Protokoll der Sitzung vom 29.04.2004

Ich weiß nicht, welcher Berufsbedenkenträger Ihnen da etwas vorgejammert hat. Ich kenne meine Kolleginnen und Kollegen ganz anders, von der Grundschule bis zum Gymnasium: Sie sind fachlich qualifiziert, sie können unterrichten, zetern nicht herum, sondern lösen die ihnen gestellten Aufgaben mit großer Bravour, auch wenn das hier im Haus nicht immer so gesehen wird.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Das ist reine Mäkelei!)

Natürlich ergeben sich Veränderungen durch den Wegfall der Orientierungsstufe. Neben der äußeren Veränderung werden wir auch inhaltliche Erneuerung in den Schulen erleben. Für die Jahrgänge 5 und 6 wird es neue currikulare Rahmenbedingungen mit entsprechenden Umgestaltungen der Unterrichtsinhalte geben.

Aber Veränderungen in der Schule haben wir in den letzten zehn Jahren auch immer wieder erlebt, und unsere Lehrkräfte haben sie gemeistert. Was glauben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Landtag, die Sie die Schule nur von kurzen Besuchen kennen, wie die Schulen wichtige Veränderungen in der Vergangenheit häufig mittels Schnellbrief aus den Bezirksregierungen mitgeteilt bekommen haben und in allerkürzester Zeit darauf reagieren mussten?!

(Zuruf von Ina Korter [GRÜNE])

Das lag damals nicht an den Bezirksregierungen, die Informationen einfach nicht rechtzeitig weitergegeben hätten, um die Schulpolitik der Landesregierung zu torpedieren.

(Zuruf von der CDU: Jede Woche kam etwas anderes!)

Was ich eben allgemein für alle Schulen gesagt habe, gilt für die Gymnasien genauso. Unsere Lehrerinnen und Lehrer an diesen Schulen bereiten sich sehr gewissenhaft schon jetzt auf die Veränderungen vor. Für die neuen 5. und 6. Jahrgänge haben auch viele Gymnasiallehrerinnen und -lehrer durchaus Unterrichtserfahrung: Sie haben in großer Zahl an den Orientierungsstufen ganz oder zumindest teilweise gearbeitet. Die Lehrkräfte, die von den Orientierungsstufen an die Gymnasien versetzt werden und in ihrer Ausbildung keine Gymnasialfakultas

(Zuruf von den GRÜNEN)

erworben haben, werden in den meisten Fällen erst einmal überwiegend in den Jahrgängen 5 und 6 eingesetzt und können somit von ihrer Unterrichtserfahrung mit diesen Altersstufen profitieren.

(Ina Korter [GRÜNE]: Wie viele sind das denn?)

Diese Lehrkräfte haben in der Orientierungsstufe auch schon gymnasialfähige Kinder unterrichtet. Also auch kein Problem.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD)

Sie müssen sich allerdings - ich habe es eben bereits angedeutet - auf neue Rahmenrichtlinien einstellen. Inhalte, die den Kindern vermittelt werden, werden der jeweiligen Schulform entsprechend verändert. Ich denke, dazu sind diese Kolleginnen und Kollegen durchaus in der Lage. Nur Sie, liebe Damen und Herren von den Grünen, wollen gerade diesen Lehrkräften mit der geforderten Verschiebung zusätzliche Arbeit aufbürden. Jetzt arbeiten sich diese Lehrkräfte in für sie neue Rahmenrichtlinien ein.

(Zuruf von Ina Korter [GRÜNE])

Nach Ihrer Vorstellung im Antrag müssten sich diese Kolleginnen und Kollegen in zwei oder drei Jahren auf wiederum neue Rahmenrichtlinien für die Verkürzung der Schulzeit auf zwölf Jahre einstellen und alles, was sie sich in der Zwischenzeit

neu erarbeitet haben, wieder in den Papierkorb werfen. Das ist ja nun wirklich völlig überflüssig. Jetzt stellen sich alle um, und dann auch gleich auf die neuen currikularen Vorgaben für die achtjährige Gymnasialzeit. Damit entlasten wir die Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU - Ina Korter [GRÜNE]: Die Logik kann ich nicht nachvollziehen!)

Was die von Ihnen angesprochenen Probleme auf der Schülerseite angeht, liegen Sie nun genauso falsch. Ihre Sorge um die Heterogenität der Schülerschaft in den kommenden Gymnasialklassen ist geradezu rührend. Noch heterogener als in den letzten Jahren kann die Zusammensetzung in den 7. Klassen an den öffentlichen Gymnasien gar nicht mehr werden. Schon jetzt sitzen neben Kindern mit Gymnasialempfehlung und lauter guten und sehr guten Noten Kinder mit Hauptschulempfehlung und nur ausreichenden und mangelhaften Noten im Orientierungsstufenzeugnis. Also nichts Neues und aus dieser Sicht auch kein Problem - einmal ganz unabhängig von der Frage einer möglichen Überforderung dieser Kinder durch besonders uneinsichtige Eltern.

Das Anwahlverhalten für die weiterführenden Schulen spielt bei der Frage der Schulzeitverkürzung nun überhaupt keine Rolle. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Gymnasien ist für diese Frage irrelevant. Man könnte sogar umgekehrt sagen: Je mehr Kinder auf das Gymnasium wechseln, desto wichtiger ist die sofortige Einführung der Verkürzung der Schulzeit; denn - und das ist ja der wesentliche Grund für die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur - wir haben in Deutschland eine viel zu lange Schulzeit; unsere jungen Menschen lassen wir erst frühestens mit 19 Jahren in eine universitäre oder sonstige berufliche Bildung. Je eher wir die zwölfjährige Schulzeit einführen, desto besser. Denn für die Kinder ist dies ein gewonnenes Jahr, das sie sehr viel besser für ihre weitere Ausbildung und Lebensplanung nutzen können.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie mir abschließend noch einen kurzen Blick in die niedersächsische Schulgeschichte. Die Abiturientinnen und Abiturienten, die ihre Reifeprüfung zwischen 1966 und 1978 abgelegt haben, haben auch fast alle nur ca. zwölf Jahre lang die Schule besucht, und zwar aufgrund der damaligen

Kurzschuljahre zur Verlegung des Schuljahresbeginns auf den Sommer. Ich schaue einmal in die Runde. Hier im Saal sitzen auch einige von diesen Jahrgängen: Frau Harms z. B. oder auch Herr Hagenah, und ich meine, auch Frau Korter. Diese Schulzeitverkürzung hat Ihnen offensichtlich nicht geschadet.

(Rebecca Harms [GRÜNE]: 5. und 6. Klasse! Aber es gab auch andere Fälle! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ich auch!)

- Sie auch, Entschuldigung.

Herr Kollege Albrecht, kommen Sie bitte zum Ende.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was Ihnen nicht geschadet hat, das sollten Sie auch unseren Kindern gönnen, und zwar so schnell möglich.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Poppe das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Albrecht, eines ist überhaupt nicht zu bestreiten: Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen enthält eine völlig zutreffende Diagnose der massiven Fehlsteuerungen, die durch die so genannte Schulstrukturreform der CDU/FDPLandesregierung verursacht worden sind.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Um diese These zu stützen, muss man sich nur einmal in den Städten und Gemeinden im Lande Niedersachsen umsehen und umhören.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Da ist z. B. oft immer noch nicht klar, ob Schulen bestehen bleiben können, ob und wie Außenstellenregelungen greifen sollen. Eltern sind über längere Fahrten verärgert. Das sind aber nur die Probleme der Schulstruktur selbst. Da, wo Schüle

rinnen und Schüler unmittelbar betroffen sind, sieht es noch schlimmer aus. Diejenigen, die in der Jahrgangsstufe 5 noch die verkürzte Orientierungsstufe erleben mussten, wurden unter hohem Zeitdruck durch Lehrkräfte aussortiert, die sie gerade erst kennen gelernt hatten und die mit diesem Problem alleingelassen wurden. Aber Herr Minister Busemann brüstet sich mit Zahlen über Empfehlungen und Elternwünsche, die alles zeigen, nur nicht, dass er im Plan liegt.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Man muss sich nur einmal die offizielle Homepage des Kultusministeriums ansehen, dann sieht man das ganze Desaster: Abweichungen von bis zu 30 % zwischen den Landkreisen mit der höchsten und der geringsten Zahl der Hauptschulempfehlungen, Abweichungen von weit über 20 % auch zwischen den Landkreisen mit der höchsten und geringsten Zahl der Gymnasialempfehlungen. Was verrät das? - Empfehlungen nach Klasse 4 sind ein Lotteriespiel, und die Verlierer sind die Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Daraus folgend wird es Verwerfungen und Umgruppierungen geben. Die betroffenen Lehrkräfte werden sich sicherlich mit bestem Willen und hohem Engagement an die Arbeit machen, aber an eine Arbeit, die für sie in vielen Bereichen neu und gewöhnungsbedürftig sein wird.

Das alles ist als Beobachtung richtig. Dennoch wird die SPD-Fraktion dem Antrag auf ein Aussetzen der Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur nicht zustimmen. Denn es gibt grundsätzlich gute Gründe für eine Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur. Auch die SPD war mit dem Abitur in zwei Geschwindigkeiten schon auf dem Weg dahin. Was wichtiger ist: In der jetzigen Situation müssen wir uns als verantwortliche Politiker fragen, ob ein Vorhaben den Betroffenen in ihrer Lage hilft oder nicht. Unsere Einschätzung ist: Die Diagnose ist richtig, aber der Therapievorschlag ist ungeeignet. Die Schülerinnen und Schüler, die sich jetzt z. B. für das Gymnasium entscheiden, tun dies unter bestimmten ihnen jetzt bekannten Voraussetzungen, über die sie informiert worden sind und von denen sie ausgehen, auch wenn die Schwierigkeiten als hohe Hürden vor ihnen stehen. Durch ein erneutes Umsteuern, eine erneute gravierende

Veränderung der Bedingungen würden viele noch mehr verunsichert, als sie es jetzt schon sind.

Hinzu kommen die Unklarheiten in dem vorgelegten Antrag selbst. Wie lange soll die Verkürzung ausgesetzt werden? Soll die empfohlene Erleichterung der individuellen Verkürzung - also des Überspringens - auf Jahrgang 11 beschränkt sein? Wird sie wieder rückgängig gemacht, wenn die Regelung zur Verkürzung der Schulzeit endgültig in Kraft tritt? - Alle diese Fragen sind nicht beantwortet, zu vieles bleibt offen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine Korrektur der massiven Fehlsteuerungen wird nach unserer Einschätzung erst dann möglich sein, wenn man wirklich von Durchlässigkeit und von gleichen Bedingungen für Schülerinnen und Schüler bis hin zum Abschluss der Sekundarstufe I sprechen kann. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass hier die Ziele liegen, für die es sich zu kämpfen lohnt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP hat der Abgeordnete Schwarz das Wort. Ich erteile es ihm.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte seit der ersten Beratung allen Ernstes die Hoffnung, dass dieser Antrag zurückgezogen würde. Ich habe nämlich überhaupt kein Verständnis dafür, dass ein solcher Antrag, der gegen den erklärten Willen aller Bildungspolitiker, die die Schule weiterentwickeln wollen, formuliert ist, überhaupt noch gestellt wird. Ich meine, Bündnis 90/Die Grünen stellt sich bei diesem Thema eindeutig als Bremser heraus.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die Auffassung der FDP zum Abitur nach zwölf Jahren ist bekannt. Wir stehen dazu. Wir haben uns dafür entschieden, und zwar deshalb, weil wir unsere Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen gegenüber denen aus anderen Bundesländern und dem europäischen Ausland konkurrenzfähig machen wollen.

(Reinhold Coenen [CDU]: Das ist richtig!)

Sie sollen vor allen Dingen ihre Chancen für die berufliche Entwicklung frühzeitig wahrnehmen können. Die Schülerinnen und Schüler unseres Landes sind in der Vergangenheit bei diesem Thema regelrecht benachteiligt worden. Es besteht also dringender Handlungsbedarf, auch vor dem Hintergrund, dass zurzeit aufgrund von Umstellungsproblemen, insbesondere auch an Gymnasien, hohe Anforderungen bestehen. Unsere Schüler laufen schon viel zu lange hinterher. Deshalb können wir mit der Umsetzung des Angebotes, das die jetzige Landesregierung gemacht hat, nicht länger warten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)