Protokoll der Sitzung vom 30.04.2004

dass Sie den Schulen mit der Umsetzung dieses Leihmodells jetzt all das zumuten.

(Beifall bei der SPD)

- Ich habe mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort gesprochen, und die haben mir das ganz genau erzählt.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Wann waren Sie denn mal in der Schule?)

- In der letzten Woche war ich an mehreren Schulen - Mit den Kollegen habe ich gesprochen, und sie haben mir dargestellt, dass das vorherige Verfahren - unter der SPD - eindeutig einfacher war.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Gerade darüber haben die Schulleiter geklagt!)

Dort wurden ganz konkret nur Bücher bestellt, wurden Bücher ausgegeben, wurden Bücher zurückgegeben.

Herr Wulf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klare?

Nein, in diesem Kontext jetzt nicht. Ich möchte das darstellen, weil es hierzu offensichtlich völlig falsche Vorstellungen gibt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Sagen Sie mal, wie viele Anrechnungsstunden es früher bei Ihnen gegeben hat!)

Sie haben jetzt ein Verfahren in die Wege geleitet, das einen erheblichen Mehraufwand verursacht und das vor allen Dingen vom Volumen her wesentlich größer ist. Der Landesschülerrat hat ebenso wie andere Verbände und vor allen Dingen natürlich die Lehrkräfte ausdrücklich dargestellt, wie arbeitsintensiv und umfangreich das zukünftige

Verfahren ist. Der Verwaltungs- und der Kostenfaktor werden sich vergrößern, weil für die Ausgabe, Rückgabe und Verwaltung der Bücher dieser Aufwand zukünftig betrieben werden muss.

Beim SPD-Modell wurden die Bücher bestellt, ausgegeben, zurückgenommen und inventarisiert. Das war alles. Beim CDU-Modell kommt noch viel mehr hinzu: das Aufstellen von Bücher- und Kostenlisten pro Klasse, die Eltern müssen benachrichtigt und befragt werden, über jeden Schüler ist eine genaue Buchführung erforderlich, zusätzliche Portokosten fallen an, das Geld muss eingetrieben und verwaltet werden, Konten müssen eingerichtet werden. Wer führt diese eigentlich? Die Schülerinnen und Schüler müssen bereits vier Wochen vor den Sommerferien ihre Bücher zurückgeben, d. h. in dieser Zeit muss dann mit anderen Lehrmitteln gearbeitet werden.

(Ursula Körtner [CDU]: Das war früher schon genauso!)

Welcher Aufwand kommt auf die Schulen zu, wenn die Eltern nicht zahlen und ein Mahnverfahren eingeleitet werden muss? Dafür liegt noch überhaupt keine Verwaltungssoftware vor. All das müssen die Schulen selbst erarbeiten. Meine Damen und Herren, Sie behaupten, das wäre ein geringerer Aufwand. Da kann man nur sagen: Bei diesem Verfahren reden Sie an der Wirklichkeit vorbei. Man könnte fast sagen: Sie sind mit Blindheit geschlagen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ein entscheidendes Problem wird auch sein, wie mit den Eltern umgegangen wird, die der von Ihnen aufgedrückten Verpflichtung, Lernmittel rechtzeitig auf eigene Kosten zu beschaffen, nicht entsprechen können, die aber auch nicht erklärt haben, dass sie die Lernmittel ausleihen wollen. Solche Fälle gibt es insbesondere z. B. bei Immigrantenfamilien, die die komplizierte Rechtslage nicht verstehen. Auch hinsichtlich der Regelungen für solche Fälle drücken Sie sich konkret um Aussagen. Sie lassen die Schulen wieder alleine. Sie sagen, das würde im Ermessen der einzelnen Schulen liegen.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Die regeln das gut!)

Auch hier geben Sie den Schulen keine Planungssicherheit, sondern lassen sie einfach stehen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, nun ein paar Worte zu den pädagogischen Konsequenzen. Wir haben bereits in der letzten Debatte zu diesem Thema ganz klar gesagt, dass es in Niedersachsens Schulen ein wesentliches Problem durch das Entstehen einer Zweiklassengesellschaft geben wird. Sie von der CDU- und auch von der FDP-Fraktion haben immer wieder ins Feld gebracht, dass die Schülerinnen und Schüler mit unserem Modell der Lernmittelfreiheit nicht in die Lage versetzt würden, mit Büchern zu arbeiten, weil sie in ihnen keine Unterstreichungen, Markierungen und Randbemerkungen vornehmen dürften. Das hat die Kollegin Bertholdes-Sandrock von der CDU-Fraktion im September letzten Jahres konkret ausgeführt. Sie sagte zu unserem Modell:

„Auch das Lernen... war nicht so effektiv, weil die Schüler mit den Büchern ja nie wirklich arbeiten könnten. Sie durften nichts unterstreichen, sie durften keine Randbemerkungen machen, keine Querverweise anbringen usw.; denn das Buch war geliehen und musste sauber abgegeben werden. Dies mindert die Effektivität.“

Dann hat sie weiter gesagt:

„Diese Missstände, meine Damen und Herren, wollen wir beseitigen.“

Das ist der originale CDU-Ton vom September letzten Jahres.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist ver- jährt!)

Meine Damen und Herren, was ist daraus geworden? - In den Hinweisen der Landesregierung für das Ausleihverfahren steht jetzt exakt, dass in den gemieteten Schulbüchern eben doch keine Unterstreichungen, Markierungen und Randbemerkungen angebracht werden dürfen. Das, was Sie noch im September beseitigen wollten, schreiben Sie heute den Schülerinnen und Schüler vor.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sie betreiben also genau das Gegenteil von dem, was Sie noch im September gefordert haben. Das finde ich konsequent!

Ihre Schutzbehauptung, dass dieses auch bei der vorherigen Lernmittelfreiheit so gewesen wäre, ist absurd; denn bei unserem Verfahren sind die Schülerinnen und Schüler mit Klassensätzen an Lernmitteln ausgestattet worden. Es hat nur ganz wenige Eltern gegeben, die ihren Kindern eigene Bücher gekauft haben. Das ist absolut kein Vergleich mit dem neuen System; denn bei Ihnen wird es nach eigener Aussage mindestens 20 % der Schülerinnen und Schüler geben, die die Bücher von ihren Eltern beschaffen lassen und die damit arbeiten werden. In dieser Frage wird die Zweiklassengesellschaft in Niedersachsens Schulen durch das Ausleihsystem Ihrer Art wieder vorangetrieben.

Es wird Schülerinnen und Schüler geben, die eigene Bücher haben und deren Eltern sich auch Nachhilfe leisten können. Meine Damen und Herren, es gibt Schülerinnen und Schüler in den gleichen Klassen, die mit den Büchern nicht arbeiten dürfen, denen diese Landesregierung die Hausaufgabenhilfe gestrichen hat und deren Eltern sich Nachhilfeinstitute für ihre Kinder nicht leisten können.

(Ilse Hansen [CDU]: Das hat es doch schon immer gegeben! - Ursula Kört- ner [CDU]: Zu Ihrer Regierungszeit war das doch genauso! Das ist doch Quatsch, was Sie sagen!)

Diejenigen Schülerinnen und Schüler, die weniger betuchte Eltern haben, sind bei Ihnen mal wieder die Verlierer. Die soziale Auslese in Niedersachsens Schulen wird von Ihrer Regierung vorangetrieben. Das ist genau das Gegenteil von dem, was uns PISA gelehrt hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Hans-Werner Schwarz [FDP]: Jetzt wird es aber albern!)

- Das ist leider nicht albern. Das ist der Rückschritt in die 50er-Jahre, den Sie hier an dieser Stelle machen.

Meine Damen und Herren, ich will noch etwas zu den rechtlichen Auswirkungen des Leihverfahrens sagen. Sie handeln hier grob fahrlässig. Wir haben in unserer Großen Anfrage darauf hingewiesen, dass der Dachverband des Deutschen Buchhandels rechtliche Bedenken gegen das Ausleihverfahren hat. Ihre so genannte Antwort hierzu ist, dass Sie diese Fragen mit einem anderen Ergebnis geprüft hätten. Man muss sich das einmal auf

der Zunge zergehen lassen. Sie seien der Auffassung, dass dies urheberrechtlich zulässig wäre und ein Preisnachlass zu gewähren sei. Dazu habe man am 6. April 2004 ein Gespräch geführt. Sie gehen davon aus, dass die Bemühungen zu einer einvernehmlichen Regelung führen werden. Herr Minister, ist das wirklich der Fall? Können Sie uns konkrete Aussagen zu dem Ergebnis dieses Gespräches geben? Unsere Informationen sind nämlich anders. Es hat gar keine Einigung gegeben. Herr Busemann, dazu möchte ich von Ihnen hier und heute konkrete Aussagen hören.

(Ursula Körtner [CDU]: Jetzt haben Sie es aber krachen lassen!)

Meine Damen und Herren, ich bin mit dem Landesschülerrat, der sich in dieser Frage zur Lernmittelfreiheit eindeutig positioniert hat, der Meinung, dass mit diesem Verfahren die Familien dafür bestraft werden, dass sie Kinder haben. Immer mehr junge Familien werden sich auch deswegen für weniger oder keine Kinder entscheiden und sich für eine kürzere Schullaufbahn der vorhandenen Kinder aussprechen.

(Annette Schwarz [CDU]: Wegen der Schulbücher? Jetzt machen Sie aber mal halblang!)

Der Landesschülerrat ist der Ansicht, dass mit einer solchen Politik einfach unüberlegt gehandelt wird.

(Ursula Körtner [CDU]: Deutschland bricht zusammen! Ihre Rede ist ja schmerzensgeldpflichtig!)

Das Bildungsniveau in Niedersachsen wird weiter abfallen. Sie machen mit dieser Politik - davon ist die Lernmittelfreiheit ein Bestandteil - Niedersachsen zu einem familien-, kinder-, schüler- und studentenfeindlichen Land. Die Abschaffung der Lernmittelfreiheit und das Verfahren der Lernmittelausleihe sind vielleicht ein kleiner Schritt, aber ein Schritt mit fatalen Folgen für die Schülerinnen und Schüler, die Schulen und die Familien in unserem Land.

Meine Damen und Herren, ich bin der Ansicht - und mit mir die SPD-Fraktion -, dass die Abschaffung der Lernmittelfreiheit eine soziale Schieflage in die Schulen bringt. Sie als CDUFraktion hatten nie vor, ein gerechtes und sinnvolles Modell zu entwickeln. Ihnen geht es nur um Einsparungen. Es wird mehr Verwaltungsaufwand

und weniger Gerechtigkeit geben. In Zukunft wird es so sein, dass wir die Zweiklassengesellschaft in den Schulen haben. Die Kommunen als Träger der Sozialhilfe werden wieder die Zeche für falsche politische Weichenstellungen in Hannover zu zahlen haben. Die Pläne für das Ausleihverfahren sind völlig unausgegoren. Das merken die Betroffenen sehr wohl. In den Elternräten wird bereits ein Volksbegehren diskutiert.

Ich sage nur: Das Leihverfahren hat verheerende Folgen in unseren Schulen. Es ist grundfalsch, sozial ungerecht und ein Rückschritt in die Vergangenheit. So lässt sich Zukunft für unsere Kinder nicht gestalten.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Landesregierung antwortet jetzt Herr Busemann. Bitte sehr!

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Jetzt muss Wulf ganz tapfer sein!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meiner Antwort eine Grundbemerkung voranstellen, indem ich als These sage: Wenn im Haushalt für Lernmittel kein Geld vorgesehen ist, dann gibt es zu einem Leihsystem keine Alternative.

Hier ist eine Große Anfrage mit insgesamt 28 Fragen gestellt worden. Diese haben wir nach bestem Wissen - und ich finde - vollständig beantwortet. Herr Wulf, diese Qualifikation, die Sie vornehmen, ist billige Polemik. In vielen Punkten wissen Sie es schlicht und ergreifend besser.