Protokoll der Sitzung vom 25.06.2004

- Es ist überhaupt noch nicht gekürzt worden. - Es geht jetzt um eine Idee, die in Papierform aufgekommen ist und die definitiv nicht umgesetzt werden kann. Das ist der springende Punkt. Es geht um die Kommunalisierung, die angesprochen wurde, mit Kürzungsvorschlägen, die schon kursieren, aber überhaupt nicht so umgesetzt werden. Das ist das Wichtige. Lassen Sie uns doch - anstatt dass wir uns hier gegenseitig zerfleischen - gemeinsam überlegen, wie wir es hinbekommen, diesen Bereich weiter zu erhalten. Das ist doch der springende Punkt!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich habe im Rahmen der Aktuellen Stunde, als dieses Thema schon angesprochen worden ist, bereits gesagt, dass am Montag eine Tagung des Niedersächsischen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes stattgefunden hat. Dort sind Vertreter und Vertreterinnen von Gewaltschutzeinrichtungen aus Niedersachsen gewesen. Da bin ich auch gewesen. Da wurden verschiedene Dinge angesprochen, die völlig richtig sind. Es wurde gesagt, dass Gewaltschutz ein Netz braucht. Das ist richtig. Sie haben auch gesagt, dass es ein Irrglaube sei, dass durch Beratung Frauenhäuser ersetzt werden könnten. Das ist völlig richtig. Das sehen wir alle so. Sie haben auch darauf hingewiesen, dass die Opfer von heute gegebenenfalls die Täter von morgen sind und dass Gewalt ungeachtet der menschlichen Schicksale der Opfer weitere gesellschaftliche Probleme nach sich zieht. Das wissen wir alles. Da sind wir uns absolut einig.

Ich gehe noch einmal auf das ein, was bereits am Montag angesprochen wurde; ich habe es vorgestern schon gesagt: Von den Vertretern und Vertreterinnen dieser Gewaltschutzeinrichtungen, die um die dramatische Situation mit dem wenigen

Geld wissen, ist angeboten worden, sich mit uns zusammenzusetzen und Vorschläge zu machen, wie man konstruktiv miteinander reden kann und wie man gegebenenfalls weitere Einsparungen machen kann. Wenn es um Kürzungen geht - das ist ja unser Problem; wir haben eine dramatische Haushaltssituation -, dann müssen Prioritäten gesetzt werden. Wo soll das wenige Geld, das wir haben, sinnvoll eingesetzt werden? - Das ist aber noch nicht passiert. Im Moment ist noch alles in der Diskussion. Wir haben überhaupt nichts entschieden. Wir haben eindeutig gesagt - das haben Sie von Frau Jakob gehört; dem schließe ich mich im vollen Umfang an -: Wir wissen um die Wichtigkeit dieses Bereiches. Wir wollen ihn auf jeden Fall weiter fördern.

Noch ein Punkt. Sie haben die BISS-Stellen angesprochen. Die BISS-Stellen sind von der SPDgeführten Regierung ganz bewusst als Modellprojekt eingeführt worden. Modellprojekte laufen irgendwann aus. Es ist festgelegt worden, dass sie gegen Ende dieses Jahres auslaufen. Wenn man gemerkt hat, dass eine wichtige Struktur geschaffen worden ist, die hilfreich ist - das haben wir gemerkt -, dann kann man sie bei einem Modellversuch nicht ohne weiteres so belassen, sondern dann muss man überlegen, wie man sie in den Bestand integrieren kann. Genau das überlegen wir jetzt. Das ist der Punkt.

Daher noch einmal: Lassen Sie uns gemeinsam konstruktiv mit allen Beteiligten überlegen, wie man diesen Bereich weiterhin fördern kann. Wir wollen das auf jeden Fall tun. Er ist uns wichtig. Wir werden auch bei der Haushaltsberatung daran denken.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erteile ich dem Kollegen Briese das Wort. Herr Briese, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich vertrete meine Kollegin Helmhold. Sie wäre in dieser Sache sicherlich kompetenter - das gebe ich freimütig zu -, aber, wie gesagt, sie ist heute leider verhindert.

Ich möchte ganz zu Anfang sagen: Was die Kollegin von der CDU hier abgeliefert hat, war in meinen Augen schon eine Beleidigung für den Geist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich will Sie gerne daran erinnern, Frau Jakob, wer diese Gesetze zum Gewaltschutz überhaupt erlassen hat. Das Gewaltschutzgesetz ist ein rot-grünes Gesetz. Das Gesetz zum Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung hat Rot-Grün erlassen. Und dann möchte ich Sie daran erinnern, wie lange sich Ihre Fraktion im Bundestag dagegen gewehrt hat, den Tatbestand der Vergewaltigung überhaupt in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, insbesondere die Männerclique der CDU im Bundestag. Das ist die rechtspolitische Wahrheit!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das war eine ganz unrühmliche Geschichte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Landesregierung und auch die Regierungsfraktionen - das haben wir auch hier wieder gemerkt - verkünden gerne, wie viel ihnen der Opferschutz wert ist. In Wahlprogrammen, in Koalitionsverträgen, bei Festansprachen, in Sonntagsreden betont man das immer wieder. Die Justizministerin hält die Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren für absolut notwendig. Auch Strafverschärfung mahnt man hier immer wieder an. Der Innenminister schreibt Pressemitteilungen, in denen er verlautbaren lässt, es sei das erklärte Ziel der Niedersächsischen Landesregierung, den Rechten von Opfern von Verbrechen Vorrang einzuräumen. Auf internationalen Tagungen macht man sich zum Fürsprecher von Opferinteressen.

Das alles ist gut und schön und richtig. Aber wie heißt es so schön, meine sehr verehrten Damen und Herren? - An den Taten sollen Sie gemessen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Denn wenn es wirklich substanziell wird, wenn es um konkrete Hilfen für die Geschädigten geht, wenn es um die Unterstützung und Aufrechterhaltung von Hilfsangeboten geht, dann ist es bei dieser Regierung mit dem Opferschutz nicht mehr allzu weit her und dann zeigt sich, was Ihre hehren Worte vom Opferschutz tatsächlich wert sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, für professionellen Opferschutz braucht man auf der kommunalen Ebene ein gutes Angebot: mit Fachleuten, die in diesem sensiblen Bereich geschult sind. Wir brauchen vor allen Dingen Angebote in den Städten, da dort die Hilfsangebote in größerer Anonymität angenommen werden können. Opfer einer Misshandlung in der eigenen Familie zu werden, ist mit großer Scham und mit tiefer Demütigung verbunden. Die Betroffenen versuchen meist sehr lange, ihre Not vor der Mitwelt zu verbergen, und sie wissen nicht, wohin und an wen sie sich wenden sollen. Sie brauchen daher Angebote, die sie anonym wahrnehmen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Gewalt in Familien, Misshandlung und Demütigung sind unter deutschen Dächern leider keine traurige seltene Ausnahme. Die Zahlen der Gewalt im sozialen Nahraum sind erschreckend hoch. Ich bin sehr für eine bessere Familienpolitik - die Sie ja immer wieder anmahnen -; denn es ist in der Tat so, dass die politischen Parteien die Familienpolitik viel zu lange stiefmütterlich behandelt haben. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Familien in Deutschland sind auch kein Ort trauter Glückseligkeit, obwohl insbesondere die CDU manchmal gerne so tut.

In jeder dritten Partnerschaft in Deutschland findet psychische, körperliche oder sexualisierte Gewalt statt. In 90 bis 95 % der Fälle sind Frauen Opfer und Männer Täter. Jährlich fliehen 45 000 Frauen in Frauenhäuser. Diesen Menschen, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir Hilfe, Schutz und Beratung anbieten. Hier hat die Politik eine moralische Bringschuld.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nur mit frühzeitiger professioneller Hilfe kann der Teufelskreis von Gewalterfahrung und späterer Weitergabe dieser Gewalt an andere durchbrochen werden. Ich ärgere mich daher sehr über den schlichten und oftmals falschen Satz, den Teile der Regierungsfraktionen gerne verkünden: „Opferschutz vor Täterschutz“. Dieser Satz suggeriert nämlich, dass das Opfer dem Täter diametral entgegensteht, sie quasi in zwei Welten leben: hier das unschuldige Opfer, dort der gemeine Täter.

Sehr viele Gewalttäter haben aber selbst in ihrer Kindheit schlimme Gewalttaten erlebt. Sie sind selbst Opfer von Gewalt geworden, und sie haben gelernt, Gewalt zur Durchsetzung in ihrem Leben

zu benutzen. Diese tragische Entwicklung von Opfererfahrung und eigener Anwendung von Gewalt muss daher frühzeitig unterbrochen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben es hier vielfach diskutiert: Wir wissen natürlich um die prekäre finanzielle Lage des Landes Niedersachsen. Die Verschuldung ist gigantisch. Den Haushalt auch nur wieder in eine einigermaßen stabile Lage zu bringen, ist auch eine große Gerechtigkeitsfrage; das sage ich hier einmal ausdrücklich als jüngerer Mensch.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der FDP)

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre tatsächlich unredlich und scheinheilig - da gebe ich Ihnen durchaus Recht -, wenn die Opposition die Notwendigkeit von harter Konsolidierung betont, aber jede Mittelstreichung torpediert. Das kann nicht funktionieren. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, tun Sie bitte nicht so, als ob diese Einsparung alternativlos wäre. Das ist unredlich. Wie Finanzen verteilt werden, ist immer eine politische Frage. Es gibt Möglichkeiten in Niedersachsen, das Schiff wieder flott zu bekommen, und die Grünen werden Ihnen in den Haushaltsberatungen auch eine Reihe von Alternativvorschlägen machen.

Außerdem, Frau Meißner: Es ist nicht so, dass noch nicht gekürzt worden ist. Die Einrichtungen, die Gewaltprävention betreiben, sind sehr verunsichert; das wissen Sie. Und Sie wissen auch: Wenn diese Einrichtungen vernünftig haushalten wollen, dann müssen sie langfristig planen können.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die Einrichtungen machen sich jetzt darüber Gedanken, ob sie Personal kündigen sollen, ob sie Mietverträge weiter aufrechterhalten können. Insofern haben Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine ganze Menge Verunsicherung in diese Einrichtungen gebracht.

Von der Sozialministerin kamen in der gestrigen Aktuellen Stunde ermutigende Zeichen, die Kürzungen in diesem sensiblen Bereich nochmals zu überdenken. Das war erfreulich, und darauf wird es hier auch ankommen. Frau Sozialministerin, wir werden Sie an dem messen, was Sie davon umsetzen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung erteile ich jetzt Frau Dr. von der Leyen das Wort. Frau Ministerin, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich meine, die Debatte hat gut begonnen. Allerdings finde ich persönlich es schade, dass Frau Helmhold nicht gesprochen hat; denn ich kenne sie als eine differenzierende Rednerin.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie nimmt das Thema Gewaltschutz ernst genug, um nicht zum Schluss auf die einfache Formel zu kommen, dass diejenigen, die der einen Partei angehören, davon nichts verstehen, während diejenigen, die einer anderen Partei angehören, davon alles verstehen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Damit, meine Damen und Herren, werden wir dem Thema nicht gerecht. Deshalb sagte ich, die Debatte ging gut los.

Ich habe in der Aktuellen Stunde bereits deutlich gemacht, welche Meinung die Landesregierung dazu vertritt. Wir sprechen jetzt insbesondere über die Problematik der BISS-Stellen, die ja von der Vorgängerregierung als Modellprojekt so konzipiert worden sind, dass Mittel dafür ab 2005 nicht mehr zur Verfügung stehen. Das heißt, wir haben aktuell ein Problem.

Frau Merk, da Sie in diesem Zusammenhang ausgerechnet die Tierkörperbeseitigung erwähnt haben, erlauben Sie mir darauf hinzuweisen, dass die Agrarier das Thema Tierkörperbeseitigung im Agrarhaushalt gelöst haben und auch weiterhin dort lösen müssen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass wir das Thema BISS im Sozialhaushalt lösen müssen. Deshalb bin ich sehr gespannt auf die konstruktiven Vorschläge der Opposition, wie wir dieses uns nach wie vor gemeinsam wichtige Thema so angehen können, dass wir eine gute Arbeit erhalten,

und woher wir das Geld innerhalb des Sozialhaushaltes nehmen sollen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Jahns nach § 71 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung um zusätzliche Redezeit gegeben. Frau Jahns, Sie haben das Wort für zwei Minuten.

Frau Präsidentin! Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es schon sehr bedauerlich, auf welchem Niveau hier manche Wortbeiträge abgeliefert worden sind.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Ralf Briese [GRÜNE]: Al- lerdings!)

Unsere Kollegin Jakob hat dieses Thema sehr sensibel angefasst, und sie hat sehr differenziert dargestellt, vor welcher Haushaltsproblematik wir stehen.

Ich darf an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Frau Merk, gerade Sie! Sie haben zwei Ministerien geführt, und die SPD hat sicherlich gut entschieden, Sie dort nicht mehr zu beschäftigen.