Protokoll der Sitzung vom 15.05.2003

Insoweit könnte ich jetzt dieses Rednerpult verlassen und wieder zurück an meinen Platz gehen. Das möchte ich aber nicht, weil es noch ein paar Dinge gibt, die ich Ihnen sagen will, weil sie wichtig sind. Ich finde es nämlich auch problematisch, meine Damen und Herren - abgesehen davon, dass man darüber streiten kann, ob man so etwas für eine Showveranstaltung nutzt oder nicht -, dass aus Ihrem Antrag erneut deutlich wird, welchen Stellenwert Sie dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen einräumen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das haben wir in den letzten Jahren in Niedersachsen immer wieder erlebt. Hierzu nenne ich nur einmal das Stichwort: kommunaler Finanzausgleich. Sie können doch nicht ernsthaft niedersächsischen Kommunen mitteilen wollen: Gleichgültig, ob ihr in euren politischen Gremien zu dem Ergebnis kommt, euch als Kulturhauptstadt bewerben zu wollen, oder nicht; es interessiert uns überhaupt nicht; bewerbt euch, oder macht es nicht; wir nehmen es gar nicht zur Kenntnis! Was ist das für ein Stil?

(Beifall bei der CDU - Christina Bührmann [SPD]: Herr Stratmann, waren Sie draußen, als ich geredet ha- be?)

Diesen Stil kann und darf ich gar nicht anwenden. Deshalb, Frau Bührmann, ist es doch völlig selbstverständlich, wenn Kommunen sich dazu entschließen, sich als Kulturregion zu bewerben

- z. B. Osnabrück; ich weiß noch nicht, ob sich noch weitere bewerben -, ich dann als zuständiger Minister diese Bewerbung zunächst einmal annehmen und formalisiert und fair prüfen muss. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, die mit der Koalitionsvereinbarung zunächst überhaupt nichts zu tun hat.

Jetzt will ich Ihnen noch einmal erläutern, wie das Verfahren überhaupt läuft. Vielleicht ist es wichtig, das einmal zu wissen. - Bis zum Ende des ersten Quartals 2004 reichen die Kommunen, die es gerne werden möchten, ihre Bewerbung beim zuständigen Ministerium - das ist in diesem Fall das Ministerium für Wissenschaft und Kultur - ein. Bislang haben übrigens bundesweit schon mehr als ein Dutzend Städte ihre Bewerbungen eingereicht. Darunter ist z. B. Potsdam. Man liest, dass Bremen sogar beabsichtigt, damit den Haushalt zu sanieren. Wir alle verfolgen das in der Tagespresse. Daraus folgt übrigens, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir uns bei dieser schwierigen Konkurrenzsituation natürlich darüber im Klaren sind, dass wir uns als Land letztendlich nicht aus der Verantwortung ziehen können, denn nur eine Kommune, die die Unterstützung des Landes hat, wird überhaupt eine Chance haben, im bundesweiten und europäischen Wettbewerb zum Zuge zu kommen.

Bis Ende des zweiten Quartals 2004 müssen die Bewerbungen, nachdem sie im jeweiligen Land geprüft worden sind, an das Auswärtige Amt weitergeleitet werden. Das Auswärtige Amt leitet diese Bewerbungen dem Bundesrat zur Stellungnahme zu, und der Bundesrat leitet sie, nachdem er selber Stellung genommen hat, an das Auswärtige Amt zurück. Dann erst wird die Entscheidung, die vom Bundesrat anhand der Stellungnahme getroffen worden ist, den europäischen Gremien übermittelt, sodass etwa Ende des dritten Quartals 2005 mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen ist.

Nachdem ich das Verfahren hier noch einmal geschildert habe, möchte ich noch einmal deutlich machen: Wir stehen zu dem, was wir gesagt haben. Wir werden die Bewerbung Braunschweigs unterstützen, aber weitere Bewerbungen müssen von uns in einem formalisierten, fairen Verfahren angenommen werden. Dazu bin ich verpflichtet, das will ich hier noch einmal in aller Deutlichkeit sagen. Alles andere würde jeder Logik entbehren. Das werde ich tun, nichts anderes habe ich bisher gesagt.

Ich hoffe, dass der Wettbewerb, der durch weitere Bewerbungen natürlich entsteht, dazu beiträgt, dass die Braunschweiger sich noch mehr anstrengen, um dann im Ergebnis so gut zu sein, dass wir sagen können: Die Kulturhauptstadt 2010 wird in Niedersachsen sein. Das unterstützen wir mit allen Kräften. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Dr. Brockstedt, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bührmann, heute so, morgen so – das hatten wir gestern, das hatten wir bis zum 2. Februar. Für den vorliegenden Antrag „Kulturhauptstadt Europas – welche Stadt soll es werden?“ danke ich Ihnen, beschreibt er doch die Sachlage zutreffend. Wir alle können es im Internet oder auch in der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP nachlesen.

Es stellt sich für mich eigentlich die Frage: Weshalb sollen wir das alles noch einmal beschließen? Ich verstehe aber Ihre Probleme. Sie haben sich noch nicht daran gewöhnt, dass wir das, was wir versprochen haben, halten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nun zu den Punkten Ihres Antrages. Natürlich begrüßen auch wir das EU-Auswahlverfahren mit einem Rotationsprinzip. Natürlich begrüßen auch wir, dass Deutschland 2010 eine oder mehrere Städte vorschlagen kann. Wir hoffen auch, dass es eine niedersächsische Stadt sein wird. Den Inhalt der Koalitionsvereinbarung brauchen wir nicht noch einmal extra zu begrüßen; die Umsetzung jedes einzelnen Punktes wird diesem Land nützen.

(Beifall bei der CDU)

Aber es ist schön, dass Sie sich dazu durchgerungen haben, die Aussagen unserer Koalitionsvereinbarung mit durchsetzen zu wollen.

Ein Blick zurück. Berlin war 1988 die Kulturhauptstadt Europas, Weimar war es 1999. Im Jahre 2000 gab es neun verschiedene europäische Kul

turhauptstädte. Deshalb hat man sich darauf verständigt, ab 2005 ein rotierendes Verfahren einzuführen, wonach pro Jahr jeweils ein Land eine Stadt oder mehrere Städte benennen darf. 2010 darf Deutschland diese europäische Kulturhauptstadt stellen.

Wie Herr Minister Stratmann ausgeführt hat, dürfen sich Städte aus Deutschland bis zum ersten Quartal 2004 bewerben. Zurzeit sind es etwa zwölf Städte, zwei davon aus Niedersachsen. Braunschweig hat als erste Stadt seinen Hut in den Ring geworfen, Osnabrück folgte. Auch weitere Städte haben das Recht, eine Bewerbung auszusprechen. Wir in Niedersachsen können stolz darauf sein, dass sich zwei Städte berufen fühlen, sich zu bewerben. Das zeigt uns, welche Attraktivität und welches Selbstbewusstsein die jeweilige Stadt oder Region haben. Wir haben in Niedersachsen starke Städte und Regionen, trotz der in den Jahren der SPD-Regierung vor allen Dingen in der Fläche ungleich verteilten Landesmittel.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nur die klare Festlegung auf eine niedersächsische Stadt wird uns helfen, der Stadt, die wir für geeignet halten, den Weg zu weisen. Seitens der Koalitionspartner ist in der Koalitionsvereinbarung eine Entscheidung für Braunschweig, den zu diesem Zeitpunkt einzigen niedersächsischen Bewerber, ausgesprochen worden. Seit dem 25. März haben wir mit Osnabrück einen weiteren Bewerber. Jetzt kommt es darauf an, diese Bewerbungen in einem fairen Verfahren zu beurteilen, fair auch deshalb, damit man uns hinterher nicht vorwerfen kann, wir hätten uns von vornherein auf einen einzigen Bewerber festgelegt. Der Bewerber, für den wir uns entscheiden, muss sich ja auch deutschlandweit durchsetzen können.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Was gilt denn nun? Jetzt eiern Sie!)

- Für uns gilt die Aussage des Koalitionsvertrages.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Sie haben doch eben gesagt: Das darf man nicht!)

Trotzdem müssen auch später eingegangene Bewerbungen berücksichtigt werden. Auch diese Städte haben Anspruch auf ein faires Verfahren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Dieter Möhrmann [SPD]: Aber Sie hatten sich vorher festgelegt!)

Würden wir dieses Verfahren nicht fair durchziehen, wäre, da bin ich sicher, die Bewerbung Braunschweigs gefährdet.

(Dieter Möhrmann [SPD]: Das ist aber eine gefährliche Eierei!)

Meine Damen und Herren, in der Koalitionsvereinbarung steht: „Die neue Landesregierung will Niedersachsens Profil als europäische Kulturregion stärken.“ Jede einzelne Bewerbung einer niedersächsischen Stadt in einem solchen Wettbewerb wird zu diesem Ziel beitragen. So werden die Stärken der einzelnen Regionen noch weiter gefördert. Wir stehen zur Koalitionsvereinbarung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Dr. Heinen-Kljajić, bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Braunschweiger Abgeordnete bin ich - das werden Sie vielleicht verstehen - in der Frage Kulturhauptstadt eigentlich befangen. Natürlich würde ich es den Braunschweigern und Braunschweigerinnen und der Region Braunschweig gönnen, dass Braunschweig den Zuschlag bekommt. Ich gönne übrigens auch der SPD-Fraktion die Freude darüber, die Regierungskoalition per Antrag auf die Einhaltung ihrer eigenen Koalitionsvereinbarung zu verpflichten, an einer Stelle, an der sich CDU und FDP - das kann hier heute, ehrlich gesagt, auch nicht aufgelöst werden - ganz offensichtlich vergaloppiert haben. Es ist doch wirklich leichtsinnig, im Koalitionsvertrag eine Aussage über die Unterstützung einer Bewerbung zu machen, wenn noch überhaupt keine Unterlagen darüber vorliegen, wie diese Bewerbung inhaltlich und konzeptionell aussehen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Erst recht rächt sich diese Vorgehensweise, wenn im eigenen Land ein konkurrierender Mitbewerber auftritt. Man hätte bereits bei der Aufsetzung der

Koalitionsvereinbarung wissen können, dass man sich mit einer Festlegung auf Braunschweig ins eigene Fleisch schneidet.

(Enno Hagenah [GRÜNE]: Nächstes Mal machen wir das besser!)

Dabei kann zwangsläufig nur der Eiertanz herauskommen, den die Landesregierung zurzeit vorführt, wenn der Ministerpräsident an seiner Zusage mal mehr, mal weniger festhält, während Minister Stratmann ein Mal interne Konkurrenz fordert und ein anderes Mal, wie heute hier geschehen, dann doch wieder eher Braunschweig zu favorisieren scheint.

Tatsächlich aber wären alle Beteiligten in der Tat gut beraten, einmal einen Blick in die Verfahrensvorschriften zu werfen, die hier schon angesprochen wurden. Dort wird nämlich ein geordnetes Bewerbungsverfahren vorgeschlagen und nicht etwa Zuschlag auf Zuruf. Die Bewerber - auch das wurde hier bereits erwähnt - können bis zum 31. März 2004 ihre Bewerbung einreichen. Den Spagat, den Sie, Herr Stratmann, an dieser Stelle gemacht haben, verstehe ich nicht. Zum einen verweisen Sie – was ich eigentlich begrüße – auf das Verfahren, trotzdem halten Sie zum anderen gleichzeitig daran fest, Braunschweig zu favorisieren.

Weder aus der Region Braunschweig noch aus Osnabrück liegen bisher Konzepte vor, wie die Bewerbungen als Kulturhauptstadt inhaltlich ausgestaltet werden sollen. Es ist nämlich nicht etwa die vorhandene kulturelle Substanz ausschlaggebend für die Bewerbung und damit für die Chancen einer Kandidatur. Vielmehr gibt es einen durchaus differenzierten Katalog von genau festgelegten Evaluierungskriterien, der das programmatische Konzept der Bewerber zur Entscheidungsgrundlage macht. Dazu zählen, hier darf ich kurz zitieren: die Durchführung spezifischer Aktivitäten zur Förderung von Innovationen im Kunstbereich und zur Schaffung neuer Formen der kulturellen Aktion und des kulturellen Dialogs, die Durchführung von Maßnahmen zur Förderung der Zugänglichkeit und der Sensibilisierung in Bezug auf das stadtspezifische kulturelle Schaffen, die Durchführung von Projekten zur Förderung der Einbeziehung des architektonischen Erbes in neue Strategien zur Stadtentwicklung oder die gemeinsame Durchführung von Initiativen zur Förderung des Dialogs zwischen den europäischen Kulturen und den Kulturen in anderen Teilen der Welt, um nur einige

wenige Beurteilungskriterien zur Veranschaulichung zu nennen.

Ich wollte mit dieser Aufzählung verdeutlichen, dass die Grundlage der Bewerbung nur ein hochkomplexer Konzept- und Projektentwurf sein kann.

(Glocke des Präsidenten)

So sehr ich Verständnis dafür habe, dass die einzelnen Kommunen und Regionen auch in diesem Parlament um Unterstützung werben, so sollte die von der Landesregierung ausgelöste Konfusion nicht mit einer Vorfestlegung aufgehoben werden, sondern mit einem Verweis auf den Ablauf der Bewährungsfrist im März 2004. Alle bis dahin eingehenden Bewerbungen verdienen eine faire Beurteilung. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Herr Ministerpräsident Wulff hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zum Vorgang als solchem ist insbesondere von Minister Stratmann alles gesagt worden. Die Unterstützung der Bewerbung Braunschweigs durch die Koalitionsfraktionen einerseits und ein geordnetes Verfahren andererseits werden wir miteinander in Einklang bringen. Nach meiner festen Überzeugung nutzt es wenig, Regionalismen in einer Art und Weise zu betreiben, dass bestimmten Regionen quasi das Gefühl der Vernachlässigung und der Benachteiligung vermittelt wird und dies unterstützend polarisiert verlautbart wird. Nach einer bundesweit durchgeführten Umfrage mit 370 Teilnehmern sollen die Osnabrücker die zufriedensten Deutschen sein. Das kann ich als Osnabrücker persönlich nachvollziehen. Meine Vorstellung ist, dass die Niedersachsen unter den 16 Bundesländern in einigen Jahren die zufriedensten Bundesbürger sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir damit aufhören, zu unterstellen, dass Herr Glogowski nur Politik für Braunschweig gemacht habe, Herr Gabriel nur an Goslar gedacht hätte und ich jetzt in der Gefahr wäre, nur an Osnabrück zu denken.

Ich sage offen, ich habe für die Bundesgartenschau in Osnabrück gekämpft, ich habe früher, als ich nur für Osnabrück zuständig war, für die Ansiedlung der Bundesumweltstiftung in Osnabrück und für die Entwicklung meiner Heimatstadt gekämpft. Jetzt bin ich aber dem Wohl des gesamten Landes verpflichtet. Darauf habe ich einen Eid geleistet.