Protokoll der Sitzung vom 08.12.2006

Zu 1: Die Landesregierung maßt sich nicht an, eine abschließende Analyse dahin gehend vorzunehmen, welche Ursachen letztlich zu dem Amoklauf eines Schülers aus Emsdetten in NordrheinWestfalen führten. Es handelt sich um einen Fall, der sich nicht verallgemeinern lässt. Niedersachsen ist mit einer Vielzahl von Maßnahmen und Projekten zur Gewaltprävention - wie einleitend ausgeführt - gut aufgestellt.

Zu 2: Nach § 131 StGB - jetzt wird es etwas technisch - macht sich u. a. strafbar, wer

„Schriften, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt, oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt,... verbreitet“

oder mit dem Ziel der Verbreitung herstellt. - So weit der Gesetzestext. Diese Vorschrift erfasst auch Darstellungen auf elektronischen Trägermedien und die Verbreitung durch Rundfunk, Teleoder Mediendienste.

Gerade im Zusammenhang mit Computerspielen erweist sich § 131 StGB jedoch schon aufgrund seiner Kombination äußerst restriktiver Tatbestandsmerkmale als unzureichend. Zur Verwirklichung des Tatbestandes reicht es nicht aus, dass Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder men

schenähnliche Wesen in einer gewaltverherrlichenden oder -verharmlosenden Weise dargestellt werden, sondern die Gewaltdarstellungen müssen zusätzlich auch grausam oder sonst unmenschlich sein.

Die Schädlichkeit von gewaltverherrlichenden Computerspielen resultiert jedoch häufig nicht allein aus der Art der im Spiel dargestellten Gewalt, sondern aus der aktiven Rolle des Spielers und aus der Bedeutung der Gewaltanwendung für den Spielverlauf, d. h. aus Anlass, Folgen und Frequenz der Gewaltanwendung. Diese Aspekte werden durch § 131 StGB bislang nicht erfasst.

Auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat in einem Gutachten ein weiter gefasstes Verbot von sogenannten Killerspielen als verfassungsrechtlich zulässig erachtet.

Ferner erfasst § 131 StGB auch nicht die Verbreitung von Gewaltdarstellungen über Internetserver im Ausland. Um diese Lücke zu schließen, wäre vielleicht auch daran zu denken, den Zugriff auf solche Angebote unter Strafe zu stellen.

Zu 3: Das System der staatlich regulierten Selbstkontrolle der Unterhaltungssoftware, die USK, hat die Arbeit 1994 aufgenommen. Die Arbeit der USK wird zurzeit evaluiert. Darüber hinaus wollen wir den Schutz der Kinder und Jugendlichen weiter vorantreiben. Die Landesregierung hat daher eine Arbeitsgruppe initiiert, um die vielfältigen Aktivitäten der Ressorts zu koordinieren und weitere Maßnahmen miteinander abzustimmen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Die erste Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Korter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie haben vorhin ausgeführt, welche Ursachen zu Amokläufen führen können. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass der anerkannte Jugendforscher Hurrelmann und der Gewaltforscher Heitmeyer insbesondere das Gefühl der Ausgrenzung, der Vereinzelung und der Frustration an Schulen für jugendliche Gewaltausbrüche verantwortlich machen. Ich frage die Landesregierung: Was tut sie, um dem Gefühl der Ausgrenzung und der Frustration an niedersächsischen Schulen etwas

entgegenzusetzen? Das Hauptschulprofilierungsprogramm, das Sie hier angeführt haben, ist gerade kein Programm gegen Ausgrenzung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, der Wissenschaftler Hurrelmann ist ein anerkannter Mann. Wenn er grundsätzliche Feststellungen in diese Richtung trifft, kann man das wahrscheinlich gesamtgesellschaftlich teilen und unterstützen.

Ich kann nur sagen: An niedersächsischen Schulen - das dürfte aber auch für die anderen Bundesländer gelten; das hat nichts mit Schulstrukturund Schulformfragen zu tun - gilt grundsätzlich eine Pädagogik, die nicht auf Ausgrenzung ausgerichtet ist, sondern auf eine gemeinsame Beschulung und gemeinschaftliches Lernen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

- Keine gemeinsame Beschulung im Sinne der Schulstrukturdebatte! Nein, nein!

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das kommt noch! Wir machen noch drei Debatten dazu!)

Unsere Pädagogik und der Unterricht an unseren Schulen sind jedenfalls nicht auf Ausgrenzung ausgerichtet, sondern auf Integration, Harmonisierung und vernünftige pädagogische Ergebnisse.

Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Wiegel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Medienpolitikerin kann ich es nur begrüßen, dass es eine breite Debatte über dieses Problemfeld und dieses Thema gibt. Ich begrüße es auch, dass die Sozialministerin hier sehr umfangreich dazu Stellung genommen hat. Das ist eine völlig neue Sichtweise; denn bisher haben wir nur die platte Forderung nach einem Verbot von sogenannten Killerspielen gehört. In diesem Zusammenhang ist

insbesondere unser Innenminister immer wieder zitiert worden. Er hat u. a. gesagt, dass die Kontrollinstanz, die USK, gescheitert sei, und er hat eine staatliche Kontrolle gefordert.

Ich frage die Landesregierung: Ist dem Innenminister bekannt, dass in der USK ein Vertreter der Länder einen ständigen Sitz hat, der über ein Vetorecht verfügt?

Darüber hinaus frage ich: Hat die Landesregierung in irgendeiner Form in den vergangenen Jahren, seit der Vertreter der Länder in der USK installiert ist, jemals einen Versuch unternommen, zu Verbesserungen und zu Verschärfungen bei der Selbstkontrolle zu kommen?

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet Herr Innenminister Schünemann. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die B-Länderinnenministerkonferenz, d. h. die Konferenz der CDU-Innenminister, hat vor etwa einem Dreivierteljahr beschlossen, dass wir zusammen mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover die Einschätzungen durch die USK untersuchen. Herr Professor Pfeiffer hat bereits die 90 wesentlichen Killerspiele untersucht bzw. ist damit sehr weit fortgeschritten. Er hat hierzu schon durchaus darstellen können, dass es zu Fehleinschätzungen gekommen ist.

Ich habe gestern in der Haushaltsdebatte von einem Spiel gesprochen; ich habe das hier auch dargestellt. Das ist das Spiel „St. Andreas“. Ich habe das mitgebracht, damit man sich das einmal anschauen kann.

(Zuruf von Axel Plaue [SPD])

- Ich würde es natürlich der Fragestellerin geben, damit sie es sich noch genauer anschauen kann.

(Erneuter Zuruf von Axel Plaue [SPD])

- Herr Plaue, ich glaube wirklich nicht, dass dieses Thema geeignet ist, irgendwelche Späße zu machen. Wenn Sie sich den Sachverhalt einmal angeschaut hätten, würden Sie meiner Auffassung

sein, dass wir hier nicht nur ernsthaft debattieren müssen, sondern dass auch Handlungsbedarf besteht.

Die USK hat in ihrem Gutachten dargestellt, dass ihr von dem Spiel nur eine englischsprachige Betaversion vorgeführt worden ist und das Handbuch überhaupt nicht vorgelegen hat. In diesem Handbuch aber wird genau dargestellt, wie man dieses Spiel umsetzen sollte. Danach soll man zunächst einmal mit einer Kettensäge die Arme absägen, es soll gequält werden, und erst in letzter Instanz soll man dann den Tötungsvorgang vornehmen. Das gibt die meisten Punkte. Dies steht in dem Handbuch, das der USK noch nicht einmal vorgelegen hat. Dieses Spiel ist dann ab einem Alter von 16 Jahren freigegeben worden. Ich muss mich fragen, ob diese Klassifizierung richtig ist.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Deswegen ist es richtig, dass wir die Evaluierung durch das Kriminologische Forschungsinstitut insgesamt abwarten. Es liegt allerdings schon ein erstes Teilgutachten vor, aus dem ich gerade zitiert habe.

Ich halte es für richtig, dass wir alles daransetzen, um erst einmal die Alterseinstufung sehr kritisch zu untersuchen. Ich sage Ihnen aber auch: Solche Spiele, die mit einer Freigabe ab dem Alter von 16 Jahren und damit indirekt mit einem Gütesiegel versehen worden sind, sollten überhaupt nicht in Kinderhände, aber auch nicht in Erwachsenenhände gelangen. Solche Spiele gehören nicht hergestellt und auch nicht verbreitet.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke schön. - Für die Landesregierung hat nun zusätzlich Frau Ministerin Ross-Luttmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was der Innenminister gesagt hat, kann ich vollinhaltlich unterstreichen. Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Nach Erfurt hat es erhebliche Strafverschärfungen gegeben. Diese waren wichtig und gut. Seit dem 1. April 2003 ist die Alterskennzeichnung durch die USK verpflich

tend; vorher hatte sie empfehlenden Charakter. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir hier evaluieren und uns die Altersfreigaben sehr genau angucken. Das Jugendschutzgesetz eröffnet ja die Möglichkeit der freiwilligen Selbstkontrolle. Das wird eingeräumt. Wir sollten uns bei unseren Überlegungen aber von einem leiten lassen: Bei Filmen schaut der Zuschauer zu, d. h., es ist ein passives Betrachten. Bei den Killerspielen oder bei den Ego-Shooter-Spielen sieht die Situation ganz anders aus. Dort wird man aktiv in eine Rolle gedrängt. Man wird ein aktiver Teilnehmer, und man entscheidet aktiv, ob man foltern will, ob man töten will. Das sind die Gegebenheiten, über die wir reden müssen. Aus diesem Grunde müssen wir uns mit diesen Fragen sehr genau auseinandersetzen.

Ich begrüße es sehr, dass wir diese Debatte hier in Niedersachsen angestoßen haben, weil es ganz entscheidend ist, dass wir unsere Kinder auf allen Ebenen schützen. Wir müssen aufpassen; denn diese gewaltverherrlichenden Spiele sind vielleicht ein Faktor, der zu mehr Gewalt führt. Sicherlich ist aber nicht jeder, der diese Spiele spielt, automatisch ein Gewalttäter. Darüber sind wir uns wohl völlig klar.

Ich sehe mit großer Besorgnis, dass gerade die Schüler oder Jugendlichen, die isoliert leben, die Einzelgänger sind, in diese virtuelle Welt flüchten. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass das, was in dieser virtuellen Welt gespielt wird, auf die reale Welt übertragen wird. Von daher müssen wir diese Fragen sehr, sehr sorgfältig prüfen.

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Steiner. Sie haben das Wort.

Frau Ministerin und Herr Minister, unabhängig von der Rolle der USK oder überhaupt des Funktionierens der freiwilligen Selbstkontrolle muss man erst einmal ein Stück weiter nach vorne gehen; denn diese Spiele und das, was Sie gerade vorgestellt haben, sind jeweils nur die Spitze des Eisberges. Wir stellen fest - das konstatieren auch sehr viele renommierte Jugend- und Bildungsforscher -, dass grundsätzlich eine bestimmte Medienverwahrlosung bei einem großen Teil der Jugendlichen, insbesondere bei sozial benachteiligten Jugendlichen, zu registrieren ist. Dies resultiert einfach aus

der Tatsache und der Konditionierung, dass täglich vier bis fünf Stunden lang Computerspiele gespielt werden. Dies führt - unabhängig davon, wie krass der Inhalt dieser Spiele ist - zu einem bestimmten mentalen Ergebnis, zu einer bestimmten - fachlich ausgedrückt - mentalen Deformation. Das muss man einfach so feststellen.

Haben Sie Vorschläge, um dem zu begegnen? Aus Ihren Parteikreisen höre ich immer: Die Eltern müssen endlich einmal genauer in den PC gucken und aufpassen, was ihre Kinder tun. - Ein anderer Ansatz ist, dass gesagt wird, bestimmte Spiele müssten verboten werden. Dazwischen liegen aber der Umgang mit Medienpolitik und Beratung sowie die Entwicklung von Konzepten.