Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von Rot-Grün gestern im Bundestag beschlossene kommunale Optionsgesetz ist unbrauchbar.
Nach wie vor wollen viele Kommunen in Niedersachsen gern für die Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitssuchende optieren. Aber von dem beschlossenen Optionsgesetz sind sie bitter enttäuscht.
Das reiht sich ein in den enttäuschenden Frühlingsbeginn mit über 4,5 Millionen Arbeitslosen in Deutschland. Das ist die schwächste Märzbelebung seit der Wiedervereinigung. Bundeswirtschaftsminister Clement schiebt das auf die schwache Konjunktur. Aber in Wirklichkeit hat RotGrün die hohe Arbeitslosigkeit hausgemacht.
Die Hartz-Reformen sind gescheitert, jedenfalls nach der rot-grünen Machart. Sie haben nur Flops statt Jobs gebracht. Die teuren Personal-ServiceAgenturen haben fast keine Arbeitsplätze gebracht, sie sind ein teurer Totalausfall: Für Beitragsgelder in Höhe von 230 Millionen Euro gibt es erst 7 700 Vermittlungen. Die Ich-AGs haben längst nicht die Erwartungen erfüllt. Auch der JobFloater ist ein sehr teurer Fehlschlag. Dazu kommt die nicht endende Diskussion um die Ausbildungsplatzabgabe. Das verunsichert die Betriebe. Nun haben wir die völlig verkorkste Umsetzung der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.
Durch Hartz IV werden die Kommunen nicht entlastet, sondern belastet, und zwar allein in Niedersachsen um rund 500 Millionen Euro anstelle der versprochenen Entlastung um rund 300 Millionen Euro. Das hat unser Sozialministerium sehr genau ausgerechnet; das sind verlässliche Zahlen. Das kommunale Optionsmodell als Herzstück erfolgreicher Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Sozialund Arbeitslosenhilfeempfängern ist nach derzeitigem Stand leider gescheitert. Konsequenz: Die Kommunen sind äußerst misstrauisch geworden und ziehen sich aus der bewährten und sehr erfolgreichen kommunalen Arbeitsmarktpolitik zurück. Mit dem im Bundestag beschlossenen kommunalen Optionsgesetz hat Rot-Grün die Vereinbarungen im Vermittlungsausschuss kaltschnäuzig gebrochen.
Vereinbart war und ist: Die Kommunen sollen Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende werden können. Das heißt, sie sollen eigenverantwortlich entscheiden und gestalten können. In der gemeinsamen Entschließung von Bundestag und Bundesrat heißt es wörtlich:
„Hierzu soll eine faire und gleichberechtigte Lösung entwickelt werden, die sicherstellt, dass die optierenden Kommunen nicht gegenüber den Agenturen für Arbeit benachteiligt werden.“
Diese Vereinbarungen unterläuft der rot-grüne Gesetzentwurf mit der Einführung einer Organleihe. Danach sollen die kommunalen Stellen die Aufgaben der Grundsicherung für Arbeitssuchende als Organe der Bundesagentur für Arbeit wahrnehmen. Damit sind die kommunalen Stellen nach der Gesetzesbegründung an die Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit gebunden, d. h. an deren bundeszentralistische Weisungen. Dass das nicht klappen kann, zeigt das Beispiel der Bildungsträger, die nicht mehr sicherstellen können, dass schwer vermittelbare Jugendliche Arbeits- bzw. Ausbildungsplätze bekommen. Das ist ein Schuss in den Ofen. So ähnlich wird es auch hier kommen.
Durch diese bundeszentralistischen Weisungen wird das kommunale Selbstverwaltungsrecht mit der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung und Trägerschaft ausgeschaltet. Das bedeutet,
Darüber hinaus ist noch die Rede davon, dass zwischen den Arbeitsagenturen und den Kommunen Zielvereinbarungen geschlossen werden können. Das ändert aber nichts daran, dass die Kommunen weisungsgebunden sind und jederzeit ans Gängelband genommen werden können.
Ein zweiter wesentlicher Grund macht das Optionsgesetz für die Kommunen unannehmbar, nämlich die nach wie vor unklare Finanzierung insbesondere der Verwaltungskosten und Eingliederungsleistungen. Nach wie vor wird keine klare verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen. Nur lapidar regelt das beschlossene Optionsgesetz, dass der Bund die Aufwendungen der kommunalen Stellen trägt. Dem Bund soll das Recht gegeben werden, die Kriterien für die Mittelverteilung durch eine simple Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates einseitig und willkürlich zu ändern. So geht es aber nicht.
Hinzu kommt nach wie vor die finanzielle Ausstattung. Rot-Grün hat in einer Entschließung im Bundestag für 2005 nur wenig mehr als 6 Milliarden Euro an Eingliederungsmitteln bereitgestellt. Das entspricht aber nur dem Niveau von 2002 allein für Arbeitslosenhilfeempfänger unter Ausklammerung der Sozialhilfeempfänger; diese kommen jetzt noch hinzu. Selbst das noch SPD-regierte NordrheinWestfalen hat an notwendigen Bundesmitteln für die Eingliederungspauschalen einen Bedarf in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro ausgerechnet.
Dies alles hat auch die öffentliche Anhörung zum Kommunalen Optionsgesetz am vergangenen Montag in Berlin bestätigt. Trotz dieser momentanen katastrophalen Lage geben CDU und FDP im Niedersächsischen Landtag nicht auf.
Wir wollen jede Chance nutzen, um doch noch zu einem Optionsgesetz zu kommen, das die Vereinbarungen im Vermittlungsausschuss vom Dezember umsetzt. Das gebietet die Verantwortung für die arbeitslosen Menschen.
Deshalb wollen wir das jetzt beschlossene Optionsgesetz im Vermittlungsverfahren so geändert haben, dass die Kommunen die Option doch noch
ausüben können: durch Ausgestaltung einer eigenverantwortlichen kommunalen Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitssuchende und durch eine gesicherte Finanzierung dieser Aufgabe. - Für den reibungslosen Start des neuen Sozialgesetzbuches II ist noch Zeit notwendig. Unabhängig von der kommunalen Option kommt die Bundesagentur für Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes nicht in die Puschen. Selbst der BA-Chef Weise hat sich nun für die Verschiebung der Reform ausgesprochen. Zitat:
Deshalb schlagen wir die Verschiebung des InKraft-Tretens des SGB II vielleicht um ein Jahr vor. Diese Zeit sollten wir auch nutzen, um das Optionsmodell in einzelnen Bundesländern modellhaft zu testen.
CDU und FDP im Niedersächsischen Landtag bitten die Landesregierung, im kommenden Vermittlungsverfahren alles zu tun, damit das Kommunale Optionsgesetz noch in letzter Sekunde gerettet und doch noch zum Erfolg für die vielen arbeitslosen Menschen in Deutschland und Niedersachsen wird.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Bundestag hat gestern das Optionsgesetz beschlossen. Damit besteht - anders, als es Herr Kollege Dr. Matthiesen hier vorgetragen hat die Möglichkeit, den Vermittlungskompromiss umzusetzen. Minister Clement hat dazu verbindlich erklärt:
gibt eine Revisionsklausel für den Fall, dass die versprochene Entlastung nicht in der Höhe von 2,5 Milliarden Euro eintrifft.“
Damit sind die Voraussetzungen für die zentrale Arbeitsmarktreform geschaffen, die die beschleunigte und verbesserte Eingliederung von Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt zum Ziel hat. Alle Länder und alle Parteien - also auch Sie - müssten ein Interesse daran haben, dass diese Arbeitsmarktreform gelingt. Das, was Sie hier eben vorgetragen haben, deutet aber nicht darauf hin, dass Sie das vorhaben.
Die Bundesregierung und die A-Länder haben ebenso wie Städte und Gemeinden dafür plädiert, dass die Bundesagentur für Arbeit allein zuständig ist für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Die Kommunen sollen mit den Arbeitsämtern Arbeitsgemeinschaften bilden, um ihre Kompetenzen einzubringen. CDU/CSU, FDP und die B-Länder haben wie der Landkreistag dafür plädiert, den Landkreisen und den kreisfreien Städten die Zuständigkeit zu übertragen. Dafür wäre - das wissen Sie aber eine Grundgesetzänderung erforderlich. Diese streben Sie jetzt über die Hintertür an.
Herausgekommen ist bei dieser Veranstaltung ein fragwürdiger Kompromiss: Die Bundesagentur ist zuständig, es soll örtliche Arbeitsgemeinschaften geben - wofür auch wir sind -, und die Kommunen, die die Zuständigkeit selbst übernehmen möchten - Sie sagen ja, das seien viele in Niedersachsen; ich glaube aber, dass es eher wenige sind -, haben eine Option darauf. Die haben sie jetzt auch.
Den Kompromiss ausgehandelt haben auf CDULänderseite die Herren Ministerpräsidenten Wulff und Koch. Sie haben verhindert, dass die Kommunen durch eine Revitalisierung der Gewerbesteuer nachhaltig entlastet werden.
(Beifall bei der SPD - Bernd Althus- mann [CDU]: Dieses Zitat merke ich mir für das nächste Plenum!)
Mitverantwortlich für den Vermittlungskompromiss ist, wie ich schon gesagt habe, im Wesentlichen die Niedersächsische Landesregierung. Tatsache ist: Ministerpräsident Wulff und Ministerpräsident Koch haben für die CDU/CSU-regierten Länder
den Kompromiss mit Wirtschaftsminister Clement ausgehandelt. Beklagen Sie sich jetzt nicht darüber, dass er gebrochen wird!
(Bernd Althusmann [CDU]: Können Sie das noch einmal erläutern? Das habe ich jetzt überhaupt nicht ver- standen! - Weitere Zurufe - Unruhe - Glocke des Präsidenten)
Die Herren Koch und Wulff haben die gesamte Finanzverteilung aus Hartz IV im Vermittlungsausschuss mit abgesegnet. Sie haben keine Revisionsklausel gefordert für den Fall, dass die geplante Einsparung bei den Kommunen nicht zustande kommt. Sie sollten gewusst haben, dass es zur Umsetzung des Optionsmodells eines verfassungskonformen Optionsgesetzes bedarf. Sie müssen schließlich gewusst haben, dass es bei der Bemessung der Fallpauschalen für Kommunen, die Langzeitarbeitslose in ihrer Regie betreuen wollen, Schwierigkeiten geben kann. In Kenntnis all dieser Probleme haben Wulff und Koch das Vermittlungsergebnis ausgehandelt, ihm zugestimmt und erklärt, man könne dieses Vermittlungsergebnis zum 1. Januar 2005 umsetzen. Das ist erst ein paar Monate her.
Offenbar gehört es bei dieser Landesregierung mittlerweile zum guten Ton, die Kompromisse, die man selbst geschlossen hat, im Nachhinein nicht nur schlecht zu reden, sondern sogar so zu tun, als habe man selbst mit der Sache nichts zu tun. Das hat schon Ministerin von der Leyen mit dem Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz vorexerziert. Nachdem sie selbst die Praxisgebühr in den Kompromiss hineinverhandelt hat, gibt sie nun Bundessozialministerin Ulla Schmidt die Schuld für das angebliche Chaos bei der Praxisgebühr.
Mir drängt sich der Verdacht auf - er erhärtet sich durch die Formulierungen in Ihrem Antrag -, dass die CDU den Vermittlungsausschuss allein für parteipolitische Zwecke missbrauchen will.