Jetzt hat Herr Minister Busemann das Wort. - Bevor Herr Busemann redet, bitte ich die Abgeordneten, sich auf ihre Plätze zu begeben und die Stühle nicht in den Gang zu stellen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zwei Vorbemerkungen. Erste Bemerkung. Herr Jüttner, es ist ein bisschen merkwürdig. Sie waren hier von 1990 bis 2003 an der Regierung. Sie waren die ganze Zeit lang dabei, und heute müssen wir Gesamtschulfragen klären. Wie kann das eigentlich sein? Warum haben Sie denn alle Ihre Vorstellungen nicht in diesen 13 Jahren verwirklicht?
Es gibt und gab auch damals einige Kommunen, die sozialdemokratisch regiert waren. Warum ist das nicht alles zur Zufriedenheit aller geklärt? Warum steht das heute auf der Tagesordnung?
Zweite Bemerkung. Meine Damen und Herren, jedes Gesetz ist wichtig, weiß Gott. Schule ist das, was die Menschen im Lande am meisten direkt betrifft. Es gibt allein in dem allgemeinbildenden Bereich eine Million Kinder. Es gibt eine Viertelmillion junge Leute im berufsbildenden Bereich. Es gibt 80 000 Lehrer, über 3 000 Standorte usw. Vor diesem Hintergrund lege ich auch und gerade dann, wenn Wahlen bevorstehen, Wert darauf, dass jeder die Karten auf den Tisch legt und meinetwegen bis ins Kleinste sagt, was er vorhat, damit die Leute wissen, worüber sie entscheiden. Globale Ansagen und dann keine Gesetzentwürfe - das ist etwas ganz anderes.
- Ich erkläre es Ihnen gleich, und ich werde gleich auch sagen, was ich in dem Zusammenhang noch von Herrn Jüttner wissen möchte.
Meine Damen und Herren, manchmal ist es besser, Dinge klamaukfrei und leidenschaftslos einfach auf der Basis des vorhandenen Gesetzes miteinander zu beleuchten. Da manche vielleicht nicht so oft ins Gesetz gucken, will ich Ihnen einfach einmal den § 5 unseres Schulgesetzes näher bringen. Das Gesetz hat eine 60-jährige Tradition; wir alle waren irgendwann und irgendwie daran beteiligt. § 5 in seiner aktuellen Fassung ist überschrieben mit „Gliederung des Schulwesens“ und bietet folgende Schulformen in Niedersachsen an: Grundschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule, Abendgymnasium, Kolleg, Förderschule, Berufsschule, Berufsfachschule, Berufsaufbauschule, Fachoberschule, Berufsoberschule, Fachgymnasium, Fachschule und noch einiges mehr - insgesamt 15 Angebote. Das ist Vielfalt. Das ist gegliedertes Schulwesen. Dafür kann man werben.
Ich ärgere mich beispielsweise über Fernseheinblendungen, in denen es nur um die Frage geht: dreigliedrig - gut oder nicht gut, dafür oder dagegen? - Wenn man es so verkürzt, ist es leicht, manches schlecht zu machen und bestimmte andere Schulformen zu fordern. In unserem Schulgesetz gibt es 15 verschiedene Angebote, und im Bereich der Förderschulen haben wir weitere zehn Einzelangebote. Das ist ein tolles Angebot, auf das man stolz sein kann. Das darf man durchaus einmal sagen.
Die Gesamtschulen sind ein Teil des Angebots. Ich habe das vorgelesen, damit wir uns nicht an der Frage auseinanderdividieren.
Natürlich ist es in Niedersachsen so, wie in anderen Ländern auch. Bei 3 000 Schulstandorten - das ist gar kein Wunder - gibt es erfolgreiche Schulen und Standorte; es gibt aber auch weniger erfolgreiche. Dort müssen wir uns noch um das Thema Qualitätsentwicklung kümmern. Im ganzen Land kann ich Ihnen über alle Schulformen hinweg, vom Gymnasium über die Hauptschule bis zur Förderschule, sowohl Standorte benennen, die hervorra
Keine Unterbrechung, weil die Zeit ja knapp bemessen ist. - Auch bei den Gesamtschulen gibt es Standorte mit guten Ergebnissen - ich denke an die Robert-Bosch-Schule oder an die Göttinger oder die Braunschweiger Gesamtschulen oder ein paar andere -; es gibt aber auch Standorte, die sich schwertun,
weil sie beispielsweise in sozialen Brennpunkten liegen und trotz hervorragender und engagierter Arbeit die Ergebnisse manchmal nicht so sind, wie man es gerne hätte. Diese Feststellung gehört auch zu einer Beleuchtung der Situation.
Zum gegliederten Schulwesen muss noch einmal klar gemacht werden - niemand kommt auf die Idee, es in Gänze abzuschaffen -, dass - siehe Bayern, Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg - bei allen PISA-Studien diese Bundesländer mit ihren gegliederten Angeboten vor den anderen lagen und übrigens auch im Bereich der sozialen Kompetenz sehr gute Werte hatten. Die Werte von Bayern waren ähnlich wie die von Finnland, man höre und staune. Man kann also sagen: Da ist man nicht schlecht aufgehoben.
Zur inhaltlichen Auseinandersetzung: Es gab vor Tagen einen hervorragenden Artikel in der Zeit, der sich mit den Schulsystemen auseinandergesetzt hat,
gerade auch mit den Vorstellungen der Sozialdemokraten. Das Urteil war vernichtend, Herr Jüttner. Der Artikel ist für alle Wahlkämpfer lesenswert, weil sie dann wissen, wovon sie die Finger lassen müssen.
In ganz Deutschland - auch das ist interessant - verzeichnen wir eine zunehmende Anwahl der Angebote des gegliederten Schulwesens, eine Steigerung von ungefähr 7 % auf jetzt 85 %. Dies nur als Hinweis, damit nicht einer meint, er habe die Weisheit gepachtet.
In Niedersachsen haben wir insgesamt 59 Gesamtschulangebote. Das ist auch in Ordnung; es ist so gewollt, so unterschrieben. Ein Problem in diesem Zusammenhang hat der Kollege Schwarz sehr deutlich angesprochen: Wenn wir uns in der einen oder anderen Richtung bewegen, ist doch hoffentlich unstreitig, dass man bei aller Präferierung der einen oder anderen Richtung in einem Flächenland wie Niedersachsen mit mehr als 3 100 Schulstandorten kein Doppelsystem, kein zweifaches Regelsystem, anbieten kann. Ein Gesamtangebot integriert und ein Gesamtangebot gegliedert bis hin zur kleinsten Gemeinde, die sich heute noch über eine Grundschule freut, ist nicht möglich. Wer das erzählt, ist naiv und auch nicht seriös. Das geht einfach nicht, meine Damen und Herren.
Also ist man im Lande Niedersachsen doch gut beraten, wenn man sagt: Wir bleiben beim bisherigen Regelangebot, das in Jahrzehnten gewachsen ist aus dem gegliederten Schulangebot, mit dieser von mir nicht ohne Grund beschriebenen Vielfalt. Das kann man doch auch mit einem gewissen Stolz vortragen. Die Gesamtschulen sind ein Teil des Ganzen. Wenn man aufgrund bestimmter Bedarfsvorstellungen der Meinung ist, die eine oder andere - ich will mich gar nicht auf eine Zahl festlegen - zusätzliche Gesamtschule solle möglich sein, dann ist § 12 Abs. 1 Satz 3 entbehrlich. Aber dann stellt sich die ganz wichtige Frage: Wer soll die Bedarfsermittlung vor Ort durchführen und die Entscheidung vor Ort treffen? - Das kann nur der Schulträger sein.
- Ja, das war schon immer so, Frau Kollegin. Ich möchte in diesem Zusammenhang § 106 Satz 1 zitieren. Dort heißt es:
„Die Schulträger sind verpflichtet, Schulen“ - alle, auch Gesamtschulen - „nach Maßgabe des Bedürfnisses zu errichten, zu erweitern, einzuschränken, zusammenzulegen, zu teilen oder aufzuheben.“
Demnach sind auch vorhandene Gesamtschulstandorte nach geltender Rechtslage erweiterungsfähig. Diese Feststellung gehört auch zur Wahrheit. Ich frage Sie: Warum treten die Schulträger nicht an? Warum führen wir manche Debatte überhaupt erst?
Meine Damen und Herren, mir steht es nicht zu, von Regierungsseite her auf ein Gesetzgebungsverfahren Einfluss zu nehmen. Wenn aber Gesetze von einer gewissen Tragweite anstehen, dann kann man das nicht unter klamaukähnlichen Bedingungen machen, sondern dann bedarf es auch einer gewissen Zeit. Ich wäre dankbar, wenn Anfang des nächsten Jahres - der Kollege Klare hat gesagt: wenn die Wahl entschieden ist - ein ordnungsgemäßes Verfahren durchgeführt würde. Das ist auch für die Schulträger im Land wichtig, denen wir nicht einfach etwas aufoktroyieren können; denn sie müssen es letztlich bezahlen.
Sie müssen es mit ihren Bedarfen an den örtlichen Schulstandorten und mit ihren Schulentwicklungsplänen abstimmen.
Der Elternwille wird von allen Seiten - das ist erstaunlich in diesen Tagen - reichlich bemüht. Eines ist völlig klar: Wenn der Elternwille gilt, dann kann man das vorhandene Regelangebot nicht abschaffen und stattdessen Gesamtschulen neu errichten. Wenn Elternwille gilt, dann muss auch das bisherige Angebot vorgehalten bleiben.
Meine Damen und Herren, es bedarf also einer gewissen Reihenfolge. Wir müssen auch die Lehrerverbände und die kommunalen Spitzenverbände hören. All diese Dinge sind mit zu beachten, und wir müssen das in einer vernünftigen und ausgewogenen Weise machen.
Zu dem Stichwort „Abstimmung mit den Füßen“ und zu angeblich vorhandenen Bedarfen folgender Hinweis: Ich habe mir noch einmal die Situation in der Stadt Hannover angesehen. In diesem Jahr sind hier insgesamt 3 114 Schülerinnen und Schüler von der Klasse 4 in die Klasse 5 gewechselt. Wenn ich nur den Wunsch der Eltern von 3 114 Kindern zugrunde lege, der in der Tat nicht überall erfüllt wurde, dann haben sich, wenn ich Gymnasium, Realschule, Hauptschule zusammenrechne, auch in Hannover 74,2 % für die gegliederten Angebote ausgesprochen, 2,4 % für ein KGS-Angebot und 23,3 %, bei allem Respekt, für ein IGSAngebot. So weit, so gut - dieser Hinweis nur zur Erklärung der Situation und der Verhältnisse.
Meine Damen und Herren, was will ich? Ich würde jetzt gerne einmal Herrn Jüttner nach der seiner Ansicht nach richtigen Richtung fragen, weil ja beide Seiten mit offenen Karten arbeiten sollten und die Wähler am 27. Januar auch entscheiden müssen. Wir haben im Jahr 2003 unser Mandat nach entsprechender vorheriger Aufklärung errungen. Es lag ein Schulgesetz auf dem Tisch, und die Wählerinnen und Wähler kannten genau die Angebote der damals Regierenden und der damaligen Opposition. Das war eine hervorragende Situation für die Menschen im Lande, weil sie sich zielgenau für die eine oder für die andere Richtung oder für bestimmte Teilregelungen entscheiden konnten.
Herr Busemann, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie Ihre Redezeit inzwischen schon um fünf Minuten überzogen haben.
Nur noch ganz kurz, Frau Präsidentin. - Ihr Projekt ist die Gemeinsame Schule. Mittlerweile müssen Sie sich aber fragen lassen: Wo bleibt denn hier Ihr Gesetzentwurf? Mit welchen Schulstandorten kalkulieren Sie? Auf Ihrer Angst machenden Liste stehen 400 bis 500 Standorte mit Fragezeichen. Gilt das noch?