Protokoll der Sitzung vom 10.10.2006

Frau Korter, Sie können fortfahren.

Mit diesem Antrag sollte die Regierung aufgefordert werden, sich in der KMK für eine Aufhebung

der starren Vorschriften zur äußeren Differenzierung in den Gesamtschulen einzusetzen. Wir haben damals um sofortige Abstimmung gebeten, weil es so möglich gewesen wäre, den Auftrag des Landtags zeitnah in der KMK umzusetzen. Die Mehrheit von CDU und FDP hat dieses abgelehnt und wollte im Ausschuss beraten. Nach meinem Eindruck hat es dort wenig Interesse an einer Beratung gegeben. Es ging der Regierungsmehrheit nach meinem Eindruck eher darum, eine Reform der von Schwarz-Gelb ungeliebten Gesamtschulen abzublocken. Wir haben ja eben die Debatte darüber gehört. Dabei geht es in dieser Frage um eine ganz wichtige Möglichkeit zur Weiterentwicklung dieser Schulen. Immer mehr Integrierte Gesamtschulen empfinden die Pflicht zur äußeren Fachleistungsdifferenzierung ab Klasse 7 als Fessel, die eine optimale Förderung der Kinder erschwert.

(Ursula Körtner [CDU]: Wie viele An- träge wurden denn gestellt, Frau Korter?)

Wissenschaftliche Studien und Pilotprojekte verschiedener Schulen zeigen, dass sich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler verbessern, wenn sie selbst zwischen Aufgaben verschiedener Lern- und Anspruchsniveaus entscheiden können und wenn die Stammgruppe länger zusammenbleibt.

Lediglich die Integrierte Gesamtschule GöttingenGeismar hat in Niedersachsen aufgrund einer Ausnahmegenehmigung der KMK die Möglichkeit, von der äußeren Differenzierung abzuweichen. Gerade diese Schule ist es, die vom Gemeinschaftsprojekt „Reformzeit“ der Robert-BoschStiftung und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung als Beraterschule für ihr gutes Förderkonzept ausgesucht worden ist.

Wie es Herr Busemann geschafft hat, dass diese Schule nun Schulen in anderen Bundesländern coachen darf, aber keine in Niedersachsen, das muss ich hier nicht wiederholen.

Meine Damen und Herren, es wäre dringend erforderlich gewesen, die starren Vorschriften von 1982 endlich zu reformieren. Aber die konservativ geführten Bundesländer haben dafür gesorgt, dass nahezu alles so geblieben ist, wie es war, und nur minimale Änderungsformeln beschlossen wurden. Diese minimalen Änderungen, nach denen Gesamtschulen - jetzt wird es kompliziert - anstelle von Kursen zur Vermeidung unzumutbar langer

Schulwege oder zur Erprobung besonderer pädagogischer Konzepte klasseninterne Lerngruppen in Deutsch und Naturwissenschaften in allen Jahrgangsstufen, in Mathematik nur in Jahrgangsstufe 7 bilden dürfen, müssen allerdings vom Ministerium dann auch offensiv gehandhabt und propagiert werden, damit die Schulen diese Chance nutzen können.

Ingrid Wenzler, Bundesvorstandsmitglied der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule, schreibt deshalb sehr treffend in ihrer Zeitschrift vom September dieses Jahres:

„Die KMK verweigert das gemeinsame Lernen von Schülerinnen und Schülern ohne äußere Aufteilung mit einer Energie, als gelte es, den Leibhaftigen abzuwehren.“

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Wer die Bildungsqualität an den Schulen voranbringen will, wer von Eigenverantwortlichkeit so groß redet wie Sie, Herr Busemann, der kann an dieser Stelle beweisen, dass er in der Lage ist, ideologische Vorbehalte zurückzustellen und sich tatsächlichen Reformen in den Schulen zu öffnen. Die nächste KMK kommt bestimmt. Dort können Sie tätig werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Der nächst Redner ist Herr Schwarz von der FDPFraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wiederhole mich nur ungern, aber auch hier haben wir es im Kern mit der Diskussion um das Bildungssystem zu tun. Ich habe es an anderer Stelle bereits gesagt. Wir sollten die leidige Debatte um die Schulstruktur endlich hinter uns lassen. Die Qualität der Bildung hängt nun einmal nicht alleine von der Schulstruktur ab, sondern in hohem Maße von der Art der Wissensvermittlung, der Ausbildung und dem Engagement der Lehrer, der Motivation der Kinder, aber vor allem auch von den äußeren Rahmenbedingungen.

Trotz der gemeinsam verabschiedeten Gesetzesnovelle zur Eigenverantwortlichen Schule, verehrte

Frau Korter, verharren Sie weiter in der ewig gestrigen Debatte um die Schulform.

Ganz konkret zu Ihrem Antrag: Die KMK hat im Juni dieses Jahres die „Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I“ verabschiedet. Die äußere Fachleistungsdifferenzierung ist dort für Englisch und Mathematik ab dem 7., in Deutsch ab dem 8. und in den Naturwissenschaften ab dem 9. Jahrgang festgeschrieben. Das gilt auch für die niedersächsischen Gesamtschulen.

Aus demografischen Gründen oder auch aus Schulstrukturgründen lässt die KMK für einzelne Länder Abweichungen zu. Solche Gründe gibt es in Niedersachsen aber nicht. Nur die von Ihnen beschriebene IGS Göttingen-Geismar verzichtet auf eine äußere Fachleistungsdifferenzierung. Dafür hat sie aber auch ein ganz besonderes - das haben Sie nicht erwähnt, Frau Korter - Lehrereinsatzkonzept entwickelt. Das kann man nicht unbedingt überall hin übertragen.

Nach meinem Kenntnisstand hat sich derzeit keine IGS in irgendeiner Form beim Kultusministerium gemeldet, um die Möglichkeit zu erhalten, von der äußeren Fachleistungsdifferenzierung abzuweichen. Ich gehe davon aus, dass ein solches Anliegen, wenn es denn vorgetragen werden würde, im Kultusministerium zumindest bezüglich der Umsetzbarkeit einer Prüfung unterzogen werden würde.

Die IGS wird von Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen Neigungen, Interessen und unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen besucht. Wir lehnen nach wie vor - wie im Rahmen der Diskussion zu Tagesordnungspunkt 7 beschrieben - einen Einheitsunterricht ab, der leicht zu Über- oder Unterforderungen führen würde.

(Ina Korter [GRÜNE]: Haben Sie ei- gentlich keine Ahnung von Gesamt- schulen?)

Bemerkenswert ist, Frau Korter - das möchte ich Ihnen gerne bei meiner knapp bemessenen Zeit mit auf den Weg geben; damit komme ich auch auf den Beginn meines Beitrages zurück -, dass Sie mit keinem Wort darauf eingegangen sind, dass es Fachleistungsdifferenzierungen auch in anderen Schulformen wie z. B. der Haupt- oder Realschule gibt. Sie konzentrieren sich nur auf die Gesamtschulen. Das zeigt wieder einmal Ihre eingeschränkte Sichtweise, in der andere Schulformen

als die Einheitsschule keine Rolle spielen. Insofern erklärt sich von selbst, weshalb wir Ihrem Ansinnen nicht folgen können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die nächste Rednerin ist Frau Ernst von der CDUFraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann mich den Worten von Herrn Schwarz eigentlich voll anschließen. Frau Korter hat ja auch schon ausgeführt, dass die Kultusministerkonferenz das Ansinnen, das Sie in Ihrem Antrag formuliert haben, abgelehnt hat. Ich meine, das hat nichts damit zu tun, dass hier konservative Kräfte am Werk sind. Da sind Sie auf dem falschen Weg.

(Zustimmung bei der CDU)

Gerade bei dieser Diskussion hat sich eindeutig herausgestellt, dass es aufgrund der Unterschiedlichkeit der Schülerschaft in den Gesamtschulen gar nicht möglich ist, nur innere Differenzierung zu betreiben, sondern eine äußere Differenzierung ist notwendig, um bestimmte Bildungsabschlüsse zu erreichen, um den Schülern die bestmöglichen Chancen zu geben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben die IGS Göttingen-Geismar angeführt und gesagt, dass sie ein Leuchtturm ist, den der Kultusminister strahlen lassen soll - hoffentlich hat er ein Feuerzeug dabei; er raucht aber nicht. Es ist zwar richtig, dass sie ein Leuchtturm ist. Sie haben ja ausgeführt - Herr Schwarz hat auch darauf hingewiesen -, dass diese Schule einen ganz besonderen Lehrereinsatzplan entwickelt hat, dass sie ein ganz besonderes Modell entwickelt hat, nämlich das Team-Kleingruppen-Modell. Sie haben aber auch nicht dazu gesagt, dass bei diesem Modell zwar auf die äußere Differenzierung verzichtet werden kann, dass sich die Abschlüsse aber nach dem entsprechenden Anforderungsniveau eines A- oder B-Kurses richten müssen.

(Beifall bei der CDU)

Sie haben auch nicht erwähnt, dass dieses Modell sehr kostenintensiv ist. Nach meinen Erfahrungen wird dieses Modell aus Geldern des Ganztags

schulbereichs dieser Schule gespeist. Ob man das landesweit so durchsetzen kann, wage ich zu bezweifeln.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Kultusministerkonferenz - Sie haben es verschiedentlich gehört - hat dies abgelehnt. Sie hat Ausnahmen gemacht. Die Ausnahmen, die sich auf den Schulweg und die Schulstruktur beziehen, betreffen Niedersachsen nicht. Bei allem anderen, denke ich, müssen wir in Niedersachsen darauf achten, dass wir ein Ziel vor Augen haben, nämlich die bestmöglichen Chancen für die bestmöglichen Abschlüsse unserer Schülerinnen und Schüler zu erreichen.

(Beifall bei der CDU)

Ich meine, das muss in den Gesamtschulen so weitergehen. Die IGS in Göttingen, die Sie hier als Leuchtturm hinstellen, in Niedersachsen als Regel einzuführen, ist ausgeschlossen. Sie führen eine Studie an. Ich kann weitere Studien anführen, die zu dem Ergebnis kommen, dass es nicht sinnvoll ist, keine äußere Fachleistungsdifferenzierung und nur eine innere Differenzierung vorzunehmen. Das ist bei Schulen, in denen sehr unterschiedliche Schülerschaften sind, sehr schwierig. Ich denke, wir sollten dieses Ziel - das habe ich eben schon gesagt - immer vor Augen haben.

Ich finde es traurig - das haben meine Vorredner bereits gesagt; bei dem vorherigen Tagesordnungspunkt ist es auch schon ausgeführt worden -, dass es immer auf eines hinausläuft, nämlich die Gesamtschulen als die allein selig machende Schulform zu installieren. Das ist meiner Meinung nach falsch. Da schließe ich mich dem Kultusminister an. Das ist der falsche Weg. Leuchttürme wollen wir. Wir verbieten nichts. Die Schulen haben durch die im Schulgesetz verankerte Eigenverantwortlichen Schule und durch die vielen Dinge, die der Kultusminister auf den Weg gebracht hat, die Chance, innere Reformen durchzuführen, um so ihre Schüler zum Ziel zu führen.

Wenn Sie Göttingen als Leuchtturm bezeichnen, dann ist das richtig. Aber ich denke, wir haben in unserer Schullandschaft inzwischen schon mehrere Leuchttürme. Angesichts der Tatsache, dass es viele Schulen mit sehr engagierten Eltern und Lehrern und sehr motivierten Schülern, mit fantastischen Dialogen und einer guten Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule gibt, wird es in Zukunft noch mehr Leuchttürme geben. Der Kul

tusminister - ich habe es eben schon erwähnt - hat so viele Dinge für die Schulen auf den Weg gebracht, dass die Schulen die besten Chancen haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass demnächst fast alle Schulen Leuchttürme sein werden, die - wie Sie so schön gefordert haben - alles überstrahlen, um den richtigen Weg für unsere Schülerinnen und Schüler aufzuzeigen und zum Ziel zu kommen.

(Beifall bei der CDU)

Ich denke, das ist das Wichtigste. Ich bitte Sie herzlich, mit dem Geplänkel aufzuhören, die Gesamtschulen immer wieder nach vorne zu stellen. Sie werden hier nicht benachteiligt. Wir wollen das Beste für alle Schülerinnen und Schüler. Wir bleiben auf dem Weg. Ich meine, das ist der richtige. Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nächster Redner ist Herr Meinhold von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung möchte ich aus dem Protokoll der 88. Sitzung vom 16. Mai die Ausführungen von Herrn Minister Busemann zitieren. Herr Minister, Sie haben dort im Rahmen der Debatte zur Einführung der Eigenverantwortlichen Schule die folgenden Ausführungen gemacht:

„Die Landesregierung ist aufgrund der PISA-Ergebnisse, der Erfahrungen aus anderen Ländern und auch aufgrund der Erfahrungen aus anderen Arbeitsbereichen fest davon überzeugt, dass die Qualität schulischer Arbeit am besten und am nachhaltigsten verbessert werden kann, wenn wir unseren Schulen zutrauen, die Verantwortung für die Qualität selbst zu übernehmen, wenn wir ihnen den Freiraum für eigene Gestaltung eröffnen und ihnen zugleich Beratung und Unterstützung von außen anbieten.“

(Ursula Körtner [CDU]: Das ist die Ei- genverantwortliche Schule!)

„... um es plakativ zu sagen:“

führten Sie dann weiter an

„Eigenverantwortliche Schulen sind bessere Schulen als staatlich überreglementierte.“