Protokoll der Sitzung vom 02.04.2003

Meine Damen und Herren, ich entnehme den Bemerkungen, insbesondere Ihrer Bemerkung, Herr Oppermann, ein Weiteres, weil das wahrscheinlich in die Vordiskussion eingeflossen ist: Ein Land wie Niedersachsen mit einer dezentralen Wirtschaftsstruktur wird auch in Zukunft darauf angewiesen sein, dass nicht vorrangig die Schiene ausgebaut wird, sondern dass wegen der Dezentralität und nicht wegen irgendeiner Ideologie Straßenverkehr nötig ist. Deswegen ist der Ansatz des Bundesverkehrswegeplans für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt möglicherweise richtig, für ein Flächenland wie Niedersachsen aber höchst gefährlich, weil er die wirtschaftliche Entwicklung in der Region unmöglich macht.

Deshalb bitte ich Sie darum, jetzt nicht über ein einzelnes Projekt, sondern einmal darüber zu diskutieren, ob Folgendes, was die Bundesregierung und, wie ich sehe, mehrheitlich auch der Bundestag gegenwärtig diskutieren, richtig sein kann. Lassen Sie uns darüber diskutieren, ob es richtig ist, dass man bei Verkehrsplanungen ein Kosten-Nutzen-Verhältnis zugrunde legen muss, in das ganz wesentlich die jeweiligen Bevölkerungszahlen eingehen. Meine Damen und Herren, wenn das so weitergeht, können wir bald nur noch im Ruhrgebiet Straßen bauen,

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

und dann werden die zentralen Regionen in Niedersachsen abgehängt werden. Das kann das Interesse von niemandem in diesem Landtag sein. Deshalb bitte ich Sie um Mithilfe in Ihren Fraktionen und darum, dass dieses Thema überall dort, wo Sie tätig sind, über das konkrete Projekt des nächsten Verkehrswegeplanes hinaus angesprochen wird; denn da geht es um das, was sonst immer thematisiert wird: Gerechtigkeit auch für diejenigen, die in peripheren, entfernten Räumen leben. Wir - weder die Regierung noch der Landtag insgesamt - werden unsere Aufgabe nicht lösen können, wenn es uns nicht gelingt, die Bundesregierung davon abzubringen, dass es nicht nur um

die große Zahl der Menschen geht, die in Ballungsräumen leben, sondern dass es um die Entwicklung der Fläche insgesamt gehen muss. Das, Herr Gabriel, kann man übrigens auch im Grundgesetz nachlesen.

(Beifall und Heiterkeit bei der FDP und bei der CDU)

Durch die Rede des Ministers Hirche fühlt sich Herr Gabriel aufgerufen. Ich erteile ihm das Wort.

Frau Präsidentin! Herr Hirche, ich wäre vorsichtig mit solchen Bemerkungen. Denn Sie täuschen gerade die Öffentlichkeit.

(Oh! bei der CDU)

Sie hätten hier sagen müssen, dass die X-Variante, die Sie jetzt wieder einfordern, in Sachsen-Anhalt und in Ostdeutschland über Jahre hinweg blockiert worden ist. Das, was Sie da machen, führt dazu, dass wir nicht einig werden.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie erheben eine Forderung, die genau entgegengesetzt den Forderungen von Sachsen-Anhalt und Brandenburg ist. Wie Sie das hinkriegen wollen: Gute Besserung, Herr Hirche!

(Zurufe von der CDU)

- Nun nehmen Sie den Mund nicht so voll!

(Bernd Althusmann [CDU]: Das geben wir gern zurück!)

Nun zu der Debatte um die Auslastung der Flächenländer. Ich frage Sie: Wissen Sie, was dieses Land über 13 Jahre hinweg erlebt hat? - Es hat erlebt, dass 40 % der Mittel nach NordrheinWestfalen gingen. Sie haben wirklich Recht, dass das so nicht weitergehen darf. Nur, als Sie - auch Sie persönlich noch Veranwortung getragen haben, sind gleichzeitig 44 % der Mittel allein nach Bayern und Baden-Württemberg gegangen.

(Hermann Eppers [CDU]: Weil ihr keine beantragt habt!)

Dahin wollten wir nicht zurück.

Sie sorgen jetzt dafür, dass das Geld weniger wird, weil Sie eine nicht durchsetzbare Forderung nach der X-Variante erheben. Sie schaden mit Ihrer Politik dem Land, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU und bei der FDP)

Weitere Wortmeldungen zu Tagesordnungspunkt 1 a liegen mir nicht vor. Damit erkläre ich diesen Punkt für erledigt und eröffne die Beratung zu

b) Nein zum Krieg im Irak! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/78

Ich erteile der Fraktionsvorsitzenden Frau Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vorab noch einmal mein Bedauern darüber, dass die Erschütterung über den Verlauf des Krieges im Irak leider nicht dafür ausgereicht hat, hier heute Morgen die Bereitschaft zu einer gemeinsamen Entschließung zu schafffen. Ich wäre sehr froh darüber gewesen, wenn in diesem Land zumindest zum Thema humanitäre Hilfe eine gemeinsame Resolution möglich gewesen wäre. Aber Schwamm drüber. Hier fehlten eben Leute wie Rita Süssmuth und Peter Müller oder auch der Ratsherr Lanver aus Osnabrück - CDU-Mitglied -, die bereit gewesen wären, sich von dem ProKriegskurs ihrer Parteispitze abzusetzen.

(Beifall bei den Grünen und bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Was? Pro-Kriegskurs? Das finde ich eine Unverschämtheit!)

- Meine Damen und Herren, ich kann das nicht anders interpretieren. Sie werden noch Gelegenheit zur Stellungnahme haben, Herr Althusmann.

Pentagonssprache - wir lernen dazu -: „shock and awe”, also Schock und Erfurcht. So hat das Pentagon die Strategie überschrieben, mit der dieser Krieg geführt wird. Schock und Erschütterung sind tatsächlich eingetreten, und zwar weltweit. Das kann man beobachten. Schauen Sie sich die anwachsenden Demonstrationen in fast allen

großen Städten der Welt an. Es ist überall eine tiefe Erschütterung, ein tiefes Erschrecken zu beobachten, und zwar wegen dieses Alleinganges der US-Regierung und wegen der Missachtung, die die USA sowohl gegenüber der Arbeit von Hans Blix als auch gegenüber der gesamten UNO an den Tag gelegt haben.

Diese Pentagonsprache, das Motto „shock and awe”, zeigt auch ein bisschen von der Mentalität, mit der dieser Krieg geführt wird, dass es sich dabei fast um eine Art Kreuzzug handelt; denn so kann man den Charakter, in dem im Pentagon, insbesondere von Donald Rumsfeld und vom amerikanischen Präsidenten, über diesen Krieg gesprochen wird, schon beschreiben.

Es ist schon schlimm, dass noch nicht einmal die Diplomaten des Papstes, die Kurie, also eines der ältesten diplomatischen Corps, das es auf der Welt gibt, Gehör finden, dass also nicht einmal die Kurie es schafft, die Einschätzung des Papstes zu übermitteln, dass dieser Krieg illegal und ungerecht sei. Die weltweite Erschütterung kann man immer besser verstehen.

Ich glaube, dass viele Menschen auch über die Richtigkeit der Prognosen erschüttert sind. Alles das, was über den Verlauf des Krieges beklagt wird, ist ja vorhergesagt worden. Es ist auch vorhergesagt worden, dass dieser Krieg neue Gewalt auslösen wird und dass durch diesen Terror, diesen Schock, der entstehen soll, neuer Terror entsteht. Wer die Berichterstattung über den Nahen Osten und die gesamte Golfregion verfolgt, der weiß, dass wir nie näher an diesem Clash of Civilization gewesen sind als in den letzten Tagen.

Meine Damen und Herren, Günter Grass hat mir aus dem Herzen gesprochen, als er am 21. März erklärt hat, er sei jetzt doch auch ein bisschen stolz auf Deutschland und auf die Bundesregierung,

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

weil diese Bundesregierung von Anfang an ein klares Nein zu diesem Krieg und zu diesem Vorgehen ausgesprochen hat. Uns Grünen, wohl auch den Kollegen von den Sozialdemokraten, den meisten Menschen, die ich auf den vielen Demonstrationen in Niedersachsen getroffen habe, geht es auch so.

Es gibt allerdings auch eine sehr große Enttäuschung darüber, dass dieser Krieg nicht verhindert

werden konnte. Peinlich für viele Bürgerinnen und Bürger ist dagegen die Positionierung Ihrer Parteispitze. Ich muss es in dieser Härte hier immer wieder sagen. Die Vasallentreue, die gegenüber dem Verbündeten USA, dem Freund USA an den Tag gelegt wird, ist der Freundschaft, der langen politischen Freundschaft nicht würdig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dass sich Frau Merkel dazu verstiegen hat, Gerhard Schröder und Joschka Fischer geradezu verantwortlich zu machen, ihnen die Schuld für diesen Krieg zuzuweisen, ist richtig gewissenlos, ist eine Instrumentalisierung in der innenpolitischen Debatte, wie es sie sehr, sehr selten bei einem solchen Thema gegeben hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Irreleitung der CDU, die man beobachten kann, mündete meiner Meinung nach auch in einer Aussage des Regionsabgeordneten Dr. Scheel. Sie werden sich alle an ihn erinnern. Er war jahrelang der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung. Er hat erklärt, die Iraker sollten die Bomben als Geschenke des Himmels betrachten. Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, machen Sie Schluss mit diesem menschenverachtenden, die Menschenrechte verachtenden, die UN verachtenden Kurs! Bringen Sie Ihre Partei auf eine Linie, die dann wieder als christlich bezeichnet werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden der FDPFraktion, Herrn Dr. Rösler.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein bisschen ist das hier auch wie auf Landesparteitagen, Frau Harms. Man muss aufpassen, dass man vor lauter Friedensdemonstrationen nicht die eigentlichen Ziele und Aufgaben auch dieses Parlamentes aus den Augen verliert.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich hätte mir gewünscht, dass von Ihrer Rolle als Oppositionsfraktion ein knackiger landespoliti

scher Antrag gekommen wäre, anstatt einfallslos der Bundes- oder gar Weltpolitik hinterherzulaufen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zurufe von den GRÜNEN)

Aber nichtsdestotrotz will ich Ihnen hier keine Antwort schuldig bleiben. Ich möchte deutlich machen, dass es uns wichtig ist, uns hier nicht in Betroffenheitsritualen zu ergehen. Wir müssen an dieser Stelle einmal deutlich machen, wenn wir den Krieg auch nicht verhindern oder beenden können, wer es denn kann oder zumindest können sollte. Das eigentlich Schlimme an dieser Auseinandersetzung ist nicht alleine das Militärische, sondern letztlich die Erkenntnis, dass es in der Welt anscheinend keine Autorität mehr gibt, die in der Lage wäre, Konflikte friedlich zu lösen.

(Beifall bei der FDP - Zuruf von der SPD: So eine Geschichtsklitterung! - Weitere Zurufe von der SPD)

Diese Autorität gab es bis vor kurzem. Sie wurde von zwei Seiten angegriffen. Es wäre sicherlich notwendig gewesen, die Resolution 1441 nochmals in den Sicherheitsrat einzubringen, dort auch noch einmal zu diskutieren und klar und eindeutig entscheiden zu lassen, auch auf die Gefahr hin, dass man dann womöglich keine Legitimation für ein militärisches Eingreifen bekommt. Aber umgekehrt ist es auch ein Untergraben von Autorität, wenn man von vornherein in breiter Öffentlichkeit deutlich macht, dass, egal wie ein Sicherheitsrat entscheidet, man in jedem Fall nur die Meinung akzeptiert, welche die eigene ist. Letztlich, wenn man das boshaft so sagen will, sind sich - ob nun gewollt oder nicht gewollt

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Unruhe bei der SPD)