Wir werden mit den Schulträgern über die Übergangsfristen, die wir brauchen, sehr sorgfältig diskutieren. Das wird gar nicht anders gehen. Natürlich verändern sich die Schülerströme in Niedersachsen. Das ist ganz klar. Wir brauchen einen Umbau aus den Zentren in die Fläche, was gymnasiale Angebot betrifft. Das haben uns die Gutachter gesagt. Das haben Sie auch akzeptiert. Sie sind doch so aufgeregt, weil Sie die weißen Flecken in der Fläche zu verantworten haben. Das ist an dieser Stelle Ihr Problem.
Wenn Sie die fünften und sechsten Klassen an die Gymnasien angliedern, bekommen Sie genau die Schülerströme mit freiem Elternwillen, über die wir jetzt sprechen. Darüber sind wir uns doch einig. Aber wir müssen Lösungen anstreben und nicht so tun, als ob es dieses Problem nicht gäbe. Wenn Sie die Gymnasien in die Fläche bringen wollen, wird in den zentralen Orten natürlich etwas passieren. Es sind dann weniger Schüler an den Gymnasien. Deshalb brauchen wir einen komplizierten Umbruch im System, wenn wir die soziale Selektivität beseitigen wollen.
Ich diskutiere das ganz unideologisch. Es kann Gymnasien bis Klasse 10 geben, es kann aber auch Gymnasialzüge an HS/RS-Systemen geben. Dann haben wir einen KGS-Ausbau im Lande. Die Gutachter haben genau das vorgeschlagen. Sie haben noch etwas anderes vorgeschlagen, aber dieses war meines Erachtens richtig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Ich fürchte mich am meisten vor den Personen, die genau wissen, was jetzt zu tun ist.“
Das hat Jürgen Baumert am letzten Donnerstag in der Zeit in erster Reaktion auf die Rezeption, d. h. auf die Art und Weise, in der begonnen wurde, über die PISA-Studie zu diskutieren, geschrieben.
Ich plädiere dafür, dass wir uns alle, wenn am Freitag die PISA-Studie in den Buchläden zu finden sein wird, die Zeit nehmen, diese Studie über Weihnachten zu lesen.
Wir debattieren im Augenblick auf der Basis von 50 Seiten. Ich hoffe, dass alle, die bislang geredet haben, diese 50 Seiten gelesen haben.
- Ganz ruhig! - Das bedeutet, dass wir erstens die Debatte um die leidlich bekannten Schuldzuweisungen erst einmal hintanstellen - das kann immer
noch kommen -, zweitens die Entschiedenheitsprotzerei sein lassen und drittens die Unfähigkeit zur Gründlichkeit aufgeben. Wir haben in diesem Landtag auch eine Debatte über Gentechnik geführt. Wir wussten, dass es sich dabei um ganz komplizierte Fragen handelt, die uns alle angehen und bei denen niemand sagen kann, er könne für sich sozusagen die letzten Entscheidungsgründe in Anspruch nehmen.
(Möllring [CDU]: Es ist doch ein Unterschied, ob Kinder lesen lernen sollen oder aber ob Erbgut verändert wird! )
PISA hat eines deutlich gemacht. Jeder von uns - Sie auf dieser Seite und wir auf der anderen Seite - kann bestimmte Tatbestände aus der PISAStudie für seine bisherige Position in Anspruch nehmen. Aber sie einseitig in Anspruch zu nehmen, führt zu den alten Debatten und damit in die Sackgasse. Das wollen wir nicht.
(Beifall bei der SPD - Zuruf von Kla- re [CDU] - Gegenruf von Plaue [SPD]: Sie können nicht einmal zuhö- ren! Zuhören gehört auch zum Er- kenntnisgewinn!)
- Herr Klare, ich streite mich mit Ihnen doch gar nicht. Ich möchte mit Ihnen gemeinsam darüber nachdenken. Die PISA-Studie hat eines deutlich gemacht: Die deutsche Schule ist - egal in welchem Land - für die Zukunft auf dem Holzweg, wenn sie - mit Focus ausgedrückt - immer nur sagt: Fakten, Fakten, Fakten! Fakten sind die Voraussetzungen für das Denken. PISA sagt: Wir brauchen „denken, denken, denken“. Da schneiden wir schlechter ab. Das ist der Befund. TIMSS hat bereits 1997 deutlich gemacht - das war der Grund, weshalb wir gesagt haben, dass wir einmal über das Leseverständnis reden müssen -, dass der deutsche Mathematikunterricht deswegen vergleichsweise schwierig ist, weil wir mehr auf die unmittelbare Lösung, also auf das, was richtig oder falsch ist, nicht aber auf das prozessuale mathematische Denken aus sind. Das ist eine Aufforderung gewesen, die sowohl unser Lernverständnis betrifft als auch die Hochschulen und die Lehrer, die durch diese Hochschulen gegangen sind, vor neue Fragen
Wenn wir neu darüber nachdenken müssen, wie wir in dieser Gesellschaft Lernen verstehen, dann haben wir alle erst einmal einen Schritt zurückzugehen und zu fragen, was zu tun ist. Das kann man, wenn wir uns die Fakten vor Augen führen, tun. Dann kommt man zu der Frage, wie wir es in Deutschland - und zwar alle Länder - zulassen konnten, dass der wachsende Anteil von Ausländerkindern - ganz gleich, ob sie hier geboren oder zugezogen sind - in einer solch dramatischen Weise in unserem Schulsystem benachteiligt ist. So etwas kann sich keine zivilisierte und industrialisierte Nation leisten. Deshalb muss man fragen, ob die Art und Weise, wie wir diese Kinder fördern, richtig ist.
(Frau Körtner [CDU]: Das hat etwas mit Unterrichtsversorgung zu tun, die unter Ihrer Regie gekürzt worden ist! - Gegenruf von Frau Goede [SPD]: Immer dieselben plakativen Aussa- gen!)
- Liebe Frau Kollegin Körtner, ich nehme gern alle Kritik an. Tatsache ist aber, dass es heute auch an den Grundschulen immer noch viel, viel mehr Unterricht gibt als vor zehn oder 20 Jahren, als die Welt angeblich noch in Ordnung war.
PISA sagt: Wenn der Unterricht in 28 Stunden schlecht ist, dann nützen zwei zusätzliche schlechte Stunden nichts.
- Das akzeptieren auch die Lehrer. Wir sehen, wie schwierig es ist, sich darauf einzulassen. Lassen Sie uns die Studie erst einmal lesen. Dann diskutieren wir das neu. Ich habe übrigens Herrn Baumert eingeladen, hier im Landtag einen Vortrag zu halten. Ich hoffe, dass viele von Ihnen dabei sein werden.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wernstedt, so ganz habe ich nicht verstanden, woran Sie appellieren.
Sie wollen sich mit der Debatte viel Zeit lassen. Aber welches ist Ihre Position zum Durchhalten dieser so genannten schulpolitischen Reform in Niedersachsen?
(Plaue [SPD]: Das ist das Problem, das PISA aufgezeigt hat! Sie hören nicht einmal zu! Vom Lesen will ich gar nicht einmal sprechen!)
So richtig klar war Ihre Haltung dazu nicht. Deshalb möchte ich noch einmal insistieren, dass sich in Niedersachsen auch die Sozialdemokraten zu diesem Aspekt verhalten und sich entscheiden müssen.
Eines kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen. Ich möchte an dieser Stelle einmal einen Ausflug von der Schulpolitik hin zur Machtpolitik in Niedersachsen machen. Wir haben einige Kapitel gelernt, die nicht immer zum Wohle des Landes Niedersachsen waren. Mein Eindruck ist, dass Sie Ihre Reform, die eigentlich gar keine ist, gegen viele Bedenken, die aus den Reihen der Gewerkschaften, aus den Schulen und auch aus den Reihen der Sozialdemokraten geäußert werden, durchhalten, damit das Ansehen des Ministerpräsidenten nicht ein weiteres Mal angekratzt wird.
Die „Gabriel-Reform“ kann sich nach PISA eigentlich nirgends mehr darstellen lassen. Aber entgegen aller Vernunft, entgegen dem Wissen um die Chancenungleichheiten im System halten Sie zu Gabriel, und das zulasten der Kinder in Niedersachsen. Das ist etwas, worüber in der Sozialdemokratie diskutiert werden muss. Der erste Parteitag im Norden hat uns hoffen lassen, meine Damen und Herren.
Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe. - Zu den Punkten 2 a und 2 b liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor.
- Ihre Fraktionsvorsitzende hat uns mitgeteilt, dass Ihre Wortmeldung erledigt sei. Wenn Sie aber gerne noch sprechen möchten, dann haben Sie jetzt das Wort. Keine Aufregung! Das kriegen wir alles hin. - Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alles das, was der Kollege Wernstedt gesagt hat, deutet doch darauf hin, dass es darum gehen muss, was meine Fraktion seit Jahren in diesem Hause einfordert,
dass sich nämlich die Verhältnisse in den Schulen ändern müssen, dass der Unterricht anders werden muss und dass auch die Lehramtsausbildung verändert werden muss. Das ist eine ganz alte Forderung meiner Fraktion. Wir haben alles versucht, um uns durchzusetzen. Wir haben versucht zu erreichen, dass mehr Pädagogik, mehr Didaktik, mehr Erziehungswissenschaften, mehr Psychologie in die Lehrerausbildung Einzug halten. Wir sind damit aber immer am Widerstand der regierenden Sozialdemokraten gescheitert. Von daher ist es völlig illegitim, wenn der Ministerpräsident uns nun unterstellt, wir würden die Systemfrage aufwerfen und uns über die Ergebnisse von PISA freuen. Natürlich sind wir stolz darauf, in den vergangenen Jahren die richtigen Antworten gegeben zu haben.