Protokoll der Sitzung vom 20.11.2003

(Unruhe)

Die Gespräche an der Regierungsbank sollten auch eingestellt werden. Es gibt so viele Gelegenheiten. - Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine paradoxe Situation: Da will die Bundesregierung über eine vorgezogene Steuerentlastung für die Wirtschaft Luft zum Atmen schaffen, und im gleichen Moment denkt sich die SPD-Bundestagsfraktion eine neue Abgabe, neue Steuern aus. Meine Damen und Herren, es ist innerhalb dieser Berliner Koalition so, dass die Rechte nicht weiß, was die Linke tut.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wenn es richtig ist - das habe ich hier früher von Rednern aller Fraktionen gehört -, dass Wirtschaft zu 50 % Psychologie ist, dann betreiben Sie auf diese Weise im Bereich der Ausbildung eine ungeheure Verunsicherung der deutschen Wirtschaft. Meine Damen und Herren, das kann nicht gut gehen.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin ja beruhigt, dass die Ministerpräsidenten der SPD dort, wo sie regieren, das genauso sehen wie die Niedersächsische Landesregierung aus CDU und FDP. Ich beziehe mich auf ein Interview mit Kurt Beck, der gesagt hat, er fürchte die Bürokratie, und Front gegen die Ausbildungsplatzabgabe macht. Meine Damen und Herren, alle Praktiker wissen, dass die Drohung mit einer neuen Abgabe dazu führen wird, dass die Leute anfangen zu rechnen, ob es nicht billiger ist, wie bei den Schwerbehinderten eine Abgabe zu zahlen, anstatt Leute einzustellen und auszubilden. Das ist das Ergebnis bei der Schwerbehindertenabgabe, und das wird das Ergebnis bei der Ausbildungsplatzabgabe sein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Es ist schon abenteuerlich, welche Argumente auch in dieser Debatte vorgebracht worden sind. Natürlich ist es richtig - dreimal dick unterstrichen -, dass dieses Problem nicht vom Staat gelöst werden kann, sondern in der Wirtschaft gelöst werden soll. Aber wenn das Problem in der Wirtschaft gelöst werden soll und kann, dann müssen die Grundbedingungen für ordentliches, ertragreiches Wirtschaften mit Zukunft verbessert werden, meine Damen und Herren. Das ist die Kernvoraussetzung bei allem, was wir zu tun haben.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Tatsache ist aber: Nullwachstum in den letzten Jahren, die größte Pleitewelle überhaupt. Wie soll ich denn von jemandem, der nicht sicher ist, dass er seinen Betrieb über die Runden bringt, verantwortlich verlangen, dass er in dieser unsicheren Situation Lehrlinge einstellt? Das kann doch wohl nicht wahr sein, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Diese Entwicklung hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass in der Tat nur noch drei von zehn Betrieben in Niedersachsen ausbilden. Aber dann

kann ich doch nicht eine gleiche Quote verlangen. Das wäre ungefähr so, als wenn ich von allen Betrieben verlangen würde, sie müssten die gleiche Beschäftigungsquote haben. Meine Damen und Herren, die Rationalisierung in den verschiedenen Bereichen ist unterschiedlich, die Personalintensität in den Bereichen ist unterschiedlich. Deswegen wird in diesem Zusammenhang auch die Ausbildungsplatzsituation immer unterschiedlich sein.

Ich meine, dass wir in Niedersachsen - darauf sollte der gesamte Landtag stolz sein; die Landesregierung ist es jedenfalls - in Niedersachsen die größten Erfolge in den gemeinsamen und koordinierten Kampagnen zur Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen im Lande gehabt haben. Wir haben rechnerisch 1 % Jugendliche unversorgt. Tatsächlich sind es, wenn ich einmal die offenen Plätze beiseite lasse, 2 %. Es sind im letzten Monat noch einmal 350 Jugendliche auf Ausbildungsplätze vermittelt worden - meine Damen und Herren, nicht durch Drohung, sondern durch Motivation, durch Werbung, durch Zureden und durch Hinweise darauf, dass sich die wirtschaftliche Situation in den nächsten Jahren vielleicht besser darstellt. Wir setzen auf die Wettbewerbsfähigkeit und insofern auf das Zutrauen der Betriebe in ihre eigene Zukunft. Das ist das Wichtige.

Herr Kollege Lenz, ich schätze Sie sonst außerordentlich. Mir war es aber ein bisschen oberflächlich, wie Sie das Rassel-Beispiel verwendet haben. Sie haben das in einer persönlichen Art Herrn Rösler vorgehalten, anschließend aber das Rassel-Beispiel benutzt, um zu erklären, wie das SPDProjekt einer Ausbildungsplatzabgabe zu verstehen ist. Sie laufen demnach dabei wie ein kleines Kind mit der Rassel durch die Gegend. Aber bei kleinen Kindern ist das der Ausdruck von Fröhlichkeit, etwa zum Weihnachtsfest, während es bei Ihnen der Versuch der Drohung und Einschüchterung gegenüber Wirtschaft und Betrieben ist. Meine Damen und Herren, dies wird und kann nicht funktionieren.

(Beifall bei der CDU)

Die Niedersächsische Landesregierung wird sich deshalb entschieden dagegen wenden.

Meine Damen und Herren, der besondere Trick ist ja möglicherweise, dass Ihre Bundestagsfraktion jetzt versucht, es rechtlich so zu konstruieren, dass die Regelung nicht für den öffentlichen Bereich, sondern nur für die private Wirtschaft zutrifft, und

zwar in der Hoffnung, dass das Ganze damit nicht zustimmungspflichtig ist und der Bundesrat dazu nicht entscheidend Stellung nehmen kann. Sie können das alles handhaben, wie Sie wollen, meine Damen und Herren; das Ergebnis wird aber sein: Sie vernichten Ausbildungsplätze und schaffen keine neuen. Unser Weg über Anreize, Motivation und Wachstum ist der Weg zu neuen Ausbildungsplätzen. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren, zu Tagesordnungspunkt 1 a) liegen mir keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich rufe jetzt auf

b) Null Toleranz bei Intoleranz - CDU Niedersachsen muss Grenzen gegen Rechtspopulismus klar ziehen - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/568

Das Wort hat der Kollege Gabriel. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Süddeutschen Zeitung vom 14. November ist ein Appell von CDU-Vertretern erschienen, in dem die Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann inhaltlich verteidigt wird. Dort heißt es wörtlich, die Rede sei keinesfalls antisemitisch. Auch der niedersächsische CDU-Landtagsabgeordnete Thorsten Thümler hat diesen Aufruf unterschrieben. Am 18. November hat er sich mit dem Hinweis von dieser Unterstützungsaktion distanziert, er sei lediglich gegen das formale Ausschlussverfahren gewesen.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert übernimmt den Vorsitz)

Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ist noch ein zweiter Fall bekannt geworden, bei dem ein Ratsherr in Wolfsburg den Ausdruck „Kanake“ für italienische Betriebsräte benutzt hat. Er ist dann - so jedenfalls die Darstellung in der Presse - zum Rücktritt gezwungen worden.

Meine Damen und Herren, wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir als Mitglieder der

SPD-Landtagsfraktion Fragen haben. Wieso kann der Kollege Thorsten Thümler in seiner Distanzierung behaupten, er habe sich nur gegen das Ausschlussverfahren betreffend den CDU-Politiker Martin Hohmann gewandt? Er hat doch einen Aufruf unterschrieben, in dem ausdrücklich behauptet wird, dass Hohmanns Rede keineswegs antisemitisch sei. Wir würden gern vom Kollegen Thümler selbst hören, wie er diesen Widerspruch auflöst; denn seine Lesekompetenz, meine Damen und Herren, wollen wir doch alle miteinander nicht infrage stellen. Wenn er sich schon gegen den Ausschluss von Martin Hohmann wendet und dagegen protestiert, fragen wir uns: Warum eigentlich hält hier ein Landtagskollege von der CDU seine eigene Partei - anders als Frau Merkel - für eine Partei, in der Antisemiten und antidemokratische Eiferer noch Platz haben sollen?

Wir möchten von der CDU-Landtagsfraktion gern wissen, ob jemand, der der Überzeugung ist, die CDU dürfe einen Antisemiten wie Herrn Hohmann nicht ausschließen, geeignet ist, als jugendpolitischer Sprecher der Regierungsfraktionen aufzutreten. Mich würde interessieren, ob das Ihr jugendpolitisches Vorbild ist.

Meine Damen und Herren, außerdem würden wir natürlich gern vom Vorsitzenden der CDU und Ministerpräsidenten unseres Landes hören, wieso eigentlich der Wolfsburger CDU-Ratsherr noch nicht aus der Partei ausgeschlossen wurde. Wir von der SPD-Fraktion würden gerne wissen, mit welchem Verständnis uns die Kolleginnen und Kollegen von der CDU-Fraktion in unseren Ausschüssen und im Landtag eigentlich gegenübersitzen. Herr Rösler und Herr McAllister, da dieser Begriff so gerne im Munde geführt wird, frage ich weiterhin: Ist das eigentlich Ihr Verständnis von „bürgerlich“?

Die Verbindung, die hier zwischen Rassismus und Antikommunismus hergestellt wurde, war und ist das Grundmuster hinter der nationalsozialistischen Behauptung von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung und damit nicht nur ein Grundmuster im Hinblick auf den Holocaust, sondern auch im Hinblick auf den Überfall auf die UdSSR. Damit wird nicht nur Geschichtsklitterung betrieben, sondern auch die deutsche Rolle bei der Judenvernichtung im Nachhinein relativiert. Wer dies ignoriert und einen Aufruf mit einem solchen Text unterschreibt, hat offenbar ein völlig verqueres Bewusstsein von den Zusammenhängen deutscher und europäischer Geschichte, oder er ist

schlicht nicht in der Lage, texterschließend zu lesen.

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat sich der Kollege Jürgen Gansäuer zu Wort gemeldet. Herr Gansäuer, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Hinblick auf das Verständnis, von dem Sie eben gesprochen haben, will ich etwas sagen. Die SPDFraktion hat ihren Antrag mit „CDU Niedersachsen muss Grenzen gegen Rechtspopulismus klar ziehen“ überschrieben. Herr Kollege Gabriel, ich bedanke mich ausdrücklich für die geradezu diakonische Fürsorge, die in dieser Aufforderung zum Ausdruck kommt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wer die Geschichte der Union auch nur annähernd kennt, sollte eigentlich wissen, dass es einer solchen Fürsorge nicht bedarf,

(Widerspruch bei der SPD)

denn die Union hat unsere freiheitliche Demokratie nach Krieg und Gewaltherrschaft wie keine andere Partei in Deutschland mitgestaltet und geprägt.

(Beifall bei der CDU)

Der Gründer der CDU, Konrad Adenauer, hat einmal gesagt, dass die Union ihre Identität ganz wesentlich aus dem Widerstand gegen Hitler schöpfe. Diese Aussage ist auch nicht verwunderlich. Konrad Adenauer ist nach seiner Absetzung als Oberbürgermeister von Köln durch die Nazis zum ersten Mal im Juni 1934 verhaftet worden. Das Beweismaterial gegen ihn reichte jedoch nicht aus. Nach seiner Freilassung sperrte man ihm sein Gehalt und beschlagnahmte sein Haus.

Über diese Zeit schreibt er:

„Ein guter Freund von mir, ein jüdischer Mitbürger, brachte mir aus freien Stücken Geld. Das war wirklich ein Lichtblick in einer so schweren Zeit.“

Nach dem 20. Juli 1944 wurden dann erst er und danach auch seine Frau verhaftet.

(Zurufe von der SPD)

- Dass Sie nicht einmal in der Lage sind, mit Würde über einen solchen Punkt zu diskutieren, ist wirklich schlimm und offenbart, was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich bezwecken.

(Beifall bei der CDU)

Nach dem 20. Juli 1944 wurden dann erst er und danach auch seine Frau verhaftet. Die Verhöre und Peinigungen der Gestapo hat Konrad Adenauers Frau nicht ertragen können. Sie beging aus schrecklicher Verzweiflung zwei Selbstmordversuche und starb 1948 an den Folgen der GestapoTorturen. Am Tag ihrer silbernen Hochzeit waren Adenauer und seine Frau im selben Gefängnis untergebracht, ohne dass sie es wussten.

Aufgrund außerordentlich glücklicher Umstände wurde Adenauer im März 1945 freigelassen. Im gleichen Monat baten fünf französische Kriegsgefangene, die aus einem Gefangenenlager entwichen waren, um Unterschlupf. Adenauer verbarg sie unter Einsatz seines Lebens bis zur Ankunft der amerikanischen Truppen in seinem Keller.

Ein Weiteres: Im Juni 1945, also acht Wochen nach der Kapitulation Deutschlands, gründeten 35 Frauen und Männer die CDU in Berlin. 17 von ihnen kamen aus dem KZ, und zwei saßen in Plötzensee und wären erhängt worden, wenn die Rote Armee sie nicht rechtzeitig befreit hätte. In ihrem Gründungsaufruf heißt es: