Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung: Verschärfte Transparenzregeln für Abgeordnete - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/1624

sowie den

Zusätzlichen Tagesordnungspunkt: Erste Beratung: Unterausschuss zur Weiterentwicklung des Abgeordnetengesetzes und der Verhaltensregeln des Niedersächsischen Landtages - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/1645

Diese Anträge sollen vereinbarungsgemäß zusammen behandelt werden.

Mir liegt die Wortmeldung von Herrn Wenzel vor. Herr Wenzel, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der vorliegenden Entschließungsanträge bin ich nicht sicher, ob sich alle Mitglieder dieses Hauses über den Ernst der Lage im Klaren sind. Zu Beginn der Wahlperiode haben wir dem Landtag gemeinsam mit der SPD-Fraktion einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung vorgelegt. Ziel war eine erhöhte Transparenz bei Nebeneinkommen. Der Antrag fand hier im Plenum keine Mehrheit, wurde zunächst vertagt und schließlich von den Mehrheitsfraktionen abgelehnt.

(Präsident Jürgen Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Noch im Dezember, nach den Vorfällen um die CDU-Politiker Ahrens und Meyer bei RWE, bestand keine Bereitschaft zur Korrektur. Heute diskutieren wir in einer Situation, in der ein großer Teil der Aufklärung in Niedersachsen noch aussteht. Hier hat unser Landtagspräsident noch viel zu bewerten und zu prüfen. VW muss daran konstruktiv mitwirken. Auch einen Untersuchungsausschuss würde ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht grundsätzlich ausschließen.

Meine Damen und Herren, jenseits der Aufarbeitung der Vergangenheit müssen wir in die Zukunft blicken. Wir haben drei verschiedene Entschlie

ßungsanträge auf dem Tisch liegen. Zusätzlich liegt uns ein Antrag der Regierungsfraktionen auf Einrichtung eines Ad-hoc-Ausschusses vor, der die geplanten Änderungen vorbereiten soll. Die Einrichtung dieses Ausschusses begrüßen wir ausdrücklich.

Meine Damen und Herren, der Maßstab unseres Handelns ist klar. Wir müssen alles daransetzen, Vertrauen zurückzugewinnen. Das wird nach meiner festen Überzeugung nur gelingen, wenn es zu glasklaren Schnitten kommt. Hier ist keine weitere Vertagung möglich. Ein weiteres Wegducken verbietet sich. Erforderlich ist einzig und allein ein umgehendes Handeln.

Um Vertrauen zurückgewinnen zu können, müssen wir für ein Höchstmaß an Transparenz sorgen. Unsere Arbeitgeber sind - im übertragenen Sinne des Wortes - unsere Wählerinnen und Wähler. Es ist die Wahlbevölkerung insgesamt. Sie hat ein Recht darauf, zu wissen, ob Abgeordnete Einkommen aus anderen Quellen erhalten, ob Abgeordnete Dritten verpflichtet oder ungerechtfertigen Einflüssen Dritter ausgesetzt sind.

Im Grundgesetz heißt es: Abgeordnete sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. - Diesen Wortlaut des Artikels 38 GG müssen die Geschäftsordnung des Landtages und das Abgeordnetengesetz ausfüllen. Das impliziert auch, dass die niedersächsischen Abgeordneten den überwiegenden Teil ihrer Kraft, ihrer Energie und ihrer Arbeitszeit für die Vertretung der Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler einzusetzen haben.

Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen vier Punkte für eine künftige Regelung vorgeschlagen:

Erstens. Wir wollen die Offenlegung von Einkommen und Nebeneinkünften mit einer Schutzklausel für besondere Fälle, in denen Rechte Dritter verletzt werden oder wirtschaftliche Wettbewerbsnachteile zu befürchten sind. Aber das muss im Einzelfall begründet werden. Wir wollen die Veröffentlichung der Angaben durch den Präsidenten in einer Landtagsdrucksache.

Zweitens. Wir wollen die Abführung von Nebeneinkünften aus Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Mandat stehen, analog zum Ministergesetz. Wer durch sein Mandat mittelbar oder unmittelbar Funktionen in Aufsichtsräten und Beiräten ausübt,

für den sollen dieselben Abführungsgrenzen gelten wie bei Ministern.

Drittens. Wir wollen verschärfte Strafbarkeit von Korruption. § 108 StGB muss alle Facetten von Korruption und Bestechung unter Strafe stellen. Das muss der Bundestag umsetzen.

Viertens. Wir wollen einen Verhaltenskodex für Unternehmen. Dieser Verhaltenskodex muss Teil der Unternehmenskultur sein. Er muss betriebsintern und öffentlich bekannt gemacht werden. Dabei muss auch deutlich werden, dass so genannten Whistleblowern - im englischsprachigen Raum sind damit Menschen gemeint, die rechtswidrige Unternehmenspraktiken öffentlich machen - Anerkennung gezollt werden muss.

Meine Damen und Herren, die alten Demokratien wie beispielsweise England haben noch sehr viel weiter gehende Regelungen - wahrscheinlich aus leidvollen Erfahrungen -, die noch über das hinausgehen, was wir Ihnen jetzt vorschlagen; beispielsweise für Mitarbeiter, für Familienangehörige oder auch für Journalisten, die über Parlamente berichten. Wir müssen an dieser Stelle einen Sprung wagen, um das Vertrauen, das wir alle für unsere Arbeit brauchen, zurückzugewinnen. Deshalb ist insbesondere der Antrag der Regierungsfraktionen völlig unzureichend.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Wenn nicht Frau Merkel im Bundestag in die Debatte eingegriffen hätte, dann hätten wir hier wahrscheinlich noch weniger auf dem Tisch; es hat sich ja abgezeichnet, dass sich die Landtagsfraktionen der CDU untereinander abgestimmt haben. Ich fürchte, dass hier insbesondere auch der Einfluss der FDP zum Tragen gekommen ist, die bundesweit deutlich gemacht hat, dass sie gar keinen Korrekturbedarf sieht. Diese Haltung ist mir völlig unverständlich. Sie ist geprägt durch ein Bunkerdenken, das meint, die öffentliche Debatte ignorieren zu können. Es reicht aber nicht aus, wenn Sie nur einen Teil der Nebeneinkünfte an den Präsidenten melden und dabei Einkommen aus Berufstätigkeiten neben dem Mandat ausschließen wollen. Wir brauchen jetzt auch öffentlich Transparenz, und zwar sehr viel weiter gehend, als Sie vorgeschlagen haben.

Ich möchte alle diejenigen warnen, die meinen, man könne die Sache aussitzen wie beispielsweise bei den Beraterverträgen. Sie sind uns die Neure

gelung der Vergabeordnung noch immer schuldig geblieben.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass wir alle, über alle Fraktionen hinweg, letztlich zu einvernehmlichen Lösungen kommen werden. Aber ich warne ausdrücklich vor halbherzigen oder ängstlichen Lösungen. Diese Zeit ist vorbei. - Herzlichen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Kollege McAllister hat das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht nur mir, sondern der gesamten CDULandtagsfraktion wäre es lieber gewesen, wir müssten heute nicht über Verstöße von Abgeordneten gegen geltendes Recht, gegen das Niedersächsische Abgeordnetengesetz und die Verhaltensregeln, die wir uns selbst gegeben haben und die seit vielen Jahren Gültigkeit haben, diskutieren und beraten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir kommen aber ohne diese grundsätzliche Aussprache in diesem Hause nicht aus, weil die Bevölkerung zu Recht Antworten auf die Fragen erwartet: Haben Abgeordnete zu Unrecht über viele Jahre hinweg Geld vom Volkswagen-Konzern erhalten, ohne dafür eine Gegenleistung erbracht zu haben - ja oder nein? Was tragen der Landtagspräsident, das Parlament, die Fraktionen und vor allem die betroffene Fraktion der beiden Kollegen zur Aufklärung der Sachverhalte bei? Welche Vorschläge gibt es, um die bestehenden Regeln gegebenenfalls noch transparenter und vor allem konsequenter zu machen? - Ich sage das hier ausdrücklich: Wir haben die Pflicht, den Menschen Antworten auf diese Fragen zu geben!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, der Kollege Wenzel hat es bereits angesprochen: Der Parlamentarismus ist in Deutschland und auch hier in Niedersachsen in den letzten Wochen beschädigt worden. Diese Situation wird andauern, solange die Fakten nicht auf den Tisch kommen. Solange Einzelne im Ergebnis nicht vollständig zur Aufklärung beitragen,

sondern versuchen zu verschleiern, wird der Schaden für Niedersachsen, für den Landtag und für alle rechtstreuen Abgeordneten aus allen vier Fraktionen in diesem Hause immer größer.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Präsident! Ich glaube, ich spreche im Namen aller Abgeordneten, die in den letzten Wochen auf Veranstaltungen an der Parteibasis gewesen sind, aber auch darüber hinaus in Gesprächen mit den Bürgerinnen und Bürgern: Das eigentlich Tragische für uns ist, dass wir wegen des Fehlverhaltens einiger Weniger alle miteinander unter einen Generalverdacht gestellt werden. Deshalb möchte ich zunächst festhalten: Die überwiegende, die riesengroße Mehrheit von Abgeordneten der CDU, FDP und Grünen und, ich sage auch, der Sozialdemokraten in diesem Hause hat sich an bestehende Gesetze gehalten, fühlt sich diesen Gesetzen verpflichtet und wird sich auch künftig an diese Gesetze halten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Bevor ich gleich auf die Vorschläge eingehe, die CDU und FDP zur weiteren Optimierung des bestehenden Rechts machen, möchte ich einige Sachen kurz Revue passieren lassen. Was ist passiert? - Ende Dezember 2004 wurde die Öffentlichkeit in Niedersachsen darüber informiert, dass zwei unserer Kollegen der SPD-Fraktion in den Verdacht geraten sind, über viele Jahre hinweg ein Gehalt von Volkswagen bezogen zu haben, ohne dafür eine entsprechende Gegenleistung erbracht zu haben. Meine Damen und Herren, dieser Vorwurf steht nach wie vor im Raum. Denn weder die beiden betroffenen Kollegen noch der Volkswagen-Konzern konnten bislang alle Verdachtsmomente ausräumen. Bis Anfang Januar hat die Führung der Fraktion der beiden betroffenen Kollegen zu den Vorwürfen zunächst geschwiegen und hat sich dann geäußert. Allerdings haben Sie sich Herr Fraktionsvorsitzender, Kollege Gabriel, weniger zu den konkreten Vorwürfen geäußert, sondern Sie haben erste Vorschläge für eine Reform der Verhaltensregeln präsentiert. Ihr erster Vorschlag war, dass Politiker künftig wählen können, ob sie sich vom Steuerzahler alimentieren oder von ihrem Arbeitgeber bezahlen lassen sollen. Dieser Vorschlag war und ist so grotesk und verfassungswidrig, dass ich darauf nicht weiter eingehen möchte.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der frühere Landtagspräsident, Rolf Wernstedt, hat in seinem Interview gegenüber der Neuen Presse vom 5. Januar dazu alles gesagt. Dann folgten von Ihnen die unterschiedlichsten Vorschläge, nahezu täglich, wie das geltende Recht geändert werden könnte. Das hatte immer einen hohen Unterhaltungswert. Das sage ich freimütig. Ich habe Sie häufig im Fernsehen gesehen und habe mit Interesse Ihre Beiträge verfolgt. Sie haben auch zweifelsohne so manch kluge Vorschläge gemacht. Aber ich habe mich - ich kann mich noch erinnern, das war bei Illner; ich habe die Wiederholung einer Sendung, bei der Sie zu Gast waren, morgens um 3 Uhr gesehen, als ich von einer Veranstaltung nach Hause gekommen bin und nicht schlafen konnte - gefragt: Was wäre wohl in Niedersachsen los gewesen, wenn nicht zwei SPD-Abgeordnete, sondern zwei CDU-Abgeordnete unter Verdacht gestellt worden wären? Was wäre dann in diesem Hause los gewesen? Hätte ich als Fraktionsvorsitzender dann allen Ernstes die Zeit und die Muße gehabt, mich öffentlich im Fernsehen hinzustellen und der Republik zu erklären, wie man die Sachen besser machen könnte? - Ich hätte zuerst versucht, im eigenen Laden alles in Ordnung zu bringen und meine beiden Kollegen davon zu überzeugen, erst einmal endlich die Fakten auf den Tisch zu legen, bevor ich diese Hinweise anderen gebe.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es waren viele Auftritte; es waren viele Vorschläge. Aber nach wie vor - das ist unsere Kritik in Richtung der SPD-Fraktion insgesamt - fehlt die Bereitschaft zur kompletten Aufklärung der vorgetragenen Vorwürfe.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir sind genauso schlau wie vor sechs Wochen. Es gibt bereits heute Regeln in Niedersachsen, die es untersagen, Gelder anzunehmen, für die man keine Gegenleistung erbringt. Unsere Regeln in Niedersachsen sind zum Teil sehr viel weit reichender und auch konsequenter als die des Deutschen Bundestages. Aber, Herr Kollege Wenzel, Herr Kollege Gabriel, es hilft überhaupt nichts, wenn man die Stellschrauben immer weiter anzieht und wenn sich auf der anderen Seite einige wenige Kollegen im Gegensatz zur riesengroßen Mehrheit nicht daran halten. Gegen wahrheitswidrige Angaben von Abgeordneten ist kein Gesetzeskraut gewachsen. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Selbst wenn wir zu Beginn dieser Wahlperiode die diskutierten Vorschläge beschlossen hätten, hätten wir diese Vorgänge trotzdem nicht verhindern können. Gerade deshalb kritisieren wir die fehlende Bereitschaft zur Aufklärung.

Ich will noch ein Beispiel nennen. Sie haben vielleicht gemerkt, dass ich mich in den letzten Wochen zu diesem Thema wirklich zurückgehalten habe, weil ich weiß, wie schwierig das alles für die betroffene Fraktion ist. Ich zitiere eine Presseerklärung der SPD-Fraktion vom 18. Januar: Bislang konnte der Eindruck nicht ausgeräumt werden, dass sich die aus den arbeitsvertraglichen Regelungen der beiden SPD-Abgeordneten Viereck und Wendhausen ergebenden Rechte und Pflichten aus ihrer Arbeitnehmertätigkeit im Widerspruch zu den Regeln des § 27 des Abgeordnetengesetzes stehen. Vor dem Hintergrund dieses möglichen Widerspruchs ist die SPD-Fraktion der Überzeugung, dass die beiden Kollegen nicht vorsätzlich gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen haben. Die SPD-Fraktion begrüßt daher ausdrücklich, dass beide Kollegen ihre Bereitschaft erklärt haben, an der Aufarbeitung und Aufklärung der offenen Fragen aktiv und konstruktiv mitzuwirken.

(Hartmut Möllring [CDU]: Hast du das aus einer Karnevalsrede?)

Meine Damen und Herren von der SPD, das ist entschieden zu wenig. Im Personalbogen des Landtags wird von uns Abgeordneten zu Beginn der Wahlperiode eine Erklärung verlangt. Auf diesem Bogen ist die Vorschrift des § 27 Absätze 2 bis 4 ausdrücklich abgedruckt. Wie kann man diese Erklärung unterschreiben, anschließend Gehalt bei Volkswagen kassieren und dann behaupten, man habe nicht vorsätzlich gehandelt? Dafür gibt es ja diese Befragung zu Beginn der Wahlperiode.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deshalb ist auch die Aussage beispielsweise des Kollegen Poppe in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 24. Juni ausgesprochen problematisch, der sagt, die beiden Kollegen seien in eine Falle gelaufen.

(Hartmut Möllring [CDU]: Oh, das ist aber eine böse Falle!)