei der Vorbereitung dieses Antrags - wenn sie ihn denn selber vorbereitet hat zugrunde gelegt hat.

(Rabe [SPD]: Wir haben es selbst ge- macht, und wir haben die neueste Fas- sung zugrunde gelegt! Die steht im Internet!)

Wir haben die neueste Fassung, die auch vom Konvent als abschließende Fassung beschlossen worden ist. Insofern darf ich Ihnen sagen:

Sie fordern in Ihrem Antrag z. B., den Datenschutz in die Charta aufzunehmen. - Das ist schon geschehen, und zwar in Artikel 8.

Sie fordern, zusätzlich das Recht auf Bildung in die Charta einzuführen. - Das steht schon drin, nämlich in Artikel 14.

Sie fordern, das Recht zu arbeiten in die Charta aufzunehmen. - Das steht schon drin, und zwar in Artikel 15.

Sie fordern, Minderheitenrechte aufzunehmen. Das steht schon in den Artikeln 21 und 22.

Sie fordern, Kinderrechte in die Charta aufzunehmen. - Die stehen schon drin, nämlich in den Artikeln 24 und 32.

(Beifall bei der CDU)

Sie fordern, soziale Rechte aufzunehmen - obwohl Sie wissen, dass die Engländer dem nur schwer zustimmen würden. Aber sie stehen trotzdem

schon drin, weil man nämlich einen Kompromiss mit den Franzosen geschlossen hat. Sie wissen, dass seit der Französischen Revolution soziale Rechte zum Grundbestandteil des französischen Verfassungsrechts gehören, auch wenn sie in Frankreich ganz anders umgesetzt werden, als man eigentlich vermuten könnte. Die Franzosen haben darauf bestanden, dass sie in die Charta aufgenommen werden. Trotzdem fordert die SPDFraktion in dem vorliegenden Antrag, soziale Rechte in die Charta einzufügen. - Die stehen doch drin, in Artikel 24!

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich das vergegenwärtigen, sehen Sie, dass eine Verabschiedung des vor uns liegenden Textes heute aus rein sachlichen Gründen gar nicht möglich ist. Wenn wir das in der heutigen Sitzung beschließen würden, würden wir uns allesamt ein Armutszeugnis ausstellen, dass wir die Charta nicht richtig gelesen und nicht richtig verstanden haben. Wir würden nämlich fordern, etwas aufzunehmen, was schon längst in der Charta steht.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wenn eine Mitsprache der Landesparlamente gefordert ist - der SPDAntrag zielt ja auf fünf norddeutsche Bundesländer -, dann bitte in qualifizierterer Form.

Wir als CDU-Fraktion möchten gern, dass dieser Antrag zumindest noch einmal im zuständigen Fachausschuss beraten wird,

(Rabe [SPD]: Dann ist es zu spät! Das wissen Sie genau! – Plaue [SPD]: Schlafen Sie ruhig weiter!)

damit wir als Ergebnis etwas bekommen, was den Adressaten der Entschließung deutlich macht, dass sich der Niedersächsische Landtag in qualifizierter Weise mit der Grundrechtecharta auseinander gesetzt hat. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Mientus hat das Wort.

Herr Kollege Eveslage, zu diesem Tagesordnungspunkt wollte ich eigentlich nicht sprechen. Nach Ihren Ausführungen möchte ich aber doch eines

dazu sagen. Sie wissen ganz genau, wie hier in unserem Hause der parlamentarische Vorlauf ist.

(Vizepräsidentin Goede übernimmt den Vorsitz)

Wenn sich eine Fraktion schon der Mühe unterzieht, sich der Problematik, die nicht nur für uns, sondern für Gesamteuropa und auch für die beitrittswilligen Staaten wichtig ist, zu widmen und Veranstaltungen durchführt, dann jedoch die Entwicklung darüber hinweg geht – wir haben heute schon mehrere Anträge diskutiert, die noch älter sind – und die Dinge damit überholt sind, dann kann man das nicht zum Vorwurf machen, um davon abzulenken, dass die CDU-Fraktion nicht in der Lage ist, sich überhaupt dieser Diskussion zu stellen und dieses Thema aufzugreifen.

Herr Kollege Mientus, ich darf Sie kurz unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Eveslage?

Bitte schön, Herr Kollege Eveslage!

Verehrter Kollege Mientus, würden Sie mir denn darin zustimmen, dass dann, wenn die SPDFraktion wirklich ein ernsthaftes Interesse an einem einstimmigen Landtagsbeschluss zu diesem zugegebenermaßen wichtigen Thema gehabt hätte, die Möglichkeit bestanden hätte, vor der Einbringung des Antrages sich mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen kurzzuschließen,

(Zuruf von der SPD: Das haben wir doch getan!)

damit solch peinliche Fehler, wie sie jetzt darin stehen, nicht auftreten?

Herr Kollege Eveslage, mir steht es nicht zu, für meinen Arbeitskreisleiter und für meine Fraktion zu der Frage zu sprechen, wie man welche Dinge hätte aushandeln können. Von dem Kollegen von

der Heide wurde angemahnt, gemeinsam das Thema Europa zu besprechen. Wenn Sie solche Stolperdrähte gefunden hätten, hätten Sie sich keinen Zacken aus der Krone gebrochen, zum Kollegen Rabe zu gehen und zu sagen: Moment einmal! Das ist jetzt verfristet. Darüber ist die Entwicklung wegen der Beratungen des Konvents hinweggegangen. Wir müssen den Antrag modifizieren, damit er aktuell ist. – Nun haben wir ihn so diskutiert, wie er zu dem Zeitpunkt eingebracht worden ist, zu dem der Konvent mit seinen Beratungen noch nicht so weit war. Das muss man zur Kenntnis nehmen. So etwas passiert uns hier öfter.

Ich wollte im Grunde nur darauf aufmerksam machen, dass sich die SPD-Fraktion im Gegensatz zu Ihnen sehr wohl in der Sache mit dieser Angelegenheit beschäftigt hat, dass sie eine Anhörung, dass sie eine Veranstaltung mit den vier anderen norddeutschen Ländern durchgeführt und sich der Sache gewidmet hat.

Hinterher – um das einmal nichtparlamentarisch zu sagen – klugzuscheißen, ist natürlich nicht in Ordnung. - Das nur zu diesem Thema, zu dem ich mich eigentlich nicht gemeldet hatte.

Gemeldet hatte ich mich zu dem Antrag „Europa ist das, was wir daraus machen“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Europa ist in der Tat das, was wir daraus machen. Aber Europa findet auch dann statt, wenn wir nichts daraus machen. Das haben wir in den vergangenen Jahren gemeinsam wunderbar geschafft.

Das muss sich natürlich ändern. Das, mein lieber Kollege Lutz von der Heide, kann nicht lediglich dadurch geschehen, dass wir die Verfahrensweisen beklagen, wie sie in unserem Hause bestehen. Vielmehr müssen wir die Themen aufgreifen und sie transportieren, und zwar nicht nur, aber in erster Linie in unserem Ausschuss. Das ist unsere oberste Pflichtaufgabe. Als Ausschussvorsitzender bin ich bereit, das Notwendige dafür zu tun. Wir müssen dies aber auch bei den anderen Fachausschüssen einfordern. Unumwunden sage ich hier aus meiner persönlichen Sicht: Gott sei Dank findet Europa mit Ausnahme von Kultus bzw. Schule sonst überall statt. Wir haben die Fachausschüsse dahin zu bekommen, dass sie sich darum kümmern.

Wir haben aber auch Signale für die Landesparlamente zu setzen, wenn die anderen dies nicht tun, um den Europagedanken in der Region zu fördern

und zu transportieren. Ich hoffe, dass das bis in die Kommunen reicht. Ich bin dem Kollegen Eveslage, dem Kollege Endlein und den kommunalen Spitzenverbänden sehr dankbar, dass sie in ihren Zeitschriften verbreiten, was sich im Einzelnen abspielt, und dass das diskutiert wird.

Wir können Europa einfach nicht ignorieren. Hier müssen wir gemeinsam vorgehen. Wir können es aber nicht dabei bewenden lassen, dass wir nur darüber Klage führen, in welcher Art und Weise wir das behandeln, sondern wir müssen in der Sache diskutieren. Hierfür muss jeder Fachausschuss seine Arbeit tun. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, der Kollege Schwarzenholz hat jetzt das Wort. – Bis zu zwei Minuten, Herr Schwarzenholz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon bemerkenswert, wie die CDU-Fraktion in dieser Frage vorgeht, was die Beschlussfassung zur Grundrechtecharta angeht. In einem föderalen Staat hat man natürlich eine besondere Verantwortung, sich zu diesen Komplexen zu äußern. Wir haben eben in Deutschland keinen zentralistischen Staat. Diese Chance zu vergeben, finde ich leichtfertig.

Ich wollte aber eigentlich zu dem anderen Antrag der SPD-Fraktion sprechen, und zwar zu einem Punkt, der noch nicht angesprochen worden ist, den ich aber für sehr bedenklich halte. In Ihrem Antrag „Europa ist das, was wir daraus machen“, wird sehr stark auf die niedersächsische Interessenlage abgestellt. Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtiger als die Frage, was das Niedersachsen nutzt, ist die Frage, ob das Gesamtprojekt Europa erfolgreich ist. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, dass alle gemeinsam zum gegenseitigen Nutzen daraus Erfolg ziehen können.

Dazu gehört etwas, was die SPD in Niedersachsen auch nach mehreren Jahren offensichtlich nicht auf die Reihe bringt. Es gibt nicht nur mittel- und osteuropäische Staaten, die zur EU gehören wollen, sondern es gibt auch drei beitrittswillige Länder in Südeuropa. Das sind Malta, Zypern und die Türkei. Es kann nicht angehen, dass wir uns im Prinzip so verhalten, als gäbe es nur eine Art Ost

West-Achse, sondern wir haben auch eine Verpflichtung gegenüber dem Süden. Diese muss entsprechend betont werden. Da muss auch Niedersachsen aktiv werden. Gerade im Hinblick auf die Türkei und auf Zypern gibt es einige Interessenlagen, die auch von Niedersachsen aus ein Handeln erforderlich machen. Dabei handelt es sich z. B. um den hohen Anteil von Menschen, die bei uns leben und aus diesen Ländern stammen.

Ich selbst hatte vor zwei Wochen einen nordzypriotischen, also einen türkisch-zypriotischen Parteiführer hier im Landtag zu Gast, der sich darüber informieren wollte, welche Erfahrungen aus der deutschen Einigung für die Situation in Zypern zu ziehen sind, welche Voraussetzungen man für die Frage erlernen kann, was nach einer möglichen Verständigung in Zypern geschieht. Ich habe auch bei dieser Gelegenheit die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, dass wir uns dort engagieren.

Das Gleiche gilt für die Türkei. Ich erwarte, dass der Beitrittswunsch der Türkei – anders als die CDU dies tut – offensiv unterstützt wird und dass man ihn als Chance zur Demokratisierung der Türkei und zur Erweiterung der Grundlage der Europäischen Union versteht, diesen Wunsch aber nicht einfach lapidar mit dem Begriff „christliches Abendland“ beiseite schiebt.

(Gansäuer [CDU]: Was noch nie je- mand getan hat!)

Herr Kollege Rabe, bitte schön!

(Möllring [CDU]: Muss das sein?)

Das muss sein. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In zwei Punkten möchte ich versuchen, den Nebel zu lichten, den die Nebelkerzen hinterlassen haben, die Herr Eveslage geworfen hat. Herr Eveslage, ich habe Ihnen das vorhin schon gesagt: Unser Antrag beruht auf dem Ergebnis einer Anhörung, die wir am 7. September auf der EXPO durchgeführt haben. Zu dieser Anhörung sind alle Fraktionen des Landtages eingeladen worden. Die Grünen waren dankenswerterweise anwesend. Die CDU nicht.

Der zweite Punkt. Ich hatte Ihnen schon einmal gesagt, dass es sich bei diesem Antrag um einen gemeinsamen Antrag in fünf Länderparlamenten