Protokoll der Sitzung vom 25.01.2002

Herr Biallas, wir werden in weiteren Aktivitäten, um Erfolge zu erzielen, nicht nachlassen. Ich möchte aber auch noch einiges zu dem sagen, was Frau Stokar gefordert hat.

Eigentlich müssten Sie vom Inhalt her wissen, meine Damen und Herren von der CDU, dass für ein vereinsrechtliches Verbot genügend gerichtsverwertbare Erkenntnisse vorliegen müssen. Das ist weit mehr als die bloße Benennung von Organisationen in Berichten des Verfassungsschutzes. Die Gruppierungen sind oft nicht vereinsrechtlich organisiert, sondern zum Teil nur an einzelnen Stützpunkten bzw. wechselnden Personen orientiert. Deshalb müssen pauschale Schnellschüsse gegen alle islamistischen Organisationen auf jeden Fall vermieden werden. Geboten ist ein entschlossenes, zugleich aber auch ein besonnenes Vorgehen. Man sollte also nicht so tun, als seien Organisationsverbote das alleinige Allheilmittel. Es bedarf einer differenzierten Betrachtung im Einzelfall. Statt eines Totalverbotes können auch Betätigungsverbote für einzelne bzw. eine gesellschaftlich-politische Auseinandersetzung und stärkere Integration gemäßigter Personen in Erwägung gezogen werden.

Die Forderung nach Ausweisung und Abschiebung von angeblich 30 000 islamistischen Extremisten aus Deutschland ist nicht neu. Sie hat auch Herr Stoiber vor einigen Monaten aufgestellt. Seine anteilige Quote für Bayern hat er, soweit mir bekannt ist, auch nicht im Ansatz erfüllt. Aber das ist auch nicht erforderlich, meine Damen und Herren. Wenn in Verfassungsschutzberichten von einem Protestpotenzial der islamistisch-extremistischen Ausländerorganisationen von etwa 30 000 die Rede ist, dann ist dies nicht mit 30 000 Extremisten gleichzusetzen. Es handelt sich um eine Schätzung des Mitglieder- und Anhängerpotenzials. Nicht alle davon verfolgen oder unterstützen extremistische Zielsetzungen. Selbstverständlich arbeiten die zuständigen Stellen in einer weiteren Bund-Länder-Arbeitsgruppe eng zusammen,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

um zu prüfen, ob Ausweisungen und Abschiebungen durchgeführt werden können. Darüber hinaus habe ich in meinem Hause eine Projektgruppe gebildet, in der die verschiedenen Fachbereiche die notwendigen Informationen austauschen und das weitere Vorgehen absprechen.

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Überzogene Erwartungen sind auch hier fehl am Platze. Wenn einer Organisation wie dem Kalifatsstaat gemäß Verbotsverfügung der Vorwurf nicht nachgewiesen werden kann, dass es sich nicht nur um eine verfassungswidrige, sondern um eine terroristische Vereinigung handelt, greift der neu geschaffene, an die Terrorismusunterstützung anknüpfende Ausweisungsgrund nicht. Es ist dann durch sehr sorgfältige Beobachtung im Einzelfall der Nachweis zu führen, dass der Ausländer selbst einen Ausweisungsgrund erfüllt. Erste Überprüfungen von Kalifatsstaat-Anhängern haben gezeigt, dass viele von ihnen seit langem über ein verfestigtes Aufenthaltsrecht verfügen und strafrechtlich bislang nicht auffällig geworden sind.

Meine Damen und Herrn, unmissverständlich gilt: Was im Einzelfall rechtsstaatlich zulässig und sachgerecht ist, wird im Bereich des öffentlichen Vereinsrechts und des Ausländerrechts bei islamistisch-extremistischen Organisationen von der Landesregierung konsequent umgesetzt.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Bitte formulieren. Wir sollten auch in Zeiten auf uns zukommender Wahlkämpfe gemeinsam alles dafür

tun, keine öffentliche Diskussion über mögliche Verbote einzelner namentlich benannter Organisationen zu führen. Dies wäre in jeder Hinsicht kontraproduktiv. Das weitere Sammeln von gerichtsverwertbaren Belegen für Verbotsgründe würde erheblich erschwert. Für den Fall einer Entscheidung gegen das Verbot einer Organisation könnte sie dies nach einer vorherigen öffentlichen Verbotsdiskussion als Persilschein für ihre weitere Tätigkeit werten. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Der Abgeordnete Schwarzenholz hat für bis zu zwei Minuten das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man den Antragstext der CDU-Fraktion ohne Begründung liest und wenn wir ihn so, wie es von der CDU-Fraktion vorgeschlagen worden ist, beschließen würden, dann würden wir die Regierung zu verfassungswidrigem Handeln auffordern. Das muss man sich einmal eindeutig vor Augen führen. Was Sie hier machen, ist zum Teil direkt gegen Prinzipien des Grundgesetzes gerichtet. Wenn Sie pauschal, ohne dass konkret die Kriterien des Strafrechts und anderer Gesetze betroffen sind, das Verbot von so genannten islamistischen Organisationen fordern, dann hebeln Sie Rechtsstaatsprinzipien aus. Wenn Sie auf den Abschiebungsfaktor gehen, dann fordern Sie uns sogar zu völkerrechtswidrigem Verhalten heraus. Das heißt, wir sollen gegen Regeln der UN und anderes international bindendes Völkerrecht verstoßen.

Wenn man das so macht, wie Sie es jetzt fordern, dann bedient man die rechtspopulistische Denkweise. Wenn man wirklich politisch demokratische Grundprinzipien verteidigen will, dann kann man das doch niemals dadurch tun, dass man bei der Bekämpfung von Feinden des Rechtsstaates rechtsstaatliche Methoden außer Kraft setzt. Das ist gerade in der aktuellen Auseinandersetzung um das NPD-Verbot deutlich geworden, welche Sorgfalt angewandt werden muss, damit es letztendlich nicht sogar noch zu einem Triumph aufseiten von Leuten gibt, die nichts anderes im Kopf haben, als Humanismus und demokratische Grundregeln zu zerschlagen.

(Zuruf von der CDU)

- Sie sollten sich überlegen, was für einen Zwischenruf Sie machen. Sie sollten sich für diesen Zwischenruf schämen. - Ich habe nicht Sie angesehen, Herr Vizepräsident. - Das ist eine Schande. Ein solcher Zwischenruf beweist, wo Rechtspopulismus landet. So etwas ist unsachlich.

Wir sollten aufhören, primitivste Vorurteile auch gegen Religionsgemeinschaften zu pflegen. Man sollte aufpassen, dass man nicht, indem man hier leichtfertig den Begriff „islamistisch“ benutzt, Islam und extremistische Kräfte im islamischen Bereich, die ja eine Minderheit im islamischen Bereich darstellen, gleich stellt und damit künstlich solidarisiert.

Dieser Antrag ist jedenfalls nicht geeignet, eine sachliche Debatte um den politischen Kampf gegen den extremistischen Islamismus zu befördern.

(Zustimmung von Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, Herr Biallas hat für eine Minute um das Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der bisherige Verlauf der Debatte zeigt ganz eindeutig, wie wichtig es ist, dass sich dieses Parlament mit dieser wichtigen Frage auseinander setzt.

Frau Stokar, ich möchte Ihnen eines sagen bei allem Respekt vor manchem, was Sie hier zum Besten geben: Von den Grünen nehme ich diesbezüglich keine Empfehlung mehr entgegen. Sie sind es doch gewesen, die jahrelang nicht nur den Verfassungsschutz behindert, sondern dessen Abschaffung gefordert haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Sie sind es gewesen, die Strafverfolgung behindert haben. Und Sie wollen uns sagen, wie wir hier mit Extremisten umzugehen haben?

Nun will ich Ihnen noch etwas sagen, Frau Wörmer-Zimmermann. Nachdem Sie gestern ausweislich der Berichterstattung im Buxtehuder Tageblatt zugegeben haben, dass Sie maßgeblich daran beteiligt waren, das Verbot gegen die NPD voranzu

treiben, möchte ich Ihnen sagen: Wenn Sie hier rechtliche Ausführungen machen, dann habe ich echte Probleme, darauf zu vertrauen, dass das alles richtig ist, nachdem ich weiß, was aus Ihrem Verbotsverfahren geworden ist, Frau WörmerZimmermann.

(Beifall bei der CDU)

Ein letzter Satz zu Ihnen, Herr Schwarzenholz. Herr Schwarzenholz, mit Ihnen als Mitglied der PDS unterhalte ich mich gerne über Fragen des Extremismus, auch des islamistischen Terrorismus. Aber eine Nachhilfestunde, wie Demokraten mit Extremisten umzugehen haben, verbitte ich mir von Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind am Ende der Beratung und kommen zur Ausschussüberweisung. Es ist beantragt worden, den Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für innere Verwaltung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das ist so entschieden.

Tagesordnungspunkt 33: Förderung des naturwissenschaftlichen Unterrichts - Antrag der Fraktion der CDU Drs. 14/3037

Die Fraktionen sind übereingekommen, den Antrag unter Tagesordnungspunkt 33 gleich in den Ausschuss zu überweisen. Wer dem folgen möchte, diesen Antrag an den Kultusausschuss zu überweisen, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das ist so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 35: Strom in der Fläche teurer als Strom in der Stadt? - Weitere Belastungen für den ländlichen Raum verhindern - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/3039

Die Fraktionen sind des Weiteren übereingekommen, den Antrag unter Tagesordnungspunkt 35, der ursprünglich nach der Mittagspause behandelt werden sollte, ohne Aussprache zur federführenden

Beratung an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für innere Verwaltung zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Das ist damit geschehen.

Gedenkstunde aus Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2002

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu einem besonderen Tagesordnungspunkt, den wir im Zusammenhang mit dem 27. Januar vorgesehen haben.

(Unruhe)

- Ich bitte Sie, Ihre Plätze einzunehmen.

Meine Damen und Herren, der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hat 1996 vorgeschlagen, den 27. Januar in Deutschland zum Anlass zu nehmen, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und uns Rechenschaft darüber abzulegen, was für uns Deutsche dieser Tag heute bedeutet. Am 27. Januar 1945 erreichten sowjetische Truppen das Konzentrationslager Auschwitz. Diese Truppen begriffen zunächst gar nicht, was sie in Auschwitz und Birkenau wirklich betraten. Die abziehende SS hatte in den Monaten davor versucht, möglichst viele Häftlinge nach Westen marschieren zu lassen. Etwa 10 000 waren übrig geblieben. Die grausigen Begleitumstände dieser Trecks hat Bernhard Schlinck in seinem Roman "Der Vorleser" geschildert. Sich diese Bilder in Erinnerung zu rufen oder zu vergegenwärtigen, kann auf verschiedene Weise geschehen. Es geschieht nicht aus historisch-antiquarischem Interesse, sondern aus politischer Verantwortung. Der Umgang mit diesem Datum ist ein Gradmesser für die Wirksamkeit eines wichtigen Teils unseres nationalen Selbstverständnisses.

Der Opfer zu gedenken und zu akzeptieren, dass das Versagen einer ganzen Generation den Nachgeborenen, die keine individuelle Schuld an den Verbrechen der Vergangenheit tragen, Verpflichtungen auferlegt, ist schwierig. Die demokratischen Kräfte in diesem Lande haben dies bisher für sich gelten lassen. Man sieht es in diesen Wochen wieder an vielfältigen Aktionen der KonradAdenauer-Stiftung, des Vereins "Gegen das Vergessen", der Parteien und der Jugendorganisationen.

Die kleine eindrucksvolle Ausstellung zu den Aktivitäten der niedersächsischen Gedenkstätten, die zurzeit im Niedersächsischen Landtag zu sehen ist, zeigt das überragende Engagement von Jugendlichen bei diesem Thema - ein Engagement, welches weit weniger wahrgenommen wird als die Brutalitäten rechtsextremistischer Jugendlicher.

Dennoch müssen wir aufpassen, dass die Erinnerung an Vergangenes - und sei es noch so schrecklich - nicht zum blutleeren Ritual wird. Der angemessene Umgang mit Vergangenem ist die jeweils neue Aneignung, auch mit sehr ungewöhnlichen, manchmal auch künstlerischen Mitteln. Das Fragen, was uns das heute alles bedeuten kann und muss, verlangt zur Beantwortung die Hereinnahme auch aktuell ungelöster Probleme und damit auch unbequemer Fragen.

Die Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski und Ignatz Bubis, haben dies aus der Perspektive der Opfer individuell verschieden, aber nachdrücklich und lang wirkend, repräsentiert. Der jetzige Vorsitzende, Paul Spiegel, hat diese Linie auf seine, die moderne Zeit berücksichtigende Weise vorbildlich weitergeführt. Ich freue mich daher, dass Sie, Herr Spiegel, meine Einladung angenommen haben und vor den Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages sprechen werden. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall bei allen Fraktionen)

Sie haben sich in den zwei Jahren Ihres Amtes national und international Respekt erworben und Gehör verschafft. Ohne die Stimme der Juden in Deutschland hätten wir es schwerer im Umgang mit den Themen, die in Auschwitz ihre reale und symbolische Kulmination fanden. Die Stimme der Juden, des Volkes, das die längste Erinnerung aller lebenden Völker in sich birgt, brauchen wir auch in Zukunft für den Aufbau Europas. Wir brauchen sie aber auch, um den desaströsen Bruderkrieg in Palästina und Israel auf friedliche Weise zu überwinden. Es ist auch für uns Deutsche eine tiefe Beunruhigung, dass Israel, das ohne den Hintergrund des Holocaust so nicht existierte, in solch verzweifelte Situation wie heute verstrickt ist. Wir hoffen, dass der Friedensprozess wieder aufgenommen werden kann.

(Beifall im ganzen Haus)

Herr Spiegel, wir freuen uns auf Ihre Ausführungen.

Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland:

Herr Landtagspräsident! Herr Ministerpräsident! Meine Damen! Meine Herren! Zunächst einmal danke ich Ihnen sehr herzlich für die Einladung, heute, zwei Tage vor dem 27. Januar, zu Ihnen sprechen zu können. Wir haben uns vorher in den Ausführungen nicht abgestimmt. Darum kann es sein, dass ich etwas sage, was mein Vorredner schon gesagt hat. Aber ich habe mir nun einmal die Mühe gemacht, das alles aufzuschreiben, und da müssen wir jetzt eben durch.

(Heiterkeit)