Ich nehme an, dass wir diese Anträge hier in einem sehr guten Klima miteinander werden erörtern können. Wir befinden uns in der letzten Runde, die ich gerade eingeläutet habe. Je disziplinierter wir die Diskussion führen, umso eher können Sie den Heimweg antreten.
- Heute ist nicht der Tag der Bescherung; den haben wir schon hinter uns. Deshalb möchte ich auf eine Rüge verzichten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufgrund der Ereignisse der letzten Jahre haben wir uns hier im Landtag schon wiederholt mit den Risiken und Auswirkungen der europäischen Rinderseuche BSE beschäftigt. In diesen Debatten sind Standpunkte vertreten worden, die sich bis heute überwiegend als richtig erwiesen haben. Es sind aber auch von uns und anderen - ich nehme mich hier gar nicht aus - hinsichtlich eines möglichen deutschen BSE-Risikos von dieser Stelle aus Einschätzungen vermittelt worden, die heute nach dem ersten originären deutschen BSEFall Anlass zur Kritik geben. Gleichwohl gab es
aus der politischen Gesamtverantwortung gegenüber allen Betroffenen heraus, auch aufgrund wissenschaftlicher Erfahrungen, Gründe, in vielen Punkten so gehandelt und argumentiert zu haben.
Ich sage dies selbstkritisch, meine Damen und Herren, und ich hoffe, die Landesregierung kann dies auch, da die Politik gut daran tut, zu versuchen, in dieser Frage verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Wir müssen deutlich machen, dass die Politik mit angemessenen Maßnahmen im Rahmen vorhandener Kenntnisstände und nachvollziehbarer sowie praktizierbarer Lösungen auf die verständliche Verunsicherung in der Bevölkerung reagiert. Das bedeutet in einigen Fragen Umkehr bisheriger Denkansätze. Das schließt mit ein, dass auch erlaubt sein muss, das politische Handeln der EU-Administration sowie der Regierungen in Berlin und Hannover zu hinterfragen.
Zunächst müssen wir feststellen, dass der BSE-Fall in Schleswig-Holstein die Bundesregierung völlig unvorbereitet getroffen hat. Deutschland war zwar BSE-frei und viele Jahre lang in einer niedrigen Risikogruppe eingestuft, aber für immer ausschließen konnte man eine BSE-Infektion in Deutschland nicht. Insofern überrascht uns schon, dass die Bundesregierung für den Tag X weder einen eigenen Maßnahmenkatalog noch besondere Laborkapazitäten vorhielt, und es gab auch keine besonderen Forschungsaktivitäten in Deutschland, die uns in die Lage versetzt hätten, heute mit mehr Prognosesicherheit Ausbreitung und Ursachen dieser Rinderseuche zu beurteilen.
Bei der Reform der EU-Schweinepestbekämpfung Ende der 80er-Jahre war die Tierärztliche Hochschule in Hannover als führendes Institut dieser Art in Europa wissenschaftlicher Ausgangspunkt neuer Bekämpfungsstrategien. Dieses können wir jetzt im Zusammenhang mit BSE aber nicht sagen. Die Anwendung der BSE-Schnelltests ist vor Monaten sowohl von der Bundesregierung als auch von der Landesregierung mit dem Hinweis auf begrenzte Diagnosesicherheit abgelehnt worden. Dabei sind sie die einzige Möglichkeit, an über 30 Monate alten geschlachteten Tieren eine mögliche BSE-Infektion in den Rindviehbeständen nachzuweisen und epidemiologisch zu analysieren.
Es ist traurig, meine Damen und Herren, dass wir uns gestern im Landtag darüber streiten mussten, wer für die Kosten der BSE-Schnelltests aufkommt. Während die Bundesländer NordrheinWestfalen, Sachsen, Thüringen und Baden
Württemberg zumindest vorerst die Kosten für die Durchführung der Schnelltests übernehmen, erklärt Niedersachsens Landwirtschaftsminister Uwe Bartels, dass er gar nicht daran denke, diese Kosten vom Land zu übernehmen.
Mehrkosten in Höhe von bis zu 250 DM je Tier sind für betroffene Tierhalter in der jetzigen Situation unzumutbar. Wenn Minister Bartels in dieser Frage auf geltendes Gebührenrecht zulasten der Schlachtereien verweist, so verkennt er die Eigendynamik des europäischen Binnenmarktes. 3.500 bis 4.000 pro Woche aus Holland eingeführte geschlachtete Kälber und weitere Masttiere machen deutlich, dass der Markt reagiert, wenn die Politik nicht handelt.
Das gleiche Gezerre erlebten wir vor wenigen Wochen, als es um die von allen Seiten gewünschte Mitfinanzierung des Landes der Kosten der Beseitigung der Risikomaterialien ging, bis letztlich die Tierseuchenkasse einsprang und sich bei den Tierhaltern vermutlich über eine höhere Versicherungsprämie refinanziert.
Im gestern diskutierten Agrarhaushalt, meine Damen und Herren, hat die Landesregierung nicht eine müde Mark für die Auswirkungen der BSEKrise vorgesehen.
Das gilt im Übrigen auch für den Gesundheitsetat, weil der hier mit in Betracht kommen könnte. Wenn sich Landwirtschaftsminister Uwe Bartels hier hinstellt und Vorschläge der Opposition in Sachen BSE - wie erst gestern wieder geschehen in einer oft selbstgefälligen Art wieder ablehnt, weil die CDU einmal mehr, wie er meint, nicht informiert ist oder in der Sache falsch liegt, so muss es doch erlaubt sein, darauf hinzuweisen, dass auch der niedersächsische Landwirtschaftsminister in Sachen BSE-Bekämpfung in den letzten Monaten einen Zickzackkurs gefahren hat, der selbst eigene Parteifreunde verblüfft hat.
Das gilt für wechselnde Positionen bei der Anwendung der Schnelltests, beim Für und Wider von Verboten britischer Importe und bei der organisatorischen Umsetzung der Vernichtung von Risikomaterialien und Tiermehlprodukten. Die Auf
Meine Damen und Herren, die folgenschweren Verunsicherungen des deutschen Verbrauchers hinsichtlich des weiteren Rindfleischverzehrs hat seine vorrangige Ursache in einer widersprüchlichen und konzeptionslosen BSE-Vorsorgepolitik der handelnden Regierungen. Das fing an mit der Stimmenthaltung von Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke im EU-Agrarministerrat zur Entsorgung der Risikomaterialien und endet mit völlig überstürzten Handlungsabläufen beim nationalen Tiermehlverbot.
Hinzu kommen unterschiedliche Gefechtslagen im Landwirtschafts- und im Gesundheitsministerium in Berlin, die zu unterschiedlichen Meldungen und Einschätzungen Anlass gaben. Ein Bundeslandwirtschaftsminister, der nach dem bekannten und medienwirksamen Basta-Auftritt des Bundeskanzlers eine derart heftige Umkehr bei dem nationalen Verwertungsverbot aller tierischen und fleischlichen Abfälle vollzieht, muss sich fragen lassen, ob er in seinem Handeln noch glaubwürdig und Herr des Verfahrens ist.
Diese in Berlin offerierte Hysterie, von der sich leider auch einige Kollegen unserer Bundestagsfraktion haben anstecken lassen, hat zu Entscheidungen geführt, die einem allumfassenden Verfütterungsverbot aller tierischen Eiweißprodukte, aller tierischen Fette und aller tierischen Nebenprodukte gleichkommt und zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen in Europa führt. Damit ist in vielen Bereichen der Tierhaltung eine tierart- und tierschutzgerechte Fütterung nicht mehr möglich.
In der Kälberhaltung sind aufgrund der Labmagenstruktur der Tiere bestimmte tierische Fette als Vollmilchersatz unverzichtbar. Das Gleiche gilt für die Herstellung von so genannten lebenswichtigen Stoffen, den Vitaminen. Die CDU ist leider im Bundestags-Ernährungsausschuss mit einem entsprechenden Antrag zur weiteren Verwendung tierischer Fett aus lebensmitteltauglichem Material gescheitert.
Nachdem mehrere Futtermittelhersteller aufgrund fehlender Vitaminherstellung auf die Futtermittelproduktion verzichtet haben, ist hier bereits eine erste Korrektur bei der Zulassung bestimmter tierischer Fette erfolgt. In der europaweit geltenden EU-Verordnung zum Tiermehlverbot ist eine weitere Verwertung der Fleischknochenmehle und
tierischer Fette aus lebensmitteltauglichem Material zur Verfütterung an Allesfresser ebenso erlaubt wie der Einsatz von Fischmehl. Niedersachsen hat übrigens in Cuxhaven das einzige deutsche Werk der Fischmehlproduktion. Der Einsatz von Fischmehl vergrößert unser nationales Eiweißpotential und hat mit BSE nichts zu tun.
Die Regelung zur weiteren Verwertung lebensmitteltauglicher Rückstände aus Schlachtabfällen halte ich im Sinne tierartgerechter Ernährung und verantwortbarer Ressourcenbewirtschaftung auch national für richtig. Uns allen muss klar sein, das die Vernichtung aller tierischen Eiweißkomponenten den verstärkten Einsatz gentechnisch veränderter Sojafutter und synthetisch hergestellter Aminosäuren bedeuten kann und eine Abkehr von der vielzitierten Kreislaufwirtschaft ist.
Genauso energisch setzen wir uns für ein allerdings zeitlich unbegrenztes Verfütterungsverbot von Tierkörpermehl von verendeten Tieren ein.
Wir gestehen gerne zu, hier unsere Meinung geändert zu haben. Das Gleiche gilt für eine konsequente Beseitigung aller so genannten BSERisikomaterialien zur Verbesserung der so genannten BSE-Vorsorge. Auch hier haben wir uns korrigiert.
Darüber hinaus halten wir eine Verbesserung der Futtermittelkontrollen und eine offene Deklaration der Gemenganteile in Mischfutter für notwendig.
Allerdings erwarten wir bei der Ausgestaltung und Anwendung von Tiermehlverboten europaeinheitliche Lösungen. Das Gleiche gilt für die Kennzeichnung und Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischprodukten.
In unserem Antrag „Sofortmaßnahmen zur Bewältigung der BSE-Krise“ verlangen wir zudem verstärkte Forschungsaktivitäten und einen Ausbau der Laborkapazitäten, um umgehend in Niedersachsen flächendeckende BSE-Tests durchführen zu können.
Bei der Bewältigung der verschiedenen Maßnahmen zur BSE-Vorsorge und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes halten wir eine maßgebliche Finanzierung durch EU, Bund und Land für unabdingbar. Es ist bedauerlich, dass die gestrigen Gespräche der Ministerpräsidenten beim Kanzler
kein Ergebnis gebracht haben. Man hat sich in dieser Frage lediglich auf eine Arbeitsgruppe zu diesem Thema einigen können.
Die Tierhalter, die gegenwärtig Einbußen von 20 bis 30 % in der Rindfleischproduktion haben, können keine zusätzlichen Lasten schultern. Das Gleiche gilt für die tierkörperbeseitigungspflichtigen Landkreise, die nach heutiger Lage das 3,5- bis 4-fache für die Tierkörperentsorgung zu zahlen haben.
Wir fordern ein Hilfsprogramm für die betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe mit klaren, nachvollziehbaren Kriterien. Hier bleibt insbesondere die Bundesregierung in der Pflicht, da sie Entscheidungen mit nachhaltigen Auswirkungen auf betroffene Betriebe getroffen hat.
Vage Ankündigungen von Ministerpräsident Gabriel zur Gewährung von Überbrückungsbeihilfen oder Bürgschaften helfen in dieser für viele Betriebe existenziellen Notsituation nicht weiter.
Meine Damen und Herren, Kerngedanke aller Bemühungen muss die Verbesserung des Verbraucherschutzes und der gesundheitlichen Unbedenklichkeit unserer Nahrungsmittel sein. Verbraucherschutz muss wie ein menschliches Grundrecht bewertet werden. Er findet Niederschlag in den europaweit führenden Qualitätsstandards unserer Nahrungsmittel. Das darf aber nicht bedeuten, dass wir bei aller notwendigen Emotionalität die wirtschaftliche Situation der betroffenen Tierhalter und der vor- und nachgelagerten Bereiche außer Acht lassen.
Wir sind zur Umsetzung notwendiger und auch unpopulärer Maßnahmen zur Zusammenarbeit mit der Landesregierung zur Verbesserung der Nahrungsmittelsicherheit bereit. Wir erwarten aber, dass die Landesregierung nicht nur als Erfüllungsgehilfe der Bundesregierung agiert, sondern als politischer Sachwalter des Agrarlandes und Nahrungsmittelstandorts Nummer 1 in Deutschland eigenständig und konsequent handelt. - Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Zu den aufgerufenen Tagesordnungspunkten und zur Einbringung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Herr Kollege Klein das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte beide Anträge der Grünen zusammen vorstellen, die wir sehr bewusst gesplittet haben, weil darin zwei unterschiedliche Bereiche behandelt werden. Ich beginne mit dem Antrag „BSE bekämpfen statt verwalten“.
Ich möchte kurz noch einmal die falschen Weichenstellungen der Vergangenheit ins Gedächtnis rufen und daran erinnern, dass wir es waren, die schon 1994 gefordert haben, dass generell verboten wird, Tiermehl zu verfüttern. Wir sind nie auf offene Ohren gestoßen, sondern immer abgebürstet worden.
Ich möchte daran erinnern, dass BSE in Deutschland lange Zeit geleugnet und abgewiegelt wurde, und ich möchte daran erinnern, dass wir vorschnell und besserwisserisch daran gehindert wurden, gegen eine Aufhebung des britischen Exportverbotes hier in Niedersachsen einzutreten. Daran hat sich übrigens auch die CDU beteiligt.
Ich möchte auch daran erinnern, dass der frühzeitige Einsatz von BSE-Tests auch von unserem Landwirtschaftsminister verworfen, kleingeredet und als „Wahnwitz“ - wir wissen das - bezeichnet wurde.
Ich glaube, wir müssen endlich aus dieser passiven Haltung herauskommen, zu meinen, man müsse nur die Tiermehlverfütterung einstellen, dann werde sich das Problem, dann werde sich diese Seuche schon erledigen, aussterben oder sich im wahrsten Sinne des Wortes totlaufen. Wir müssen zu einer aktiven Seuchenbekämpfungsstrategie kommen. Die ist umso nötiger, da gerade bei BSE noch viele Fragen offen und ungeklärt sind.
Ich möchte hier auch ganz deutlich sagen, dass ich mich bei den Tests ganz vehement gegen die vielen Legenden wehre, die jetzt wieder entstehen, wonach alles nicht mit rechten Dingen zugegangen sein könne und Firmen vor dem Konkurs gestanden hätten. Ich weiß nicht, welche Dolchstoßlegenden jetzt überall gestrickt werden. Ich meine, das ist genau der falsche Weg. Wir sollten uns
endlich - das gilt auch für den Berufsstand - zu dem Problem bekennen und versuchen, das langsam in den Griff zu bekommen. Es gibt keine große BSE-Verschwörung, wie manche Funktionäre der Landwirte das manchmal glauben machen wollen.