Protokoll der Sitzung vom 10.03.2004

Jetzt kommen wir aber noch einmal zum wesentlichen Punkt. Zwischen der Nettoentlastung von 2,5 Milliarden Euro und der Option der Trägerschaft für die Grundsicherung für Arbeitsuchende besteht zwar kein Junktim. Aber die Option wird baden gehen, wenn das verloren gegangene Vertrauen der Kommunen nicht wiederhergestellt wird. Insofern muss sich Rot-Grün hier bewegen, weil ein Fehlschlag auf Ihr Konto ginge.

Damit das Optionsmodell doch noch ein Erfolg wird, knüpfe ich noch einmal an die Aktuelle Stunde an und sage, welche Forderungen wesentlich sind und welche wir jetzt unbedingt umsetzen müssen: die verfassungsrechtliche Absicherung der Finanzierung der Kommunen durch den Bund, die auskömmlichen Fallpauschalen für Eingliede

rungsleistungen und Verwaltungskosten und die Einhaltung der Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung. Das heißt, die Kommunen dürfen nicht durch die Arbeitsagenturen gegängelt werden. Auch dürfen die obersten Landesbehörden nicht an die Rechtsauffassung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gebunden werden. Schließlich ist von großer Bedeutung, dass die Kommunen selbst über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsbezieher entscheiden und nicht etwa die Arbeitsagenturen. Sonst gibt es einen Verschiebebahnhof zu den Kommunen bzw. zum neuen Sozialgesetzbuch XII, also zur Sozialhilfe.

Schließlich ist es noch wichtig, dass die Kommunen ihre kreisangehörigen Gemeinden, Agenturen für Arbeit, Wohlfahrtsverbände und sonstige Dritte mit den Aufgaben betrauen können und dass deren Interessen auch gewahrt werden.

Die Option ist ein zentrales Mittel der Kommunen, weiterhin das Heft bei der örtlichen Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in der Hand zu behalten. Damit haben sie die Möglichkeit, hunderttausende Menschen in Niedersachsen vernünftig zu betreuen und in Arbeit zu bringen. Das wird Arbeitsplätze schaffen. Wenn das nicht geschieht, dann werden wir eine neue Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt erleben. Das Optionsmodell schafft Zuständigkeiten bei den Kommunen in einer Hand. Es gibt keine bürgerunfreundlichen Doppelzuständigkeiten. Es muss uns deshalb gelingen, das Optionsmodell zu retten.

Ich beantrage, mit der federführende Beratung den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zu beauftragen.

(Beifall bei der CDU)

Herr Bode hat das Wort für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser Sozialsystem steckt in einer existenziellen Krise. Ein Moloch von Vorschriften und Ausnahmeregelungen der unterschiedlichsten Behörden sorgt dafür, dass es trotz eines immensen Geldeinsatzes nicht die Bedürftigen, sondern die Findigen schützt. Wenn wir nicht endlich zu einer liberalen Sozialpolitik kommen, d. h. die Bedürftigen fördern und die Findigen fordern, dann werden wir in den Sozialversicherungen Beitragssätze haben, die

den Menschen endgültig die Freiheit nehmen. Daher hat die FDP als erste Partei bereits vor einem Jahrzehnt die Zusammenlegung aller Sozialleistungen in ein einheitliches und vor allem verständliches System gefordert. Unsere Vision ist das Bürgergeld, das im Sinne einer negativen Einkommensteuer auch mit dem Steuersystem verknüpft werden soll.

(Beifall bei der FDP)

Die jetzt geplante und angedachte Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe ist ein erster Schritt in diese richtige Richtung. Aber wie wir alle gesehen haben, kann man ein derart kompliziertes und auch wichtiges Thema eben nicht einfach so an einem Abend im Untersuchungsausschuss regeln. Es ist daher richtig, dass man vereinbart hat, es in diesem Jahr gemeinsam auf die richtigen Beine zu stellen.

Wenn man dann Ihre Anträge sieht und die Berechnungen nachvollziehen will, dann muss man feststellen, dass aufgrund des Zahlenchaos, das im Vermittlungsausschuss verursacht worden ist und das auch heute noch besteht, niemand weiß, wie die Abrechnung, die Sie hier so schön aufmachen, am Ende wirklich aussehen wird. Wenn man seriöse oder einigermaßen seriöse Zahlen nimmt, dann muss man sagen: Die Kommunen in Niedersachsen werden wohl ungefähr um 1,3 Milliarden Euro entlastet. Sie werden allerdings beim Wohngeld eine Mehrbelastung von ungefähr 1 Milliarde Euro haben. Hinzu kommen allerdings auch noch ungefähr 320 Millionen Euro Mehrkosten für die Kinderbetreuung. Dann sieht man schon: Unter dem Strich war es nichts mit der Entlastung.

Das eigentliche Problem besteht darin - das ist schon angesprochen worden -, dass sich die Situation in den Kommunen durchaus unterschiedlich darstellt. Einige haben gravierende Mehrbelastungen, z. B. die Region Hannover um 30 Millionen Euro und die Stadt Celle um 7 Millionen Euro. Wenn man das auf die ursprünglichen Beträge bezieht, bedeutet das eine Verdoppelung der Sozialhaushalte. Das muss alles entsprechend geregelt und ausgeglichen werden.

Von daher besteht der einzig sinnvolle Weg, der auch heute Morgen in der Aktuellen Stunde von uns eingefordert worden ist, in einer Verfassungsänderung, die auch direkte Ausgleichszahlungen von der Bundesebene an die Kommunen ermöglicht.

Schauen wir uns dann auch einmal die von Ihnen geschilderte Situation beim Land an. Liebe Kollegen von der SPD, Sie schreiben in Ihrem Antrag - zumindest in der Überschrift - von 250 Millionen Euro. Eben waren es nur noch 92 Millionen Euro, als Sie dazwischengerufen haben. Wie sollen die sich denn realisieren lassen? - Wenn man beim Wohngeld - auch das ist von meinem Vorredner angesprochen worden - wenigstens 60 Millionen Euro unter dem Strich als Entlastung für das Land zusammenbekommen würde, dann wäre das in meinen Augen schon viel. Wenn ich dann Ihren Antrag „Keine Sanierung des Landeshaushalts zulasten der Kommunen“ sehe, dann sage ich: Lieber Kollege Gabriel, mit 60 Millionen Euro werden Sie den Landeshaushalt nicht entlasten und auch nicht sanieren können. Das ist unrealistisch.

(Beifall bei der FDP)

Wenn Sie wirklich annehmen, dass man damit den Haushalt sanieren kann, dann sollten Sie beim Kollegen Biallas Nachhilfe in Mathematik nehmen.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Nicht bei Biallas!)

Noch eine Bemerkung, meine Damen und Herren - damit komme ich dann zum Schluss und schenke Ihnen genau wie die Grünen die restliche Redezeit -: Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in Ihrem Antrag schreiben „Keine Sanierung des Landeshaushalts zulasten der Kommunen“, dann muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir ein völlig anderes Verständnis von den Kommunen haben. Wir sind auch nicht die SPD. So etwas würden wir nicht machen.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat jetzt Frau Ministerin von der Leyen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat sich im letzten Jahr mit dem „Niedersächsischen Weg“ dafür eingesetzt, Arbeitslosen- und Sozialhilfe in die Kompetenz der Kommunen zusammenzuführen. Im Vermittlungsverfahren vor Weihnachten wurde eine gemeinsame Geschäftsgrundlage für den Kompromiss gefunden, aus dem jetzt dieses so genannte Optionsgesetz hervorgehen sollte.

Lassen Sie mich noch einmal ganz kurz die vier Punkte zusammenfassen: Nettoentlastung der Kommunen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro, auskömmliche Finanzausstattung für die Kommunen durch den Bund, deswegen eine verfassungsrechtliche Änderung und faire Bedingungen für die Kommunen, wenn sie die Option in eigener Verantwortung wahrnehmen.

Allerdings stellen wir inzwischen fest: Das Zahlenwerk, auf dessen Grundlage der Beschluss des Vermittlungsausschusses basierte, entspricht nicht den tatsächlichen Aufwendungen der Kommunen. Wir haben dies von Anfang an im Vermittlungsausschuss bemängelt - das haben wir bereits heute Morgen thematisiert -, jedoch ohne Erfolg. Inzwischen bestreitet aber niemand mehr, dass ganz offensichtlich mit falschen Zahlen gearbeitet wurde, und zwar zulasten der Kommunen. Das heißt, die wesentliche Voraussetzung für das Kompromissergebnis ist damit in Frage gestellt.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas zum Ausbau der Krippen sagen. Die Kommunen sollen um 2,5 Milliarden Euro entlastet werden. Davon sollen mit 1,5 Milliarden Euro die Krippen ausgebaut werden. Auch da sagen im Übrigen die Kommunen, dass sie das mindestens 2,4 Milliarden Euro kostet. Heute wissen wir nach Berechnungen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes - mir liegt die Bilanz vom 5. März vor -, dass die Kommunen unter Einrechnung der Weiterleitung der eingesparten Mittel der Länder an die Kommunen mit 2,4 Milliarden Euro belastet werden. Als Saldo bleiben also, wenn wir die Zahlen genau nachrechnen, nicht 2,5 Milliarden Euro Entlastung, sondern 2,4 Milliarden Euro Belastung der Kommunen. Das ist eine traurige Bilanz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die 380 Millionen Euro, die Sie vorhin seitens der SPD angeführt haben, sind in der Tat vom Bund errechnet worden, aber eben in diesem Vermittlungsverfahren. Das Bundeswirtschaftsministerium hat uns für morgen eingeladen, um die Zahlen zu diskutieren. Das heißt, sie zweifeln inzwischen selbst an ihren Zahlen.

(Zuruf von der CDU: Da haben wir es!)

Auch der zweite Punkt des Kompromisses ist nicht mehr gewährleistet. Der Bund sieht sich nicht mehr in der Lage, seine Zusage einer auskömmlichen

Finanzierung für die Kommunen einzuhalten, wenn optiert wird. Ich habe heute Morgen die Zahlen dazu aufgeführt. Der Bund hat nämlich einen Mittelansatz gewählt, der ungefähr den Ausgaben entspricht, die der Bund allein für die Bezieher von Arbeitslosenhilfe heute eingesetzt hat. Mit dem neuen Gesetz kommen aber natürlich auch die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger hinzu. Auch für sie müssen selbstverständlich aktivierende Leistungen erbracht werden, um sie wieder in Arbeit zu bringen. Das heißt, der Bund möchte im Augenblick ein Optionsmodell, das gar keine Optionen zulässt, weil jede Kommune, die optiert, ein unkalkulierbares finanzielles Risiko eingeht und ihre Handlungsfreiheit aufgibt.

(Zustimmung von Dr. Harald Noack [CDU])

Hinzu kommt, dass der dritte Punkt der Vereinbarung, nämlich die verfassungsrechtliche Absicherung, nicht mehr gewährleistet ist. Inzwischen haben Bundesminister Eichel und Schily dieses öffentlich abgelehnt.

Schließlich sollen die Kommunen, die für die eigene Zuständigkeit optieren, allen Verordnungen, Vorschriften und Erlassen der Bundesagentur für Arbeit unterliegen. Dieses feingliedrige Regelwerk ist genau das Gegenteil dessen, was wir unter kommunaler Selbstverwaltung verstehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ganz interessant ist, wie inzwischen die Kommentare zu diesem Schauspiel lauten. Sowohl die Arbeitgeberseite - Arbeitgeberpräsident Hundt - als auch der Fachbereich Gemeinden der Gewerkschaft ver.di haben sich in den letzten Tagen nochmals vehement für die kommunale Lösung eingesetzt. Auch die Spitze der Bundesagentur hat in den letzten Tagen in Pressemeldungen der letzten Tage Zweifel am Erfolg der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe geäußert, wenn die Option der Zusammenarbeit zwischen den Kommunen und der Bundesagentur nicht gelingt. Ich meine, das spricht Bände.

Ich will deshalb für die Landesregierung festhalten: Wir sind enttäuscht über das Abrücken der Bundesregierung vom Kernelement der Einigung im Dezember. Wir sind nach wie vor unverrückbar der Meinung, dass die neue Aufgabe im Interesse der Langzeitarbeitslosen von den Kommunen wahrgenommen werden sollte. Wir arbeiten hart daran, sowohl überhaupt die finanziellen Grundlagen zu

klären als auch die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen für ein funktionierendes Kommunalmodell zu schaffen. Im Interesse der Kommunen können wir uns aber nicht auf falsche Zahlen einlassen.

Auch an dieser Stelle möchte ich ganz deutlich machen, dass bei Hartz IV nicht nur die Entlastung der Kommune vereinbart worden ist - darauf bestehen wir nach wie vor -, sondern auch - das haben auch Sie thematisiert - weder eine Belastung noch eine Entlastung der Länder. Anders als der Bund fühlt sich das Land diesem Grundsatz selbstverständlich weiterhin verpflichtet.

Wir müssen verlässliche Zahlen haben. Der Ausgleich für die ostdeutschen Kommunen, der bereits heute Morgen thematisiert worden ist, steht eben nicht außerhalb der für alle Kommunen angestrebten Entlastung, sondern ist dessen integraler Bestandteil und muss mit der Wohngeldentlastung saldiert werden. Es wird einen fairen Ausgleich geben. Das Land jedenfalls wird mit den Kommunen ehrlich umgehen.

Da immer wieder die Äußerungen des Staatssekretärs Hoofe zitiert worden sind, möchte ich abschließend aus dem Brief an den Städte- und Gemeindebund zitieren. Es wird nämlich immer nur ein Satz zitiert, und von interessierter Seite wird tunlichst der folgende Satz immer weggelassen. Beide Sätze lauten:

„Entgegen Ihrer Feststellung habe ich anlässlich des vorgenannten Gesprächs keinerlei Zusage gemacht, dass die beim Land erzielten Einsparungen, insbesondere mit Blick auf das Wohngeld, ungekürzt an die Städte, Gemeinden und Landkreise weitergegeben würden.“

Dann muss in der Tat der zweite Satz angehängt werden:

„Ich habe lediglich deutlich gemacht, dass im Rahmen des Vermittlungsverfahrens festgehalten wurde, dass mit Hartz IV die Absicht der Entlastung der örtlichen Sozialhilfeträger verbunden ist und aufseiten der Länder weder Benoch Entlastungen entstehen sollen.“

Das ist das gesamte Zitat. Nichts anderes ist gesagt worden. Wenn man nur den ersten Satz

nimmt, dann mag das in der Tat für diejenigen, die das ausnutzen wollen, verführerisch klingen. Aber man muss dann der Fairness halber auch den zweiten Satz, nämlich dass das Land weder Belastungen noch Entlastungen haben will - d. h. Saldo gleich null - zur Kenntnis nehmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur Ausschussüberweisung. Anders als im Ältestenrat vereinbart, ist jetzt seitens der CDU-Fraktion beantragt worden, den Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit mit der federführenden Beratung zu betrauen. Wer so verfahren möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Das Erste war eindeutig die Mehrheit. Damit verfahren wir so. Mitberatend sind der Ausschuss für Inneres und Sport und der Ausschuss für Haushalt und Finanzen.

Wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich schließe die Sitzung und wünsche Ihnen einen schönen Abend.

Schluss der Sitzung: 19.28 Uhr.