Protokoll der Sitzung vom 25.06.2004

Wenn unsere Kinder bei den Kommunen aber in den besten Händen sind, was verursachen dann noch die Standards? - Meine Damen und Herren von den Grünen, die Behauptung, dass Standards immer und ausschließlich gut sind und eine angemessene Betreuung sicherstellen, ist schlichtweg falsch. Dogmatische Standards sind im Gegenteil zutiefst unsozial und verhindern zusätzliche Angebote. Ihnen von den Grünen sage ich das gerne.

Schauen wir uns einmal Ganztagsangebote an: Wenn eine Kommune Eltern, insbesondere Frauen, die Rückkehr ins Berufsleben erleichtern will und hierfür zusätzlich zum Rechtsanspruch weitere Angebote unterbreiten, zusätzlich zum Halbtagsplatz Betreuungszeiten anbieten möchte, dann muss sie auch für das zusätzliche Angebot auch Standards einhalten.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Rich- tig!)

Bei diesen zusätzlichen Angeboten führt das aber zu Kosten, die weder die Gemeinde noch die El

tern tragen können, weil das Einkommen nicht reicht.

(Beifall bei der FDP)

Die Folge ist: In den Kommunen gibt es viel zu wenig bezahlbare Ganztagsangebote, und die Rückkehr in das Berufsleben wird unnötig erschwert. Ich finde, es ist zutiefst unsozial, dass es hier keine Möglichkeit gibt, bei zusätzlichen Angeboten von den Standards abzuweichen;

(Beifall bei der FDP)

denn gerade auch bei den neuen Ganztagsschulen haben wir gesehen, zu welchen kreativen Leistungen die Kommunen fähig sind, um Ganztagsbetreuung zu ermöglichen.

Wir wollen den Kommunen diese Ganztagsangebote möglich machen. Zusatzangebote sollen möglich werden. Die FDP-Fraktion steht nicht nur für eine Verlässliche Grundschule, sondern auch für einen verlässlichen Kindergarten.

(Beifall bei der FDP)

Ich möchte noch einmal auf die Vormittagsangebote und die Baustandards eingehen. Dazu ein ganz aktueller Fall: Es gibt einen zusätzlichen Bedarf für einen Kleingruppe mit zehn Kindern. Die Eltern wünschen aber einen Vormittagsplatz statt eines Nachmittagsplatzes, durch den der Rechtsanspruch auch abdeckt werden könnte. Welche Lösung stellen wir uns vor? - Wir setzen für diese zwei Jahre einen mobilen Gruppenraum an einen bestehenden Kindergarten heran und richten eine Vormittagskleingruppe ein. Die Kita-Standards sehen allerdings vor, dass das leider nicht zulässig ist, wenn die Kinder durch den Bewegungsraum gehen müssen, um zur Toilette zu gelangen. Was ist die Alternative? - Wir bauen den Kindergarten um, wir bauen komplett fest an, oder wir stellen die Container außen mit einer Toilettenanlage auf das alles zu horrenden Kosten. Was wird wohl die Möglichkeit sein, wenn man den Rechtsanspruch auch nachmittags realisieren kann?

(Meta Janssen-Kucz [GRÜNE]: Re- geln Sie doch wenigstens die Min- deststandards!)

Es besteht die Gefahr, dass der Vormittagswunsch nicht erfüllt wird.

Überdenken Sie daher Ihre Forderung. Schaffen Sie mit uns gemeinsam die Möglichkeit, einen

verlässlichen Kindergarten einzurichten, einen Kindergarten, in dem wir Erziehung und Betreuung zu erschwinglichen Kosten anbieten. Lassen Sie uns zusätzliche Angebote zu gesetzlichen Standards schaffen, die nicht an dogmatische Standards gebunden sind. Vielmehr sollten auch ehrenamtliche Elemente von Eltern, Großeltern, Kinderpflegerinnen, bildenden Künstlern, musikalisch Begabten und - im Anklang an die heutige Debatte - vielleicht auch von den Botschaftern der niederdeutschen Sprache mit eingebracht werden, um den Bildungsweg positiv zu beeinflussen. So ermöglichen wir auch für allein erziehende Frauen einen deutlich besseren Eintritt in das Berufsleben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Jetzt erteile ich Frau Janssen-Kucz das Wort. Sie haben noch eine Redezeit von bis zu eineinhalb Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! - Das Mikrofon funktioniert nicht, und ich bin sowieso schon heiser.

Könnten Sie das Mikrofon bitte etwas lauter und vielleicht auch etwas höher stellen?

(Zuruf von der CDU: Dann soll sie lauter sprechen!)

- Das kann sie nicht, weil sie mit den Stimmbändern Probleme hat. Ich bitte also um absolute Ruhe im Saal.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben doch die Situation, dass große Teile der CDU-Fraktion zu diesen Mindeststandards stehen. Die Innenpolitiker, allen voran Herr Schünemann, stehen aber nicht dazu. Das ist aber nicht nur Herr Schünemann in Presseverlautbarungen oder bei öffentlichen Auftritten. Ich darf ja leider nicht aus Niederschriften von nichtöffentlichen Sitzungen des Innenausschusses zitieren.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Zitie- ren Sie doch!)

- Herr Biallas, vielleicht sollten Sie selbst nach vorne gehen und sagen, was Sie dort gesagt haben und wo Sie an die Standards ranwollen.

Frau Janssen-Kucz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klare?

Nein, das kann ich nicht. - Hören Sie endlich mit Ihren Sonntagsreden auf, und sorgen Sie dafür, dass das Geld für die Kitas nicht zur finanziellen Verfügungsmasse gemacht wird; denn so kann die Arbeitsteilung bei Ihnen nicht aussehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich fürchte nämlich, wir werden Folgendes erleben: In diesem Haus wird es demnächst einen Gesetzentwurf geben, in dem das Wort „Kindertagesstätten“ gar nicht mehr auftaucht. Dieser Gesetzentwurf wird es aber den Kommunen ermöglichen, die Kita-Standards bei einem defizitären Haushalt zusammenzustreichen. Dieser Gesetzentwurf wird es den Kommunen nicht nur ermöglichen, die KitaStandards zusammenzustreichen, sondern die Kommunalaufsicht wird die Kommunen bei entsprechender Haushaltslage sogar dazu zwingen, wenn die Einhaltung der Mindeststandards nicht mehr zwingend vorgeschrieben ist. Wenn es nicht dazu kommen soll, dann muss sich die Landesregierung heute eindeutig entscheiden, ob sie die Kitas zu Bildungsstätten ausbauen oder ob sie sie zur finanziellen Verfügungsmasse verkommen lassen will. Wenn Sie es ernst damit meinen, die Kitas zu Bildungsstätten zu machen, dann stimmen Sie unserem Antrag heute zu, und klären Sie die Angelegenheit ein für allemal. Hiermit beantrage ich sofortige Abstimmung. Über Mindeststandards müssen wir nach zehn Jahren nicht weiter diskutieren. - Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Voigtländer, Sie haben das Wort. Sie haben eine Restredezeit von vier Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, um et

was in Richtung von Frau Vockert zu sagen. Frau Janssen-Kucz hat eine Kleine Anfrage gestellt, zu der auch eine Antwort der Landesregierung vorliegt. Frau Janssen-Kucz fragte die Landesregierung:

„Ist sie bereit, eindeutig und verbindlich zu erklären, dass die im Niedersächsischen Kindertagesstättengesetz bzw. in den Durchführungsverordnungen festgelegten Mindeststandards für die Ausstattung der Kindertagesstätten nicht aufgehoben oder abgesenkt werden und dass es auch keine Möglichkeit der Befreiung der Kommunen von diesen Standards geben wird und dass die Landesregierung auch Gesetzentwürfen, die von Landtagsfraktionen mit dieser Zielsetzung in den Landtag eingebracht werden könnten, nicht zustimmen würde?“

Antwort der Landesregierung:

„Die Landesregierung hat mehrfach festgestellt, dass die geltenden Mindeststandards für die Ausstattung der Kindertagesstätten auf der Grundlage des Gesetzes über Tagesstätten für Kinder in der geltenden Durchführungsverordnung nicht geändert werden.“

Angesichts dieser Antwort liefe alles das, was Sie an dieser Stelle anders machen würden, auf einen Betrug und eine Desinformation des Parlaments hinaus. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Heinz Rolfes [CDU]: Was soll denn das? Eine Un- verschämtheit!)

Für die Landesregierung erteile ich jetzt Herrn Busemann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vielleicht ist diese Debatte besonders geeignet, über das eine oder andere Grundsätzliche miteinander zu reden.

Die vorschulische Phase ist von überragender Bedeutung für die Entwicklung unserer Kinder. Wenn die ersten Lebensjahre geglückt verlaufen sollen, muss die frühkindliche Erziehung und Bildung gelingen. Nicht zuletzt durch die Ergebnisse der PISA-Studie ist einer breiten Öffentlichkeit aber auch bewusst geworden, dass dem frühen Lernen mehr Beachtung geschenkt werden muss als bisher. Vordergründig - ich habe das als interessant angesehen haben die unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Lager gemeint, man müsse PISA dahin gehend interpretieren, dass das der Auftrag für eine bestimmte Schulstruktur sei, so herum oder so herum. Selbst Professor Baumert hat gesagt, die Schulstruktur sei äußerst nachrangig für das Gelingen eines Schulwesens. Das kann ich sogar unterschreiben. Entscheidend ist, was man für Schule und Bildung tut, damit der entsprechende Erfolg eintritt.

Ich will nicht verhehlen, dass es aufgrund von PISA zwei Vorwürfe in Richtung auf das deutsche, meinetwegen auch das niedersächsische Schulwesen gibt. Über die Jahrzehnte haben wir uns das alle miteinander eingebrockt. Der eine Vorwurf ist, dass wir den Faktor Förderung nicht genug zur Geltung bringen. Daran müssen wir alle erheblich arbeiten. Der zweite Vorwurf ist, dass wir den Wert und den Auftrag der frühkindlichen Bildung besser erkennen müssen. Das will ich hier einmal festhalten. Ich glaube, in dieser Frage besteht fraktionsübergreifend Konsens.

Ich nehme für mich, für die Regierung - meinetwegen auch für die Mehrheitsfraktionen in Anspruch, dass wir an der Frage ganz energisch arbeiten und auch schon einiges auf den Weg gebracht haben. Aber, ehrlich gesagt, wenn Sie in den letzten Jahren ein bisschen mehr finanziellen Spielraum erwirtschaftet hätten, hätten wir schon noch tolle Ideen, die über das, was wir bereits machen, hinausgehen. Die Landesregierung jedenfalls hat ganz bewusst einen Schwerpunkt ihrer Politik auf ein bildungspolitisches Gesamtkonzept gelegt, das den Elementarbereich als Grundlage aller nachfolgenden Bildungsstufen ansieht.

Ein äußeres Zeichen dafür ist - deswegen stehe ich hier ja auch -, dass der Kindertagesstättenbereich nach der Regierungsübernahme dem Kultusministerium zugeordnet worden ist. Ich will es noch einmal auf den Punkt bringen: Wenn man ein marodes Haus - unsere Bildung, unser Schulwesen - wieder auf vernünftige Beine stellen will, dann fängt man nicht mit dem Dach an - das weiß

jeder -, sondern man muss beim Fundament anfangen, um das Ganze wieder auf eine bessere Basis zu stellen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Zuständigkeit ist eine sehr wichtige Frage, aber nicht die allein selig machende. Es ist auch die Frage, was inhaltlich und an Taten dahintersteht. Ich könnte Ihnen unsere Erlasse zeigen - Sie müssten sie eigentlich auch kennen -, aus denen hervorgeht, wie wir dem Thema frühkindliche Bildung, Kindertagesstätten und Schule mehr Gewicht geben, wie wir die Zusammenarbeit zwischen Kindertagesstätten und Schulen - auch unter Einbeziehung der Eltern - besser organisieren wollen. Da gibt es reichlich Defizite. Wie gesagt, das kann jeder nachlesen.

Ich will den Faktor Sprachförderung ausdrücklich erwähnen. Sprachförderung, insbesondere schon vor der Einschulung, ist mit das Wichtigste, was stattfinden muss, um besser zu werden.

(Beifall bei der CDU)

Irgendwo, Kollege Harden, kam vorhin die Frage auf, was wir hinterlassen hätten oder so; ich weiß nicht, wie der Zusammenhang genau war. Ich kann Ihnen nur sagen: Bereits in dem von Ihnen verabschiedeten Schulgesetz - dazu hat es eine mehrjährige Debatte gegeben - war der Faktor Sprachförderung angelegt. Leider mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass es mit den Mitteln, auch mit der Mipla-mäßigen Absicherung dafür nicht so toll war. Das haben wir mittlerweile hinbekommen.

(Beifall bei der CDU)