Protokoll der Sitzung vom 14.12.2000

Mit uns, Herr Busemann, wird so nicht Schulpolitik gemacht. Wir schauen uns die Probleme im Schulwesen an und sorgen dann für Abhilfe.

Beispiel 1: Zu geringe Ausstattung der Lehrkräfte und Schulen mit Medien und Medienkompetenz. Wir legen dazu das Aktionsprogramm N21 auf und stellen in den nächsten drei Jahren 75 Millionen DM zur Verfügung. Darüber hinaus werden Mittel aus der Wirtschaft eingeworben.

Beispiel 2: Die veränderten Familienstrukturen und der dadurch entstehende Mehrbedarf an Betreuung für Grundschulkinder. Wir entwickeln mit der Verlässlichen Grundschule ein flächendeckendes Modell, das finanzierbar ist. Der Erfolg vor Ort gibt uns überall Recht.

Beispiel 3: Rassismus, steigende Gewaltbereitschaft und Verwahrlosung vieler Jugendlicher. Unser Präventionsprogramm und das Programm für eine stärkere Sozialarbeit und Vernetzung der Hauptschulen in der Region wird bei der Lösung dieser Probleme helfen.

Beispiel 4: Gerade größere Schulen wünschen sich mehr finanziellen Spielraum, um auf ihre unterschiedlichen Situationen und Bedürfnisse flexibel reagieren zu können. Die jetzt im Haushaltsbegleitgesetz vorgeschlagene Änderung des Schulgesetzes soll Modelle zur Budgetierung ermöglichen und dabei die bisher festgefügten Grenzen zwischen Schulträger und Land variieren können. Die CDU lehnt das einfach ab. Begründung: unbekannt.

(Schirmbeck [CDU]: Sie haben mit mir doch gar nicht gesprochen! Dann können Sie das doch gar nicht wissen! - Gegenruf von Mühe [SPD]: Du bist doch nicht die CDU! - Schirmbeck [CDU]: Aber in 30 Jahren bestimmt! - Glocke des Präsidenten)

Wir betreiben unsere Schulpolitik, indem wir mit den Betroffenen reden, und genauso machen wir das auch in der Hochschulpolitik.

(Frau Körtner [CDU]: Vor allem mit dem Landeselternrat!)

- Mit dem reden wir auch, sehr intensiv, genau!

Die näheren Ausführungen zur Hochschulpolitik wird Herr Domröse machen, und zur Schulpolitik wird dann noch Herr Fasold sprechen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Frau Kollegin Litfin hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin meinem Vorredner und meiner Vorrednerin sehr dankbar. Ich war ein wenig müde. Jetzt ist wieder Adrenalin freigesetzt. Ich kann mich aufregen, wenn ich sowohl vom Kollegen Busemann als auch unwidersprochen von der Kollegin Fasold

(Lachen und Heiterkeit)

- von der Kollegin Seeler - ich finde auch, dass ich mich manchmal zauberhaft verspreche! - höre, dass wir einen Schulkrieg hätten. So ein blödsinniges Wort!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Ich kann nur davon ausgehen, dass beide Kollegen noch nie in einem ausgewiesenen Krisengebiet gewesen sind.

(Meinhold [SPD]: Herr Busemann hat das gesagt, Frau Litfin! - Busemann [CDU]: Beide!)

Aus meiner Sicht verlangt dieser Tagesordnungspunkt sehr viel mehr Ernsthaftigkeit, als Sie hier bisher an den Tag gelegt haben - auch Sie, Herr Meinhold.

(Meinhold [SPD]: Da haben Sie ganz Recht! Da stimme ich Ihnen zu!)

Ich möchte an dieser Stelle mit einem Zitat unseres Bundespräsidenten, Herrn Rau, beginnen, der im Juli zur Schul- und Bildungspolitik Folgendes gesagt hat:

"Es geht um jeden einzelnen Menschen, um seine Chancen und um die Entwicklung seiner Persönlichkeit. Es geht um die Gesellschaft, die nicht auseinander fallen darf in Bildungsbesitzer und Bildungsverlierer, und es geht darum, die großartigen Möglichkeiten zu nutzen, die uns die Gegenwart bereitstellt. Zeigen wir, was uns die Zukunft wert ist!"

Was, so frage ich mich mit Blick auf den Haushalt 2001, ist denn unserer Landesregierung unsere Zukunft wert? Brüstet sich Sigmar Gabriel zu Recht mit einem Aufbruch für Bildung, Erziehung und Qualifizierung? Wie gehen denn er und seine folgsame Kultusministerin - die hat er ja gut erzogen; so weit zur Erziehung

(Schirmbeck [CDU]: Die ist manch- mal so richtig stürmisch!)

denn mit dem Humankapital in unseren Schulen um?

Betrachten wir das Ganze doch einmal unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. In einem Dienstleistungsbetrieb - ich meine, dass man die Bil

dungseinrichtungen damit am ehesten vergleichen kann - ist die wichtigste Ressource das Personal. Wer diese Beschäftigten im Betrieb und nicht nur auf der Gehaltsliste haben will, der muss dafür sorgen, dass es ihnen gut geht. Unseren Lehrkräften aber geht es offenbar nicht gut. Zwar gibt es getreu dem Motto "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" bisher noch keine Statistik über den Krankenstand an unseren Schulen; aber die ständig steigende Flut an Petitionen, in denen sich Eltern über Unterrichtsausfall wegen Langzeiterkrankungen von Lehrerinnen und Lehrern beschweren, und auch die Beschwerden, die wir immer wieder bei den Veranstaltungen landauf, landab hören, deuten darauf hin, dass es mit der Gesundheit der Beschäftigten nicht zum Besten steht.

Auch die in den letzten Jahren permanent steigende Zahl von Frühpensionierungen im Lehrerbereich sollte für einen verantwortungsvollen Arbeitgeber ein Warnsignal sein.

(Zustimmung von Ontijd [CDU])

Im letzten Jahr mussten weit über 50 % der ausgeschiedenen Lehrkräfte vor Erreichen der Altersgrenze ihren Dienst quittieren. Diese vorzeitig ausgestiegenen Arbeitskräfte kosten das Land jährlich 300 Millionen DM. Das ist der Gegenwert von 3.000 Lehrer- und Lehrerinnenstellen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Wäre es nicht spätestens angesichts dieser horrenden Summe - von Fürsorgepflicht spreche ich gar nicht mehr, denn fürsorglich ist die Landesregierung ja nicht

(Zustimmung von Busemann [CDU] - Widerspruch von Mühe [SPD])

nicht endlich an der Zeit, Maßnahmen zum Erhalt der Gesundheit der Lehrer zu ergreifen und wenigstens die von uns geforderte bescheidene Summe von 5 Millionen DM zum Einstieg in angemessene Präventionsmaßnahmen in den Haushalt einzustellen? - Nein, die Landesregierung und die folgsame Regierungsfraktion wollen offenbar weiterhin Millionenbeträge für vermeidbare Frühpensionierungen aus dem Fenster werfen und weiterhin Unterrichtsausfälle in gigantischem Ausmaß hinnehmen. Im Haushalt 2001 ist keine zusätzliche Mark für Gesundheitsfürsorgemaßnahmen zu finden.

Irgendwie fühlt man sich, nachdem meine Fraktion mit ihrer Großen Anfrage zu dem Thema relativ viel Wirbel verursacht, offenbar verpflichtet, irgendetwas für die Gesundheit der Lehrer zu tun. Aber kosten darf es nicht zusätzlich. Also werden vier - vier! - Vollzeitlehrereinheiten aus den ohnehin unterversorgten Schulen abgezogen, und diese Personen sollen sich dann an einem Tag in der Woche um die restlichen 80.000 Lehrer und Lehrerinnen des Landes kümmern und denen beratend zur Seite stehen. Das wird weiterhelfen!

(Möllring [CDU]: Das ist Schulpolitik der SPD!)

Tatsächlich weiterhelfen könnte angesichts der Zunahme der Erziehungsarbeit in unseren Schulen - das hat Sigmar Gabriel ja durchaus richtig erkannt - sozialpädagogische Kompetenz an der Seite der Lehrkräfte. Gabriels Erkenntnis folgte flugs und laut die Ankündigung: Alle Hauptschulen bekommen Sozialarbeiter. - Diese Ankündigung ist in den Schulen und vom Rest des Volkes ich glaube auch bei uns allen - sehr gut angekommen. Und alle warten auf die Umsetzung. Leider stellt sich jetzt heraus, dass der Ministerpräsident das kommt ja öfter vor - nicht bereit ist, seine Bestellung auch zu bezahlen. Wieder einmal sollen die arg gebeutelten Kommunen den Letzten spielen, der ja bekanntlich vom Hund gebissen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Sie sollen die Sozialarbeiter einstellen und bekommen für die Dauer von drei Jahren einen Teil der Personalkosten vom Land erstattet. Danach dürfen sie dann voll löhnen - und das, obwohl der Erlass besagt, dass die Aufgabe der Sozialpädagogen in erster Linie die Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen sei. Nach dem Schulgesetz ist aber die Schule dafür zuständig, es Schülern und Schülerinnen zu ermöglichen, ihren Bildungsweg in berufsgezogenen Ausbildungsgängen fortzusetzen. Es handelt sich hier also eindeutig um eine vom Land zu finanzierende schulische Aufgabe und nicht um eine Jugendhilfemaßnahme, die die Kommune zu zahlen hätte.

(Beifall bei der CDU)

Nun ja, seine Schlagzeile hat Siegmar Gabriel gehabt. Die kann ihm auch keiner mehr nehmen. Dass es unter den geschilderten Bedingungen keine Sozialarbeiter in den Schulen geben wird - die Kommunen haben kein Geld, diese Personalkosten

noch zusätzlich zu tragen -, scheint den Ministerpräsidenten und seine gehorsame Fraktion nicht weiter zu kümmern.

Aber, was beschwere ich mich eigentlich? - Die Landesregierung spielt der Opposition doch wundervolle Pässe zu mit all ihren nicht erfüllten oder nicht erfüllbaren Versprechungen. Laptops für jeden Schüler und jede Schülerin sollte es geben. Und was gibt es? - 10 % aller Lehrerzimmer sind jetzt drin - im Internet. Diese beeindruckende Leistung muss uns doch alle vom Hocker hauen. Dauert es doch mit gleichem Tempo und gleichem Mitteleinsatz nur noch neun – neun! - Jahre, und dann sind alle drin und wahrscheinlich auch schon wieder out; denn die rasante Entwicklung der neuen Medien nimmt keine Rücksicht auf das Schneckentempo semi-optimaler Bildungspolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Ich kann dem Ministerpräsidenten, aber auch den Damen und Herren von der CDU-Fraktion nur dringend ans Herz legen, mit der Politik der unhaltbaren Ankündigungen aufzuhören. Die Landesregierung ist ja nicht einmal in der Lage, das kleine Versprechen, 1.000 zusätzliche Lehrkräfte einzustellen, zu halten. Viele der zu Beginn des letzten Schuljahres ausgeschriebenen Stellen konnten mangels Bewerbungen nicht besetzt werden. Der Lehrermarkt ist insbesondere im musischen Bereich leergefegt. Es gelingt kaum noch, Lehrer und Lehrerinnen für ländliche Hauptschulen, insbesondere für die Bereiche Arbeit/Wirtschaft/Technik und Physik zu finden. Nicht nur in unserem Bundesland wurde jahrelang zu wenig und auch noch am Fächerbedarf vorbei ausgebildet. Die Landesregierung hat das gewusst. Solange ich hier in diesem Landtag bin, sage ich bei jeden Haushaltsplanberatungen: Ihr bildet in den Seminaren zu wenig aus, sodass ihr noch nicht einmal den Ersatzbedarf befriedigen könnt.

Dahinter steckt vielleicht aber auch Kalkül; denn auch das ist ein Weg, sich unliebsame Aufgaben vom Hals zu halten. Wenn keine Lehrer und Lehrerinnen da sind, kann man - nicht wahr, Herr Busemann? - keine einstellen. Man kann tausende von Neueinstellungen versprechen. Wenn es keine gibt, kommt man überhaupt nicht in die Verdrückung, dieses Versprechen realisieren zu müssen.

(Mühe [SPD]: Das ist bösartig und zynisch!)

Sie, meine Damen und Herren von der SPDFraktion, könnten beweisen, dass Sie das Geld für die zusätzlichen Stellen tatsächlich ausgeben wollen. Stellen Sie die entsprechenden Beträge - sie sind im Haushalt ja ausgewiesen – doch den Schulen zur Verfügung, die Stellen nicht besetzen konnten. Die Schulen können sich dann z. B. Lehrer und Lehrerinnen aus Musikschulen, aus Kunstschulen oder Leute aus der Wirtschaft holen. Damit wäre allen geholfen. Sie von der SPD-Fraktion könnten auf diese Weise dokumentieren, dass Sie doch irgendwie glaubwürdig sind, und die Schülerinnen und Schüler müssten nicht auf Unterricht in Mangelfächern verzichten.

Im Übrigen - das sage ich insbesondere auch zur CDU-Fraktion - sollten Sie endlich damit aufhören, mehr Geld für mehr der gleichen, alten Arbeit in den Schulen zu fordern.

(Beifall bei den GRÜNEN)