Protokoll der Sitzung vom 16.05.2001

(Zuruf von Plaue [SPD])

Nun werden sich an Stelle dieser formalen Strukturen leider informelle Strukturen der Hauptverwaltungsbeamten herausbilden. Wir bedauern das.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Organisationsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts für die Bereiche Abfallwirtschaft und Krankenhauswesen ist auch bisher nicht im Gesetzentwurf ermöglicht worden. In diesen Bereichen müssen wir nacharbeiten. Dies wäre aus unserer Sicht die richtige Rechtsform für diese Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge, Herr Aller. Nur wer hier eine schlichte Privatisierung dieser Dienstleistungen erzwingen will, kann Vorbehalte gegen diese Organisationsform haben, die in Bayern und Nordrhein-Westfalen bereits erfolgreich eingeführt worden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von Frau Elsner-Solar [SPD])

Gerade weil diese Struktur mit den notwendigen kreisübergreifenden Zusammenschlüssen, die auch Frau Dr. Trauernicht - die gerade nicht anwesend ist - befürwortet, auch für das ganze Land eine effiziente Chance wäre, müsste Sie sich eigentlich auch dafür einsetzen, sie als Anstalt des öffentlichen Rechts in Niedersachsen zu ermöglichen.

Wir haben auch kein Verständnis dafür, dass die kommunalen Arbeitgeber bisher im Tarifvertrag zur Regionsbildung nicht zugestimmt haben, betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen und keine Privatisierungen bei der Reform vorzunehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir meinen, dass das als vertrauensbildende Maßnahmen der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern ein wichtiger Schritt wäre. Denn letztendlich tragen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Hauptlast der Regionsbildung.

Gefreut hat uns dagegen, dass grüne Bedenken gegenüber der Wohnungspolitik - zeitweise war sie komplett auf die Gemeindeebene heruntergebrochen - dann doch noch Gehör gefunden haben und sie jetzt wieder auf dem Status des ursprünglichen Entwurfs bei der Region angesiedelt worden ist. Erfreulich ist auch, dass verschiedene Wünsche von Landkreisgemeinden wie Springe berücksichtigt worden sind, nämlich dass Springe trotz der knapp unter 30 000 liegenden Einwohnerzahl mit diesem Gesetz trotzdem in der Lage sein wird, ein eigenes Jugendamt zu führen. Ich meine, solche Besonderheiten müssen auch möglich sein, wenn individuell die Bereitschaft besteht.

Wir werden unter Hinweis auf die aus unserer Sicht noch nicht ausreichend berücksichtigten Aspekte aus vollem Herzen gern diesem Gesetzentwurf zustimmen. Ich hoffe, es ist nicht nur ein Erfolgsmodell für die Region Hannover, sondern für ganz Niedersachsen, und dass mit diesem Gesetz auch ein positiver Anstoß andernorts gegeben wird. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Herr Kollege Schwarzenholz hat für bis zu zwei Minuten das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zustimmung zu dem heutigen Gesetzentwurf eröffnet eine neue Welle der Gebiets- und Verwaltungsreform in Niedersachsen.

Herr Wulff, Sie haben heute wider besseren Wissens versucht, darzustellen, dass Sie der Meinung sind, das sei ein einmaliger Vorgang bzw. ein Sondersituation in Hannover. – Sie wissen, dass in den Beratungen in den Fachausschüssen bzw. in dem, was von der SPD im Land verbreitet wird, ganz offen über den Modellcharakter gesprochen wird.

Die Zerschlagung der Landkreise ist mittelfristiges Ziel, und die SPD hat eine andere Strategie eingeschlagen. Sie hat aus der Gebiets- und Verwaltungsreform 1974 gelernt, die der SPD die Regierungsmacht gebracht hat. Viele so genannte Großkreise zu bilden, die man beschönigend Region nennt, und eine neue Gebiets- und Verwaltungsreform auszulösen, ist die treibende Kraft.

Im Braunschweigischen laufen die Vorbereitungen auf vollen Touren. Man spricht davon – auch in den Ausschussberatungen ist das offen auf den Tisch gekommen – und löst einen Mechanismus aus, dem sich niemand entziehen kann. Die dies wollen, sollen das aber auch offen sagen. Alles andere ist Rosstäuscherei. Die Bevölkerung in Niedersachsen wird in dieser Frage belogen.

Hier wird eine Gebiets- und Verwaltungsreform durchgeführt, die nicht mehr Demokratie ermöglicht, sondern in der immer mehr Entscheidungen nach oben gezogen werden. Das ist auch das beherrschende Element des so genannten Regionsgesetzes. Es werden nicht die Entscheidungen von oben nach unten verlagert, sie werden nicht den Menschen stärker verfügbar gemacht, sondern die Entscheidungen werden überwiegend von unten nach oben gezogen. Das ist etwas, was die Politikverdrossenheit erhöhen wird. Wir können keine logische Konsequenz erkennen, dass das, was nun beschlossen wird, auch mit dem Europa der Regionen übereinstimmt. Denn das, was heute beschlossen werden soll, ist keine Region Hannover. Würde eine Region Hannover bzw. ein Europa der Regionen auf Niedersachsen herunterdekliniert, kämen drei bis vier Regionen in Niedersachsen heraus, aber nicht ein solcher Großlandkreis, wie er heute gebildet wird.

Ein Europa der Regionen wird starke und nicht geschwächte Landkreise brauchen. Insoweit werde ich dem Gesetzentwurf heute nicht zustimmen, weil es deutlich erkennbar ist, dass dieser Gesetzentwurf nichts anderes bedeutet als den Einstieg in eine neue Welle der Gebiets- und Verwaltungsreform nach altem sozialdemokratischen Muster.

(Adam [SPD]: Na, na, na! – Plaue [SPD]: Er sucht verzweifelt nach Verbündeten und findet keine!)

Das Wort hat Herr Innenminister Bartling.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist mir trotz der kritischen Anmerkungen von Herrn Schwarzenholz eine besondere Freude, heute mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Region Hannover ein einzigartiges – wie es in der Hannoversche Allgemeine Zeitung heute zu Recht formuliert wird – Gesetzeswerk mit zu verabschieden. Es war alles andere als sicher, ob es zu dieser großen Lösung kommen würde. Lange Zeit schwebte als kleine Lösung eine Erweiterung der Kompetenzen für den Kommunalverband Großraum Hannover über den notwendigerweise komplizierten und langwierigen Verhandlungen.

Es ist in der Geschichte Niedersachsens und wohl auch der Bundesrepublik einmalig, meine Damen und Herren, dass eine Stadt der Größe Hannovers freiwillig – denn dies liegt dem Gesetz zugrunde – auf die Trägerschaft über solch gewichtige Einrichtungen wie Berufsschulen, Abfallwirtschaft, Krankenhäuser verzichtet und weitere gewichtige Verwaltungsaufgaben wie die Sozialhilfe und die wichtigsten Umweltaufgaben einer anderen Körperschaft überträgt, selbst wenn der Verlust durch die mit der Wiederzugehörigkeit zu dieser Körperschaft verbundene Mitwirkung an den Entscheidungen in diesen Aufgabenbereichen, insbesondere durch die von ihren Bürgerinnen und Bürgern mitgewählte Regionsversammlung, ausgeglichen wird.

Dahinter steht die Erwartung, dass die Regelungen der Aufgabenwahrnehmung zu einer sinnvollen und kostengünstigen Aufgabenerledigung auf jeder Ebene führen. Das Gesamtinteresse der Region und der hier lebenden 1,1 Millionen Menschen ist von den Verantwortlichen in der Landeshauptstadt

vor das Interesse der eigenverantwortlichen Aufgabenerledigung gestellt worden.

Demgegenüber müssen die kreisangehörigen Gemeinden akzeptieren, dass die Landeshauptstadt künftig über ihre Mitglieder in der Regionsversammlung und/oder den von ihnen gewählten Regionspräsidenten oder die Regionspräsidentin in einem sehr viel größeren Umfang Einfluss ausüben wird, als es gegenwärtig innerhalb des Kommunalverbands Großraum Hannover bereits geschieht.

Funktionieren kann das Ganze nur – darin stimme ich Herrn Wulff in seinen kritischen Anmerkungen zu, auf die ich noch etwas intensiver eingehen werde –, wenn die Entscheidungsträger und die Betroffenen das Gesamtinteresse über örtliche Sonderinteressen stellen. Das gilt insbesondere für die Bereiche, die gesetzlich nicht geregelt sind - namentlich die Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung und die kommunale Förderung des sozialen Wohnungsbaus.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, als ich im vergangenen Jahr die Regionsvorlage einbrachte, standen Hannover und die engere Umgebung im Banne der EXPO 2000 und damit im Brennpunkt eines bundesweiten öffentlichen Interesses.

Herr Minister, eine Sekunde. – Meine Damen und Herren, dieser Geräuschpegel ist bei diesem Thema völlig inakzeptabel. Man mag zu dem Problem stehen, wie man will, aber wir verabschieden ein hochbedeutsames Gesetz, und ich meine schon, dass der Minister dabei mehr Aufmerksamkeit verdient hat.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Weltausstellung hat im Großraum Hannover mit ihren Ausstellungs- und Veranstaltungshallen, zusätzlichen Verkehrsträgern und einer ganzen Reihe von dezentralen EXPO-Projekten eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur und einen starken Schub der wirtschaftlichen Entwicklung gebracht – beim Fremdenverkehr ebenso wie in der Attraktivität als Wirtschaftsstandort.

Heute – ein Jahr nach der EXPO – erleben wir in Hannover eine gewisse Nostalgie, was die Weltausstellung betrifft, zugleich aber auch den festen Wunsch, die neuen Standortvorteile zu nutzen und auszubauen. Darin fügt sich die Schaffung der Region Hannover ein, die wir, die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages, jetzt beschließen werden.

Es wird nicht nur eine einzigartige, maßgeschneiderte kommunale Selbstverwaltungskörperschaft gebildet, sondern eine regional begrenzte Funktionalreform von der Bezirksebene bis zu den Gemeinden in Gang gesetzt. Sie wird eine weit reichende Strukturreform auch innerhalb der einzelnen Behörden und betroffenen Einrichtungen zur Folge haben und in Amtsstuben wie in kommunale Betriebe frischen Wind bringen, der sicherlich durch neue Kräfte in den kommunalen Gremien als Folge der bevorstehenden Kommunalwahl noch verstärkt wird.

Ich hoffe und wünsche mir, dass alle kommunalen Verantwortungsträger in den Verwaltungen wie in den künftigen ehrenamtlichen Organen darin eine Chance sehen, die Zusammenarbeit in der Region zum Vorteil aller zu stärken und vor allem die neuen Aufgaben im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger möglichst effizient wahrzunehmen. Das gilt insbesondere für die künftige Regionsverwaltung, die in einer neuen Organisation entstehen soll.

Sieht man einmal von dem selbstverständlichen Ausgleich für die von der Bezirksebene übergehenden Ausgaben ab, muss die Region Hannover ohne zusätzliche Mittel des Staats zurechtkommen. Durch Synergieeffekte, die mit der Aufgabeneustrukturierung und insbesondere durch die Bündelung von Aufgaben in der Regionsverwaltung ermöglicht werden, besteht die große Chance, die öffentliche Verwaltung im Großraum Hannover nicht nur bürgernäher, sondern auch kostengünstiger zu fahren.

Ich warne allerdings vor der Annahme, dies könnte schon kurzfristig zu Einsparungen bei den Personal- und sächlichen Verwaltungskosten führen. Vielmehr werden der Neuaufbau eines Verwaltungskörpers und die Umstrukturierung von Aufgaben auf drei Ebenen zunächst einmal starke Kräfte binden. Zudem sind alle personalwirtschaftlichen Maßnahmen sozialverträglich zu gestalten. Das haben die alten Gebietskörperschaften auch bereits getan. Das sollte, meine

Damen und Herren, im Übrigen auch nicht übersehen werden, wenn heute von Warnstreiks der Beschäftigten bei Stadt und Landkreis Hannover zu lesen ist, die damit ihren Besitzstandswahrungsforderungen bei den Verhandlungen über den Regionstarifvertrag Nachdruck verleihen wollen. Ich vertraue darauf, dass die Tarifpartner - alles vernünftige Leute - ihrer Verantwortung gerecht werden und einen Kompromiss finden, der der gemeinsamen Sache Region weiterhilft. Nach wie vor bin ich gleichwohl der Überzeugung, dass sich die Region Hannover rechnen wird, dass sie auch für das ganze Land Niedersachsen Vorteile bringt.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung sieht in ihrem Gesetzentwurf unverändert keinen Anstoß für eine neue Bezirks- oder gar Kreisreform. Auch die zusätzlichen Aufgaben der kreisangehörigen Gemeinden in der Region können kein Maßstab für ein Aufgabenverteilung in anderen Landesteilen sein. Herr Schwarzenholz, wenn Sie auf 1974 hinweisen und den Verdacht äußern, nun würden wir heimlich eine neue Kreisreform in Gang setzen,

(Schwarzenholz [fraktionslos]: Heim- lich ist das nicht!)

bzw. wenn Sie meinen, das sei schon offensichtlich, dann kann ich Ihnen eines versichern: Daran würde uns schon die Angst, wegen einer neuen Kreisreform Mehrheiten zu verlieren, hindern. Sie können sicher sein, dass wir davon die Finger lassen.

(Zurufe von der CDU)

Herr Wulff, lassen Sie mich einige wenige Worte zu Ihren Anmerkungen sagen. Sie haben in drei Vierteln Ihrer Rede einen Popanz aufgebaut, was die Ängste und Ähnliches angeht. Das aber macht gerade Ihr Problem deutlich: Sie mussten ja irgendwie begründen, warum Sie dem Gesetzentwurf nun zustimmen. Denn wenn man ernst nimmt, was Sie gesagt haben, wenn das der Anfang einer Entwicklung ist, die Sie befürchten, dann dürften Sie ihn eigentlich nicht mittragen.

Ich sage es noch einmal: Die Landesregierung wird von sich aus keine Gebiets- und Verwaltungsreform auf den Weg bringen. Der Modellcharakter, Herr Kollege, von dem Sie vorhin gesprochen haben, wird von anderen Gebieten der Bundesrepublik Deutschland bei uns nachgefragt. Uns liegen die Briefe von Frankfurt auf dem Tisch, in denen nachgefragt wird, wie wir das in unserem

Großraum hinbekommen haben. Ein Modell für andere Bereiche Niedersachsens ist das nicht. Aber wenn man z. B. in Osnabrück sagt, man wolle eine engere Zusammenarbeit zwischen Stadt und Landkreis, aber werde durch eine gesetzliche Bestimmung daran gehindert, dann werden wir dafür Sorge tragen, dass diese bessere Zusammenarbeit von denen, die das wollen, gestaltet werden kann. Das Freiwilligkeitsprinzip hat hier eine Rolle gespielt.

(Beifall bei der SPD)

Dabei helfen wir. Aber wir werden aus der Erfahrung von 1974 heraus nicht wieder versuchen, hier etwas überzustülpen, was Sie als eine zukünftige Kreisreform bezeichnen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Aber das Ziel ist das gleiche!)

Meine Damen und Herren, eine besondere Herausforderung ist es, auch die Gemeinden des angrenzenden zweiten Rings an den Vorteilen der Region teilhaben zu lassen. Für sie stellt sich, wie z. B. der Kreistag des Landkreises Schaumburg - meiner eigenen Region, in der auch immer solche Ängste verbreitet werden - in einer Resolution bereits festgestellt hat, die Bildung der Region Hannover nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung und Chance dar.

Die Landesregierung, meine Damen und Herren, wird eine kreisgrenzenübergreifende Zusammenarbeit auch mit der Region Hannover fördern: durch auf der Bezirksebene zu erarbeitende regionale Entwicklungskonzepte, aber auch durch Vorschläge für eine Erweiterung der Möglichkeiten des Rechts der kommunalen Zusammenarbeit, dessen Novellierung die niedersächsische Landesregierung noch in dieser Wahlperiode anstrebt.

Auf einen der anwesenden Väter der Region ist schon hingewiesen worden. Ich darf zum Schluss neben Herrn Valentin Schmidt und all denen, die dazu gehören, auch noch allen anderen danken, die das Regionsschiff mit an seinen heutigen Hafenplatz bugsiert haben: den Abgeordneten der vielen beteiligten Ausschüsse, dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst, den Vertreter der beteiligten Kommunen und insbesondere der Lenkungsgruppe „Region Hannover“, die bis zur letzten Woche unermüdlich die Meinungsbildung in der Region gefördert und gebündelt hat.