Protokoll der Sitzung vom 13.02.2002

Das Wort hat Frau Kollegin Harms.

Herr Präsident! Werte Kollegen! Mit großem Interesse habe ich die Berichterstattung über die Rede des Ministerpräsidenten bei der Schaffermahlzeit in Bremen gelesen. Nachdem hier von Plenarsitzung zu Plenarsitzung versucht wird, den Eindruck zu verbreiten, die Standort- und Wirtschaftspolitik in Niedersachsen verlaufe hervorragend, wurde in Bremen eingestanden, wie die Lage wirklich ist. Plötzlich fordert der Ministerpräsident für Niedersachsen bzw. die Nordländer Entwicklungshilfe aus dem Süden der Bundesrepublik. Wir scheinen also, was die alten Länder angeht, den Stand eines Entwicklungslandes zu haben.

Diese Einschätzung ist unmittelbar vor Veröffentlichung der neuen Arbeitsmarktstatistik abgegeben worden. Ich bin froh darüber, dass sich in der Landesregierung endlich Realismus breit gemacht hat - jedenfalls hat es den Anschein -; denn die Arbeitslosenstatistik spricht eine völlig andere Sprache als die Landesregierung normalerweise, wenn es um den Standort Niedersachsen geht. Wir sind, was die Arbeitslosenzahlen betrifft, eindeutig Schlusslicht.

Die Großprojekte, die derzeit die Debatte nach außen bestimmen, scheinen mir alle nicht geeignet zu sein, um die Probleme, die uns die Statistiker vorgelegt haben, in den Griff zu bekommen. Das Projekt Transrapid wird auf absehbare Zeit überhaupt nichts an der Arbeitsmarktsituation ändern. Dazu ist in der vorhergehenden Debatte genügend gesagt worden.

Was das andere, angeblich norddeutsche Großprojekt, den Hafen am tiefen Wasser, den Jadeport in Wilhelmshaven, angeht, so gibt es, wenn ich die Gespräche zwischen Frau Simonis, Herrn von Beust und Herrn Ministerpräsident Gabriel richtig interpretiere, nach wie vor keine Einigkeit. Die versprochenen 3 600 Arbeitsplätze kann ich, mit Verlaub, nicht erkennen. Solange es keine wirkliche Einigkeit in der Hafenpolitik gibt, erscheint mir dieses sowohl von Ministerin Knorre als auch von Ministerpräsident Gabriel gesetzte Ziel absolut irreal. Sie haben bisher weder die Hamburger Hafenwirtschaft noch den Hamburger Senat im Boot. Es sieht auch nicht so aus, als wenn es in dem gestrigen einstündigen Gespräch, in dem viele Themen erörtert worden sind, hätte geklärt werden können.

Die Hamburger begreifen Wilhelmshaven nach wie vor allenfalls als einen Ergänzungshafen. In Bremen ist - wenn ich es richtig sehe - die Einschätzung auch nicht viel anders.

Die Elbvertiefung, die zwischen Frau Simonis und Herrn von Beust bereits beschlossen worden ist, ist eine klare Kampfansage gegen den Standort Wilhelmshaven. Bisher hat sich keine niedersächsische Landesregierung in dieser Auseinandersetzung unter den Nordländern durchsetzen können. Ich möchte wissen, wie tausende von Arbeitsplätzen in Wilhelmshaven entstehen sollen, wenn Hamburg diese Linie hinsichtlich der Elbvertiefung weiterverfolgt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Trotz aller großen Ankündigungen für einen neuen Nordverbund und eine nordisch organisierte Großvertretung in Berlin und Brüssel sieht es für Niedersachsen im Moment so aus, als bliebe alles beim Alten. Wir werden bestenfalls die Deponierung des Baggerguts organisieren und Flächen für Ausgleichsmaßnahmen bei Eingriffen in die Ökologie zur Verfügung stellen. Ich glaube, dass es bei der Initiative des Ministerpräsidenten, um die so viel öffentlicher Wirbel gemacht worden ist, eher um virtuelle Maßnahmen geht. Wenn es mit dem Führerschein denn noch etwas wird - dazu könnten Sie ja auch etwas sagen; das ist betont worden -, dann hätte das Ganze vielleicht ein Ergebnis. Da das eine Euro-Nord-Initiative sein soll, habe ich mich allerdings gefragt, warum man nicht auf andere europäische Vorbilder zurückgreift - in anderen europäischen Ländern wird es so gehandhabt und diesen Führerschein, mit dem Jugendliche in Begleitung fahren dürfen, nicht bereits ab 16 Jahren, sondern erst ab 17 Jahren einführt.

(Beifall bei den GRÜNEN - Möllring [CDU]: Zwölf ist noch besser!)

Das Wort hat der Kollege Wulff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Plaue, Sie machen es uns wirklich schwer. Wenn einmal gefragt wird, was Sie eigentlich gesagt haben, dann fällt Leuten, die so etwas mitbekommen, doch ein, dass das, was Politiker sagen, eher Laber-Rhabarber ist, als dass es wirklich Inhalt hat.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Da sind Sie ein Meister des Faches! - Adam [SPD]: Das ist eine Sternstunde des Parlaments!)

Wir müssen wohl damit leben, dass immer weniger Menschen die Bedeutung des Aschermittwochs kennen. Aber selbst diejenigen, die nicht wissen, was das Aschekreuz bedeutet, wissen immerhin, dass die Fastenzeit begonnen hat. Auch eben ist es, was Argumente angeht, recht dürftig zugegangen.

Ich möchte einige Bemerkungen machen, die für das Thema wichtig sind.

(Plaue [SPD]: Das müssen Sie vorher sagen, damit die Leute das begreifen!)

Erste Bemerkung. Der Norden in Deutschland hat große Probleme. Wer das anspricht, redet das Land nicht schlecht, sondern legt die richtige Analyse bzw. Diagnose vor, um auf dieser Grundlage eine Therapie entwickeln zu können. Es ist wahr, dass die Zahl der Erwerbstätigen wegen der 630-MarkJobs überall in Deutschland gestiegen ist. Aber trotz der statistischen Veränderungen ist die Zahl der Erwerbstätigen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen zurückgegangen. Überall in Deutschland ist das Bruttosozialprodukt kaum noch gewachsen. Aber in Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist es am geringsten gewachsen. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist in Bremen am höchsten, gefolgt von Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Das sind eindeutige Anzeichen dafür, dass wir intensiver darüber reden müssen, wie wir das ändern können.

Zweite Bemerkung. Im Haushalt 2002 des Bundes sind 11 Milliarden DM weniger für Investitionen ausgebracht, als es noch 1998 der Fall war. Das trifft natürlich auch den Norden.

Dritte Bemerkung. Sie haben vorgetragen, jetzt gebe es das abgestimmte Verhalten zwischen Bund und Ländern, das Sie sich immer sehnlichst gewünscht hätten. Wie erklären Sie sich dann eigentlich, dass der Bundesfinanzminister zur Abwendung des blauen Briefes, dessen Voraussetzungen unzweifelhaft vorliegen, zugesagt hat, bis 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, dass aber Ihr Finanzminister, Herr Aller, sagt, das sei Wunschdenken? Er bezeichnet Ihren Bundesfinanzminister als „Traumtänzer“,

(Zustimmung bei der CDU)

weil natürlich nichts mehr in unserem Land läuft, wenn man jetzt solche Zusagen macht. Solche Versprechen kann man nur machen, wenn es dabei nach Ihrer Philosophie einen Unterschied gibt: Die einen Versprechen hat man wirklich versprochen, und bei den anderen Versprechen hat man sich versprochen und sagt hinterher: Da haben wir uns wohl vertan.

Vierte Bemerkung. Für uns ist die Frage besonders wichtig: Wie kämpfen wir gemeinsam für die Infrastruktur Norddeutschlands? Denn Mobilität schafft Arbeitsplätze. Ich habe hier Ihre Broschüre von 1992: „Niedersachsen geht vor - Bericht der Landesregierung“. Das war ein Bericht der damaligen rot-grünen Landesregierung. Darin haben Sie geschrieben: „Für den Bundesverkehrswegeplan hat das Land Niedersachsen keine neue Fernstraße angemeldet.“

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das war die Wirklichkeit in der niedersächsischen Politik! Der Bundesverkehrswegeplan, der damals beschlossen worden ist, hat bis 2005 und darüber hinaus Gültigkeit. Das heißt, dass wir heute die A 14 von Hamburg nach Magdeburg nicht haben, dass wir die A 39 von Wolfsburg nach Schwerin nicht haben, dass wir die A 26 nach Stade nicht haben und dass wir die A 20 westlich von Hamburg nicht haben. Der Grund dafür liegt darin, dass Sie Politik gegen Infrastruktur in diesem Lande organisiert haben. Das ist die Wahrheit in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU)

Wir hätten das BMW-Werk nach Niedersachsen bekommen, wenn die A 26 fertig gewesen wäre. Ich erwarte, dass wir jetzt ein VerkehrswegeBeschleunigungsgesetz wie in den neuen Ländern machen, damit die A 26 endlich in Niedersachsen gebaut werden kann und der Bund hier seine Verpflichtungen erfüllt.

(Beifall bei der CDU)

Die Elbquerung westlich von Hamburg haben wir gegen Sie, gegen die niedersächsische Sozialdemokratie, in den Bundesverkehrswegeplan hineingeschrieben. Vor wenigen Tagen hat sich Herr von Beust mit Frau Simonis getroffen. Ich zitiere aus der Zeitung:

„Die Ostsee-Autobahn A 20 soll fern von Hamburg bei Glückstadt die Elbe

queren. Der Strom soll ausgebaggert werden. Eine Fusion der Landesbanken von Hamburg und SchleswigHolstein wird eingeleitet. Darauf verständigten sich Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin und Hamburgs Bürgermeister gleich bei ihrem ersten Nordgipfel gestern in Kiel. Gut eine Stunde hakten die beiden Regierungschefs einen Knackpunkt nach dem anderen ab und stellten am Ende die längste Projektliste seit Jahren vor.“

Das heißt, durch von Beust kommen jetzt Bewegung und Schwung in die norddeutsche Zusammenarbeit.

(Lachen bei der SPD)

Aber wir müssen dann bitte schön auch in Niedersachsen entsprechend gegenhalten. In Niedersachsen kommen Sie aber, wenn Ihnen gar nichts mehr einfällt und Sie gar keinen Erfolg mehr diskutieren können und nichts mehr für die Aktuelle Stunde haben, mit dem Thema „Norddeutschland muss zusammenrücken“ - so Schröder 1996: „Die norddeutsche Zusammenarbeit muss verbessert werden“, 1999: „Aufbruchstimmung - Gemeinsam sind wir stark gegen den Süden“. 2000 schlägt Gabriel vor: „Enger zusammenrücken - Das Zusammenlegen von Behörden und Statistischen Landesämtern betreiben“. 2002 jetzt wieder diese Ankündigungspolitik. - Sie hatten doch zwölf Jahre lang die Chance dazu, solche Projekte voranzubringen! Aber wer in Bonn nichts anmeldet, der kann Bonn auch nicht vorwerfen, dass nichts gekommen ist. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Damit ist der Punkt 2 b) beendet. Wir kommen zu dem Punkt c).

(Ministerpräsident Gabriel: Herr Prä- sident, ich hatte mich vorhin gemel- det!)

- Entschuldigung, das habe ich nicht gesehen. Herr Ministerpräsident!

(Möllring [CDU]: Ich denke, er soll jetzt von der SPD verteidigt werden! - Gegenruf von Plaue [SPD]: Das war doch kein Angriff, sondern das war das Vorlesen von Märchen! Mehr können Sie nicht!)

Herr Präsident, ich bedanke mich erst einmal dafür, dass noch die Möglichkeit besteht, zu diesem Thema etwas zu sagen, weil sich mir jetzt am Ende der Debatte die Frage gestellt hat, ob wir nicht doch die Chance nutzen sollten, das Thema der Aktuellen Stunde noch einmal aufzugreifen, um nicht ausschließlich über Vergangenheitsbewältigung zu sprechen.

(Möllring [CDU]: Das hat doch Plaue versucht!)

- Herr Möllring, ich weiß ja, dass das wehtut.

(Möllring [CDU]: Nein!)

Hören Sie doch einfach mal zu!

Ich würde Ihnen gerne die Position der Landesregierung zu diesem Thema erläutern und auch kurz über die Gespräche mit Herrn Bürgermeister von Beust berichten, soweit das nicht bereits in der Öffentlichkeit bekannt ist.

In der Tat ist nach Auffassung der Landesregierung die Zusammenarbeit in Norddeutschland nicht nur aus den in der Debatte ansatzweise erkennbaren Gründen notwendig, sondern auch aus einem anderen Grund: Wir glauben, dass wir mit der bevorstehenden Osterweiterung der Europäischen Union nicht nur große Chancen haben, das Drehkreuz in Norddeutschland nicht nur nach Skandinavien und Westeuropa, sondern auch nach Osteuropa zu werden, sondern dass es auch Risiken gibt. Die Risiken, die dabei existieren, haben vor allem etwas damit zu tun, dass es in Zukunft nach unserer Auffassung weitaus schwieriger sein wird, regional begrenzte oder lokale Interessen gegenüber der Europäischen Union, aber sicherlich auch gegenüber der nationalen Regierung durchzusetzen. Wir glauben deshalb, dass es darauf ankommt, in einem größeren Zusammenhang Norddeutschland als europäische Region zu profilieren, gemeinsame Projekte zu identifizieren und auch im Standortwettbewerb gemeinsam aufzutreten. Meine Damen und Herren, wir stehen dabei mit anderen Regionen Deutschlands im Wettbewerb, die bereits in der Debatte um den Länderfinanzausgleich gezeigt haben, wohin das geht.

Das Problem ist, dass es in der Bundesrepublik einige auch wirtschaftlich recht starke Länder, wie Bayern und Nordrhein-Westfalen, gibt, die in Zukunft die Verbesserung ihrer Wettbewerbssituation stärker mit ihren europäischen Nachbarn sehen als innerhalb der Bundesrepublik. NordrheinWestfalen sieht sich stärker gemeinsam mit Benelux als eine Wirtschaftsregion und Bayern sehr stark mit Norditalien, aber sicherlich auch mit osteuropäischen Staaten. Deswegen versuchen solche Länder in der Debatte um die föderale Ordnung Deutschlands, von Finanzverpflichtungen innerhalb der Bundesrepublik, aber auch von Gesetzgebungen innerhalb der Bundesrepublik freier zu werden. Je freier sie sind, desto aktiver können sie im europäischen Raum agieren.

Das ist eine Entwicklung, meine Damen und Herren, die wir nicht werden umdrehen können, sondern bei der wir selbst überlegen müssen, wie wir ebenfalls an dieser Entwicklung teilhaben können. Ich gehe nicht so weit wie der Bayerische Ministerpräsident, der letztlich Vorschläge macht, nach denen aus einem Bundesstaat ein Staatenbund wird, bis hin zur Umkehrung der konkurrierenden Gesetzgebung. Wer das liest, wird feststellen, dass dort eine völlig andere Bundesrepublik im Mittelpunkt steht, als wir sie bisher hatten. Auch bestimmte Äußerungen zum Solidaritätszuschlag bekommen eine andere Bewertung. Ich glaube aber, dass solche europäischen Projekte mit den Nachbarstaaten in der Tendenz an Bedeutung zunehmen werden. Das ist der Kern der Debatte um die Kooperation in Norddeutschland und nicht, Herr Wulff, das Niveau von parteipolitischen Auseinandersetzungen.

Die Gespräche mit Herrn von Beust, auch mit Henning Scherf und sicherlich auch die jetzt folgenden mit Frau Simonis und Herrn Ringstorff haben solche Themen wie Parteipolitik nicht im Blickpunkt, sondern diese Veränderung im europäischen Kontext. Sie wird nicht von heute auf morgen passieren, aber wird in den nächsten fünf bis zehn Jahren Norddeutschland massiv betreffen. Deshalb brauchen wir die Kooperation.

Die Benachteiligung Norddeutschlands in der Verkehrsinfrastruktur hat allerdings einige andere Gründe, meine Damen und Herren. 20 Jahre lang ist die Verkehrsplanung und -finanzierung gezielt am Norden Deutschlands vorbeigelaufen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Harms, es ist Ihnen ja verziehen, dass Sie die Gespräche bei der Schaffermahlzeit falsch interpretieren, weil da Frauen nicht zugelassen sind.