Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

Aber nicht nur das. Sie kürzen bei allen Ganztagsschulen - auch bei den bestehenden - den Anspruch auf Zusatzstunden derart dramatisch, dass z. B. der Anspruch an meiner Hauptschule, die Ganztagsschule ist, von jetzt 60 Stunden Zusatzbedarf auf 24 Stunden gekürzt wird. Eine sinnvolle pädagogische Arbeit ist so nicht mehr möglich. Die Schulen im Lande sind auch nicht dankbar für dieses Konzept. Wenn man sich vor Ort blicken lässt und mit deren Vertretern redet, dann erfährt man, dass sie entsetzt darüber sind, dass sämtliche ihrer pädagogischen Konzepte durch das, was Sie mit Ihrem Ganztagsschulerlass und Ihrem Unterrichtsversorgungserlass bewirken, kaputt gemacht werden. Ein Fördern der Lernstarken oder der Lernschwachen in einem Ganztagsschulprogramm ist so überhaupt nicht möglich.

(Beifall bei der SPD)

Dass die Schulträger ihre Anträge aufrechterhalten haben, hat etwas damit zu tun, dass das Programm der Bundesregierung nicht etwa die pädagogische Arbeit - denn das ist die Aufgabe des Landes - unterstützen, sondern die bauliche Situation der Schulen verbessern wollte. Die Schulträger haben ihre Anträge aufrechterhalten, damit sie wenigstens die bauliche Ausstattung entweder erhalten oder verbessern können. Das, was Sie machen, indem Sie den Schulen einfach nur das Etikett „Ganztagsschule“ geben, um an die Bundesmittel heranzukommen, finde ich ziemlich unredlich.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung hat Minister Busemann noch einmal das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur eines klarstellen. Hier wurde soeben der Vorwurf erhoben, ich bzw. das Kultusministerium würde Hauptschulen bei der Genehmigung von Ganztagsschulstandorten bevorzugen. Ich darf insoweit daran erinnern, dass es einen mit „Haupt

schulprofilierungsprogramm“ überschriebenen Landtagsbeschluss gibt, wonach die Landesregierung bzw. das Kultusministerium Hauptschulen bei der Vergabe von Ganztagsangeboten zu bevorzugen hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist die Wahrheit. Diese Vorgabe befolgen wir im Übrigen auch deshalb, weil wir diesen Beschluss für sehr modern und sehr richtig halten.

Was die behauptete Benachteiligung von Gesamtschulen bei Neuzuerkennung von Ganztagsangeboten anbelangt, so kann ich Ihnen Folgendes sagen: Wenn Sie sich die Gesamtzahl der Gesamtschulen in Niedersachsen vor Augen führen, dann erkennen Sie, dass zurzeit schon 54 % aller Standorte ein Ganztagsangebot haben. Also bitte!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Ist jemand dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Das Erste war die Mehrheit.

Wir kommen nun zu

Tagesordnungspunkt 18: Zweite Beratung: Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre aussetzen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 15/802 - Beschlussempfehlung des Kultusausschusses - Drs. 15/968

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet auf Ablehnung. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Zu Wort gemeldet hat sich die Abgeordnete Korter von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich erteile es ihr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- danke schön! -, die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre zumindest so lange auszusetzen, bis die Umstellungsprobleme im Zuge der Schulstrukturreform überwunden sind und bis wir gesicherte Erkenntnisse aus anderen Bundesländern haben.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung - das habe ich Ihnen schon einmal gesagt - trägt ihren falschen Ehrgeiz, bei der Einführung des Abiturs nach Klasse 12 möglichst schnell zu sein, auf dem Rücken der Kinder aus, die jetzt ohnehin die Umstellung der Schulstrukturreform zu verkraften haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Kinder, die jetzt in Klasse 5 und 6 an die Gymnasien kommen, sind die Versuchskaninchen des Ministers. An ihnen wird das erste Mal getestet, ob die Grundschulkolleginnenn mit ihren Schullaufbahnempfehlungen richtig lagen. An ihnen wird getestet, wie es ist, wenn man an über 130 Außenstellen in Niedersachsen weit entfernt, oft Kilometer entfernt von seiner Stammschule, beschult wird und diese gar nicht erst kennt, geschweige denn an einem gemeinsamen Schulleben teilnehmen kann. An diesen Kindern wird getestet, wie es ist, wenn man auf ein neu zusammengesetztes Kollegium trifft, an dem ein Großteil der Lehrerinnen und Lehrer gar nicht für das Gymnasium ausgebildet ist und sich dort erst einmal finden muss, und wie es ist, wenn man ganz ohne Ganztagsschulstruktur ab Klasse 8, 9 und 10 so viele Stunden in der Schule, für die Schule und mit der Schule arbeitet, dass man in der Folge länger arbeitet als die berufstätigen Eltern.

Ohne Not, Herr Minister, wollen Sie diese überstürzte Reform in Niedersachsen durchziehen, und Sie können kein einziges pädagogisches Argument dafür anführen, weshalb das jetzt sein muss. Auch Ihre Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss haben das nie gekonnt. Sie berufen sich einfach darauf: In anderen Bundesländern ist das auch so; wir wollen mitziehen!

Haben Sie denn einmal geschaut, ob das Abitur nach Klasse 12 ein Erfolgsmodell in anderen Bundesländern ist, oder beten Sie einfach nur nach, was von dort kommt? - Ich möchte einige Beispiele anführen. Als in Baden-Württemberg das Abi nach Klasse 12 auf freiwilliger Basis eingeführt werden sollte, haben sich die Eltern massiv dagegen gewehrt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das stimmt doch gar nicht, Frau Korter! Kein Mensch hat das gesagt!)

In Bayern wird das Abi nach Klasse 12 gegen den massiven Widerstand des Philologenverbandes eingeführt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist Ihr Freund!)

- Herr Klare, hören Sie doch erst einmal zu!

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Ich weiß doch, was Sie sagen, Sie haben es doch schon 20-mal gesagt!)

Im Saarland stöhnt man inzwischen über die Mehrbelastung der Schülerinnen und Schüler, und die Sportvereine, Pfadfinder und Musikschulen klagen dort, dass die Jugendarbeit

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

quasi über Nacht eingeschlafen ist, weil Gymnasialschüler durch ihre schulischen Belastungen in der Jugendarbeit ausfallen.

(Zuruf von der CDU: Das sind alles Argumente!)

In Sachsen und Thüringen - beide nach der Wende beim Abi nach Klasse 12 geblieben - scheitern drei- bis sechsmal so viele Schülerinnen und Schüler. Schon jetzt hängt in keinem Land der Schulerfolg so sehr vom sozialen Kontext ab wie bei uns.

(Zuruf von der CDU)

Eines muss Ihnen doch klar sein: Wer in acht Jahren Gymnasium in komprimierter Form noch rascher das schaffen soll, wofür andere sonst neun Jahre Zeit hatten - und da brauchten schon nahezu 30 % unserer Abiturienten ein Jahr länger -, wird damit rechnen müssen, dass ein Großteil der Schülerinnen und Schüler das Abi nur mit zusätzlicher Unterstützung, mit Nachhilfe schafft - oder überhaupt nicht.

Herr Busemann, Sie verantworten damit, dass unsere Abiturquoten sinken und sich bayerischen Verhältnissen anpassen werden. Ich halte Ihr Vorgehen für verantwortungslos und fordere Sie auf, die Einführung des Abiturs nach Klasse 12 auszusetzen. Damit würden Sie - hier beantworte ich auch die Frage des Kollegen Schwarz - mindestens 1 000 Lehrerstellen einsparen, die Sie ganz dringend für die Ausstattung der Ganztagsschulen brauchen. - Danke schön.

(Beifall bei GRÜNEN und bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Albrecht das Wort. Ich erteile es ihm.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren! Mit dem jetzt zu beratenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen - Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur auf 12 Jahre aussetzen - haben mich die Antragsteller doch sehr enttäuscht. In der Ausschussberatung sind über die in diesem Antrag enthaltenen Überlegungen hinaus keine weiteren, überzeugenden Argumente vorgetragen worden.

In ihrem Antrag lamentieren die Grünen, die Schulstrukturreform bringe zum kommenden Schuljahr massive Umstellungsprobleme mit sich, weil drei Jahrgänge gleichzeitig in die weiterführenden Schulen aufgenommen werden. In ihren Vorstellungen brechen die Schulen zusammen und enden im Chaos.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, für wie schwach und zerbrechlich halten Sie eigentlich unsere niedersächsischen Lehrerinnen und Lehrer?!

(Beifall bei der CDU - Widerspruch bei den GRÜNEN)

Nach meinen intensiven Beobachtungen und aus sehr, sehr vielen Gesprächen weiß ich: Die Kolleginnen und Kollegen bereiten sich ganz professionell und sachlich auf die Veränderungen des neuen Schuljahres vor,

(Zuruf von der CDU: Ja, so ist es!)

allen Horrorvisionen mancher GEW-Funktionäre zum Trotz.

(Beifall bei der CDU - Karl-Heinz Klare [CDU]: Und Grünen-Funktionäre!)

Den Wechsel des 7. Schuljahrgangs erledigen die weiterführenden Schulen mit großer Routine - wie in den vergangenen 20 Jahren auch. Wo ist denn da ein Problem? Auf die neuen Jahrgänge 5 und 6 bereiten sich die Schulen vor, und die meisten freuen sich sehr auf die Fünft- und Sechstklässler. Die allermeisten Lehrkräfte, die diese Kinder unterrichten werden, haben durchaus Unterrichtserfahrung mit diesen Jahrgängen: Entweder waren sie in der Vergangenheit an Orientierungsstufen abgeordnet, oder sie werden jetzt direkt von den Orientierungsstufen an die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium versetzt.

Und diese Kolleginnen und Kollegen können auch nach einer Versetzung an eine andere Schule weiterhin unterrichten. Das verlernt man doch nicht, nur weil man eventuell in einem anderen Gebäude mit anderen Menschen zusammen arbeiten wird!

Ich weiß nicht, welcher Berufsbedenkenträger Ihnen da etwas vorgejammert hat. Ich kenne meine Kolleginnen und Kollegen ganz anders, von der Grundschule bis zum Gymnasium: Sie sind fachlich qualifiziert, sie können unterrichten, zetern nicht herum, sondern lösen die ihnen gestellten Aufgaben mit großer Bravour, auch wenn das hier im Haus nicht immer so gesehen wird.