Protokoll der Sitzung vom 05.06.2007

Meine Damen und Herren, man muss diese Planungen aber auch in den Gesamtzusammenhang rücken. Der heißt: Umbau des Rechtsstaats in einen Präventionsstaat. - Seit Jahren werden immer wieder neue technische Möglichkeiten der Überwachung eingeführt. Jeweils sollte von diesen Maßnahmen die Sicherheit der Bevölkerung und des Landes abhängig sein. So war es beim Lauschangriff, bei der Ausweitung der Telefonüberwachung, beim Luftsicherheitsgesetz, beim biometrischen Personalausweis, bei der Schleierund Rasterfahndung, bei der Antiterrordatei und schließlich beim heimlichen Zugriff des Verfassungsschutzes auf private Bankkonten. So ist es jetzt bei der Videoüberwachung, bei der automatischen Gesichtserkennung, bei der Verwendung von Mautdaten zur Fahndung und bei der Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten. Der Staat baut sein Sicherheitssystem systematisch und im Vorfeld des Strafrechts aus, weil dort dessen strenge Prinzipien zum Schutz des möglicherweise unschuldigen Einzelnen nicht gelten. Es geht in erster Linie nicht mehr um die Verfolgung von Straftaten, sondern darum, im Vorfeld der Realisierung Risiken zu bekämpfen. Dazu werden Mittel und Methoden angewendet, die im Strafrecht nur gegen Verdächtige möglich waren.

Die besondere Brisanz ergibt sich nicht unbedingt schon aus der Ermöglichung einer einzelnen dieser Maßnahmen, sondern aus der Ermöglichung der Summe aller Maßnahmen. Das neue Sicherheitsrecht verlässt die bisherigen rechtlichen Anknüpfungspunkte. Im Strafrecht war das der konkrete Tatverdacht, im Polizeirecht die konkrete Gefahr.

Meine Damen und Herren, wenn selbst ein Konservativer wie Helmut Rieger kürzlich im rundblick schrieb - Zitat -, „trotzdem ist es dem Freiheitsbedürfnis einer auf Freiheit angelegten Gesellschaft nicht dienlich, wenn der Bundesinnenminister ihr mit Instrumenten zu Leibe rückt, die auf Überwachung bis ins tief Private hineinzuzielen scheinen“, dann heißt das, dass bis weit ins bürgerliche Lager hinein das Gefühl entsteht, dass der Staat übermächtig wird. Die Mechaniker der inneren Sicherheit nehmen das nicht wahr. Sie handeln rollenkonform oder arbeiten an ihrer eigenen Selbstprofilierung getreu dem Motto: Wer ist der schärfste Hund? - Manchmal schießen auch Polizeipräsidenten über das Ziel hinaus, so z. B. Herr Springmann aus Osnabrück, der bei der Vorstellung der regionalen Kriminalstatistik die Kritik an angeblich bedenklicher Zunahme staatlicher Überwachung als völligen Quatsch bezeichnete. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner ist Herr Bode von der FDPFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bartling, es war schon sehr beeindruckend, wie Sie hier vorn gestanden und vom Sündenfall der Großen Koalition in Berlin gesprochen haben, wohl wissend, dass es nicht die Große Koalition, sondern die rot-grüne Koalition war - das Wort „grün“ betone ich an dieser Stelle einmal ganz ausdrücklich -, die die Onlinedurchsuchung per Dienstanweisung angeordnet hat. Ihr Erklärungsversuch dafür, dass nicht dies der Sündenfall war, sondern der Sündenfall erst viel später eingetreten ist, weil der Staatsekretär gar nicht wusste, was er unterschrieben hat, ist ja so glaubhaft, dass sogar die Hühner lachen. Wenn er es nicht wusste, hätte er es nicht unterschreiben dürfen. Dann hätte er jemanden fragen müssen, der sich damit auskennt. Ich halte dies für nichts weiter als für den untauglichen Versuch, die Verantwortung für diese in Deutschland sehr bemerkenswerte Aktion, die wir unter Rot-Grün erlebt haben, von der Hand zu weisen und die Diskussion anderswo abzuladen.

Herr Bartling, eines muss ich auch noch einmal sagen: Wenn Sie hier über den Sündenfall der Großen Koalition reden - ich sage: der rot-grünen

Koalition - und dies mit dem präventiven Einbruch des Staates in Wohnungen vergleichen, gebe ich Ihnen durchaus Recht. Ich bin der festen Überzeugung, dass man dies entsprechend vergleichen kann. Für interessant halte ich, dass der präventive Einbruch in Wohnungen nach dem niedersächsischen Polizeirecht erforderlich wird, wenn man einen präventiven Großen Lauschangriff durchführen will. Die Polizei muss nämlich in Wohnungen einbrechen, um Wanzen zu installieren.

Herr Bartling, auch das war ein Sündenfall. Das war ein Sündenfall der SPD. Es war auch Ihr persönlicher Sündenfall, weil Sie dies hier ins Polizeigesetz eingeführt haben. Solange Sie diesen Sündenfall hier vorn nicht endlich einmal zugeben und klarstellen, dass Sie damals einen großen Fehler begangen haben, dürfen Sie der FDP weder hier noch in Pressemitteilungen irgendwelche Vorträge über Rechtsstaatlichkeit halten, Herr Bartling.

(Beifall bei der FDP)

Bei Ihrem Antrag haben wir gleich gemerkt, dass es Ihnen sehr stark um die Aufforderung geht, dass der Bund etwas tut. Man muss allerdings erstaunt feststellen, dass es doch die SPD war, die im Bund einen Koalitionsvertrag mit der CDU und der CSU geschlossen hat. Warum wenden Sie sich nicht an Ihre Parteifreunde wie beispielsweise Herrn Edathy, Herrn Wiefelspütz und andere, um das in Berlin auf Ihren eigenen Ebenen zu regeln? - In Niedersachsen gibt es andere Instrumentarien, nämlich beispielsweise das Polizeigesetz, über die man reden müsste, wenn man etwas Derartiges haben wollte. Sie werden feststellen - Sie hatten ja Zeit, um den Gesetzentwurf zu lesen -, dass es im Polizeigesetz nicht steht. Auch im Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Verfassungsschutzes stehen diese Regelungen nicht. Von daher gibt es in Niedersachsen keinerlei Handlungsbedarf. Es gibt allerdings Klärungsbedarf darüber, wie die SPD in Berlin mit diesem Thema umgeht. Sie sollten aber nicht versuchen, die Klärung hier im Landtag herbeizuführen, sondern Sie sollten die Klärung dort versuchen, wohin sie gehört.

Herr Bartling, wenn Sie der Meinung sind, Sie könnten Niedersachsen dafür nutzen, Zwist in die Große Koalition nach Berlin oder woandershin zu tragen, dann sind Sie auf dem falschen Weg. Zu dieser Fragestellung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich möchte Ihnen gerne die technischen Problematiken ersparen und nur auf eines hinweisen, was Sie noch nicht erwähnt haben,

nämlich dass es auch eine völkerrechtliche Dimension in dieser Frage gibt, weil sich die Onlinedurchsuchungen über IP-Adressen abbilden lassen. Bei einer IP-Adresse weiß kein Mensch, wo der Computer tatsächlich steht, bzw. man kann nicht mit 100-prozentiger Gewissheit sagen, dass man nicht gerade eine Maßnahme im Ausland durchführt, für die man ohnehin keine Ermächtigung hätte.

Diese unterschiedlichen Auffassungen gehen bei Ihnen in der SPD querbeet. Bei der CDU gibt es ebenfalls unterschiedliche Auffassungen. Beispielsweise in Nordrhein-Westfalen gibt es jetzt eine entsprechende gesetzliche Grundlage, die vom Verfassungsgericht geprüft wird. Von daher empfehle ich Ihnen einmal, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, bevor Sie hier mit Entschließungsanträgen nichts anderes produzieren als heiße Luft. Aus diesen Gründen werden wir den Antrag ablehnen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP)

Der nächste Redner ist Herr Minister Schünemann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Onlinedurchsuchung ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte; das ist überhaupt keine Frage. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass wir dies, wenn wir eine gesetzliche Grundlage schaffen, klar abgrenzen, und zwar im Bereich Terrorismusverdacht. Genau das ist der Punkt, über den wir reden.

Wenn von der linken Seite dieses Hauses der Eindruck erweckt werden soll, dass jeder Bürger in irgendeiner Weise befürchten muss, dass sein Computer durchforstet wird, dann kann ich nur sagen: Davon hat niemand etwas. Das will niemand. Das ist in der Tat rechtlich nicht möglich. Insofern sollten wir die Bevölkerung in keiner Weise für dumm verkaufen.

Es geht vielmehr darum, präventiv terroristische Anschläge zu verhindern. Wenn es neue technische Möglichkeiten gibt, die von der islamistischen terroristischen Szene genutzt werden - der Kollege Ahlers hat dies hier ganz eindrucksvoll geschildert -, müssen auch wir die technischen Möglich

keiten haben, um darauf zu reagieren. Wenn wir das nicht machen, dann müssen wir uns vorwerfen, dass wir nicht alle Möglichkeiten genutzt haben, um Attentate zu verhindern. Das, meine Damen und Herren, ist mit der Union auf jeden Fall nicht zu machen.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der Bundesinnenminister will das BKA-Gesetz in wenigen Wochen vorstellen. Einige neue Forderungen werden darin umgesetzt, die übrigens schon mit den Sozialdemokraten und mit der Justizministerin abgestimmt worden sind, u. a. die präventive Telefonüberwachung, die es dann auf Bundesebene geben wird. Dabei geht es auch um die Onlinedurchsuchung in den speziellen Fällen, die ich gerade geschildert habe. Das ist aus meiner Sicht absolut notwendig.

Da dies fast der letzte Tagesordnungspunkt ist, möchte ich die Sitzung nicht in die Länge ziehen, weil das meiste bereits gesagt worden ist. Ich möchte nur noch mit einem ausräumen, was schon der Kollege Dr. Lennartz dargestellt hat: Herr Bartling, das, was Bundesinnenminister Schily auf den Weg gebracht hat, ist eindeutig. Das basiert nämlich auf der Formulierung des Verfassungsschutzgesetzes aus Nordrhein-Westfalen. Dies hat der Kollege Wolf mehr oder minder übernommen. Ich darf einmal zitieren:

„... heimliches Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen bzw. die Suche nach ihnen, sowie der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel.“

Darum geht es. Genau das hat Staatssekretär Diwell unterzeichnet. Das ist auch richtig; denn wenn man Verantwortung trägt, dann weiß man, was notwendig ist. Das haben die Kollegen Schily und Diwell gesehen.

Meine Damen und Herren, wir sollten vor den Bedrohungen, die es in der Welt gibt, nicht die Augen verschließen. Deshalb müssen wir die Instrumente haben. Wir dürfen es aber nicht übertreiben. Wir müssen beachten, dass es ein Grundrechtseingriff ist. Aus diesem Grund müssen wir das begrenzen. Ich meine, dass das der richtige Weg ist. Wir werden die Gesetzgebung auf Bundesebene abwarten. Wir sind gut beraten, wenn die 16 Länder die

se Formulierung in ihre jeweiligen Polizeigesetze aufnehmen. Wenn wir etwas anderes tun würden, würden wir meiner Ansicht nach die Bürgerinnen und Bürger nicht vernünftig vor Verbrechen schützen. Das können wir uns nicht leisten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der SPD-Fraktion ablehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Das Erste war die Mehrheit.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung: Schwimmfähigkeit an Grundschulen fördern und kontrollieren - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/3818

Herr Voigtländer von der SPD-Fraktion hat sich zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht erst seit heute Morgen wissen wir in allen Fraktionen, dass der Schutz von Kindern erklärtes Ziel aller Fraktionen in diesem Landtag ist.

(Zustimmung von Karl-Heinz Klare [CDU])

Heute Abend geht es um einen Teilbereich. Es geht auch um den Schutz von Kindern, nämlich um ein Thema, von dem man annehmen müsste, dass es gar nicht in den Landtag gehört. Wenn man sich das allerdings genauer anschaut, dann kann man schnell zu einer anderen Einschätzung kommen.

In Bielefeld hat es im vergangenen Jahr eine Untersuchung durch die dortige Universität gegeben. Diese Untersuchung hat Professor Dietrich Kurz geleitet. Nach Aussagen der DLRG kommt man in

dieser Untersuchung zu folgenden Erkenntnissen: Fast jedes fünfte Kind kann noch nicht einmal 25 m schwimmen. - So lautet das erschreckendste Ergebnis dieser repräsentativen Untersuchung zur Schwimmfähigkeit von Elfjährigen in NordrheinWestfalen. Die Projektgruppe hatte zwar einiges erwartet, war aber doch erschrocken über das Ausmaß der Defizite. Insgesamt wurden 1 700 Fünftklässler in 71 Schulen getestet. Sie sollten fünf Aufgaben bewältigen. Ich erspare es mir, die einzelnen Aufgaben zu nennen. Es ist festgestellt worden - dies fand ich besonders interessant -, dass es bei der Gruppe der Elfjährigen 30 % Nichtschwimmer gibt. Vor allem Kinder aus bildungsfernen Schichten seien betroffen, und hieran würde der derzeitige Schwimmunterricht in den Schulen nichts ändern. Im Gegenteil: Gerade die Kinder, die angaben, Schwimmen ausschließlich in der Schule gelernt zu haben, gehören in der Regel zu den Kindern, die nicht oder nur wenig schwimmen konnten.

Das Fazit von Professor Kurz: Offensichtlich ist die Grundschule in Nordrhein-Westfalen derzeit nicht dazu in der Lage, allen oder auch nur den meisten Kindern das Schwimmen von Grund auf und gründlich beizubringen.

Die Ergebnisse der Bielefelder Studie bestätigen und stützen im Wesentlichen die bereits im Jahre 2004 von der Deutschen Lebens-RettungsGesellschaft in Auftrag gegebene repräsentative Studie zur Schwimmfähigkeit in der Bevölkerung. Das Fazit dieser Studie: Ein Viertel der Bevölkerung kann gar nicht oder nur schlecht schwimmen.

(Ursula Körtner [CDU]: Vor allen Din- gen Männer können das nicht! Nicht schwimmen ist männlich!)

Der Stellenwert des Schulschwimmunterrichts ist offenbar deutlich zurückgegangen und bisher überschätzt worden. Wenn er überschätzt worden ist, muss man sich natürlich fragen: Was ist eigentlich, wenn er gar nicht stattfindet? - Dann kann man ihn gar nicht weit genug überschätzen.

Menschen mit höherem Schulabschluss gehören in der Regel zu den besseren Schwimmern.

(Brunhilde Rühl [CDU]: Es sei denn, sie sind Männer!)

Fazit: Es wäre ein Fehler zu glauben, dass die Bielefelder Studie in anderen Bundesländern zu

anderen Ergebnissen kommen würde. - So weit als Einstieg zu diesen beiden Studien.

Nun zum Schwimmen selbst. Wenn man sich die Lehrpläne in den einzelnen Bundesländern anschaut, dann sieht man, dass das Schwimmen eigentlich eine hohe Bedeutung hat und dass das Schwimmen von den Schülern, den Kindern, auch sehr gemocht wird - das ist auch das Ergebnis der Fitness-Landkarte in Niedersachsen -, dass aber das Schwimmen offensichtlich, wie der ganze Sport, zu den Randfächern gehört, dass Randstunden häufig ausfallen und dass es somit eine Kontrolle und damit eine Erkenntnis über die Qualität und eine Verbesserung der Qualität in diesem Rahmen überhaupt nicht gibt.

Was kann Schwimmen im Einzelnen bringen? Die Schwimmausbildung in der Schule bildet mit ihren vielfältigen Formen und Anwendungsbereichen eine wesentliche Grundlage für die Gesunderhaltung und die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Schüler. Im Schwimmen erleben und erfahren Kinder, dass sie unabhängiger und selbstständiger werden, was ihre Persönlichkeitsentwicklung in besonderer Weise unterstützt. Fazit: Schwimmen ist im Rahmen des Sportunterrichts von hoher Bedeutung. Aber wiederum muss gefragt werden: Wird Schwimmen denn auch unterrichtet? Die Zahlen ab der Altersgruppe elf sind eigentlich als katastrophal zu bezeichnen.

Wir haben uns in den letzten Monaten, eigentlich schon im gesamten letzten Jahr, auch parlamentarisch mit diesem Thema befasst. Es hat eine Petition gegeben, und es hat zwei Kleine Anfragen dazu gegeben. Zu den Antworten bzw. den Antwortversuchen der Landesregierung