Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Aber nicht, solange Sie reden!)

Als Beispiel möchte ich den Auftritt der ehemaligen Ministerin bei den Feierabendgesprächen des Niedersächsischen Landesjugendrings am 18. September 2003 nennen. Herr Jüttner, das sollten Sie sich anhören! In einer Stellungnahme machte Frau Dr. Trauernicht-Jordan den falschen Vorwurf an unsere Sozialministerin, die neue Ministerin kürze in der Jugendarbeit und sperre dafür lieber Kinder ein. - Das ist Ihr Verständnis von solider Politik, Frau Dr. Trauernicht-Jordan, solchen Unsinn öffentlich zu vertreten. Ich hatte Ihnen schon damals mitgeteilt, dass ich diese These für hochgradig unseriös halte und Sie damit Ihrer eigenen Kabinettsvorlage widersprechen.

Insgesamt sind die Landesregierung und das federführende Ministerium in dieser Frage auf einem guten Weg. Daher können wir den aktuell von der SPD-Fraktion vorgelegten Antrag als abgearbeitet ansehen. Er ist in zahlreichen Punkten leider auch widersprüchlich, nicht zielführend und zieht erheblich mehr Bürokratie nach sich.

Als ein Beispiel für mehr Bürokratie nenne ich - -

Herr Kollege, das können Sie nicht mehr vortragen. Ihre Redezeit ist schon lange abgelaufen.

Als Beispiel nenne ich nur, dass Sie eine Aufsichtskommission einsetzen wollen.

Zum Schluss: Dieser Antrag ist das Weiterführen einer Politik nach dem Motto „Mal sind wir dafür, mal sind wir dagegen, mal wissen wir eigentlich selber nicht, was wir wollen“. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen. - Danke sehr.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Janssen-Kucz hat das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Thümler, Sie sprachen von einem Zickzackkurs und davon, dass die SPD nicht wisse, welche Position sie vertrete.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist bei den Grünen auch so!)

Sie hatten immer eine ganz klare Position in Sachen geschlossene Heimunterbringung für Kinder. In großen Teilen gab es in der letzten Legislaturperiode zu diesem Thema auch eine große Koalition mit der SPD. Ich finde es gut, dass die SPD endlich anfängt, differenzierter und fachlicher mit diesem Thema umzugehen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Jetzt komme ich aber auf Sie zu sprechen. Im April 2003, also vor genau einem Jahr, haben Sie großspurig versprochen, dass Sie das Problem anpacken und dass Sie Kinder wegschließen. Dies geschah unter dem schönen Titel „Hilfe für Intensivtäter“. Sie wollten also eine geschlossene Unterbringung. Sie haben auch gesagt - ich kann mich dessen sehr wohl entsinnen -, dass die Maßnahmen natürlich in ein erzieherisches und therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet sein sollen. Wo aber bleibt dieses Konzept? Wo bleibt die konkrete Bedarfsanalyse?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Bis heute haben wir dazu nichts auf dem Tisch. Bei der Beratung des SPD-Antrages wurde von der CDU behauptet, der Antrag sei überflüssig, er sei praktisch erledigt. Herr Thümler hat gerade versucht, es wieder so darzustellen, als sei alles konsequent und solide abgearbeitet. Ich frage mich wirklich, was Sie in einem Jahr konsequent und solide abgearbeitet haben. - Njet!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Erstens scheuen Sie die fachliche Auseinandersetzung mit der Opposition im Ausschuss. Sie haben keine Bedarfsplanung vorgelegt, Sie haben kein pädagogisches Konzept, und Sie haben noch

nicht einmal einen Standort, an dem Sie Ihr geschlossenes Heim errichten könnten. Ihre Vorstellung, jugendliche Intensivtäter aus Niedersachsen auf Anregung von Spiegel und Focus künftig nach Ostfriesland oder ins Emsland zu verfrachten, ist an der mangelnden Akzeptanz vor Ort gescheitert. Selbst der einzige Träger, der übrig geblieben war, ist mittlerweile abgesprungen. Woran ist das Vorhaben gescheitert? - Es ist an dem CDU-Landrat Hermann Bröring im Emsland gescheitert.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Bernd Althusmann [CDU]: Das ist einer der besten Land- räte, die wir haben!)

- In dieser Sache hat er eine weise Entscheidung getroffen. Ich gehe einmal davon aus, dass Herr Bröring in seinem CDU-regierten Landkreis keine geschlossene Einrichtung vor der Haustür haben wollte. Vielleicht wollte Herr Busemann das in Dörpen in unmittelbarer Nähe auch nicht. Ich glaube, Sie haben in Ihren eigenen Reihen noch sehr viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Meine Damen und Herren, ich will noch einmal auf das Kriseninterventionsteam zu sprechen kommen. Nach dessen Bericht ist von sechs bis acht Kindern in Niedersachsen auszugehen, bei denen eventuell freiheitsentziehende Maßnahmen angezeigt sein könnten. Auf Nachfragen, was aus diesen Kindern mit einer entsprechenden Diagnose in der Zwischenzeit, nach einem Jahr, geworden ist, hieß es: Wir wissen nicht, was aus diesen Kindern geworden ist. - Wenn dem wirklich so ist, haben Sie die Kommunen mit diesen Kindern im Regen stehen lassen. Das macht doch deutlich, dass es Ihnen nicht um Hilfen für diese Kinder geht, auch nicht um Hilfen für kommunale Jugendämter. Es geht Ihnen einzig und allein darum, weiterhin Stammtische zu bedienen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Trotzdem stellen Sie sich hierhin und behaupten, Sie hätten alles im Griff.

Es geht doch darum, umfassende Hilfen für strafunmündige Kinder anzubieten und den örtlichen Jugendämtern Hilfestellung zu geben. Nehmen Sie die 1,065 Millionen Euro, die Sie für die geschlossene Unterbringung nicht ausgeben können, doch einfach und investieren Sie sie in Präventionsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche und unterstützen Sie damit die Arbeit vor Ort! Diese ist

nämlich sehr kostenintensiv. Legen Sie Ihre Handlungsempfehlungen zum KIT auf den Tisch, damit sich auch der Ausschuss damit befassen kann und die Befassung nicht im stillen Kämmerlein passiert.

Frau Kollegin, wenn Sie über das Emsland sprechen, habe ich Schwierigkeiten, Sie abzuklingeln. Es muss aber sein; denn Sie haben Ihre Redezeit schon um eine Minute, um 25 % überzogen.

Sie werden den vorliegenden Antrag heute ablehnen. Ich verspreche Ihnen aber eines: Wir werden weiterhin den Finger in die Wunde legen, wenn es um den Umgang mit straffälligen Kindern und um das Wegsperren dieser Kinder geht. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Danke sehr. - Frau Kollegin Meißner, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Meta Janssen-Kucz, liebe Frau TrauernichtJordan, ich wundere mich ein bisschen darüber, dass Sie mir praktisch eine Steilvorlage gegeben haben. Vieles von dem, was Sie gesagt haben, ist nämlich leicht widerlegbar. Es ist folgendermaßen: Spätestens seit 1997 gibt es hier im Landtag - damals gehörte ich dem Landtag noch nicht an; ich habe dies aber nachgelesen - Diskussionen über den Bedarf an geschlossener Unterbringung für jugendliche Straftäter oder für Kinder, die Straftäter sind. Es ist damals unter der SPDRegierung sogar gesagt worden, man wollte dafür 30 bis 40 Plätze vorhalten. Vielleicht ist es ganz gut, dass die SPD nicht gehandelt hat; denn 30 bis 40 Plätze wären zu viel gewesen. Wenn diese Plätze eingerichtet worden wären, hätten wir jetzt noch mehr Schulden, als wir tatsächlich haben.

Wir haben, nachdem vorher viel geredet und nichts getan wurde, letztes Jahr den Entschließungsantrag betreffend Hilfe für Intensivtäter - das hat Herr Thümler bereits gesagt - eingebracht. Damals lag der Abschlussbericht des KIT noch nicht vor. Inzwischen liegt er aber vor. Er besagt, dass für sechs bis acht Plätze für Kinder ein Bedarf besteht.

(Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan [SPD]: Nein, das sagt er mit Sicherheit nicht!)

- Doch, das sagt er. Das kann man schon so interpretieren. Sie schreiben in Ihrem Antrag, es gebe keinen einheitlichen Bedarf bei Kindern. Das ist völlig klar. Jedes Kind hat eine andere Persönlichkeit, und auf diese muss man in unterschiedlicher Weise eingehen. Das ist aber auch beabsichtigt.

Es ist also so, dass wir den KIT-Bericht abgewartet haben. Es sind auch Mittel zur Verfügung gestellt worden. Die Regierung ist zudem mit potenziellen Trägern im Gespräch.

(Dr. Brigitte Trauernicht-Jordan [SPD]: Mit welchen?)

Es wäre sicherlich verkehrt, etwas über das Knie zu brechen.

Nun zu Ihrem Antrag. Es geht jetzt darum, dem Entschließungsantrag entweder zuzustimmen oder ihn abzulehnen. Sie haben uns vorgeworfen, wir lehnten ganz wichtige Punkte ab, und das sei schlimm. Ich sage Ihnen jetzt einmal, warum wir den Antrag ablehnen.

Erstens. Sie sagen, wir sollten ein Konzept für den Umgang mit strafunmündigen Kindern vorlegen. Der entscheidende Punkt ist, dass das Land keine Zuständigkeit hat. Die Zuständigkeit liegt bei den Kommunen. Das soll nicht heißen, dass man sich da heraushält. Man kann den Kommunen aber nicht in ihre Handlungshoheit hineinreden. Damit habe ich den Grund genannt, warum den einzelnen Jugendämtern vonseiten des Landes nicht unbedingt hereingeredet wird. Trotzdem gibt es die Gesamthoheit. - Aus den dargelegten Gründen ist dieser erste genannte Punkt schon einmal falsch.

Zweitens ist zu sagen, dass es eine Diskussion und einen Austausch mit anderen Ländern bereits gibt. Es gab auch schon niedersächsische Kinder, die z. B. in Bayern oder Baden-Württemberg untergebracht waren. Entsprechendes wird es in Zukunft auch bei uns geben, wenn wir hier in Niedersachsen eine entsprechende eigene Einrichtung haben, weil es für die betreffenden Kinder im Einzelfall vielleicht sogar besser sein kann, in anderen Bundesländern untergebracht zu werden. Trotzdem brauchen wir in Niedersachsen eine eigene Einrichtung. - Im Hinblick auf den zweiten Punkt lässt sich somit sagen: Das passiert bereits.

Drittens. Auch für die Finanzierung sind die Weichen bereits gestellt worden. Damit ist auch dieser Punkt erledigt.

Viertens. Es ist überflüssig, auf Landesebene jetzt noch eine weitere Aufsichtskommission einzurichten, obwohl das Land hier gar nicht zuständig ist, sondern das staatliche Landesjugendamt. Die Einrichtung einer solchen Kommission bedeutete nur mehr Bürokratie. Wir werden entsprechend handeln, falls es tatsächlich eine andere Regelung im SGB VIII geben sollte. Solange das nicht der Fall ist, ist es richtig, dass es auf Landesebene nicht noch eine weitere Aufsichtskommission gibt.

Sie merken, wir haben nicht nur gesagt, was wir machen wollen, sondern wir sind auch dabei, es zu tun. Deshalb haben wir gute Gründe, Ihren Antrag zum Teil als überflüssig zu betrachten und in Gänze abzulehnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank. - Das Wort hat jetzt Frau Ministerin Dr. von der Leyen. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinder, die als strafunmündige Intensivtäter auffallen, haben meist schon eine langwierige und für alle Beteiligten frustrane Odyssee hinter sich, ohne dass es gelungen ist, sie wieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Um Familien mit Kindern und Jugendlichen, die Unterstützung und Hilfe bei der Erziehung benötigen, wirksam helfen zu können, haben wir in Niedersachsen ein dichtes Netz an ambulanten, teilstationären und stationären Hilfen. Diese Hilfen werden sowohl von öffentlichen als auch von freien Trägern angeboten. Dennoch - dies wissen wir alle - fallen junge Menschen immer wieder durch die Maschen. Ihnen werden die bestehenden Angebote offensichtlich nicht gerecht, und bei ihnen ist es nicht gelungen, zur richtigen Zeit die richtige Hilfe zu geben. Dies wollen wir ändern.

(Zustimmung bei der CDU)

Aus diesem Grunde hat der Niedersächsische Landtag die Landesregierung in seiner Sitzung im Juni 2003 gebeten, wirksame Rahmenbedingungen für eine geschlossene Heimunterbringung für

den ganz kleinen Kreis hochgradig gefährdeter und delinquenter Kinder und Jugendlicher zu schaffen. Wir beabsichtigen, diese Lücke im Angebot der Erziehungshilfen zu schließen.

(Beifall bei der CDU - Wolfgang Jütt- ner [SPD]: Und wann?)

Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen: Der Bedarf an Plätzen für eine geschlossene Heimunterbringung ist begrenzt. Für diese Kinder muss das Land mehr Verantwortung übernehmen, als es das Jugendhilferecht in seinen Zuständigkeitsvorschriften fordert. Wir werden dafür sorgen, dass es auch in Niedersachsen Plätze für strafunmündige Intensivtäter gibt, ohne den Kommunen aber die Verantwortung, die ihnen qua Gesetz für die einzelnen Kinder übertragen worden ist, abzunehmen. Das heißt, wir brauchen gar kein neues Programm des Landes, weil wir in Niedersachsen nach Schließen dieser Lücke im Angebot der Kinder- und Jugendhilfe alle nur denkbaren Hilfearten vorhalten.