Protokoll der Sitzung vom 30.10.2003

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

In der eigens zu diesem Thema von der Aids-Hilfe Niedersachsen durchgeführten Anhörung ist uns Teilnehmern damals die Unseriosität Ihres Handelns nachdrücklich vor Augen geführt worden.

Für uns Grüne bleiben drei Fragen im Raum stehen.

(Glocke der Präsidentin)

- Frau Präsidentin, es sei mir noch gestattet, diese Fragen zu stellen. - Was ist von einer Sozialministerin zu halten, Frau von der Leyen, die in dieser Auseinandersetzung schweigt und im Sozialausschuss sagt: Dieses Thema gehört nicht hierher, das interessiert mich nicht?

(Zustimmung bei den GRÜNEN - Mi- nisterin von der Leyen: Das habe ich nicht gesagt!)

Sie sollten ein elementares Interesse daran haben, jede mögliche Aids-Infektion zu verhindern. Wenn Sie dies schon nicht aus humanitären Gründen wollen, dann wenigstens aus Kostengründen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was ist von einer Justizministerin zu halten, die, ohne eine echte Erfolgskontrolle aus rein ideologischen Gründen - anders lässt sich diese Entscheidung nicht bezeichnen - ein Projekt zerstört, das mittlerweile europaweit Nachahmer gefunden hat?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was ist in dieser Frage von dieser Justizministerin zu halten? - Ich stelle diese Frage in den Raum. Sie werden sich diese Frage selbst beantworten können.

Die letzte Frage, Frau Präsidentin, die sich uns Grünen aufdrängt, ist: Gibt es eine wissenschaftliche Begleitung für Ihre jetzige Entscheidung? Denn Sie behaupten ja, bei den HIV- und Hepatitis-Infektionen in diesem Bereich würde sich nichts ändern. Wir erwarten, dass eine wissenschaftliche Begleitung durchgeführt wird. Wir möchten wissen, ob Sie daran gedacht haben und, wenn ja, von welcher neutralen Institution sie durchgeführt werden soll oder, wenn nein, weshalb Sie das nicht durchführen. Das würde der Wahrheitsfindung in

diesem hohen Hause und der Einschätzung Ihres Handelns dienen. - Danke sehr, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Herr Lehmann, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meinem Beitrag zur ersten Beratung dieses Entschließungsantrages habe ich mich relativ reserviert geäußert, weil man sich auf den ersten Blick durchaus gefragt hat: Warum soll dieses Austauschprogramm eingestellt werden? Es betrifft eine relative kleine Gruppe und verursacht keine hohen Kosten. Das Ganze müsste doch eigentlich Sinn machen. - Ich habe damals gesagt, dass ich gespannt darauf bin, was uns die Anhörung bringen wird. Ich muss sagen, die Anhörung hat mich letztlich überzeugt, dass wir das Spritzenaustauschprogramm tatsächlich nicht mehr brauchen.

Es sind bereits viele Fakten vorgetragen worden. Die Infektionsraten in den Haftanstalten, in denen dieses Programm nicht durchgeführt wird, sind niedriger bzw. zumindest nicht schlechter als in den beiden betroffenen Justizvollzugsanstalten.

Wir müssen uns vor allen Dingen die Frage stellen - darauf habe ich beim letzten Mal auch schon hingewiesen -: Können wir es auch gegenüber den Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten verantworten, obwohl es das Verbot des Drogenkonsums in den Haftanstalten gibt, dass sie einerseits Straftaten verhindern sollen, dass wir es andererseits, wenn die Gefangenen es doch geschafft haben, durch alle Schleusen und Kontrollen usw. Drogen hineinzubringen, belohnen, indem wir noch die Spritzen zur Verfügung stellen? - Diese Frage muss man stellen. Nun kann man sagen, das ist keine Belohnung, sondern dient aus einer gewissen Verantwortung heraus zumindest zur Minimierung des Risikos für die Gefangenen, die es doch geschafft haben.

Es kann aber nicht sein - das ist für uns als FDP ganz maßgeblich -, auf der einen Seite Drogen zu verbieten und auf der anderen Seite zum Drogenkonsum beizutragen. Das Needle-sharing ist zweifellos ein bedeutender Faktor für HIV

Infektionen. Deswegen ist auch dieser Modellversuch eingeführt worden. Gleichwohl muss man einen Modellversuch dann, wenn die Ziele, die mit ihm erreicht werden sollten, nicht erreicht werden, irgendwann abbrechen. Dazu ist uns auch von der Ministerin vorgetragen worden. Schon zuzeiten der alten Landesregierung hat es im Ministerium die Empfehlung gegeben, dieses Programm zu beenden. Jetzt auf einmal zu sagen „Jetzt sind wir in der Opposition, jetzt wollen wir das auf einmal nicht mehr“, ist ein widersprüchliches Verhalten. Das muss hier ganz klar festgestellt werden.

Noch eines zum Schluss. Wenn Sie sich schon für die Fortführung des Spritzenaustauschprogramms einsetzen, weil es in unserer Verantwortung für die Strafgefangenen und auch für die Gesundheitsvorsorge so wichtig ist, dann wäre es doch konsequent, den Modellversuch nicht nur in diesen beiden Justizvollzugsanstalten durchzuführen, sondern die Gefangenen in allen Anstalten schützen zu wollen. Das hätte konsequenterweise Ihr Antrag sein müssen. Eine entsprechende Äußerung in dieser Richtung haben wir aber nicht gehört. Dann muss man die Frage stellen, ob es hier nicht bei Ihnen einen ideologischen Hintergrund gibt, und nicht bei uns.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Jetzt hat Frau Ministerin Heister-Neumann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Worte zu diesem Thema sind viele gewechselt - nicht nur im Juni-Plenum, sondern auch im Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ am 10. September dieses Jahres. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, haben sich große Mühe gegeben, öffentlichkeitswirksam Ihr Unverständnis über die Einstellung des vermeintlich erfolgreichen Spritzenaustauschprogramms zum Ausdruck zu bringen. Nicht anders war es hier und heute. Ich sehe deshalb keinen Sinn darin, nochmals auf Einzelheiten einzugehen; denn Sie wollen die zwingenden Gründe, die für die Einstellung des Spritzenaustauschprogramms sprechen, einfach nicht verstehen, weil Sie damit Ihr politisches Versagen über Jahre hinweg in dieser wichtigen Fragen einräumen müssten.

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei der SPD)

Sie haben die Augen vor der offenkundigen Tatsache verschlossen, dass das Spritzenaustauschprogramm genau dazu geführt hat, was vermieden werden sollte: dem Needle-sharing, dem erleichterten Zugang bereits substituierter Gefangener zu harten Drogen, dem Umstieg auf den intravenösen Konsum und der Aufgabe des Schutzraums für Gefangene, die endlich von den Drogen loskommen wollen.

Das Ziel des Spritzenaustauschprojektes, Infektionsrisiken beim gemeinsamen Gebrauch von Spritzen wesentlich zu reduzieren, wurde nicht erreicht. Diese Erkenntnis stammt nicht erst aus diesem Jahr und auch nicht von mir. Sie ist vielmehr im Forschungsbericht Nr. 73 des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen aus dem Jahre 1998 nachzulesen, an dem der frühere Justizminister Pfeiffer maßgeblich mitgewirkt hat.

(Aha! bei der CDU)

Weder dessen Vorgänger noch Professor Dr. Pfeiffer selbst haben daraus Konsequenzen gezogen und das Spritzenaustauschprogramm auf den Prüfstand gestellt. Es ist ohne konzeptionelle Änderung fortgeführt worden, obwohl Sie wissen mussten, dass es nicht funktioniert und dass das hehre Ziel des infektionsprophylaktischen Nutzens nicht erreichbar ist.

Ich frage Sie: Aus welchen anderen sachlichen Gründen als aus politischer Opportunität hat man sich nicht schon damals dazu entschlossen, diese Sache zu beenden?

Sehr geehrte Frau Kollegin Müller, Sie hatten Recht, als Sie in Ihrer letzten Rede im Juni-Plenum davon sprachen, dass das Spritzenaustauschprogramm einzig und allein der Gesundheitsvorbeugung diente. Das haben Sie zwar nicht so gemeint, aber jede freudsche Fehlleistung trägt nun mal auch einen wahren Kern in sich. Denn die Spritzenvergabe hat in der Tat durch das Absenken der Hemmschwelle vor riskanten Konsumformen gesundheitsschädigende Folgen. Darüber hinaus ist der infektionsprophylaktische Nutzen nicht gegeben. Gefangene holen sich Hepatitis und HIV nicht im Gefängnis, sondern sie bringen sie schon von draußen mit hinein. Spritzenabszesse heilen während der Inhaftierung, weil den Gefangenen eine gute medizinische Versorgung zur Verfügung steht - und zwar in allen Justizvollzugsanstalten, vor al

lem auch in solchen ohne Spritzenvergabe. Sie mögen das zwar bezweifeln; stichhaltig widerlegen konnten Sie es bis heute aber nicht. Im Übrigen wundert es mich schon, dass Sie diese Aussage - das ist heute wiederum geschehen - als unwissenschaftlich darstellen wollen, obwohl Sie dies dem damaligen Justizminister Pfeiffer, der genau dies schon in seiner Antwort auf die Mündliche Anfrage am 18. Mai 2001 feststellte, damals nicht vorgeworfen haben.

Ich bitte Sie: Versuchen Sie nicht, den Bürgerinnen und Bürgern in Niedersachsen Märchen zu erzählen, wenn Sie Horrorszenarien von angespitzten Kugelschreiberminen als Spritzenersatz verbreiten. Es gibt sie nicht. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es den Drogenabhängigen kaum möglich ist, eine solche Kugelschreibermine in die Venen einzuführen. Ihre Venen sind leider Gottes vom vielen Spritzengebrauch schon so vernarbt und kaputt, dass sie sogar auf ultradünne Insulinnadeln zurückgreifen müssen, um überhaupt noch einen Zugang zum Blutgefäß zu bekommen. Das, meine Damen und Herren, ist die Realität. Das ist erschreckend, aber eben leider auch eine Tatsache.

Wenn Sie schließlich immer wieder darauf abstellen, den Bediensteten in den Anstalten sei das Spritzenaustauschprogramm so wichtig, und es sei auch deshalb erforderlich, damit sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht an gebrauchten Nadeln infizieren, dann sage ich Ihnen, dass dies ein Trugschluss ist. Die Bediensteten aller anderen Anstalten hatten kein Interesse an der Einführung des Spritzenaustauschprogramms. Auch dies ist ein Ergebnis der Antwort von Herrn Pfeiffer auf die genannte Mündliche Anfrage und Ihnen deshalb auch schon seit mehr als zwei Jahren bekannt.

Keiner kann im Übrigen zu 100 % vor Verletzungen an versteckten Nadeln schützen. Auch das ist eine Wahrheit. Auch in den Anstalten Vechta und Groß Hesepe sind Nadeln versteckt worden. Viel schlimmer jedoch: Bereits 1997 hatte sich eine Mitarbeiterin der Anstalt Groß-Hesepe beim Entsorgen gebrauchter Spritzen infolge des Spritzenaustauschprogramms verletzt, zum Glück ohne Folgen.

Meine Damen und Herren, unabhängig von den wirklich überzeugenden medizinischen Gründen gegen eine Fortsetzung des Spritzenaustauschprogramms steht eine Spritzenvergabe im Justizvollzug aber auch im Widerspruch zu dessen gesetzlichem Auftrag. Wegschauen und dem Dro

genproblem freien Lauf lassen ist meines Erachtens der falsche Weg. Da kann man auch nicht hingehen und dies mit der Angleichung der Lebensverhältnisse rechtfertigen. Wer den Drogenmissbrauch duldet, wird den Gefangenen nie zu einem Leben ohne Straftaten, dem eigentlichen gesetzlichen Auftrag auch nach dem Strafvollzugsgesetz, erziehen können. Wie denn wohl auch? Wenn Drogenmissbrauch schon in den Anstalten geduldet wird, dann müssen die Gefangenen doch annehmen, dies sei auch in Freiheit so.

Nein, meine Damen und Herren, ich stehe für eine konsequente Bekämpfung der Drogensucht und der Drogenkriminalität draußen und in den Justizvollzugsanstalten. Das heißt nicht, dass wir die Gefangenen mit ihren Problemen alleine lassen. Wir werden sie auch zukünftig über Infektionsrisiken und Gefahren intensiv informieren, ihnen eine intensive Suchtberatung anbieten - dafür werde ich mich persönlich einsetzen - und durch verstärkte Kontrollen die Verfügbarkeit von Drogen verringern. Wir werden unseren Gefangenen aber auch dann ganz deutlich sagen, dass wir bei aller Hilfe und bei allem Verständnis für die Probleme der Sucht Drogenmissbrauch und Drogenkriminalität in den Anstalten konsequent mit strafrechtlichen und disziplinarischen Maßnahmen ahnden werden.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Meihsies?

Ich möchte das gerne noch zu Ende bringen.

Nur dieser Weg führt zum Ziel. Das haben, abgesehen von Berlin, alle anderen Bundesländer erkannt. Die Darstellung des europäischen Umfelds ist in dieser Form auch nicht richtig. Einzig Spanien hat flächendeckend eine entsprechende Versorgung durchgeführt. Ansonsten werden Infektionsmittel und nicht Spritzen zur Verfügung gestellt. Im Übrigen sollte man sich dann auch die Strafvollzugsgesetze angucken und sie miteinander vergleichen. Meine Damen und Herren - das geht besonders in Ihre Richtung -, ich bin mir ganz sicher, dass Niedersachsen gerade ab dem Jahr 2003 - sagen wir einmal, ab dem 4. März dieses Jahres eine große Vorbildfunktion hat, auch für das europäische Ausland. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Deswegen kommen wir zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der SPD-Fraktion ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Stimmenthaltungen? - Dann ist die Beschlussempfehlung so beschlossen.

Wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 14: Zweite Beratung: Hafenzufahrt Landeshafen Emden optimieren - Seeschifffahrtsstraße Ems vertiefen Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP Drs. 15/60 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Drs. 15/466

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet auf Annahme in veränderter Fassung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Zu Wort gemeldet hat sich der Abgeordnete Haase.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aufgabe von Politik ist es natürlich, in allen Teilen des Landes und in den verschiedenen Bereichen Entfaltungschancen für die Wirtschaft und damit Entwicklungschancen für die Menschen und Regionen zu gewährleisten und zu sichern. Ich glaube, darüber sind wir uns wenigstens einig. Nicht immer aber ist das Land allein zuständig. In dem Fall, um den es heute geht - Vertiefung der Außenems und damit Verbesserung der Hafenzufahrt Emden -, liegt die wesentliche Zuständigkeit beim Bund, dem die Unterhaltung, aber auch der Ausbau der Wasserstraße nach Emden obliegt. Aus diesem Grund bemüht sich das Land schon eine ganz erhebliche Zeit, die Außenemsvertiefung auf den Weg zu bringen, die für die weitere Entwicklung des Landeshafens Emden unbedingt nötig ist, will man auch in Zukunft international konkurrenzfähig sein. Es hätte deshalb auch nicht unbedingt dieses Entschließungsantrags bedurft, um dieses Thema zu forcieren, denn es stand auf der Agenda. Aber

bevor Sie sich aufregen: Es hilft natürlich, wenn der Niedersächsische Landtag diese Entschließung heute mit deutlicher Mehrheit verabschiedet. Diese deutliche Mehrheit, dieses deutliche Votum des Parlaments wird es heute geben; daran haben wir Sozialdemokraten auch in den Ausschusssitzungen nie einen Zweifel gelassen.

(Vizepräsident Ulrich Biel über- nimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, die Vertiefung der Außenems und die Verbesserung der Hafenzufahrt Emden müssen unserer Meinung nach in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen werden. Ich gehe fest davon aus, dass die in Auftrag gegebene Bedarfsanalyse, Herr Minister Hirche, ergeben wird, dass die Kosten-Nutzen-Relation einen Ausbau mehr als rechtfertigt.