Protokoll der Sitzung vom 14.11.2001

(Beifall bei der SPD)

Es geht darum, die Begabungsreserven auszuschöpfen und die Durchlässigkeit des Schulsystems beizubehalten. Verehrte Frau Kollegin Litfin, wir schlagen vor, jährlich 30 Millionen DM für die verstärkte Förderung in den Klassen 5 und 6 zur Verfügung zu stellen. Vor diesem Hintergrund können Sie doch nicht sagen, dass es nur um Elitebildung gehe, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir wollen auch denen, die besser und schneller sind, die Möglichkeit geben, überall, flächendeckend im Land, nach zwölf Jahren das Abitur abzulegen. Warum sollen wir denen denn ein Jahr ihres Lebens stehlen, meine Damen und Herren? Das ist doch eine Chance für die Kinder und Jugendlichen und doch nicht als Gegensatz zu denen zu verstehen, die dafür 13 Jahre benötigen! Ich wundere mich immer über die wirklich fantasielose Diskussion, ob das Abitur nach der 12. oder 13. Klasse abgelegt werden sollte.

(Frau Harms [GRÜNE]: Fantasie ha- ben Sie eine Menge!)

Beides brauchen wir, und nicht das eine oder das andere. Ich kenne sogar einige - ich vermute, die sitzen auch in diesem Raum -, die dafür sogar 14 Jahre benötigt haben. Auch dabei wird es bleiben, meine Damen und Herren.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus wollen wir natürlich die Ganztagsschule entwickeln. Das wird hier ganz vergessen. Wir haben ein Haushaltsmodell vorgelegt. Diejenigen, die dieses Modell nicht wollen, sollten einmal sagen, wie sie es besser machen würden. Danach geben wir für die niedersächsischen Schulen 310 Millionen DM mehr als im Jahr 2000 aus. Das ist doch eine gewaltige Leistung für das Land, insbesondere mit Blick auf Ganztagsschulen!

(Beifall bei der SPD)

Das Ganze ergibt ein Gesamtkonzept. Wir haben die Verlässliche Grundschule durchgesetzt, übrigens mit den Eltern und gegen die CDU und gegen die Grünen.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Es müsste doch ein paar Parlamentarier nachdenklich stimmen, wenn die Eltern in entscheidenden Fragen gegen wesentliche Teile dieses Parlaments - und dazu zähle ich jedenfalls immer noch CDU und Grüne - ein Modell durchsetzen mussten, weil hier im Parlament mehr über Ideologie und weniger über die Bedürfnisse der Eltern geredet wurde, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben - ich wiederhole mich - 310 Millionen DM für mehr Lehrerinnen und Lehrer zur Ver

fügung gestellt. Dahinter verbirgt sich die Finanzierung für 3 000 Lehrerinnen- und Lehrerstellen. Wie können Sie von der CDU-Fraktion vor diesem Hintergrund eigentlich sagen, dass wir uns dem Thema nicht widmen würden? Der Unterschied zwischen Ihnen und uns ist nur: Wir bringen sie in den Haushalt, während Sie Luftbuchungen machen. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD)

Wir bauen den Ganztagsbereich aus. Nun kommen die nächsten Schritte.

(Zuruf von Klare [CDU])

- Herr Klare, ich lese Ihnen einmal etwas vor, damit klar wird, dass ich Schulpolitiker aus Ihrer Fraktion außerordentlich schätze. Das setzt aber voraus, dass es wirklich Schulpolitiker sind. - Ich zitiere einmal etwas:

„Dass ausgerechnet eine SPDLandesregierung vor hat umzusetzen, wozu die CDU in ihrer Regierungszeit nicht den Mut hatte, ist tragisch und komisch zugleich.“

Das ist das Zitat Ihres ehemaligen Kultusministers Horst Horrmann. Auf den sollten Sie gelegentlich einmal hören, bevor Sie hier Zwischenrufe machen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir setzen diese Entwicklung fort mit einem gymnasialen Angebot in der Fläche, dem Angebot, das Abitur nach zwölf Jahren abzulegen, mit einer Förderstufe, geführt an den weiterbildenden Schulen, und mit einer deutlichen Verstärkung der Förderung. Das ist ein geschlossenes Konzept für eine wichtige und richtige Schulreform. Der Unterschied zu den Überlegungen der Grünen besteht darin, dass sie der Auffassung sind, dass man das in der Grundschule anbinden solle. Wir meinen, dass das nicht geht. Lassen Sie uns darüber reden! Ich fand die grundsätzlichen Ansätze der Grünen außerordentlich richtig. Frau Litfin, wir müssen erörtern, ob dieser Ziel-Mittel-Konflikt vorhanden ist. Und, an die CDU gerichtet, frage ich: Wo sind denn die großen Unterschiede? Lassen Sie uns doch einmal offen damit umgehen! Es geht doch nur um zwei Dinge.

(Klare [CDU]: Was machen Sie mit Ihrer Fraktion?)

- Herr Klare, die hat doch zugestimmt! Ich weiß doch, dass Sie es gerne sähen, wenn sie nicht zustimmen würde. Aber so ist es nun einmal nicht. Ich kann Ihnen den Gefallen nicht tun.

(Plaue [SPD]: Machen Sie sich doch einmal Ihren eigenen Kopf, wenn Sie einen haben!)

Sie haben gehofft, dass die Modernisierung, die wir angestoßen haben, in der SPD-Fraktion nicht tragen wird. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, ist zerstört. Wir haben es nicht nötig, hier Vertrauensfragen zu stellen. Wir haben eine Mehrheit, die steht, meine Damen und Herren. Das ist relativ einfach.

(Beifall bei der SPD)

Herr Klare, wir haben dafür Zeit gebraucht. Das ist doch aber auch klar. Sie haben das Gutachten kritisiert, obwohl die Eltern keinen Schnellschuss, sondern ein Gutachten gewollt haben. Sie haben sich mit Blick auf das Gutachten permanent gegen den Elternwillen ausgesprochen.

(Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

- Herr Wulff hat in einer der letzten Plenarsitzungen zu Demut aufgefordert. Herr Busemann, Sie sollten durchaus einmal einräumen: Unsere Position gegen das Gutachten war falsch; es war vernünftig, sich die Zeit zu nehmen. Nun prüfen wir einmal, wo die großen Unterschiede sind. - Die großen Unterschiede liegen doch nur darin, dass wir in den Förderstufen an den weiterführenden Schulen alle Lehrämter unterrichten lassen wollen, während Sie nur im Lehramt der Schule unterrichten lassen wollen. Wir glauben, dass dies die Durchlässigkeit behindert. Wir wollen richtig fördern! Wir wollen prüfen, ob die Begabungen ausgeschöpft sind. In Worten sagen auch Sie das. Was Taten angeht, sehen wir das aber nicht in Ihrem Modell.

Wo gibt es ansonsten große dramatische Unterschiede? Sie müssen sich doch nur entscheiden, ob das gilt, was Sie, Herr Busemann, gelegentlich sagen, dann aber immer wieder zurücknehmen, nämlich dass Sie einen Konsens wollen. Wir alle haben noch einen Zeitungsartikel von vor etwa einem halben Jahr in Erinnerung, wonach Sie gesagt haben: Wir wollen zu einem Konsens kommen. - Herr Wulff hat Sie dann aber zurückgepfiffen. Ich kann diese Position von Herrn Wulff auch

verstehen. Er kann kein Interesse daran haben, dass dieses Thema nicht zum Wahlkampfthema wird. Das begreife ich. Die Frage ist nur, wer sich durchsetzt: Sie oder Herr Wulff.

(Beifall bei der SPD)

Ich nehme an, dass Ihnen das Wort vom Schulkrieg inzwischen selbst peinlich ist. Ich will nicht weiter darauf herumreiten. Jeder ist seines Glückes Schmied, wenn er redet, aber nicht jeder Schmied hat Glück, Herr Busemann.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Inhaltlich müssen Sie entscheiden, ob Sie das möchten, was Sie richtig finden und was am Ende Ihrer Rede - wenn man genau hinhörte - zum Tragen kam, nämlich zu versuchen, vor den drei großen Herausforderungen zu bestehen und sie gemeinsam zu meistern. Ich sehe zumindest Möglichkeiten dazu und will das auch ausdrücklich anbieten. Diese drei großen Herausforderungen - Zukunftschancen der Kinder, Chancen unserer Demokratie und Chancen unseres Wirtschaftsstandortes - sind es, um einmal mit den Worten von Herrn Gansäuer zu sprechen, des Schweißes der Edlen wert, sich ein bisschen weniger in solchen Pirouetten zu drehen, wie heute Vormittag geschehen, sondern sich ein bisschen mehr am Grundsätzlichen zu orientieren. Wir haben eine riesige Chance. Lassen Sie uns versuchen, sie gemeinsam zu ergreifen.

(Starker Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Wulff, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich vorweg etwas zu dem Stil in diesem Hause sagen. Ich persönlich finde, weder die Mitglieder der Landespressekonferenz noch die Kolleginnen und Kollegen des Landtages haben es verdient, dass der Wunsch, hier am Tage eine Debatte zu führen, im Ältestenrat abgelehnt wird, dass der Wunsch, eine Regierungserklärung über das zentrale Thema der Landespolitik zu diskutieren, abgelehnt wird, während auf der anderen Seite über einzelne Medien bzw. einzelne Journalisten mit einem neuen Vorschlag in die Öffentlichkeit gegangen wird, statt dies hier im Parlament vorzustellen.

(Beifall bei der CDU)

Das ist nicht der erste Fall, sondern auf diese Art und Weise wurde schon wiederholt Politik gemacht. Es werden Noten verteilt, welches Medium, welcher Journalist gerade welchem Regierungsmitglied angenehm und recht ist.

Die CDU-Landtagsfraktion und die CDU Niedersachsen haben im Sommer des letzten Jahres ein Konzept vorgestellt, das so viel Aufregung verursacht hat, dass am Vorabend, während Frau Ministerin noch beim Friseur war, der Ministerpräsident ein Konzept zur Abschaffung der Orientierungsstufe verkündet hat.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Machen Sie ruhig weiter! Das ist schon okay! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Wir haben uns auf Sie eingelassen. Nun müssen Sie es schon ertragen, dass wir Wahrheiten und Fakten in Erinnerung rufen, die Rückschlüsse zu bestimmten Vorgängen der letzten 48 Stunden zulassen, auf die ich noch zu sprechen kommen werde.

Wir haben unser Konzept in der Öffentlichkeit mit sehr viel Zustimmung bis in die kommunalen Spitzenverbände hinein breit diskutiert. Schauen Sie sich nur einmal die Stellungnahme des Niedersächsischen Städtetages an, die auch von den Sozialdemokraten dort mit beschlossen wurde. Wir sind bereit, auf der Grundlage unseres Konzeptes und Ihrer Vorstellungen Gespräche zu führen. Ein Schreiben an die Kultusministerin vom Februar dieses Jahres, mit dem wir Sie in die Fraktion ohne Presse, ohne Öffentlichkeit - eingeladen hatten, war bis heute unbeantwortet. Sie haben das nicht gewollt. Sie waren der Meinung, nur ein kleiner Kreis, aber nicht die Fraktion als solche eigne sich dafür. Ich stelle Ihnen den Schriftwechsel gerne noch einmal zur Verfügung, Frau Jürgens-Pieper. Dass Sie jetzt bereit sind, in die Fraktion zu kommen, begrüßen wir. Wir werden übernächsten Dienstag darauf zurückkommen.

Für uns gibt es eine klare Prioritätenabfolge. Das Entscheidende sind die Inhalte, das, was in Schule gelehrt wird. Zweitens ist für uns entscheidend, dass Menschen da sind, die Bildung vermitteln können, also volle Unterrichtsversorgung.

(Beifall bei der CDU)

Das Dritte sind Nachmittagsbetreuungsangebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer.

(Beifall bei der CDU)

Das Vierte sind verlässliche Strukturen mit leistungsfähigen Grundschulen, starken Hauptschulen - vernetzt mit den darauf aufbauenden Berufsschulen -, eigenständigen Realschulen und Gymnasien, die wie alle anderen Schulen auch bei Klasse 5 beginnen und nach Klasse 12 abgeschlossen werden können. Dieser Dreiklang ist aus unserer Sicht Grundlage für Gespräche. Daneben halten muss man die Konzepte, die wir heute der Braunschweiger Zeitung entnehmen, die allein fünf verschiedene Förderstufen vorsehen; davon drei obligatorische und zwei mögliche. Zwischen dem und unseren Vorstellungen ist nun wirklich nur schwer Deckungsgleichheit zu vermuten. Das muss ich an dieser Stelle einfach einmal in die Debatte werfen.

Wir haben aus der Diskussion über die Orientierungsstufe Konsequenzen gezogen. Diese Debatte ist nicht neu, Frau Jürgens-Pieper. Sie wissen das aus Ihrem Umfeld, ich weiß das aufgrund bestimmter Begebenheiten. So durfte ich 1987/88 eine Kommission der Landespartei zur Orientierungsstufe führen, in der Kultusminister Knies, dessen Nachfolger Horrmann und fünf weitere Mitglieder mitgewirkt haben. Wir haben 1988 ein Konzept vorgelegt, aus dem Sie neulich einmal zitiert haben.