Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kaum ein Thema beschäftigt die Menschen derzeit so wie die Debatte über das Für und Wider der Gentechnik. Vielen geht es dabei genau wie mir: Je mehr ich über das Thema weiß, desto mehr Fragen stellen sich. Dürfen wir alles tun, was wir können? Was dürfen wir, was müssen wir lassen? – Ich kann heute weder Ratschläge erteilen noch eine Lösung aufzeigen, weil ich selber Rat Suchende bin.
Erstmals in der Schöpfungsgeschichte kann der Mensch in seine Entwicklung selbst eingreifen, kann menschliches Leben prägen und formen. Die Gentechnik macht es möglich. Aber ist der Mensch dann noch ein einmaliges Geschöpf, einzigartig und unverwechselbar? Oder wird er ein kopierbares Produkt? Verändern wir mit der Gentechnik die Entwicklung der Menschheit nicht so dramatisch, dass wir möglicherweise nicht mehr in der Lage sein werden, Fehlentwicklungen zurückzunehmen, weil sich diese Entwicklungen verselbstständigt haben?
Andererseits fragen uns Kranke und Behinderte, warum wir Genforschung nicht nutzen, um ihnen das Leben zu erleichtern und ihre Leiden zu lindern.
Meine Damen und Herren, der Frage „Wann beginnt menschliches Leben?“ folgt sofort eine andere: Dürfen wir an menschlichen Embryonen forschen? - Die Frage nach dem Beginn des Lebens lässt sich für mich relativ einfach beantworten: mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Nicht jeder kann das nachvollziehen, das weiß ich, weil
da ja so wenig zu sehen ist; da erinnert ja so wenig an Mensch. Aber doch ist dies der erste Schritt zum Menschen. Sein Aussehen, sein Charakter, seine Haarfarbe und auch mögliche Erbkrankheiten werden in dem Moment der Zeugung festgelegt. Darum gilt es, den Embryo zu schützen.
Damit stellt sich für mich aber auch die Frage, wie wir mit dem Thema „Verhütung durch die Spirale“ umgehen. Die Spirale - das wurde eben schon gesagt - verhindert die Einnistung eines befruchteten Eies, also eines Embryos, in die Gebärmutter. Das müssen wir hier offen sagen. Trotzdem - das ist meine Überzeugung - dürfen wir Frauen - und es sind sehr viele -, die mit der Spirale verhüten, nicht zwingen, künftig anders, z. B. hormonell, zu verhüten, weil das möglicherweise ihren Körper schädigt. Das wäre ein Eingriff in eine sehr persönliche, sehr intime Entscheidung, die die Frau allein treffen muss, höchstens gemeinsam mit ihrem Partner.
Meine Damen und Herren, dürfen wir Embryonen zu menschlichen Ersatzteillagern degradieren? Dürfen wir zulassen, beginnendes menschliches Leben zu töten, um anderes Leben zu erhalten? Dürfen wir an embryonalen Stammzellen forschen, um Wege zu finden, bisher nicht heilbare Krankheiten zu lindern oder gar zu heilen?
Wer hierauf ein klares Nein parat hat, wird Schwerstkranken oder Behinderten erklären müssen, warum in Deutschland eine mögliche Heilung ausgeschlossen ist, warum in Deutschland etwas verboten ist, was in zehn anderen europäischen Ländern erlaubt ist.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fordert, lediglich an Embryonen zu forschen, die nach der Zeugung im Reagenzglas nicht in die Gebärmutter übertragen, sondern tiefgefroren wurden. Aber was ist, wenn diese Embryonen nicht reichen? Wird es dann eine Massenherstellung - sozusagen Embryonen am laufenden Band - geben? Dies ist für mich eine Horrorvorstellung, meine Damen und Herren; das dürfen wir niemals zulassen!
Auch hinsichtlich der Frage der Präimplantationsdiagnostik wäre es zu kurz gegriffen, in gut oder böse, schwarz oder weiß unterscheiden zu wollen. Ich sage ehrlich: Mir ist vor einer Gesellschaft bange, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte zwischen lebenswertem - weil gesundem - Leben und lebensunwerten - weil behinderten - Embryos entscheidet. Dann,
fürchte ich, ist die Welt, in der nur der junge, gesunde, arbeitsfähige Mensch etwas gilt, nicht mehr fern.
Auf der anderen Seite frage ich mich als Mutter von zwei gesunden Töchtern: Wie hätte ich reagiert, wenn ich damals erfahren hätte, mein Kind wird schwerstbehindert zur Welt kommen? Wer will über Eltern moralisch richten, die voller Zweifel darüber sind, ob sie ein schwer behindertes Kind durchs Leben begleiten können?
Meine Damen und Herren, all die von mir eben beschriebenen Gewissenskonflikte und Zweifel entbinden uns jedoch nicht von der Verpflichtung, nach gründlicher Prüfung notwendige Antworten zu geben, Antworten, in denen wir abwägen zwischen der Menschenwürde und der Ethik des Heilens. Lassen Sie uns gemeinsam danach suchen! Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur die Bundestagsdebatte, sondern auch die Debatte hier hat gezeigt, dass wir die Frage, wie wir mit dem Schutz von Embryonen weiter umgehen, von der Frage, wie wir mit den Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch umgehen, nicht wirklich trennen können. In beiden Diskussionen - ich kann mich an die Diskussionen zum Schwangerschaftsabbruch genau erinnern - spielt die Frage der Menschenwürde eine sehr, sehr große Rolle.
Ich will Ihnen aber auch noch einmal in Erinnerung rufen, dass die Vorstellung davon, was Menschenwürde ist und wann sie beginnt, nicht unabhängig auch von gesellschaftlichen Debatten ist. Deshalb lege ich Wert darauf, darauf hinzuweisen, dass auch diese Debatte Rückwirkungen auf die Vorstellungen haben wird, die wir in dieser Gesellschaft insgesamt dazu entwickeln, und dass diese Vorstellungen auch nicht bei allen Mitgliedern unserer Gesellschaft einheitlich sind.
Aus meiner Sicht geht es bei der ethischen Beurteilung des Embryonenschutzes und insbesondere der PID um zweierlei: erstens um die Frage, ob dem Embryo ein unbedingtes Lebensrecht zu
kommt, und zweitens um die Frage, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die PID als Selektionspraxis haben könnte.
Die Gegner der Embryonenforschung sprechen dem Embryo ja die volle Menschenwürde zu, und zwar - das ist hier gesagt worden - ab dem Zeitpunkt der Befruchtung der Eizelle. Ich möchte es noch einmal mit den Worten des Bundespräsidenten ausdrücken, der gesagt hat, die Befruchtung sei aus seiner Sicht der logische Beginn des Embryonenschutzes.
Ich sage Ihnen ehrlich: Ich habe erhebliche Zweifel daran, ob diese Position tatsächlich begründbar und haltbar ist. Für mich gibt es keine rationalen, aber auch keine moralischen Begründungen dafür, ein solches kategorisches Lebensrecht für Embryonen in diesem frühen Stadium zu fordern. Faktisch ist ein Embryo in diesem Stadium weit von einem Menschen entfernt. Das gilt aus meiner Sicht ganz unabhängig von der Tatsache, dass es sich natürlich um artspezifisches menschliches Leben handelt. Aber wenn die Menschenwürde des Embryos bereits in diesem Stadium am Beginn seiner Entwicklung so absolut gesetzt wird, dann ist eine Güterabwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen und dem Schutz des ungeborenen Lebens, wie es nach langer gesellschaftlicher Debatte und aus guten Gründen in den § 218 ff. StGB festgelegt worden ist, nicht mehr möglich. Das betrifft dann auch nicht nur die Frage des Spätabbruchs, Herr Gansäuer, sondern das betrifft die Frage des Schwangerschaftsabbruchs insgesamt. Darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen.
Für mich bliebe konsequenterweise nur die Möglichkeit einer Güterabwägung zwischen dem Leben der Mutter einerseits und dem Leben des Embryos andererseits übrig. Der übergroße Teil der durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche erfolgt aber nicht, weil das Leben der Mutter in Gefahr ist, sondern aus anderen, aber gleichwohl sehr gewichtigen Gründen, die im Übrigen nicht selten in einem engen Zusammenhang mit gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stehen.
Mit der Setzung eines Absolutheitsanspruchs der Lebensschutznorm für Embryonen von ihrem Ursprung an würde der gesellschaftliche Konsens und würden die gültigen Regelungen des § 218 StGB
Ich glaube, es ist auf die Dauer nicht haltbar, dass es einen unterschiedlichen Schutzstatus von Embryonen gibt - von Embryonen in der Petrischale einerseits und Embryonen im Mutterleib andererseits. Deswegen wird es auf die Dauer wohl auch nicht möglich sein, dass wir eine Untersuchung in der Petrischale kategorisch ablehnen, während wir diese Untersuchung, nachdem der Embryo implantiert ist, im Mutterleib ohne weiteres durchführen können. Ich frage Sie: Was wird am Ende dieser gesellschaftlichen Debatte wem angepasst?
Darüber hinaus bin ich auch sicher, dass gesetzliche Regelungen, die solche Widersprüche enthalten, letztlich von keiner Seite akzeptiert werden.
Um hier aber auch keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin überhaupt nicht für die völlige Freigabe der PID. Aber solange wir Pränataldiagnostik in diesem Umfang zulassen und solange wir Spätabtreibungen zulassen, können wir die PID nicht kategorisch verbieten.
Die PID ist nun einmal in den Augen gerade jener Eltern, die wissen, dass sie Träger von schweren Erbkrankheiten sind, aus ihrer Sicht eine mögliche Lösung und eine Option. Aber in jedem Fall bedeutet die Wahrnehmung dieser Option - das möchte ich hier noch einmal deutlich betonen eine schwere Belastung für die betroffenen Frauen, die eine im Reagenzglas erzeugte Schwangerschaft auf sich nehmen. Es wird nämlich viel zu wenig betont, dass die In-vitro-Fertilisation und die künstliche Befruchtung mit erheblichen Risiken verbunden sind und dass die Erfolgsquote nur bei 1,4 % liegt.
So viel noch einmal zu den Heilsversprechen der Reproduktionsmedizin. Es handelt sich um eine der härtesten Techniken der Reproduktionsmedizin.
Für Eltern, die letztlich vor der Frage stehen, ob sie ihren Kinderwunsch künftig durch die technischen, psychischen und auch physischen Risiken der künstlichen Befruchtung gegebenenfalls mit der PID realisieren wollen oder ob sie sich den
menschlichen und ethischen Problemen einer Spätabtreibung aussetzen wollen, wird diese Frage immer eine Abwägungsfrage bleiben und wird wohl auch durch die PID nicht klar entschieden werden.
Meine Damen und Herren, die Debatte über die Gentechnik ist von der Sorge um den Missbrauch und die Unkontrollierbarkeit des medizinischindustriellen Komplexes geprägt. Ich teile diese Sorge völlig. Denn letztlich erfahren wir immer wieder - darüber ist auch täglich in der Presse zu lesen – von Beispielen völlig unverantwortlichen Handelns in diesem Zusammenhang. Deswegen will ich diese Sorge nicht klein reden.
Wer aber glaubt, mit der Zuschreibung der Menschenwürde ab dem Zeitpunkt der Befruchtung ein Bollwerk gegen Missbrauch und Selektion errichtet zu haben, irrt sich meiner Meinung nach und wird diesen begründeten Sorgen nicht gerecht. Das ist ein ungeeigneter Weg mit erheblichen Nebenwirkungen in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau und auf die Regelungen des § 218.
Ein rigoroses Verbot der PID, nachdem wir bereits die künstliche Befruchtung erlaubt und die Probleme, über die wir heute reden, erst geschaffen haben, erzeugt Widersprüche, die das Problem sicherlich nicht lösen werden. – Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will offen zugeben, dass es mir der Debattenbeitrag der Kollegin Pothmer von eben erleichtert, meinen Beitrag vorzutragen, weil uns meines Erachtens die Ausführungen von Frau Pothmer neben der Debatte über die Ethik und der Auseinandersetzung mit der Frage, wie weit eigentlich wirtschaftliches und wissenschaftliches Interesse gehen darf, in die gesellschaftliche Realität in Deutschland geholt haben. Sie machen auch deutlich, dass es auch wieder um die Frage geht, wie eigentlich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und mit der bereits getroffenen Entscheidung umzugehen ist, dass zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens einerseits und des von der Frau geborenen Lebens andererseits abzuwägen ist. Dies ist jedenfalls ein wichtiger Beitrag.
Ich meine, wir müssen aufpassen, Herr Kollege Gansäuer, dass, wenn wir bei der Gen-Debatte ethische Maßstäbe anlegen wollen, diese nicht im Widerspruch zu den bereits getroffenen Entscheidungen in unserer Gesellschaft stehen und dass sie auch nicht dafür genutzt werden können, die bereits getroffenen Entscheidungen wieder in Frage zu stellen.
Wir müssen aufpassen, das die ethischen Maßstäbe, die wir anlegen, nicht bereits in der Praxis in anderen Teilen – die Beispiele sind bereits alle genannt worden – anders entschieden worden sind. Oder wir müssen offen bekennen, dass wir mit einer rigorosen Haltung all das, was in Deutschland in einem schwierigen gesellschaftlichen Prozess seit der Debatte um den § 218 und den damit verbundenen Entscheidungen entstanden ist, wieder rückgängig machen wollen.
Wir haben uns in Deutschland dazu bekannt, dass es eine Abwägung zwischen dem Schutz ungeborenen Lebens und den Interessen der Frauen gibt. Diesen Abwägungsprozess müssen wir nun erneut vornehmen. Darum geht es eigentlich. Es geht um eine andere und technisch sicherlich sensiblere Form des gleichen Themas. Ich habe ein bisschen Sorge, dass wir nicht deutlich genug machen, es jedenfalls nicht in Frage stellen, was wir in den vergangenen 30 bis 40 Jahren in schwierigen Auseinandersetzungen und Debatten zu dem Thema bereits erreicht haben.
Die Widersprüche sind schon genannt worden. Wir haben eine pränatale Diagnostik beim Embryo im Mutterleib zugelassen. Vergleichbare Untersuchungen werden bei Embryonen im Reagenzglas untersagt. Ein möglicherweise anschließender Abbruch nach der pränatalen Diagnostik führt zu Belastungen, die eine Frau offenbar ihr Leben lang begleiten.
Gerade weil die Abwägungsproblematik im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dem § 218 bekannt ist, berücksichtigt eigentlich unser Grundsatzstreit über die Schöpfung in der Frage der GenDebatte diese Abwägungsproblematik und die Interessen der Frauen. Darf es sein, dass damit ein Embryo im Reagenzglas nach unserer gegenwärtigen Debatte größeren Schutz genießt als ein Embryo oder ein Fötus im Mutterleib, oder ist es ethisch eher zu verantworten, wenn unzählige Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung nicht
benötigt werden, nach einer Wartezeit von beispielsweise zwei Jahren in Dänemark entsorgt werden? - Auch bei uns haben diese Embryos keine Zukunft.
Wie sollen die alternativen Forschungen mit überzähligen Embryos auf der einen Seite und die Tötung der Embryos nach einer Wartezeit auf der anderen Seite eigentlich angemessen abgewogen werden? Ist das Vorhalten des Arguments, PID gestatte eine Zeugung auf Probe, ein schärferes oder besseres Argument als das Entgegenhalten des Arguments, Gebärmutter auf Probe als Alternative verachte die Rolle der Frau?
Das Forschen an Stammzellen aus abgetriebenen Föten, sofern die Mutter zustimmt, ist zugelassen, meine Damen und Herren. Das Forschen an Stammzellen aus Embryonen dagegen nicht. Dem Embryo wird allerhöchster Schutz zugesprochen; gleichwohl wird – darauf ist schon hingewiesen worden – z. B. mit der Pille danach die Schwangerschaft unterbrochen.