Protokoll der Sitzung vom 03.04.2003

Auch beim Saatgut ist es in den letzten Jahren in mehreren EU-Ländern immer wieder zu Konflikten um Beimischungen von gentechnisch veränderten Organismen gekommen. Saatgut wird aber auch außerhalb Europas erzeugt, auch in Ländern, in denen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Besonders dort sind Auskreuzungen und Vermischungen möglich. Nur zum Teil findet beim Saatimport eine standardmäßige Untersuchung z. B. bei der KWS Saat AG auf GVOBestandteile hin statt.

Der Rechtsrahmen für den Einsatz grüner Gentechnik in Deutschland und in der EU ist umfassend. Gleichwohl besteht in einem zentralen Bereich, den Schwellenwerten, eine Regelungslücke. Benötigt werden generelle, verbindliche und praktikable Schwellenwerte, die festlegen, ab welchen Mengen von GVO-Beimengungen Lebens- und Futtermittel und auch Saatgut gekennzeichnet werden müssen. Über diese angemessene Höhe des Schwellenwertes gehen die Meinungen auseinander. Für die Lebens- und die Futtermittel reichen die Vorschläge von 0,1 bis 0,9 %. Im Übrigen gehen die Diskussionen auch auf EU-Ebene auseinander. Unterhalb dieser Schwellenwerte - das haben wir eben schon gehört - fallen die Produkte nicht unter die Zulassungs- und Kennzeichnungspflicht.

Genauso strittig sind die Grenzwerte beim Saatgut. Die EU schlägt 0,3 bis 0,7 % vor. Die Umweltund Verbraucherverbände fordern einen Wert von 0,1 %, wie er gegenwärtig - richtig - in Österreich schon gilt.

Die Frage ist aber: Gibt es so weitreichende Sicherungsmaßnahmen, die auch noch praktikabel und wirtschaftlich sind? Sind z. B. die empfohlenen Sicherheitsabstände zum Schutz gentechnikfreier Kulturen ausreichend? - Richtig ist, dass der Grenzwert bei der Verunreinigung von Saatgut

durch GVO eine zentrale Rolle einnimmt. Der im Antrag vorgeschlagene Wert von 0,1 % ist quasi eine Nullgrenze; denn ein Nachweis ist überhaupt erst ab 0,1 % möglich. Es besteht die Gefahr, dass diese Nullgrenze gerade diejenigen Landwirte bestraft, die ohne Gentechnik arbeiten und dafür auch eine Garantie leisten möchten. In vielen Fällen wäre diese Leistung aufgrund unvermeidbarer Verunreinigungen möglicherweise nicht mehr zu gewährleisten bzw. die Garantie einer Nulltoleranz nicht mehr bezahlbar.

Man kann natürlich auch umgekehrt argumentieren, Herr Klein, und sagen: Ein Schwellenwert - ganz egal, in welcher Höhe - ermöglicht natürlich auch einen etwas fahrlässigeren Umgang, sage ich einmal, und man schöpft dieses Grenzwert eben aus und bemüht sich nicht mehr, so weit unten wie möglich zu bleiben.

Damit kommen wir natürlich zu dem zweiten kritischen und strittigen Punkt, nämlich zu der Frage, wer haftet, wenn ein Produkt wegen Überschreitung des Schwellenwertes gekennzeichnet werden muss und man deshalb Markteinbußen erleidet. Gefordert wird ein Haftungsrecht nach dem Verursacherprinzip. Wer aber ist der Verursacher von Pollenflug, der vielleicht zu Verunreinigungen führt, obwohl gesetzlich vorgeschriebene Grenzabstände eingehalten wurden? Auch hier gilt: Es müssen praktikable und wirtschaftliche Lösungen gefunden werden.

Sie haben darauf hingewiesen, Herr Klein. In Ihrem Antrag steht es noch etwas anders. In Ihrem Antrag heißt es:

„Der Landtag erwartet in diesem Zusammenhang von der Europäischen Kommission folgende Regelungen:“

Danach werden die vier Punkte aufgeführt. Der EU-Kommissar Fischler gibt diesen Ball - darauf haben Sie hingewiesen - natürlich wieder zurück. In seiner Mitteilung heißt es:

„Die Koexistenz gentechnisch veränderter konventioneller und ökologischer Kulturen soll den Mitgliedstaaten überlassen werden.“

„Bei diesem Ansatz können die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zur Bewältigung der wirtschaftlichen

Folgen der Koexistenz ergreifen und damit auf die lokalen und regionalen Gegebenheiten zugeschnittene Betriebsführungsmaßnahmen entwickeln. Das schließt letztlich auch die Haftungsfrage und mögliche Schadenersatzforderungen mit ein."

So der Vorschlag des Kommissars - er macht es sich damit für meine Begriffe etwas einfach -, weil er in den Verhandlungen erkannt hat, dass es auf EU-Ebene - es gibt unterschiedliche Grenzwerte des Ministerrats und der EU-Kommission - sehr schwierig sein wird, so seine Befürchtung, in kürzerer Zeit zu einer Einigung zu kommen.

Letztlich geht es um eine Verbesserung des Verbraucherschutzes, um mehr Sicherheit durch Kennzeichnung, um mehr Rechtssicherheit für Hersteller, Handel und Verbraucher, um breite Information und Akzeptanz und natürlich auch um Forschung und Entwicklung mit dem Ziel der Koexistenz aller landwirtschaftlichen Produktionsformen.

Wir werden im Ausschuss sicherlich genauso kontrovers diskutieren wie auf EU-Ebene. Aber es ist ein spannendes Thema.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat nun Herr Abgeordneter Oetjen.

Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen trägt den Titel „Gentechnikfreier Landwirtschaft auch in Zukunft sicherstellen“. Bei der Lektüre des Antrags wird uns deutlich, dass es insbesondere um ein geordnetes Nebeneinander von gentechnikfreier und der so genannten GVO-Agrarwirtschaft geht. Das heißt also, die Wahlfreiheit der Verbraucher muss gewährleistet bleiben.

Meine Damen und Herren, auch die Fraktion der FDP fühlt sich diesem Ziel verpflichtet. Aufgrund der mangelnden Akzeptanz von gentechnisch veränderter Produkten sowohl beim Verbraucher als auch bei den Bauern ist es Aufgabe der Politik, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass sie diese Wahlfreiheit sicherstellen.

(Zustimmung bei der FDP)

Aber Niedersachsen ist Agrarland Nummer eins, und wir dürfen uns deshalb gerade in dieser Frage der grünen Gentechnik nicht von anderen Ländern in Europa und in der Welt abhängen lassen.

Für die Fraktion der FDP stelle ich deshalb fest, dass wir die Chancen der grünen Gentechnik für unsere Landwirtschaft und für unsere Bevölkerung nutzen wollen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Aus Sicht der FDP stellen die im Richtlinienentwurf der Europäischen Union festgelegten Schwellenwerte von 0,3 % bis 0,7 % für Saatgut durchaus eine gute Grundlage für ein geordnetes Nebeneinander von GVO-Landwirtschaft und gentechnikfreier Landwirtschaft dar, Herr Klein. Aber natürlich müssen in diesem Zusammenhang verschiedene Maßnahmen, die eine Auskreuzung verhindern sollen, getroffen werden, wie z. B. Sicherheitsabstände, Fruchtwechsel und Pufferzonen.

Zu der Frage nach dem De-facto-Moratorium, die von den anderen Kollegen schon angeschnitten worden ist: Das De-facto-Moratorium seit 1998 für die Neuzulassung gentechnisch veränderter Organismen, also GVO, muss aus meiner Sicht differenziert betrachtet werden. Die Frage der Haftung ist dabei sicherlich kritisch zu betrachten. Aber ich bin der Meinung, dass spätestens dann, wenn diese Haftungsfragen geklärt sind - wenn sie denn noch geklärt werden müssen -, dieses De-facto-Moratorium aufgehoben werden sollte.

Aus meiner Sicht sage ich zu diesen Haftungsfragen eines - und das ist auf Bundesebene immer wieder in der Diskussion -: Gerade diese Haftungsfragen dürfen nicht zur Blockade von zukünftigen Entwicklungen in diesem Bereich genutzt werden.

(Beifall bei der FDP)

Insgesamt ist das Thema grüne Gentechnik von hoher Wichtigkeit für unsere Landwirtschaft und steht in hohem öffentlichen Interesse, weil die Menschen natürlich Angst haben oder sich von der Diskussion verunsichert fühlen.

Aber ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss und hoffe, dass wir die Diskussion in unserem Ausschuss - anders als das oft auf Bundesebene bei Frau Künast der Fall ist - ideologiefrei führen können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Das Wort zu diesem Tagesordnungspunkt hat nunmehr Minister Ehlen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In Ihrem Entschließungsantrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass gentechnikfreie Landwirtschaft auch in Zukunft möglich sein muss. Das ist eine Forderung, die ich so teile. Wir müssen aber neben einer konventionellen und biologisch gentechnikfreien Landwirtschaft ermöglichen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden können, wenn wir nicht völlig realitätsfremde Abkopplungsmanöver vom Weltmarkt anstellen wollen. Das hat Herr Biestmann in seinem Vortrag vorhin schon angedeutet.

Mit den Forderungen, die in Ihrem Entschließungsantrag gestellt werden, wird dies nicht möglich sein. Die Landwirtschaft der Zukunft muss konventionelle Nahrungsmittel ebenso erzeugen wie Nahrungsmittel aus ökologischer Produktion. Sie muss nachwachsende Rohstoffe liefern, sie muss spezielle Pflanzeninhaltsstoffe, insbesondere für die Industrie, liefern oder Pflanzen bzw. deren Inhaltsstoffe, die in der Pharmazie Anwendung finden. Um diese Vielfalt der Produktion in der Landwirtschaft zu erreichen und gleichzeitig wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir alle Techniken ausschöpfen, die verfügbar sind. Dazu zählen auch die biotechnischen Methoden, wie z. B. die Gentechnik. Wichtig ist, dass wir praktikable Lösungen finden, die ein Nebeneinander der verschiedenen landwirtschaftlichen Produktionsweisen ermöglichen.

Ihre Forderungen gehen zum Teil weit über das hinaus, was in Brüssel und in Berlin heute diskutiert wird und auch nur dort letztlich konsensfähig ist.

(Hans-Jürgen Klein [GRÜNE]: Das ist nicht wahr!)

Die Verwirklichung Ihrer Forderungen würde bedeuten, dass ein Nebeneinander nicht möglich wäre. Einen Anbau transgener Pflanzen dürfte es

dann nicht geben - weder einen konventionellen Anbau noch einen Anbau zu Versuchszwecken, auch nicht im Rahmen der Sicherheitsforschung. Dieses Ziel kann so von uns nicht unterstützt werden.

Nun zu den von Ihnen aufgestellten Forderungen im Einzelnen.

Zu 1: Sie fordern, dass die Wahlfreiheit der Verbraucher zwischen gentechnisch veränderten Organismen - hier die Lebensmittel - und gentechnikfreier Nahrung rechtlich und tatsächlich gewährleistet sein muss. Ich meine, dass sich diese Forderung mit den in Brüssel zurzeit in Beratung befindlichen Regelungen zur Verordnung und Neuregelung von Futterund Nahrungsmitteln - 2001/425 - und zur Verordnung über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO und gentechnisch veränderten Nahrungs- und Futtermittel erledigt. Diese Regelungen zielen genau auf die Wahlfreiheit ab.

Den in Brüssel von den Agrarministern geforderten Kompromiss von 0,9 % unvereinbar transgener Bestandteile in Nahrungs- bzw. Futtermitteln als Kennzeichnungsgrenze halte ich für eine Lösung, die die Wahlfreiheit gewährleistet.

Zu 2: Des Weiteren stellen Sie die Forderung auf: Landwirtschaft ohne Gentechnik muss weiterhin möglich sein. - Ich stimme dem zu. Aber es muss gleichzeitig auch möglich sein, Pflanzen mit transgenen Eigenschaften anzubauen. Das erfordert ein Bündel von praktikablen Maßnahmen, die z. B. Grenzwerte und Anbaukataster benötigen. Mit diesen Maßnahmen ist sicherzustellen, dass Landwirtschaft auch ohne Gentechnik möglich ist.

Zu 3: Ihre Forderung lautet, dass Saatgut grundsätzlich keine Verunreinigung mit GVO enthalten darf. Als technische Nachweisgrenze gilt hierfür zurzeit ein Grenzwert von 0,1 %. Meine Damen und Herren, hierzu laufen die Diskussionen in Brüssel in die richtige Richtung. Wir sollten gerade im Hinblick auf die Pflanzenzüchtung praktikable Grenzwerte für Saatgut festlegen. Es ist zu bedenken, dass Saatgut unter freiem Himmel und nicht unter sterilen Bedingungen im Labor erzeugt wird.

Die in Brüssel ausgearbeiteten Grenzwerte von 0,3 bis 0,7 % halte ich für eine praktikable Lösung für die meisten Fruchtarten. Sie wird gewährleisten, dass eine Trennung von transgener und nichttransgener Produktion in Zukunft möglich sein wird. Die Nachweisgrenze von 0,1 % als Kriterium

für die Kennzeichnung von Saatgut halte ich für überzogen. Sie berücksichtigt in keiner Weise, dass wir von neuartigen Pflanzeneigenschaften reden, die risikobewertet sind und bei denen festgestellt wurde, dass kein Risiko besteht.

In dem letzten Punkt Ihres Antrages fordern Sie, dass die Kosten und Auflagen zur Sicherung einer strikten Trennung von Landwirtschaft mit und ohne Gentechnik - Koexistenz - und zur Gewährleistung des Reinheitsgebotes für Saatgut von denen zu tragen sind, die GVO herstellen und anbauen wollen. Sie sollen auch für Schäden haften, die durch entsprechende Verunreinigungen mit GVO entstehen. Sie spielen hiermit auf die Vorschläge von EU-Kommissar Fischler an. Er setzt sich dafür ein, dass diejenigen, die bestimmte Qualitätskriterien für ihre Produkte garantieren und damit Wettbewerbsvorteile erlangen, dafür Sorge zu tragen haben, dass diese Kriterien auch eingehalten werden. Wir müssen über diesen Vorschlag noch eingehend diskutieren. Es bedarf hier sicherlich einer äußerst kritischen Diskussion gerade im Hinblick auf die Existenzsicherung der Ökobetriebe. Aber die von Ihnen erhobene Forderung ist nicht unproblematisch. Die Regelungen zur Koexistenz müssen auch gewährleisten, dass transgene Pflanzen in die Umwelt gebracht werden können, ohne dass befürchtet werden muss, dass man für alle erdenklichen Folgen finanziell zu haften hat. Dies gilt auch für die Durchführung von Freisetzungsversuchen.

Meine Damen und Herren, wir haben es in der Gentechnik mit einer sensiblen Schiene zu tun. Sie hat uns an vielen Stellen schon eingeholt. Wir müssen auch aufpassen, dass wir – wie mit dem Antrag der Fraktion der Grünen - das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

Herr Klein, Sie haben sicherlich sehr viele Sympathien für die Umwelt- und Landwirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. Frau Höhn hat einen gentechnisch veränderten Lebendimpfstoff zur AK-Bekämpfung – Aujeszky’sche Krankheit – eingesetzt. Man muss sich fragen, inwieweit man dieses ganze Gebiet mit einbeziehen muss.

Zum Schluss noch etwas, worüber man sich vielleicht ein bisschen freuen kann. Sie wissen sicherlich, Herr Klein, dass der Grundstoff für Geldscheine aus GVO-Baumwolle hergestellt wird. Wenn Sie diesen bösen Grundstoff aus Ihrem Portmonee loswerden wollen, dann geben Sie mir

die Scheine. Sie bekommen dafür mein Hartgeld. – Danke schön.