Protokoll der Sitzung vom 19.05.2005

Umso wichtiger ist es, nach einer umfassenden Bestandsaufnahme und einer Analyse der Ursachen langfristig angelegte Strategien zu entwickeln, die Antworten auf die drängenden Fragen der demografischen Entwicklung geben. Eine erfolgreiche Anpassung an die veränderten Bedingungen im demografischen Wandel kann schnell zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Regionen Deutschlands werden. Wer seinen Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft hier überzeugende Lösungen anbieten kann, wird an Standortattraktivität gewinnen.

Wir sollten jetzt zügig an die Arbeit gehen und die Thematik für unser Land so vorbereiten, dass wir der Verantwortung für kommende Generationen gerecht werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Oetjen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass wir heute den Entschließungsantrag zur Einrichtung einer Enquete-Kommission mit breiter Mehrheit beschließen werden. Bereits in der ersten Lesung habe ich darauf hingewiesen, dass die demografische Entwicklung eine der spannendsten Herausforderungen für die Politik der kommenden Jahre und Jahrzehnte sein wird. Beim demografischen Wandel geht es aber nicht nur um Risiken und Probleme, sondern es gibt auch positive Entwicklungen. Ein Bekenntnis zu den positiven Entwicklungen fehlt mir sehr oft in den Diskussionen: So ist es eine sehr gute Entwicklung, dass die Menschen heute deutlich älter werden, als es früher der Fall war.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, daraus ergeben sich Chancen. Es gibt ein großes Potenzial von Wissen und Erfahrungen älterer Menschen, das es für unsere Gesellschaft zu nutzen und zu „verwerten“ gilt. Es kann doch nicht sein, dass das Wissen und die Alterskompetenz eines Menschen, der mit 65 aus dem Berufsleben ausscheidet, in den Folgejahren ungenutzt bleiben.

Dennoch bleibt zu konstatieren, dass wir ein starkes Geburtendefizit haben. Das ist ein Problem, das wir dringend angehen müssen. Hier reichen allerdings nicht Ganztagsschulprogramme und mehr Plätze in Kinderkrippen, sondern hier ist eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Leistung notwendig.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Fragenkatalog zusammengefasst - das war notwendig, weil er zu umfangreich war - und thematisch gegliedert, wie der Kollege Langspecht gerade ausgeführt hat. Das haben Sie bei uns eingefordert. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass sie sich unserer Initiative, das Thema „Demografische Entwicklung“ in den Blickpunkt der Landespolitik zu stellen, jetzt anschließen, auch wenn Sie, Frau

Kollegin Stief-Kreihe, die FDP vorhin außen vor gelassen haben.

Ich freue mich auf eine insgesamt konstruktive Diskussion und darf die Hoffnung äußern, dass sich die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen vielleicht dieser Initiative im Sinne einer gemeinsamen Beratung und einer gemeinsamen Fokussierung auf dieses Thema noch anschließen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Abgeordnete Hagenah das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist absehbar, dass Entscheidungen, die den Auswirkungen des demografischen Wandels Rechnung tragen, selten populär sein können. Sie werden nur dann auf Akzeptanz stoßen, wenn dieses Thema mit großer Transparenz und unter breiter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger behandelt wird. Diese Anforderung erfüllt der von Ihnen mit der Enquete-Kommission vorgeschlagene Weg leider nicht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Eine Enquete-Kommission schränkt das übergreifende Thema Demografie auch sehr ein. Es fehlen ausreichend Fachleute aus fast allen Politikfeldern, die dann möglichst auch noch mit kontroversen Lösungsansätzen gehört werden müssten. Erst dann könnten wirklich kreative neue Wege jenseits der bisher eingetretenen Pfade gefunden werden.

Wenn Sie es ernst meinen mit dem rechtzeitigen Aufgreifen der demografischen Entwicklung, dürfen Sie die Beratungszeit der Enquete-Kommission auch nicht noch länger fassen, als sie von den Fraktionen der CDU und der FDP ursprünglich vorgeschlagen worden ist. Im Gegenteil, zur Sommerpause im kommenden Jahr könnten die Grundfragen aufbereitet sein, um sie in die politische und öffentliche Debatte zurückzugeben. Nur so wäre wirklich gewährleistet - was die anderen Fraktionen ja auch eingefordert haben -, dass noch in dieser Legislaturperiode Konsequenzen auf der Grundlage der Arbeit gezogen werden können. Eine Enquete-Kommission zögert also überfällige Entscheidungen letztendlich nur hinaus und redu

ziert das Thema auf eine Fachdebatte. Dabei liegen zu vielen der aufgeworfenen Fragen bereits entwickelte Konzepte vor, und sogar aufbereitete Daten für Niedersachsen sind da. Wir sollten uns davor hüten, selbst große Datenmengen anzuhäufen, anstatt die bereits heute sichtbaren Probleme frühzeitig anzufassen und zu lösen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sehen: Wir haben immer noch viele Gründe, der vorliegenden Beschlussempfehlung nicht unsere Zustimmung zu geben. Zustimmen können wir ihr insbesondere deshalb nicht, weil das von David McAllister in der letzten Plenarberatung gegebene Versprechen gebrochen worden ist, den Fragenkatalog zuvor zwischen den Fraktionen in großem Einvernehmen abzustimmen. Wenn sich dann - wie geschehen - nur CDU und SPD separat verständigen und Sie den Grünen Ihre Einigung während ihrer mehrtägigen externen Klausur nur einen Tag vor Antragsschluss zum Abnicken ins leere Fraktionsbüro faxen, dann ist das kein guter Start für die versprochene interfraktionelle Zusammenarbeit. Weil wir Grüne das Thema aber für sehr wichtig halten - -

(David McAllister [CDU]: Es konnte ja niemand wissen, dass bei Ihnen nie- mand da war! Wir müssen uns doch nicht an Ihre Arbeitszeiten halten! Dann kommen wir doch zu nichts mehr! Sie müssen doch erreichbar sein! Mangelnde Disziplin, Herr Ha- genah!)

- Ich glaube, unsere externe Fraktionsklausur war allen anderen Fraktionen mitgeteilt worden. Deshalb hätte man uns auch da erreichen können.

Weil wir Grünen dieses Thema aber für sehr wichtig halten und jeden Beitrag dazu leisten wollen, die heraufkommenden Probleme zu lösen, werden wir uns trotz der Ablehnung Ihrer Beschlussempfehlung der Beteiligung an der EnqueteKommission letztlich nicht verweigern. Entscheidend für uns aber ist, dass das Parlament parallel zur Enquete-Kommission handlungsfähig bleibt und eingebrachte Beschlussvorschläge für Teilaspekte nicht aufs Ende der Arbeit der EnqueteKommission vertagt werden. Vielmehr müssen diese mit Ernsthaftigkeit beraten werden, und es müssen zeitnahe Beschlüsse herbeigeführt werden. Zu nennen sind hier etwa Fragen zur Verkehrsentwicklung, zu den wirtschaftlichen und

sozialpolitischen Konsequenzen aus der zunehmenden Alterung oder schlicht zu der künftigen wirtschaftlichen Größe von Gebietskörperschaften und Landkreisen wie z.B. des Landkreises Lüchow-Dannenberg. In einigen Regionen unseres Landes ist der Handlungsdruck nämlich schon heute enorm. Ich erinnere das Haus an eine bei uns allen gewachsene historische Erkenntnis, die auch bei der Bewältigung der demografischen Entwicklung zutrifft: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Den, der zu lange redet, auch!)

Für die Landesregierung hat nun das Wort Frau Dr. von der Leyen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt sehr, dass der Landtag heute eine Enquete-Kommission zum demografischen Wandel einsetzen wird. Dieses Thema wird von überragender Bedeutung für die Zukunft unseres Landes und für die Zukunft unserer Menschen sein.

(Beifall bei der CDU)

Hier klang immer wieder die Frage an: Brauchen wir so etwas in Niedersachsen? Wenn ja, in welcher Form? - Natürlich ist schon vieles zu diesem neuen, aber sehr umfangreichen und vielschichtigen Thema erarbeitet worden. Die EnqueteKommission des Deutschen Bundestages hat sicherlich eine der umfangreichsten Dokumentationen dazu vorgelegt, die auch eine gute Ausgangsbasis für die Arbeit unserer Kommission sein kann. Auch die Landesregierung beschäftigt sich bereits mit dem Thema demografischer Wandel. Wir haben einen interministeriellen Arbeitskreis unter der Federführung des Landwirtschaftsministers eingerichtet, in dem alle Ressorts vertreten sind; denn diese Fachthemen betreffen alle Ressorts.

Zudem wurden im Nordosten und im Süden des Landes Modellregionen eingerichtet, um die Anstrengungen vor Ort zu unterstützen. Das alles gibt es schon. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass wir in Niedersachsen eine EnqueteKommission brauchen; denn gerade die demogra

fische Entwicklung in Niedersachsen ist exemplarisch dafür, wie vielschichtig und unterschiedlich der demografische Wandel auftreten kann. Es klang bereits an, dass wir im Südosten eine völlig andere Situation haben als im Nordwesten. In den Ballungsgebieten gibt es eine völlig andere Problematik als im ländlichen Raum. Sie alle wissen, dass wir im Süden einen dramatischen Bevölkerungsschwund zu verzeichnen haben. Osterode ist der älteste Landkreis in Deutschland. Im Nordosten haben wir mit Cloppenburg hingegen den jüngsten Landkreis in Deutschland. In Niedersachsen fokussiert sich sehr viel an unterschiedlichen Themen, die der demografische Wandel umfasst. Das bedeutet: Für viele ganz unterschiedliche Fragen wird es differenzierte Antworten geben müssen. Das ist die Arbeit, die die EnqueteKommission vor sich hat.

Meine Damen und Herren, wir benötigen ganz neue Anpassungsstrategien für ein Leben in einer Gesellschaft z. B. mit einem hohen Anteil älterer Menschen. Das klang hier schon an. Wir brauchen aber auch Handlungskonzepte für die Frage, wie wir wieder mehr Akzeptanz für und mehr Mut zu Kindern in unserem Land schaffen und uns besser für die Kinder, die da sind, einsetzen können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das Ausmaß, in dem es einem Land wie Niedersachsen oder einer Kommune etwa im Süden oder Nordwesten des Landes gelingt, junge Menschen und damit Fachkräfte anzuziehen, entscheidet darüber, welche jungen Menschen bzw. Unternehmen sich dort ansiedeln. Wenn man sich die Arbeitsmarktforschung anschaut, dann sieht man, dass die Zahl der Fachkräfte in Deutschland in den kommenden Jahren doppelt so schnell sinken wird wie die Zahl der Einwohner. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die wachsende Nachfrage nach qualifiziertem Personal für die Standortentscheidung von Unternehmen von entscheidender Bedeutung sein wird. Die Unternehmen gehen genau dahin, wohin auch die jungen Menschen ziehen. Die wiederum ziehen in die Gegenden, in denen sie eine Möglichkeit haben, mit ihren Kindern Beruf und Familie zu vereinbaren. Das heißt für Niedersachsen: Hier kann sich Niedersachsen einen Standortvorteil erarbeiten, wenn wir schnell kluge Antworten finden.

(Beifall bei der CDU)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Aller?

Bitte, Herr Aller!

Frau Ministerin, Sie haben eben schnelle Antworten angemahnt.

(Ursula Körtner [CDU]: Kluge!)

Die Frage, die sich allen, die in der EnqueteKommission mitarbeiten wollen, stellt, ist doch die Folgende: Hat das Auswirkungen auf das konkrete Handeln auch der Landesregierung im Zusammenhang mit dem Haushalt und der Finanzierung der hier angesprochenen Politikfelder? Werden Sie in der mittelfristigen Finanzplanung entsprechende Weichenstellungen vornehmen?

Herr Aller, da Sie eben mein Lieblingsthema angesprochen haben, möchte ich hier kurz anführen, was wir bereits machen. Das Sozialministerium hat eine Tagesmütterqualifizierung organisiert. Wir haben eine Offensive mit den Unternehmerverbänden für eine familienfreundliche Arbeitswelt gegründet. Wir führen gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer und den Kommunen ein Projekt durch, in dessen Rahmen wir allein erziehenden jungen Müttern, die keinen Berufsabschluss haben, die Möglichkeit geben, ihre Kinder betreuen zu lassen und einen Berufsabschluss zu erlangen. Wir haben Mehrgenerationenhäuser geschaffen. Wir haben einen Kabinetts-TÜV. All dies ist Regierungshandeln auf einem Feld.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Langfristig werden wir aber noch weitere Antworten brauchen und danach unsere Politik ausrichten.

Deshalb lassen Sie mich jetzt zu einem weiteren Punkt kommen, Herr Aller, der auf Dauer ebenfalls

sicherlich das Regierungshandeln beeinflussen wird. Wir haben schon heute wenige Kinder. Zusätzlich vernachlässigen wir aber auch das Potenzial dieser wenigen Kinder, die es in Deutschland gibt. Zahlreiche Kinder in Deutschland sind in Risikofamilien geboren worden. Hier müssen unsere gemeinsamen Anstrengungen - diesbezüglich erwarte ich konstruktive Vorschläge insbesondere auch von der Opposition - zu einer viel stärkeren Nutzung der Erkenntnisse über diese ganz frühe Zeit der Kindesentwicklung ansetzen, die für die sozialen, die emotionalen und die intellektuellen Kompetenzen von Kindern so prägend ist.

Frau Ministerin, gestatten Sie auch noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Stief-Kreihe?

Frau Ministerin, teilen Sie meine Einschätzung, dass die Einsetzung einer Enquete-Kommission Sache des Parlamentes ist, nicht aber Sache der Landesregierung?

(Beifall bei der SPD)