Protokoll der Sitzung vom 22.02.2001

„Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen sind ganztagsschulische Angebote auch in Niedersachsen erforderlich. Familie und Beruf sind miteinander zu verbinden.“

(Zuruf von der CDU: Das ist doch richtig und nicht falsch!)

Lassen Sie mich ein weiteres Beispiel anführen. Vorschlag der Landesregierung:

„Ganztagsschulen machen ein ganztägiges Unterrichts- und Freizeitangebot, Arbeits-, Übungsstunden, Fördermaßnahmen, Freizeitangebote, Angebote von Lehrkräften, Sozialpädagoginnen, Sozialpädagogen, anderem geeigneten Personal oder von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern außerschulischer Träger, Vereine, öffentliche Jugendhilfe, Kirche, Betriebe.“

Das Echo, die Kopie:

„Zum Bildungs- und Freizeitangebot gehören insbesondere Hausaufgabenbetreuung, wahlfreier Unterricht, Fördermaßnahmen, Übungsstunden, Arbeitsgemeinschaften, Angebote im Zusammenhang mit Dritten.“

So geht es weiter. Ein weiteres Beispiel: Zur offenen Ganztagsschule mit freiwilliger Teilnahme lautet der Vorschlag der Landesregierung: als eine von möglichen Entwicklungen. – Das Echo, die Kopie: offene Ganztagsschulen nach dem Baukastenprinzip, freiwillig und sofort.

Vorschlag der Landesregierung: Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen. – Echo, Kopie: Öffnung der Schule in ihrem Umfeld und Kooperation mit Dritten.

Man kann es bildungspolitische Tragik nennen, wenn Sie in Ihrem ständigen Bemühen, schulpolitisch erforderliche Entwicklungen zu bremsen, auch diesmal wieder verspätet auf einen fahrenden Zug in die Zukunft aufzuspringen versuchen, dessen Modell bereits erprobt ist.

Ihr Antrag enthält im Übrigen einige rätselhafte und unerklärliche Punkte, über die wir im Ausschuss sprechen müssen. Ihre Unterstellung, dass Ihr Vorschlag preiswerter, weniger finanzträchtig sein soll als das, was aus dem Vorschlag der Landesregierung abgeleitet werden kann, kann ich nicht nachvollziehen. Das kann ich beispielsweise schon deswegen nicht, weil Sie über 16 Uhr hinausgehen, ein Angebot bis 17 Uhr vorhalten wollen. Besonders teuer ist auch Ihre Zusage, Kommunen und Kooperationspartner zu fördern. Das bedeutet ja wohl eine Beteiligung an den Sach- und Personalkosten der kommunalen Schulträger. Dieses Versprechen müsste man auch in Mark und Pfennig ausdrücken. Es sind weitere Punkte zu nennen, etwa die Ausweitung auf andere

Schulformen, die bisher nicht vorgeschlagen worden ist. Dazu fehlt - wie bei Ihnen üblich - eine seriöse Finanzplanung.

(Eveslage [CDU]: Haben Sie viel- leicht auch noch einen Kommafehler entdeckt?)

Aber darüber werden wir im Ausschuss beraten.

Alles in allem begrüßen wir es – das habe ich bereits am Anfang gesagt -, dass Sie ausweislich des Entschließungsantrages mit der sehr bewährten Arbeit der bereits bestehenden Ganztagsschulen einverstanden sind – das signalisieren Sie – und dass Sie den landesweit diskutierten Überlegungen der Landesregierung, sich durch Ganztagsschulen internationalen Standards zu nähern, frauen- und familienpolitische Schritte in eine Bildungszukunft zu gehen, offenkundig folgen wollen. Damit ist der Wille unserer Fraktion und der Landesregierung abgebildet – Ihre Unterstützung in diese Richtung begrüßen wir -, den Investitionsschwerpunkt des Landes nicht auf Holz, Stein oder Stahl, sondern auf die Qualifizierung unserer jungen Generation zu legen. Die Ausstattung zahlreicher Schulen in Niedersachsen als Ganztagsschulen wird einen Beitrag dazu leisten. - Danke.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin Jürgens-Pieper, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon gesagt worden: Mit dem Entschließungsantrag „Lernen plus – Das Nachmittagsprogramm in der Schule“ zeigt die CDU-Fraktion, dass sie die Ganztagsschule wieder entdeckt hat. Das war schon einmal so. Herr Horrmann hat sich vorhin schon gemeldet. Wir wollen in der Tat nicht unerwähnt lassen, dass es in seiner Zeit als Kultusminister 33 Schulversuche mit dem offenen Modell und den Gesamtschulen gab, die damals auch Ganztagsschulen waren. Es gab durchaus auch unterschiedliche Angebote im Ganztagsbereich, einmal gebundene, einmal offene Angebote.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte insgesamt ausführen.

Hier scheint die Linie zu verlaufen, über die wir uns streiten. Das hatten wir alles schon einmal in dem Ganztagserlass beseitigt, ob es nun um die freiwillige, die gebundene oder die offene Form ging. Unser Erlass enthält alle Möglichkeiten, die offene, die halbgebundene und die gebundene Form. Sie müssten das eigentlich bildungspolitisch diskutieren; denn bei Ihrem Modell, Abitur nach zwölf Jahren, haben Sie in den Schulstrukturvorschlag geschrieben – ich weiß nicht, ob Sie es schon vergessen haben -, dass Sie die Stunden in den Nachmittag verlegen wollen, dass Sie sie also nicht streichen wollen.

Herr Klare, das bedeutet, dass da Lehrerstunden verpflichtend enthalten sind. Wenn Sie diese mit einem Mal wegdiskutieren, dann ist ein ganzes Schuljahr weg. Ich erinnere Sie nur daran, damit das auch seriös bleibt. Ich finde es gut, dass Sie das so formuliert haben, dass das 13. Schuljahr nicht einfach gestrichen werden soll, sondern dass die entsprechenden Stunden in den Nachmittag verlagert werden sollen. Sie können dann aber nicht gleichzeitig ausschließlich über freiwillige Angebote diskutieren; das geht nicht. Das haben Sie in Ihrer Argumentation noch gar nicht gemerkt.

Ich brauche wohl nicht zu begründen, warum wir Ganztagsschulen brauchen. Vieles ist dazu gesagt worden: die Berufstätigkeit von Müttern, viele Alleinerziehende, Zunahme der Zahl der Einzelkinder, die Notwendigkeit von Stützungsangeboten, aber auch der Begabtenförderung. Auch diese ist im Nachmittagsbereich natürlich leicht anzusiedeln. Ich glaube, darin sind wir uns insgesamt einig.

Aber, Herr Klare, Sie haben in Ihrem Antrag offensichtlich ein großes Vorhaben schnell entworfen. Ich weiß nicht, ob Sie Ihren Finanzpolitikern dabei reinen Wein eingeschenkt haben. Nun ist das für Sie in der Opposition vielleicht nicht in dem Maße notwendig. Dabei wollen Sie vermutlich auch bleiben; denn anderenfalls müssten Sie Ihren Finanzpolitikern einmal genau Auskunft darüber geben, was Sie jetzt gemacht haben.

Sie verweisen auf den Antrag zum Haushalt, den Sie gestellt haben und der 3 000 Stellen vorsieht. Ich rechne Ihnen einmal vor, was Sie alles gefordert haben: Sie fordern für die Unterrichtsversorgung an allgemeinbildenden Schulen 1 500 Stellen,

das macht 131 Millionen DM. Sie fordern für die berufsbildenden Schulen 1 500 Stellen, das macht noch einmal 131 Millionen DM. Damit sind wir bei 262 Millionen DM. Ihre Vorschläge zur Erhöhung der Stundentafel in Ihrem Schulstrukturvorschlag - wahrscheinlich haben Sie das schon vergessen - machen 1 021 Stellen aus. Damit sind wir bei 351 Millionen DM. Für die von Ihnen geforderte Erhöhung der Schülerpflichtstundenzahl in der Kursstufe werden 336 Stellen benötigt, das macht 29 Millionen DM. Damit sind wir bei insgesamt 380 Millionen DM. Die in Ihrem Schulstrukturvorschlag vorgesehene Erhöhung der Stundentafel an Haupt- und Realschulen erfordert 311 Stellen, das macht 407 Millionen DM. Allein die drei letztgenannten Vorschläge erfordern 1 668 Vollzeitstellen. Insgesamt kosten die fünf genannten Maßnahmen 407 Millionen DM. Die Rechnung geht aber noch weiter. Jetzt kommen die Ganztagsschulen.

Ich sage das nur, weil Sie es dem Fraktionsvorsitzenden zum Vorwurf machen, dass er einmal solide sagt, was ein solcher Ausbau kostet. Das muss man den Finanzpolitikern darlegen, und man muss es anschließend finanzieren können. Sonst ist man unsolide.

Die Rechnung geht also weiter. Im Ausschuss wurde nicht ausgeführt, wie hoch der Investitionszuschuss sei. - Herr Eveslage wird sich für die kommunale Seite freuen. - Den haben Sie auch drin. Das wollen wir im Ausschuss noch von Ihnen hören.

Jetzt kommt der von Ihnen geforderte Ganztagsbetrieb. Für die Jahrgänge 5 bis 10 würde das für 20 bis 40 % aller Schülerinnen und Schüler, selbst auf der Basis von 630-DM-Verträgen - solche werden Sie, Herr Klare sicherlich im Auge haben; sonst geht das alles gar nicht - ,bis zu 168 Millionen DM kosten. Vor der Presse haben Sie von 100 Millionen DM gesprochen, gerechnet ohne Investitionszuschuss und ohne Lehrerstunden.

(Vizepräsidentin Litfin übernimmt den Vorsitz)

Jetzt muss man sich Folgendes auf der Zunge zergehen lassen - ich weiß nicht, ob Sie das einmal ausgerechnet haben -: Unter Zugrundelegung von 630-DM-Verträgen und den von Ihnen vorgesehenen Öffnungszeiten brauchen Sie für die Umsetzung Ihres Vorschlages 18 000 Personen am Nachmittag - wenn Sie es anders als mit 630-DM

Verträgen machen wollten, würde es noch teurer, und ich sage hier „Personen“, weil ich nicht weiß, welche Qualifikation diese Leute haben sollen -, die pro Woche 124 000 Stunden ableisten müssten.

Die Bildungsoffensive der Landesregierung ist durchfinanziert. Ich meine, dass insoweit bei Ihnen noch erheblicher Diskussionsbedarf besteht. Wir führen auch eine Evaluation der bestehenden Ganztagsschulen durch. Ich werde Ihnen darüber im Kultusausschuss berichten können.

Im Hinblick auf Ihre weiteren Berechnungen will ich Ihnen, Herr Klare, weil Sie zu den Lehrerstunden am Nachmittag noch nichts gesagt haben, Folgendes sagen: Ich habe Ihnen Ihr Modell jetzt nur auf der Grundlage von 630-Mark-Verträgen durchgerechnet; sonst wird es teurer. Sie können davon ausgehen, dass für eine Lehrerstunde am Nachmittag an allen Sek-I-Schulen, wie Sie es ja vorgesehen haben, mit 26 Millionen DM gerechnet werden muss.

(Frau Körtner [CDU]: Haben Sie Ihr Konzept auch so gut ausgerechnet, Frau Ministerin?)

- Nein. Ich kannte es ja nicht. Wenn er es mir vor der Pressekonferenz vorgelegt hätte, dann hätte ich es ihm ausrechnen können. Vielleicht wäre es dann auch Ihren Finanzpolitikern leicht gefallen, zu durchschauen, was er hier eigentlich vorschlägt.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, im Augenblick rotieren Sie. Aber wir gehen mit unserem Konzept geradeaus weiter. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der SPD - Eveslage [CDU]: Das war ein Eigen- tor, das Sie gemacht haben!)

Der Kollege Klare hat sich noch einmal zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will nur zu zwei oder drei Gesichtspunkten ganz kurz Stellung nehmen.

Lieber Kollege Fasold, Sie haben sich, glaube ich, auf die Ganztagsschule kapriziert. Unser Programm heißt aber „Lernen plus - Das Nachmit

tagsprogramm in der Schule“. Es gibt eben einen ganz gravierenden Unterschied zwischen Ihrem Ansatz und dem, was wir hier im Konzept vorgestellt haben:

(Meinhold [SPD]: Ihr Vorschlag ist teurer!)

nach Bedarf, familienergänzend und auf freiwilliger Basis. Wir gehen davon aus, dass etwa 20 bis 40 % der Schülerinnen und Schüler dieses Angebot wahrnehmen werden.

Eine Ganztagsschule, Frau Ministerin, ist ein verpflichtendes Angebot. Ein verpflichtendes Angebot ist falsch und unpädagogisch, weil es undifferenziert auf die Schülerinnen und Schüler zugeht. Das geht nicht, das wollen wir nicht.

(Zuruf von Frau Lau [SPD])

Lassen Sie mich noch die Berechnung ansprechen. Frau Ministerin, ich hätte mir gewünscht, Sie hätten das Konzept des Ministerpräsidenten dagegengestellt. Aber davon haben Sie, die Sie uns gerade diesen Vorwurf gemacht haben, ja auch nichts gewusst. Wenn Sie es gekannt hätten, dann hätten Sie es ja auch vorher durchrechnen können.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

Dieses Modell einer Ganztagsschule ist um ein Vielfaches teurer. Also seien Sie uns dankbar dafür, dass wir Ihnen ein pädagogisch sinnvolles und finanziell nicht so aufgeblähtes Konzept vorstellen.

(Beifall bei der CDU)

Vielleicht können wir uns in dem Bereich einigen. Darüber werden wir ja noch reden.