Protokoll der Sitzung vom 17.09.2001

Auf diesem Weg soll das Gericht eine nachträgliche Sicherungsverwahrung anordnen können: befristet, aber auch - das will ich deutlich sagen unbefristet, wenn es denn tatsächlich notwendig ist.

(Rabe [SPD]: Das ist verfassungswid- rig, Herr Kollege!)

Nach zwei Jahren ist diese Sicherungsverwahrung immer wieder infrage zu stellen und neu zu begutachten, so wie das in dem normalen Verfahren auch üblich ist.

Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf, der in Baden-Württemberg schon Gesetz ist, ist von dem Verfassungsrechtler Professor Würtemberger von der Universität Freiburg begutachtet worden. Dieser hat eindrucksvoll bestätigt, dass hier keine Verfassungswidrigkeit vorliegt, sondern dass dieses Verfahren ein sehr gangbarer Weg ist: Diesen Weg hat im Übrigen auch das Bundesjustizministerium dem Land Baden-Württemberg empfohlen.

(Zuruf von Rabe [SPD])

Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich es gerade vor dem Hintergrund der Gefährdung, die von dieser glücklicherweise nur sehr begrenzten Täterschaft ausgeht, nicht verstehen kann, dass wir hier nicht den Opferschutz in den Vordergrund stellen, sondern uns in juristischen Gutachten verlieren und es deshalb nicht schaffen, diese Sicherheitslücke zu schließen. Das kann ich beim besten Willen nicht verstehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Noch ein Aspekt, der, glaube ich, auch nicht zu vernachlässigen ist. Es gibt durchaus Sexualstraftäter, die sich einer Therapie verweigern. Wenn man die nachträgliche Sicherungsverwahrung androhen und beantragen kann, hat man sicherlich ein Mittel in der Hand, um Druck auszuüben, sodass die Therapie dann doch durchgeführt wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will gerne zugeben, dass mir eine bundeseinheitliche Regelung lieber gewesen wäre. Eine solche hat die SPD im Bundesrat leider verhindert. Wir wissen, dass es eine akute Gefährdung geben kann. Wenn man sich vor Augen führt, was das für die Opfer bedeutet, dann, meine ich, sind wir alle in diesem Parlament sehr gut beraten, wenn wir in uns gehen und nicht mehr damit warten, den Weg, den Baden-Württemberg bereits beschritten hat und den Bayern und Hessen beschreiten werden, auch zu beschreiten. Lassen Sie uns diese Regelung einführen, damit wir über Opferschutz nicht immer nur reden, sondern Prävention und Kriminalitätsbe

kämpfung tatsächlich betreiben und die Opfer vor solchen Straftätern tatsächlich schützen.

Meine Damen und Herren, stimmen Sie diesem Gesetzentwurf zu! Alles andere würden die Menschen draußen im Lande nicht verstehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

In der Beratung hat Frau Kollegin Bockmann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir gehen in uns, Herr Kollege Schünemann, und sagen: Bei allen parteipolitisch gefärbten temperamentvollen Landtagsdebatten sind wir uns in der Zielsetzung einig: Wir wollen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln ein höchstmögliches Maß an Sicherheit für unsere Bevölkerung erreichen, und wir wollen vor allen Dingen den Opfern und ihren Angehörigen diese grausamste aller Lebenserfahrungen ersparen.

Diesen Konsens müssen wir bei allen streitigen Diskussionsbeiträgen im Auge behalten; denn: Populismus ist ein gefährlicher Weg. Populismus schürt Ängste in der Bevölkerung, dient aber nur der Profilneurose einzelner Politiker.

Gerade deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, werden Sie nur für solche Vorschläge im Umgang mit den Gewalttätern vor und nach der Haftentlassung unsere Unterstützung erhalten, die mit unserem Rechtsstaat vereinbar sind.

(Zustimmung von Rabe [SPD])

Wir wollen seriöse Wege statt sinnloser Wege. Mit Blick darauf möchte ich Ihren Gesetzentwurf zur nachträglichen Sicherungsverwahrung einmal unter die Lupe nehmen.

Nach Ihrem Gesetzentwurf sollen die JVA-Leiter für diejenigen Strafgefangenen einen Antrag auf Sicherungsverwahrung stellen, die sich in der Haft nicht systemkonform verhalten. Unter „nicht systemkonform“ verstehen Sie z. B. Racheandrohungen oder die Verweigerung der Sozialtherapie. Ihr Gesetzentwurf stellt also nicht auf eine Straftat,

sondern auf das Vollzugsverhalten ab. Das müssen wir einmal klar und deutlich herausarbeiten.

Aktueller Anlass für Ihre Forderungen war der traurige Fall des Sexualstraftäters Radtke. Erlauben Sie mir bitte, Herr Präsident, in diesem Zusammenhang zu zitieren, was Herr Schünemann laut Nordwest-Zeitung vom 24. August 2001 ausgeführt hat:

„‘Der Fall Radtke ist ein Musterbeispiel‘, sagt Uwe Schünemann, sicherheitspolitischer Sprecher der CDULandtagsfraktion. Wäre der Unionsvorschlag Gesetz,“

- also die nachträgliche Sicherungsverwahrung

„wäre Radtke nicht einfach entlassen worden. ‚Schließlich war er in der Haft auffällig‘, meint Schünemann.“

Diese Äußerungen, Herr Kollege Schünemann, machen mich tief betroffen, zeigen sie doch, dass Sie bei einem gesellschaftlich so sensiblen Thema die Presse und damit natürlich auch die Öffentlichkeit mit Falschinformationen versorgen. Damit entziehen Sie der Diskussion, die wir hier führen, jede seriöse Grundlage.

(Beifall bei der SPD)

Richtig ist: Herr Radtke ist verurteilt worden, hat seine Endstrafe abgesessen und hat in der JVA auch eine Sozialtherapie gemacht. Er ist aber keinesfalls auffällig geworden. Wenn Sie eine andere Quelle haben, dann wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie sie dem Landtag bekannt geben würden. Denn bei diesem „Musterbeispiel“, wie Sie den Fall Radtke genannt haben, handelt es sich um einen Musterhäftling und nicht um ein Musterbeispiel. Damit hätte Ihr Gesetzentwurf, wenn er in Kraft gewesen wäre, gar nichts ausrichten können. Die von Ihnen vorgeschlagene Maßnahme geht völlig ins Leere. Sie schlagen hier also keinen sauberen, sondern einen sinnlosen Weg vor.

Ich bedauere auch sehr, dass Sie Ihre Sachkenntnis nicht durch den detaillierten Bericht des Justizministers im Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen aufgefrischt haben. Dort hätten Sie nämlich zur Kenntnis nehmen können - wie es Ihre Fraktionskollegen Rechtspolitiker auch getan haben -, dass Ihr „Musterfall“ Radtke kein Einzelfall ist. Vielmehr hat es in Niedersachsen bislang noch keinen Fall gegeben, bei dem eine nachträgliche

Sicherungsverwahrung theoretisch hätte zur Anwendung kommen können. Gerade Sexualstraftäter verhalten sich nämlich in der Haft systemkonform und geben dementsprechend den Leitern der JVA gar keinen Anlass, ein auffälliges Verhalten weiterzuleiten. Das ist die Realität, auch wenn sie Ihrem Wunsch nicht entspricht. - So viel zur Unwirksamkeit Ihres Gesetzentwurfs.

Es kommt aber noch ein zweiter Gesichtspunkt in Betracht, und der ist besonders relevant: Wir bedauern sehr, Herr Kollege Schünemann, dass Sie nicht auf Ihre Fachleute, auf Ihre Rechtspolitiker, gehört haben, sondern uns hier sozusagen eine verfassungsrechtliche Kuriosität vorlegen.

Frau Kollegin Bockmann, möchten Sie eine Frage des Kollegen Schünemann zulassen?

Ich möchte gerne zu Ende führen. Wenn ich anschließend noch genug Zeit habe, kann Herr Schünemann seine Frage selbstverständlich stellen.

Zahlreiche Fachleute sind sich darin einig - bis auf einzelne Gutachten und einzelne Stimmen -, dass diese Vorgehensweise nicht verfassungskonform ist, weil - die Begründung ist einfach - die Länder hier ihre Kompetenzen überschreiten.

Da Sie hier immer das Land Baden-Württemberg anführen, gestatten Sie mir bitte, einmal zu zitieren, was zu dem dortigen Gesetz zum Schutz der Allgemeinheit vor schweren Wiederholungstaten ausgeführt wurde - dieses Gesetz ist im Übrigen ungefähr ein Jahr alt und stammt aus der Zeit vor der dortigen Wahl -:

„Es ist davon auszugehen, dass der Bund mit seiner Regelung zur Sicherungsverwahrung abschließend die Voraussetzungen für eine über die Verbüßung einer Freiheitsstrafe hinausgehende Sicherung des Straftäters normiert hat. Artikel 72 Grundgesetz steht deshalb einer Regelung dieses Bereichs durch die Länder, auch unter Berufung auf ihre Kompetenz zur Gefahrenabwehr, entgegen.“

Diese Tatsachen können auch nicht durch ein Landesgesetz unterlaufen werden, das sich - wenn ich

das einmal so formulieren darf - als Polizeigesetz tarnt.

So weit, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, zur „verfassungskonformen Begründetheit“ des Gesetzes des Landes BadenWürttemberg vor dem Wahlkampf. - Gestatten Sie mir hinzuzufügen: Mit einem Gesetzentwurf, der einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten kann, ist mehr verloren als gewonnen.

Wir haben im Rechtsausschuss dann die Frage diskutiert - Ihre Fachleute, der Justizminister, der Fachmann Schröder und die SPD-Rechtspolitiker -, ob von der Möglichkeit, Sicherungsverwahrung anzuordnen, ausreichend Gebrauch gemacht wird. Theoretisch hätte im Fall Radtke zumindest beim dritten und vierten Urteil eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen werden können. Natürlich steht es uns als Rechtsausschuss keinesfalls zu, Justizschelte zu betreiben. Aber wir begrüßen, dass der Justizminister Gespräche mit den Staatsanwaltschaften angekündigt hat. Diese können allen Seiten nützen. Schließlich kann bei einem solchen Erfahrungsaustausch der Handlungsbedarf herausgefiltert werden.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich in der Summe noch einmal feststellen: Sicherheit wollen wir alle. Aber der Bevölkerung mit untauglichen Mitteln ein Sicherheitsgefühl vorzugaukeln, lehnen wir vehement ab. Sie, Herr Schünemann, haben Ihren Vorschlag nicht durchdacht, sondern lediglich abgeschrieben. Das ist uns eindeutig zu wenig. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herr Schröder hat nun das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kollegin Bockmann hat leider Recht: Wort für Wort und Komma für Komma hat die CDUFraktion das Gesetz des Landes Baden-Württemberg über die Unterbringung von Straftätern abgeschrieben. Leider hat sich die CDU-Fraktion aber nicht mit den offenen Fragen und den kritischen Einwänden auseinander gesetzt, obwohl es dafür allen Grund gab.

Zunächst einmal gibt es sehr gute Gründe dafür, dieses Baden-Württemberger Gesetz als verfassungswidrig anzusehen. Die Regelungen zur Sicherungsverwahrung - Sie wollen ja ausdrücklich die nachträgliche Sicherungsverwahrung möglich machen - sind nämlich Sache des Bundes. Davon ist auch das Land Bayern ausgegangen, als es im September 1997 in einer Bundesratsinitiative die Einführung eines § 66 a Strafgesetzbuch „Nachträgliche Sicherungsverwahrung“ forderte und dann zunächst an der CDU-geführten Bundesregierung und später im Bundesrat gescheitert ist.

Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht davon noch aus, Herr Kollege Schünemann. Sie hat nämlich mit Datum vom 19. Juli dieses Jahres erneut dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem es um die nachträgliche Sicherungsverwahrung geht. Zur Frage der Gesetzgebungskompetenz heißt es darin:

„Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz. Zwar gehört die Sicherungsverwahrung als Mittel der Gefahrenabwehr im Sinne einer Verbrechensvorbeugung an sich zum Kompetenzbereich der Länder. Historisch bedingt fällt sie aber nach gefestigter Staatspraxis in die Kompetenz des Bundes.“

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sagt also, die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist Angelegenheit des Bundes. - Sie müssen also erst einmal intern klären, wer bei Ihnen was macht, es sei denn, Ihnen geht es hier nur um einzelne Wahlkampfmätzchen.

(Schünemann [CDU]: Weshalb haben Sie es auf Bundesratsebene abge- lehnt?)

- Erst einmal die Bundesregierung!

Aber wichtiger als die Frage, wer dafür die Gesetzgebungskompetenz hat, ist die Frage: Taugt dieses Gesetz dazu, mehr Sicherheit zu geben? Taugt es auch in der Praxis? - Herr Kollege Schünemann, Sie selbst haben den Fall Radtke zum entscheidenden Prüfstein für die Notwendigkeit dieses Gesetzes gemacht, Sie haben gesagt, mit diesem Gesetz wäre Radtke nicht freigelassen worden. - Jetzt schütteln Sie den Kopf. In Ihrer Presseerklärung vom 23. August haben Sie aber ausgeführt:

„Schünemann: Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir genau die Lücke schließen, die jetzt zu diesen Straftaten geführt hat. Es ist unverantwortlich, dass nach der bisherigen Rechtslage Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden kann, wenn sich entsprechende Auffälligkeiten der Täter für weitere schwere Straftaten erst während der Haftzeit herausstellen. Genau dies war bei Radtke der Fall. Aus diesem Grund wollen wir, dass auch nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann.“