Protokoll der Sitzung vom 25.01.2002

Herr Abgeordneter Schünemann, Sie hatten mich direkt angesprochen. Ich will klar machen, dass in der Sache zwischen uns keine Divergenz besteht. Wir sehen das genau so wie Sie. Der § 100 a muss, so wie Sie es vorgetragen haben, ergänzt werden. Wir warten ab, ob der Vorschlag, der jetzt im Bundesrat vorliegt und mit Dingen befrachtet ist, die uns nicht gefallen - mit anderen Gesetzesvorhaben -, durchkommt. Wenn sich die Bayern kompromissbereit zeigen und sich bereit erklären, auf einige Regelungen zu verzichten, um das Gesetz zu retten, dann sind wir dabei.

(Schünemann [CDU]: Abkoppeln!)

Wir stellen einen eigenen Antrag, wenn auf dem Weg das Ziel, das wir gemeinsam verfolgen, besser erreicht werden kann. Sie können sicher sein, dass wir uns mit aller Kraft für das von uns beiden für richtig gehaltene Ziel einsetzen werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Beratung ist beendet. Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Federführend zuständig soll der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen sein, mitberatend der Ausschuss für innere Verwaltung, der Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen, der Ausschuss für Gleichberechtigung und Frauenfragen und der Ausschuss für Jugend und Sport. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Das ist so beschlossen.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung: Verbot extremistischer und islamistischer Vereinigungen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/3036

Die Redezeit beträgt bis zu zehn Minuten für die SPD-Fraktion, bis zu fünfzehn Minuten für die CDU-Fraktion, bis zu fünf Minuten für die Grünen und bis zu fünf Minuten für die Landesregierung.

Zur Einbringung hat Herr Kollege Biallas um das Wort gebeten.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Bei diesem Antrag, den wir angesichts der gegenwärtigen auch öffentlichen Debatte über die Wirkung des islamistischen Terrorismus und Extremismus für außerordentlich wichtig halten, geht es um die Frage, ob mit dem Verbot der Vereinigung Kalifatsstaat, die der Bundesinnenminister verhängt hat, das Thema abschließend erledigt ist oder noch Handlungsbedarf in anderer Weise besteht.

Wir sind der Auffassung, dass mit dem Verbot, das gegen die Vereinigung Kalifatsstaat verhängt worden ist, ein längst notwendiger Schritt vollzogen und das umgesetzt worden ist, was der Verfassungsschutz eigentlich schon seit vielen Jahren festgestellt hat.

In unserem Antrag geht es angesichts der erwiesenen Tatsache, dass es in Deutschland etwa 30 000 gewaltbereite Mitglieder von solchen extremistischen und islamistischen Organisationen gibt, darum, uns nicht damit zufrieden zu geben, dass durch das Verbot der Vereinigung Kalifatsstaat etwa 1 000 Mitglieder betroffen sind und die restlichen 29 000 womöglich unbehelligt weiter unter uns leben können.

Aus unserer Sicht sind drei Maßnahmen erforderlich. Einmal geht es darum, dass diejenigen Vereinigungen, die schwerpunktmäßig in Niedersachsen in Erscheinung treten, durch eine Verfügung der Landesregierung verboten werden können und eine Strafverfolgung und ausländerrechtliche Konsequenzen möglich sind.

Darüber hinaus muss zweitens dafür Sorge getragen werden, dass gegen die Einzelpersonen, die Mitglieder solcher Vereinigungen sind, auch ausländerrechtliche Maßnahmen eingeleitet und durchgeführt werden können.

Der dritte Aspekt nimmt auf eine bereits von Bayern angeschobene Initiative Bezug. Diejenigen extremistischen Organisationen, die uns bekannt sind und die in breitem Maße über die Ländergrenzen hinaus tätig sind, müssen durch eine Initiative im Bundesrat nicht nur beobachtet werden können, sondern es müssen auch entsprechende Konsequenzen gezogen werden.

Ich will ein Beispiel nennen. Es gibt die Vereinigung Milli Görüs, die nach den Ermittlungen der Verfassungsschutzbehörden deutschlandweit immerhin etwa 27 000 Mitglieder hat. Bayern hat den Antrag gestellt, gegen diese Vereinigung ein Verbot mit der Konsequenz zu verhängen, dass man die aktiven oder passiven Mitglieder entsprechend belangen kann.

Angesichts der Tatsache, dass wir uns darauf verständigt haben, wenigstens einigermaßen wieder in den ursprünglichen Zeitplan zurückzufinden, will ich meine Redezeit nicht ausschöpfen. Ich will aber zum Abschluss meiner Rede sagen, dass uns bedrückt, dass im Moment der Eindruck entstanden ist, dass das Problem des extremistischen und islamistischen Terrorismus durch das medienwirksame Verbot der Vereinigung Kalifatsstaat abgearbeitet zu sein scheint. Wir haben die Befürchtung, dass alle anderen, auch diejenigen, die aus der Vereinigung Kalifatsstaat stammen und in andere Vereinigungen abwandern, weiterhin unbehelligt und beruhigt unter uns leben können.

Wir sind der Meinung, dass wir es dem Sicherheitsbedürfnis unserer Bevölkerung schuldig sind, dass harte und konsequente Maßnahmen seitens der Landesregierung eingeleitet werden, damit sichergestellt ist, dass wir auf der Basis der Einblicke und Ermittlungsergebnisse des Verfassungsschutzes nicht nur strafrechtlich verfolgen, sondern konsequent alle abschieben, die unseren demokratischen Rechtsstaat bekämpfen und damit die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land gefährden. - Vielen Dank, dass Sie mir so aufmerksam zugehört haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Frau Stokar von Neuforn das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es ziemlich mutig von der CDU, dass sie nach dem derzeitigen Desaster des NPD-Verbots den Bundesinnenminister auffordern will, weitere Verbote von Vereinigungen auszusprechen.

(Ontijd [CDU]: Was hat das eine mit dem anderen zu tun?)

Wir alle, die wir uns mit Innenpolitik beschäftigen, sollten überlegen, ob es richtig gewesen ist, nach dem 11. September diesen unglaublichen Erwartungsdruck in der Bevölkerung zu erzeugen.

Es ist bekannt, dass wir die Abschaffung des Religionsprivilegs unterstützt haben. Weiterhin haben wir das Verbot des Kaplan-Vereins unterstützt. Ich meine, der Innenminister sollte jetzt einmal offen und ehrlich berichten, welche Probleme es mit der Umsetzung von Vorschlägen gibt, die Innenpolitiker in der Öffentlichkeit herausposaunen. Dadurch wird ein Erwartungsdruck aufgebaut.

Ich befürchte, dass wir den Rechtsstaat nicht nur durch das Desaster des NPD-Verbots beschädigen, sondern dass wir in kurzer Zeit eine groteske Situation in Nordrhein-Westfalen, speziell in Köln, haben werden. So könnte es geschehen, dass der Führer des Kalifatsstaat, Herr Metin Kaplan, aus dem Gefängnis entlassen und mit seinen Anhängern durch Köln spazieren geht. Denn es ist manchmal wegen der Rechtsstaatlichkeit, unserer Verfassung und des Völkerrechts - nicht wegen unserer Gesetzgebung; die ist mittlerweile so hart, dass sie an die Grenzen des Völkerrechts stößt nicht möglich, solche Personen auszuweisen.

Das ist die reale Situation. Bundesinnenminister Schily bemüht sich im Moment verzweifelt, mit der türkischen Regierung ein Verfahren dafür zu finden, zumindest den Führer der KaplanVereinigung - die Mitglieder dieser Vereinigung werden in der Türkei wegen Hochverrats angeklagt, und ihnen droht die Todesstrafe - auszuweisen. Herr Biallas von der CDU, Sie sollten hier nicht so tun, als wäre dies so einfach möglich.

Der Innenminister sollte uns berichten, was die Durchsuchung und die Schließung der KaplanMoschee gebracht hat und welches Vereinsvermö

gen beschlagnahmt werden konnte. Darüber haben wir bisher keine Informationen.

Ich weiß, dass in Niedersachen geprüft wird, welche Mitglieder aus dem Kaplan-Verein ausgewiesen werden können. Diese Prüfung hat im Moment das Ergebnis: null in Niedersachsen. Wir sollten also mit dieser Stimmungsmache aufhören. Herr Biallas erzählt hier der Bevölkerung, dass man in der Lage ist, 30 000 ausländische Extremisten in kürzester Zeit auszuweisen. Dieses wird aber nicht gehen, weil in jedem Einzelfall eine Ausweisung auch gerichtlich überprüft wird. Ich sage: Diese gerichtliche Überprüfung ist auch gut so.

Meine Damen und Herren, wir sollten in der Innenpolitik aufhören, diese Stimmungsmache zu betreiben und sollten zu einer Innenpolitik zurückkehren, bei der wir auf die Fachleute hören. Der Verfassungsschutz hat ja die Innenpolitiker vor allzu großen Verbotserwartungen gewarnt. Die Innenpolitiker haben aber auf die Fachleute nicht gehört, weil sie nach dem 11. September die Schlagzeilen dominieren wollten und mussten, und jetzt werden wir von diesen Schlagzeilen eingeholt. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Frau Abgeordnete WörmerZimmermann.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU fordert mit dem vorliegenden Antrag die Landesregierung zum Vorgehen gegen extremistische und islamistische Vereinigungen auf. Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Ihr Antrag läuft wieder einmal ins Leere. Die Landesregierung bedarf einer solchen Aufforderung von Ihnen zum Handeln nicht,

(Rolfes [CDU]: Woher weiß denn die Frau Abgeordnete das? - Möllring [CDU]: Warum tut sie nichts?)

sondern die Landesregierung hat, wie Sie wissen, längst gehandelt. Sie wissen genau, dass die Bekämpfung extremistischer Organisationen in Niedersachsen seit Jahren aktiv betrieben wird. Ich erinnere im Bereich des Rechtsextremismus an diverse Verbote durch das Niedersächsische Innenministerium. An diese Tradition konsequenten

und erfolgreichen Vorgehens gegen extremistische Organisationen wird jetzt auf der Grundlage neuer gesetzlicher Möglichkeiten gegen verfassungsfeindliche islamistische Organisationen nahtlos angeknüpft. Hier gibt es bereits eine Reihe von erfolgten Maßnahmen.

Sie hätten sich also Ihren Antrag und die herbeigeführte parlamentarische Behandlung eigentlich sparen können. Eulen müssen Sie nun wirklich nicht nach Athen tragen. Der Antrag macht deutlich, dass es Ihnen weniger um die Sache als vielmehr um die Aufstellung völlig überzogener und unrealistischer Forderungen geht. Oder wie sonst wollen Sie die Forderung nach einem Totalverbot aller islamistischen Organisationen und der Ausweisung bzw. Abschiebung aller Mitglieder bewerten? Das ist meilenweit von der Realität und den staatlichen Handlungsmöglichkeiten entfernt. Das wissen Sie doch genau, meine Damen und Herren. Solche Forderungen können Sie vielleicht auf der Stammtischebene äußern. Aber auch da würde ich es besser sein lassen.

Bei Ihrer Forderung, vereinsrechtliche Verbotsverfahren durchzuführen, müssen Sie berücksichtigen, dass islamistisch-extremistische Gruppen meistens nicht entsprechend dem förmlichen deutschen Vereinswesen organisiert und deshalb mit vereinsrechtlichen Maßnahmen kaum zu greifen sind. Im Übrigen ist durchweg der Bund und nicht das Land für Verbote zuständig, weil diese Gruppen in der Regel nicht nur in Niedersachsen organisiert sind, sondern im ganzen Bundesgebiet.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, sich einmal bei Ihren Kollegen, die Mitglieder im Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes sind, erkundigt hätten, dann hätten Sie nicht so locker flockig dahingestellte Forderungen gestellt. Denn mit der speziellen Problematik haben wir uns oft befasst.

Meine Damen und Herren, wir müssen feststellen, dass sich der Rechtsstaat ausländerrechtlich auch nach dem 11. September nicht in Luft aufgelöst hat. Erforderlich ist bei Abschiebungen in jedem Einzelfall der Nachweis, dass der Ausländer selbst die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft. Ein solcher Nachweis ist nicht einfach zu führen. Noch schwieriger wird es, wenn sich die Ausländer nach dem Ver

einsverbot von der Organisation völlig distanzieren und ihre bisherigen Aktivitäten einstellen. Es wird daher einer sorgfältigen Beobachtung im Einzelfall bedürfen, meine Damen und Herren, um nachweisen zu können, dass der Ausweisungsgrund der Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erfüllt ist.

Ich freue mich auf die Diskussion im Innenausschuss. Wir werden die altbekannten Argumente austauschen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Minister Bartling hat sich gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir bitte ein paar wenige Anmerkungen

(Ontijd [CDU]: Zu den letzten Aus- führungen!)

zu den hier gemachten Ausführungen.

Herr Biallas, wir werden in weiteren Aktivitäten, um Erfolge zu erzielen, nicht nachlassen. Ich möchte aber auch noch einiges zu dem sagen, was Frau Stokar gefordert hat.