Protokoll der Sitzung vom 17.09.2001

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Wir haben an den Berufsschulen zum Schuljahresbeginn 2 000 Schüler mehr, aber nicht einen einzigen zusätzlichen Lehrer. Stattdessen haben wir größere Klassen und weniger Unterricht. Gleichwohl weist die amtliche Schulstatistik für Berufsschulen aufgrund Ihres legendären Berufsschulerlasses eine Verbesserung der Unterrichtsversorgung aus. So kann man mit den Anliegen der Betroffenen natürlich auch umgehen. Aber uns können Sie damit nicht überzeugen.

Sie haben eben die Bertelsmann-Stiftung erwähnt. In Bezug auf die niedersächsischen Hochschulen heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung wörtlich:

„Auch die Hochschulausgaben fallen... zu niedrig aus, um mit den süddeutschen Flächenländern auf Dauer um qualifiziertes Lehrpersonal oder Studierende konkurrieren zu können.“

Hätten Sie den in unseren Anträgen von 1995 und 1997 genannten Zielen rechtzeitig stattgegeben - Eigenverantwortung, Leistung, Wettbewerb, Internationalität und Qualität -, wären wir für diesen zu erwartenden Wettbewerb um Studierende, die sich in Zukunft ihre Hochschulen aussuchen können und nicht mehr über die ZVS auf Hochschulen verteilt werden, besser gerüstet.

Die Unsicherheiten, die Unwägbarkeiten zeichnen diesen Doppelhaushalt aus: nicht nur im Bereich der Bildung, sondern auch im Bereich der inneren Sicherheit. Wir sind auch hier der Meinung, dass

Niedersachsen mehr könnte, dass man - ähnlich wie süddeutsche Länder - mehr schaffen könnte, beispielsweise mit der Einführung nachträglicher Sicherungsverwahrung oder dem Einsatz des Verfassungsschutzes zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Extremismus.

Herr Bartling, bei Ihnen sehen wir in den letzten Tagen dankenswerterweise Bewegung in diesem Bereich. Aber diese Bewegung würden wir auch gern im Haushalt sehen. Dort finden wir davon aber nichts. Wir sehen vielmehr, dass der Haushalt des Verfassungsschutzes, der Haushalt der Sicherheitsbehörden nach wie vor darunter leidet, dass man sich 1990 vorgenommen hatte, ihn zu halbieren und an die Kette zu legen. Das war die Politik der SPD-geführten Landesregierung vor allem in der Zeit 1990 bis 1994. Der Verfassungsschutz hat sich von diesem Anschlag auf ihn bis heute nicht vollends erholt, auch wenn Sie in den letzten Jahren ein bisschen behutsamer dort herangegangen sind.

Wir müssen uns einmal vor Augen führen, welche Erklärungen die Sozialdemokratie abgibt, wenn wir so etwas ins Gespräch bringen. Als ich vor wenigen Wochen vorschlug, den Verfassungsschutz zur Bekämpfung von extremistischen Organisationen und zu Vorfelduntersuchungen einzusetzen, bevor es überhaupt Anlass oder Verdachtsmomente gibt, ist dazu ein klares Nein der SPD gekommen. Als wir eine verdachtsunabhängige Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten gefordert haben, ist sofort ein striktes Nein gekommen.

Vielleicht kann Sie ja die Gewerkschaft der Polizei zur Vernunft bringen, die vor wenigen Wochen geschrieben hat, in Niedersachsen stehe die Polizei offensichtlich vor dem Offenbarungseid. Die GdP hat wörtlich gesagt:

„Die Polizei Niedersachsens ist an der Grenze ihrer personellen Möglichkeiten angekommen, und die innere Sicherheit ist damit endgültig zur finanziellen Manövriermasse der Politik geworden.“

Jetzt haben Sie angekündigt - Herr Plaue, Sie werden darauf sicherlich gleich hinweisen -, 500 zusätzliche Polizeistellen zu schaffen. Unsere Aufgabe als Opposition ist es, darauf hinzuweisen, wie sich das mit den 500 Stellen genau verhält: 382 Stellen werden gar nicht geschaffen, sondern hier

fällt nur ein kw-Vermerk bei vorhandenen Stellen weg, die man ursprünglich streichen wollte. Es ist natürlich abenteuerlich, wenn ich sozusagen nächstes Jahr Weihnachten das verschenke, was ich letztes Jahr Weihnachten geschenkt hatte, und nur sage: Das wird dir jetzt nicht wieder weggenommen, sondern das kannst du behalten.

(Beifall bei der CDU)

Sie verzichten darauf, 382 Stellen zu streichen, und behaupten dann, Sie hätten neue Stellen geschaffen. Das ist doch unmöglich. Sie schaffen Stellen, die Sie ursprünglich abschaffen wollten, jetzt nicht mehr ab. Und die verbleibenden 118 Stellen können noch gar nicht besetzt werden, weil noch kein qualifiziertes Personal bereitsteht; das muss erst noch angeworben werden.

In Niedersachsen sind seit 1995 584 Stellen bei der Polizei eingespart worden und 400 Stellen derzeit nicht besetzt. Sie haben eben nicht in der erforderlichen Anzahl Polizeianwärter eingestellt. Niedersachsen ist bei der Polizeidichte und bei den ProKopf-Ausgaben für die innere Sicherheit Schlusslicht. Wir wollen aber Spitze bei der Frage „Land der Sicherheit“ sein und nicht Spitze bei der Frage „Land der geringsten Polizeidichte und der Unsicherheit“.

(Beifall bei der CDU)

Die Unsicherheiten tragen sich in alle Politikfelder fort, für die Sie den Haushalt eingebracht haben. Die Sozialpolitik - das wissen wir seit vielen Jahren - kommt in Regierungserklärungen und auch in den Erklärungen des Finanzministers nicht mehr vor. Aber in einer Gesellschaft, die immer älter wird, ist die Frage des Sozialen eine ganz zentrale: Wie lassen wir die alten Menschen menschenwürdig alt werden, wie können wir für sie Hilfe organisieren? Bisher galt in Niedersachsen über alle Sozialminister hinweg immer der Grundsatz „ambulant vor stationär“. Jetzt aber stellen Sie die Förderung von Investitionsfolgekosten für ambulante Pflegeeinrichtungen ein. Das ist wirklich ein falsches Signal. Sprechen Sie einmal mit den Wohlfahrtsverbänden; spätestens bei der Arbeiterwohlfahrt wird man Ihnen das erläutern können. Sprechen Sie einmal mit den Verbänden der Krankenhäuser und der Pflegeeinrichtungen über das, was passiert, wenn Sie die Einsparungen, die Sie dort vorgesehen haben, vornehmen. Das ist ein völlig falsches Signal in einer Gesellschaft, in der dan

kenswerterweise immer mehr Menschen leben, die immer älter werden.

Die Landesarmutskonferenz hat Ihnen ja auch ins Stammbuch geschrieben, dass Sozialpolitik in diesem Land bisher klein geschrieben werde.

Wir wollen eine Entwicklung mit Gestaltung und mit Impulsen, eine Entwicklung, die z. B. die gute Idee der Mütterzentren oder der Mehrgenerationenhäuser aufnimmt, die ehrenamtlich tätige Menschen unterstützt, die im Lande draußen hilft, mit den wachsenden sozialen Problemen und Verwerfungen fertig zu werden. Wenn man das will, braucht man aber Berechenbarkeit und verlässliche Perspektiven, und dann darf man nicht jedes Jahr die sozialen Verbände und Initiativen neu vor ungelöste Probleme stellen.

Wir als Land Niedersachsen wollen bundesweit zum Vorbild in den Zukunftsmärkten Medien, Tourismus oder Gesundheit werden. Aber dann ist es nicht zu begreifen, dass der Ausbau der Radwege an Landesstraßen auf Null gesetzt werden soll.

(Beifall bei der CDU)

Vergleichbares kann man überall beobachten. Heute werden nur 3 bis 4 % für Prävention ausgegeben, obwohl man 25 bis 30 % aller Gesundheitsausgaben durch verbesserte Prävention einsparen könnte. Auf diesem Feld haben wir mit unseren Heilbädern und Kurorten allerbeste Voraussetzungen. Mit dem Harz, mit der Küste oder mit dem Wattenmeer haben wir doch allerbeste Voraussetzungen, den Megamarkt Gesundheit für uns zu entwickeln. Aber dann muss man natürlich auch das Umfeld von Fremdenverkehrsbetrieben stützen.

(Zuruf von Dr. Domröse [SPD])

- Ich kann Sie beruhigen, Herr Domröse. Wenn Sie die Vorstellungen Ihrer Frau Schmidt zur Gesundheitsreform hören, wird Ihnen das Lachen noch vergehen: Bald sollen die Leute über 14 % Beitrag zahlen. Nach jedem Schritt in Sachen Gesundheitsreform waren die Ausgaben für diese Bereiche höher als vorher. Wenn wir den Bereich aber deregulieren würden, könnten wir in diesem wirtschaftlichen Segment sehr viel mehr an Kuren, an Rehabilitationsmaßnahmen, an Aktivitäten von Menschen haben.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben jahrzehntelang das Postmonopol verteidigt und wissen, dass danach ein echter Boom stattgefunden hat. Wir werden auch im Gesundheitsmarkt Deregulierung, Liberalisierung erleben. Darauf muss man vorbereitet sein.

Aber für ein Tourismusland, ein Land des Fremdenverkehrs, ein Land der Erholung braucht man eben Wasserwege, Radwege, Infrastruktur. In Zeiten solcher Entwicklungen zu sehen, dass Sie einen Doppelhaushalt vorlegen, der für den zu 100 % finanzierten Landesstraßenbau eine Null vorsieht, ist für uns - nicht nur für uns als Opposition, sondern auch für die Menschen draußen - unbegreiflich.

Wir wünschen uns über die paar Millionen DM für den Tiefwasserhafen hinaus Akzente für Schlüsseltechnologien, für die Entwicklung von Brennstoffzellen oder die Nanotechnologie. Aber während andere Länder hier klotzen, wird in Niedersachsen nicht einmal gekleckert.

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land können alles, wollen alles, wollen sich einsetzen und setzen sich ein für ihr Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft. Dieses Kapital müsste genutzt werden. Aber wir haben den Eindruck, dass in Niedersachsen diese Signale aus den Universitäten, aus der Wirtschaft, aus der Öffentlichkeit nicht aufgenommen werden, sondern dass es auf der einen Seite die Niedersachsen gibt, die im Wettbewerb kämpfen, und auf der anderen Seite die Landesregierung, die das Land mehr oder weniger lustlos verwaltet und so weitermacht wie bisher. Mit Weitermachen wie bisher lösen wir weder die Finanzprobleme noch die Arbeitsmarktprobleme. Deswegen werden wir die Haushaltsberatungen, die heute beginnen, dazu nutzen, eigene Schwerpunkte durchzusetzen und nicht Ihr „Weiter so!“ zu unterstützen.

(Starker Beifall bei der CDU)

Vielen Dank. - Das Wort hat der Herr Kollege Plaue.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sechs Tage nach dem barbarischen Anschlag in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, der tausenden Menschen das Leben und die Gesundheit gekostet hat, der Familien auseinander

gerissen und zerstört hat und der noch nicht abzusehendes und nicht beschreibbares Leid über Menschen gebracht und einen riesigen ökonomischen Schaden angerichtet hat, ist es fast unmöglich, hier zur Normalität zurückzukehren. Dennoch ist es erforderlich, dass wir unsere Arbeit wieder aufnehmen - auch unsere öffentliche politische Arbeit.

Nichts ist so, wie es noch vor einer Woche war. Dennoch dürfen es diese brutalen Terroristen nicht in der Hand haben, unsere offene und freiheitliche Gesellschaft in eine ängstliche, sich anderen Menschen und Kulturen gegenüber abschottende Gemeinschaft zu verwandeln. Sie dürfen nicht gewinnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von der CDU)

Wir dürfen nicht zulassen, dass fundamentalistisch verwirrte Menschen den Takt der Weltgeschichte schlagen. Die Qualität der freiheitlichen Staatengemeinschaft wird sich daran festmachen, wie sie auch in Zorn und Verbitterung mit Augenmaß und mit Festigkeit auf diese Herausforderung reagiert.

Meine Damen und Herren, Fundamentalismus ist nicht auf eine Religion und nicht auf eine Weltanschauung begrenzt. Verrückte und Verwirrte gibt es leider überall auf der Welt. Es wäre deshalb zutiefst ungerecht, wollten wir nun ganze Völker oder alle Menschen einer Glaubensrichtung für den Terror Einzelner und einzelner Gruppierungen verantwortlich machen.

Aber sicher ist auch: Wir müssen unsere ganze Kraft und unsere staatliche Macht darauf verwenden, denjenigen das Handwerk zu legen, die Gewalt bis hin zum kaltblütigen Mord zum Mittel politischer Auseinandersetzungen machen. Wer solche Menschen unterstützt, macht sich mitschuldig. Das gilt in allen Regionen dieser Welt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich hätte es sehr begrüßt, wenn sich der Niedersächsische Landtag heute in einer gemeinsamen Erklärung dazu geäußert hätte, wenn wir die Gelegenheit genommen hätten, nach der Mittagspause über die aktuelle Situation zu diskutieren. Die Angebote dazu lagen vor, Herr Kollege Wulff. Es tut mir Leid, dass Sie sich nicht mit uns darauf einigen konnten. Ich rede nicht über die Inhalte, sondern über das Verfahren. Das Angebot des Innenminis

ters und das Angebot meiner Fraktion dazu waren vorhanden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine unserer größten öffentlichen Aufgaben ist es, dass wir die wichtigste Entscheidung des Parlaments, nämlich die Verabschiedung eines Haushalts, angemessen vorbereiten. Wir streiten dabei um die besseren Ideen und die zukunftsträchtigsten Politikentwürfe. Auch in solchen Zeiten wie den jetzigen ist es erforderlich, sich hart, aber sachlich auseinander zu setzen. Es wäre sicherlich angemessen, wenn wir uns auf eine Streitkultur einigen könnten, die das Ziel, das wir alle haben, nämlich das Land Niedersachsen voranzubringen, nicht aus dem Blickwinkel verliert. Dazu gehört es dann aber auch, dass man mit der Wahl seiner kritischen Vorwürfe nicht dazu beiträgt, die Zukunftschancen des eigenen Landes zu beschädigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die Verhältnisse in Niedersachsen so wären, wie ich es in den letzten Wochen und Monaten, aber auch heute von der größeren der beiden Oppositionsfraktionen gehört habe, dann würde ich mir echte Sorgen um die Zukunft unseres Landes machen

(Beifall bei der CDU)

- ich danke für den Beifall -, aber deshalb, weil ich um den Zustand der Opposition besorgt bin, die offensichtlich nicht bereit und in der Lage ist, die Realitäten zu erkennen und auch anzuerkennen.

(Beifall bei der SPD)

Das hat beispielsweise auch etwas mit den Überschriften zu tun, die man selbst produziert, weil man sie ja auch produzieren will. Herr Möllring hat sich neulich zum „Finanzierungsloch in der Mipla“ geäußert; angeblich hat er ein Finanzierungsloch von 3,4 Milliarden entdeckt. Herr Möllring, diese großspurige Meldung belegt nichts anderes, als dass Sie die Mipla gelesen haben. Sie ist eine Addition der vom Finanzminister ausgewiesenen globalen Minderausgaben und globalen Mehreinnahmen.

(Möllring [CDU]: Und der Hand- lungsbedarfe!)

- Nein. - Das gibt es schon seit vielen Jahren, Herr Kollege Möllring, auch schon zu Ihren Regierungszeiten. Wenn Sie diese globalen Ansätze im Detail ausweisen wollen, wie es der Kollege Wulff vorhin versucht und vorgeschlagen hat, dann müs